TE Vfgh Erkenntnis 1991/6/13 G213/90

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Veröffentlicht am 13.06.1991
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs2
Stmk GdWO 1960 §21 Abs2
Stmk GdWO 1960 §22 Abs4
JN §66

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Einschränkung des aktiven Wahlrechts auf eine (Wohnsitz-)Gemeinde in einer Gemeindewahlordnung

Spruch

1. §21 Abs2 und §22 Abs4 Satz 1 der Steiermärkischen Gemeindewahlordnung 1960, LGBl. Nr. 6, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

2. Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1.1. Das Ehepaar V und G K sowie seine beiden Kinder B K und T K waren in das Wählerverzeichnis der Gemeinde Bad Gleichenberg/Bundesland Steiermark für die Gemeinderatswahl 1990 eingetragen und sowohl in Bad Gleichenberg als auch in Trautmannsdorf/Bundesland Steiermark polizeilich gemeldet. In den Wohnsitzerhebungsblättern, die sich auf die Wählerevidenz nach dem Wählerevidenzgesetz 1973 beziehen, gaben sie am 5. Feber 1990 an, bisher in Bad Gleichenberg gewählt zu haben und weiterhin dort wählen zu wollen.

1.1.1.2. Am 13. Feber 1990 begehrte Ing. W F mit Einsprüchen iS des §31 Steiermärkische Gemeindewahlordnung 1960, LGBl. 6 idF LGBl. 10/1985 (GWO), die Streichung dieser vier Personen aus dem Wählerverzeichnis. Die Betroffenen sprachen sich in Schriftsätzen vom 16. Feber 1990 gegen die Streichungsanträge aus.

1.1.2. Die Gemeindewahlbehörde gab am 17. Feber 1990 den Einsprüchen statt und teilte diese Entscheidung den Einspruchsgegnern mit Schreiben vom 19. Feber 1990 mit.

1.2.1. Dagegen erhoben V, G, B und T K am selben Tag Berufung an die Bezirkswahlbehörde. Ing. F nahm zu diesem Rechtsmittel am 27. Feber 1990 Stellung.

1.2.2.1. Die Bezirkswahlbehörde Feldbach wies die Berufung mit Bescheid vom 2. März 1990, Z7.1 G2/28-1989, als unbegründet ab.

1.2.2.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:

" . . . Um einen Mißbrauch der derzeit sicher nicht befriedigenden Rechtslage des Meldegesetzes auszuschließen, ist die Bestimmung des §66 der JN nicht extensiv auszulegen: §66 der JN bestimmt den Gerichtsstand einer Person nach ihrem Wohnsitz. Nach den Erhebungen liegt der Wohnsitz tatsächlich in Trautmannsdorf, auch dann, wenn fallweise eine andere Wohnung benützt wird.

Da es auch dem logischen Denkvermögen nicht widerspricht, daß eine Familie mit drei Kindern in beengten Wohnverhältnissen nicht unter Opfern ein Eigenheim errichtet, um dann in der alten Wohnung zu verbleiben, konnte den Erhebungen glaubwürdig Rechnung getragen werden."

1.3.1. Gegen diesen Berufungsbescheid richteten sich die zum AZ B446/90 protokollierten, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten (und gemeinsam ausgeführten) Beschwerden des V K, der G K, der B K und des T K an den Verfassungsgerichtshof, womit insbesondere die Verletzung des durch Art117 Abs2 B-VG gewährleisteten Rechts auf Teilnahme an den Wahlen in den Gemeinderat behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wurde.

1.3.2. Die Bezirkswahlbehörde Feldbach als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden eintrat.

1.4.1. Im Zug der verfassungsgerichtlichen Beratung über diese Beschwerden entstanden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §21 Abs2 und des §22 Abs4 Satz 1 GWO.

1.4.2.1. Der Verfassungsgerichtshof faßte daraufhin (am 28. September 1990) zum AZ B446/90 den Beschluß, diese landesgesetzlichen Vorschriften auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

1.4.2.2. In den Gründen des Prüfungsbeschlusses heißt es ua. wörtlich:

" . . . Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß kraft Art95 Abs1 B-VG idF der B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685/1988, die Mitglieder der Landtage auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts aller nach den Landtagswahlordnungen wahlberechtigten männlichen und weiblichen Landesbürger, ds. jene Staatsbürger, die im jeweiligen Land einen ordentlichen Wohnsitz haben (Art6 Abs2 B-VG idgF), gewählt werden. Nach Art117 Abs2 B-VG finden die Wahlen in den Gemeinderat gleichfalls auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts aller Staatsbürger mit ordentlichem Wohnsitz in der Gemeinde statt, wobei in der Wahlordnung die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechts nicht enger gezogen sein dürfen als in der Wahlordnung zum Landtag.

