TE Vwgh Erkenntnis 1993/11/26 92/01/0723

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Veröffentlicht am 26.11.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1 Z1;
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bernegger, Dr. Stöberl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1992, Zl. 4.298.243/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Bangladeshs, der am 11. Juli 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist, nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner Erstbefragung am 19. Juli 1990 angegeben, seit 1981 der "Awami-League" angehört zu haben, die als oppositionelle Partei von der führenden "Jatiya-Party" ständig unterdrückt und diskriminiert worden sei. Im März hätten Hauptwahlen stattgefunden. Da es im Wahlkreis des Beschwerdeführers große Auseinandersetzungen gegeben hätte, seien die Wahllokale geschlossen und die Wahl vom 12. bis 18. April 1990 nachgeholt worden. Nach der Wahl seien bei Zusammenstößen zwischen der Regierungspartei und der Partei des Beschwerdeführers einige Menschen getötet worden. Der Beschwerdeführer selbst sei bei diesen Zusammenstößen dabei gewesen und daher von der Regierungspartei angezeigt worden. Als er erfahren habe, daß die Polizei nach ihm suche, habe er sich bei verschiedenen Freunden versteckt gehalten. Er habe sich nicht mehr nach Hause gewagt und schließlich dazu entschlossen, seine Heimat zu verlassen. Rassisch oder religiös verfolgt sei er nicht worden.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erstattete der Beschwerdeführer kein neues Vorbringen, legte jedoch in der Folge Urkunden, aus denen sich die allgemeine Situation in Bangladesh ergebe, sowie die Kopie eines über ihn verhängten Haftbefehls vor. Dabei verwies er weiters auf eine Diagnose des Krankenhauses Wr. Neustadt über die Schädigung seiner Gehörgänge, verursacht durch Folterungen der Polizei; die tatsächliche Vorlage dieses Befundes unterblieb aber.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer zunächst entgegengehalten, daß er bei seiner Vernehmung am 19. Juli 1990 unter Punkt 7 der Niederschrift ausdrücklich erklärt habe, in seinem Heimatland nicht gesucht zu werden, was im Widerspruch zu seiner Behauptung, nach den Zusammenstößen mit der Regierungspartei von der Polizei gesucht worden zu sein, stehe und er im gesamten Verfahren nicht einmal den Versuch unternommen habe, diesen Widerspruch aufzuklären. Diese Auffassung rügt der Beschwerdeführer zu Recht, hat doch der Verwaltungsgerichtshof bereits des öfteren ausgesprochen, daß nicht davon ausgegangen werden könne, Asylwerber müßten die zu Punkt 7 an sie gerichtete Fragen im vorliegenden Zusammenhang so verstehen, daß darunter auch gegen sie gerichtete Maßnahmen im Zusammenhang mit den von ihnen in Punkt 17 der Niederschrift geschilderten Fluchtgründen zu verstehen wären. Auch kann dem Beschwerdeführer nicht ohne weiteres unterstellt werden, bei derselben Vernehmung Angaben gemacht zu haben, die einander derart eklatant widersprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1993, Zl. 92/01/0575).

Auch macht der Beschwerdeführer mit Recht sinngemäß geltend, daß entgegen der Ansicht der belangten Behörde aus der Abhaltung von Wahlen für sich allein kein zwingender Schluß auf den allgemeinen Wegfall von zuvor als "typisch" anzusehenden Verfolgungshandlungen gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen gezogen werden kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0216, und vom 25. November 1992, Zlen. 92/01/0585, 0586).

Vor allem ins Gewicht fällt aber der Umstand, daß der Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens einen gegen ihn verhängten Haftbefehl beigebracht hat, dessen Echtheit die belangte Behörde nicht in Zweifel gezogen hat. Dieser Haftbefehl, den der Beschwerdeführer in Beantwortung einer ihm zugegangenen Verständigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Beigabe eines Berichtes über die allgemeine Lage in seinem Heimatland vorgelegt hat, enthält unter anderem auch die Gesetzesstellen, deren Verletzung dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird. Die belangte Behörde hat den Haftbefehl zunächst schon allein deshalb als nicht verfahrensentscheidend beurteilt, weil er lediglich in Ablichtung vorgelegt worden sei. Zu einer solchen Beweiswürdigung wäre die belangte Behörde aber nur dann berechtigt gewesen, wenn sie dargetan hätte, aus welchen Gründen sie Zweifel an der Richtigkeit der Ablichtung hege und daß das Originaldokument trotz entsprechender an den Beschwerdeführer gerichteter Aufforderung nicht beigebracht worden sei. Derartige Feststellungen bzw. verfahrensrechtliche Schritte wurden von der belangten Behörde nach Ausweis der Verwaltungsakten aber nicht getroffen. Aber auch was die Würdigung des Inhaltes des Haftbefehls anbelangt, hätte die belangte Behörde nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, daß "der Hintergrund", warum nach Ihnen gesucht wird, nicht erhellt" worden sei. Vielmehr wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, den Haftbefehl insbesondere unter dem Blickwinkel der darin dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verletzung konkret angeführter gesetzlicher Bestimmungen darauf hin zu überprüfen, ob sich daraus - etwa infolge des Vorwurfs der Begehung eines politischen Deliktes - für den Ausgang des Verfahrens über die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers relevante Umstände ergeben.

Da die belangte Behörde dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992010723.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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