Der Verfassungsgerichtshof legte in seinem Erkenntnis vom 18. Dezember 1982, V34,35/82 ua. (= VfSlg. 9598/1982), zur Frage des Wohnsitzbegriffs des B-VG ua. wörtlich dar:

'. . . Der Begriff des 'ordentlichen Wohnsitzes' - der nach den im B-VG enthaltenen Wahlrechtsgrundsätzen eine der Voraussetzungen für das aktive Wahlrecht bildet (Art26 Abs2, 95 Abs1, 117 Abs2 B-VG) und im B-VG nicht definiert wird - ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs, wie bereits mit Erkenntnis VfSlg. 1327/1930 (s. auch: VfSlg. 1328/1930 und 1329/1930; ferner VfSlg. 299/1924) ausgesprochen, in jener Bedeutung zu verstehen, die in der österreichischen Rechtsordnung zur Zeit der Schaffung des B-VG allgemein mit diesem rechtstechnischen Ausdruck verbunden wurde:

Zurückzugreifen war demgemäß auf die damals der Terminologie der österreichischen Gesetzgebung zugrunde liegende Bestimmung des §66 JN (vom 1. August 1895, RGBl. 111, über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen), die in ihrem Abs1 Satz 2 besagt, daß 'der Wohnsitz einer Person . . . an dem Orte begründet (ist), an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen', und in ihrem Abs2 Satz 1 bestimmt, daß für eine Person, die in mehreren Gerichtssprengeln einen Wohnsitz hat, 'bei jedem dieser Gerichte ein allgemeiner Gerichtsstand begründet (ist)'. Damit wird, wiewohl im Bereich der Wahlen zum Nationalrat (Art26 Abs2 B-VG iVm §4 NRWO 1971) und der Volkszählung (§2 Volkszählungsgesetz 1980) von der Zielsetzung dieser Normen her für jede Person nur jeweils ein einziger ordentlicher Wohnsitz maß- und ausschlaggebende Bedeutung zu erlangen vermag, schon in Abs1 des §66 JN (s. VfSlg. 2935/1955) die rechtliche Möglichkeit eröffnet, daß jemand auch zwei oder mehrere Wohnsitze (in verschiedenen Gemeinden) haben kann, doch müssen dann freilich auf jeden dieser Aufenthalte sämtliche Merkmale eines 'ordentlichen Wohnsitzes' im dargelegten Sinn zutreffen (s. VfSlg. 1327/1930, 1994/1950, 2935/1955). Dabei ist es, wie der Verfassungsgerichtshof in erster Linie im Erkenntnis VfSlg. 1393/1931 im Fall eines Beschwerdeführers, der sich in Wien in der Absicht niedergelassen hatte, hier seinen 'bleibenden' Aufenthalt zu nehmen, ersichtlich in Auslegung und Deutung der Wortfolge 'bleibender Aufenthalt' in der - dem §66 Abs1 (Satz 1) JN nachgebildeten, mit dieser Gesetzesstelle nahezu wortgleichen - Vorschrift des §4 des Bundesgesetzes vom 20. März 1930 über die Anlegung ständiger Wählerverzeichnisse (Bürgerlisten), BGBl. 85/1930, zum Ausdruck brachte, für den Tatbestand des (ordentlichen) Wohnsitzes unerheblich, ob die Absicht dahin zielte, an dem Ort des mit animus domiciliandi genommenen Aufenthalts in Zukunft 'für immer' zu bleiben; es genügt vielmehr, daß nicht ein nur vorübergehender Aufenthalt, dh. ein Aufenthalt für eine mehr oder weniger genau bestimmte Zeit, beabsichtigt war, und daß der Betreffende diesen Ort bis auf weiteres zum Mittelpunkt seiner Rechtsverhältnisse und Geschäfte frei wählte (s. auch: VfSlg. 1394/1931, 1994/1950). Auch im Erkenntnis VfSlg. 2935/1955 legt der Verfassungsgerichtshof (in ausdrücklicher Berufung auf seine Vorerkenntnisse VfSlg. 1327/1930, 1328/1930, 1329/1930, 1393/1931 und 1394/1931) der Sache nach dar, daß nur an jenem Ort ein ordentlicher Wohnsitz begründet ist, den der Aufenthaltnehmer - bis auf weiteres - zu einem Mittelpunkt seiner Lebensinteressen ('wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung') zu gestalten beabsichtigte. .

.'

Steht man auf dem Boden dieser Rechtsprechung, so zeigt sich für Wahlen in den Gemeinderat iS des Art117 Abs2 B-VG, daß Staatsbürger in jeder Gemeinde, in der sie einen ordentlichen Wohnsitz haben, wahlberechtigt sein müssen, sofern alle übrigen Wahlrechtsbedingungen zutreffen, weil sich aus Art117 Abs2 B-VG eine Beschränkung des Wahlrechts eines über mehrere ordentliche Wohnsitze verfügenden Wahlberechtigten auf die Gemeindevertretungswahl der einen oder anderen, nach welchen Gesichtspunkten immer herauszugreifenden - und damit einer einzigen - Wohnsitzgemeinde keineswegs ableiten läßt (vgl. VfSlg. 10690/1985).

Der Verfassungsgerichtshof hegt nun Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der §§21 Abs2 und 22 Abs4 Satz 1 GWO. Denn daraus scheint sich zu ergeben, daß - der Verfassungsnorm des Art117 Abs2 B-VG zuwider - Wahlberechtigte auch dann bloß in einer einzigen (Wohnsitz-)Gemeinde wählen dürfen, wenn sie nicht nur in dieser Kommune, sondern auch in anderen Gemeinden einen ordentlichen Wohnsitz iS des B-VG haben. . . "

1.4.3. Die - zur Vertretung der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen berufene - Steiermärkische Landesregierung gab, im Gesetzesprüfungsverfahren zur Stellungnahme eingeladen, keine Äußerung ab.

1.5. Abs2 der mit "Teilnahme an der Wahl" übertitelten Vorschrift des §21 GWO lautet folgendermaßen:

"Jeder Wahlberechtigte kann seine Stimme nur in einer Gemeinde abgeben."

Der 1. Satz des §22 Abs4 GWO hat folgenden Wortlaut:

"Jeder Wahlberechtigte darf nur in einem, und zwar dem seiner Wohnung entsprechenden Wählerverzeichnis eingetragen sein."

2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

2.1.1. Über Berufungen nach der GWO entscheidet die Bezirkswahlbehörde endgültig (§34 Abs2); in den Anlaßbeschwerdefällen ist darum der administrative Instanzenzug ausgeschöpft.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind die Beschwerden gemäß Art144 Abs1 B-VG zulässig.

2.1.2. Die in Prüfung stehenden generellen Normen zählen (mit) zu den Rechtsgrundlagen des angefochtenen Verwaltungsaktes; sie wären demnach auch vom Verfassungsgerichtshof bei Schöpfung des Erkenntnisses über die gemäß Art144 Abs1 B-VG erhobenen Beschwerden - insbesondere zur Klärung der Frage, ob den Beschwerdeführern das Wahlrecht in der Gemeinde Bad Gleichenberg auch dann zukommt, wenn sie in beiden relevanten Gemeinden (Bad Gleichenberg, Trautmannsdorf) einen Wohnsitz haben sollten - anzuwenden und sind somit in diesen Beschwerdesachen präjudiziell iS des Art140 Abs1 Satz 1 B-VG.

Damit ist auch die Zulässigkeit des Normenkontrollverfahrens zu bejahen.

2.2. Zur Sache:

2.2.1. Im Gesetzesprüfungsverfahren - die Landesregierung erstattete, wie schon zu Abschnitt 1.4.3. erwähnt, keine Stellungnahme - kam nichts hervor, was die im Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1990, B446/90, ausgebreiteten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §21 Abs2 und des §22 Abs4 Satz 1 GWO hätte entkräften können.

Das Bedenken des Gerichtshofs, daß die Regelung des §21 Abs2 iVm §22 Abs4 Satz 1 GWO dem Art117 Abs2 B-VG widerspreche, trifft aus den schon im Prüfungsbeschluß angestellten Überlegungen, die sich als richtig erwiesen, uneingeschränkt zu: Der Begriff des "ordentlichen Wohnsitzes", wie ihn das B-VG versteht, zwingt nämlich zur Feststellung, daß jemand durchaus auch zwei oder mehrere ordentliche Wohnsitze (sei es nun in einer Gemeinde, sei es in verschiedenen Gemeinden) haben kann (s. schon VfSlg. 9598/1982, ferner: 10690/1985 (mit ausführlicher Begründung)). Es ist daher verfassungswidrig, wenn §21 Abs2 iVm §22 Abs4 Satz 1 GWO normiert, daß Wahlberechtigte bei Wahlen in den Gemeinderat auch dann nur in einer einzigen (Wohnsitz-)Gemeinde wählen (nur in einem einzigen Wählerverzeichnis eingetragen sein) dürfen, wenn sie nicht bloß in dieser Kommune, sondern auch in anderen Gemeinden über einen ordentlichen Wohnsitz iS des B-VG verfügen.

2.2.2. Zusammenfassend ergibt sich, daß die in Prüfung stehende landesgesetzliche Regelung des §21 Abs2 iVm §22 Abs4 Satz 1 GWO gegen Art117 Abs2 B-VG verstößt. Es war daher

auszusprechen, daß §21 Abs2 und §22 Abs4 Satz 1 GWO als verfassungswidrig aufgehoben werden.

2.2.3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Steiermark zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG 1953.

Schlagworte

Wahlen, Wahlrecht aktives, Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G213.1990

Dokumentnummer

JFT_10089387_90G00213_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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