TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/7 93/05/0147

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Veröffentlicht am 07.12.1993
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9;
BauO NÖ 1976 §120 Abs4 idF 8200-8;
BauO NÖ 1976 §2 Abs11;
BauO NÖ 1976 §2 Z12;
BauO NÖ 1976 §22 Abs1;
BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z3;
BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z4;
BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z5;
BauO NÖ 1976 §5 Abs1;
BauO NÖ 1976 §5 Abs2;
BauO NÖ 1976 §5 Abs3;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde

1) des Friedrich G und 2) der Maria G in X, beide vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der NÖ LReg vom 14. Mai 1993, Zl. R/1-V-92131/02, betreffend eine Bauangelegenheit (mP: 1) G reg. Gen.m.b.H. in W,

2) Stadtgemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführer wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im innergemeindlichen Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 23. Juni 1992 wurde der mitbeteiligten Bauwerberin die baubehördliche Bewilligung "für Niveauveränderungen sowie Errichtung einer Wohnhausanlage, bestehend aus vier Häusern (60 Wohnungen) samt Außen- und Nebenanlagen (Müllplätze, Trafostation, 60 Pkw-Abstellplätze, Kinderspielplatz mit 2-Weg-Drahtseilbahn, Schallschutzmauer und Sickerschächte etc.), Anschluß an die öffentliche Wasserleitung und an den öffentlichen Schmutzwasserkanal" auf dem Grundstück Nr. 400, EZ. 755 des Grundbuches über die KG. X, erteilt. Die dagegen eingebrachte Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 13. Jänner 1993 gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als unbegründet abgewiesen.

Mit hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1993, Zl. 93/05/0039, wurde die dagegen eingebrachte Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 3. November 1992 wurde der mitbeteiligten Bauwerberin neuerlich die baubehördliche Bewilligung "für Niveauveränderungen und zur Errichtung einer Wohnhausanlage, bestehend aus vier Häusern (60 Wohnungen) samt Außen- und Nebenanlagen (Müllplätze, Trafostation, 60 Pkw-Abstellplätze, Kinderspielplatz mit 2-Weg-Drahtseilbahn, Schallschutzmauer und Sickerschächte, etc.), Anschluß an die öffentliche Wasserleitung und an den öffentlichen Schmutzwasserkanal" auf der genannten Liegenschaft erteilt, wobei sich dieses Bauvorhaben von dem mit dem genannten Berufungsbescheid bewilligten lediglich durch geänderte Dachneigungswinkel und unterschiedliche Dachhöhen voneinander unterscheidet. Die u.a. von den Beschwerdeführern anläßlich der Bauverhandlung insbesondere gegen die Gebäudehöhe, die Niveauveränderung sowie unter dem Gesichtspunkt des Ortsbildschutzes und der im Raumordnungsgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Wohndichte erhobenen Einwendungen wurden in verschiedenen Stellungnahmen des Bausachverständigen behandelt, welche im Spruch des erwähnten Bescheides zu einem "integrierenden Bestandteil" desselben erklärt worden sind.

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 1. Dezember 1992 wurde die dagegen eingebrachte Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Auch die Berufungsbehörde verwies in der Begründung ihres Bescheides auf die im Gegenstande abgegebenen Stellungnahmen des Bausachverständigen und hob insbesondere hervor, daß den Beschwerdeführern das in Rede stehende Bauvorhaben im wesentlichen bereits aus einer im Mai 1992 stattgefundenen Bauverhandlung bekannt sei, was auch für die erstellten Gutachten gelte, wobei der grundlegende Unterschied zu dem damaligen Verfahren darin bestehe, daß eine andere Dachform gewählt worden sei, die zu einer wesentlichen Verringerung der Giebelhöhe geführt habe.

Die gegen diesen Berufungsbescheid eingebrachte Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 14. Mai 1993 gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als unbegründet abgewiesen.

Die Aufsichtsbehörde wies in der Begründung ihres Bescheides darauf hin, einem Vergleich der bereits rechtskräftig bewilligten mit den nunmehr neuerlich eingereichten Projektsunterlagen sei zu entnehmen, daß sich die beiden Vorhaben lediglich durch geänderte Dachneigungswinkel und unterschiedliche Dachhöhen voneinander unterscheiden. Diese geringfügige Änderung sei als Abweichung von der bereits erteilten Bewilligung anzusehen, da es sich in den übrigen Teilen um ein völlig identes Bauvorhaben handle. Gegenstand des mit der nunmehrigen Vorstellung bekämpften Bewilligungsverfahrens sei daher lediglich die Abweichung der Dachneigungen, sodaß die Baubehörden zu Unrecht ein neuerliches Baubewilligungsverfahren für das gesamte Bauvorhaben durchgeführt hätten. Da die Aufsichtsbehörde nicht finden könne, daß die geplante Änderung der Dachform - noch dazu entsprechend den Wünschen anderer Nachbarn - in ein subjektiv-öffentliches Anrainerrecht eingreife, wäre diese Abweichung im vereinfachten Baubewilligungsverfahren gemäß § 99a der NÖ Bauordnung 1976 zu genehmigen gewesen, sodaß - mangels einer Veränderung der Gebäudehöhe - die Baubehörden auf die neuerlichen Einwendungen der Beschwerdeführer gegen das bereits bewilligte Bauvorhaben nicht mehr hätten eingehen müssen. Durch die trotzdem erfolgte meritorische Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen seien die Beschwerdeführer jedoch nicht in ihren Rechten verletzt worden. Nach einer Erörterung des Vorstellungsvorbringens der Beschwerdeführer ging die Aufsichtsbehörde zusammenfassend davon aus, daß die Verringerung der Firsthöhe keine Schlechterstellung der Beschwerdeführer zu bewirken vermöge, zumal die Änderung der Dachneigungswinkel wohl kaum einen nachteiligen Einfluß auf die Belichtung zukünftig zu errichtender Gebäude entfalten könne, weshalb die Beschwerdeführer durch den Berufungsbescheid nicht in ihren Rechten verletzt worden seien.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Stadtgemeinde erwogen:

Gemäß § 118 Abs. 8 der NÖ Bauordnung 1976 (im folgenden: BO) genießen als Anrainer alle Grundstückseigentümer Parteistellung gemäß § 8 AVG, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Zufolge Abs. 9 dieser Gesetzesstelle werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über 1. den Brandschutz; 2. den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können; 3. die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung; 4. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Die Beschwerdeführer haben als Beschwerdepunkt (§ 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG) geltend gemacht, in ihrem "subjektiv-öffentlichen Recht auf Einhaltung der Bebauungsweise und Bebauungsdichte, insbesondere der Einhaltung der Bebauungshöhe" gemäß § 118 Abs. 9 Z. 4 BO verletzt zu sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für das nachprüfende Verfahren vor der Gemeindeaufsichtsbehörde - und sohin auch für den Verwaltungsgerichtshof - jene Rechtslage entscheidend, die im Zeitpunkt des das Verfahren abschließenden Bescheides auf Gemeindeebene maßgebend war (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1988, Zl. 87/05/0157, BauSlg. Nr. 1098).

Nach der Aktenlage ist davon auszugehen, daß zur Zeit der Erlassung des dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Berufungsbescheides der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 1. Dezember 1992, also zu dem für die Beurteilung der Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt, für den Bauplatz der mitbeteiligten Bauwerberin kein Bebauungsplan wirksam war, was zur Folge hat, daß keine gemäß § 4 Abs. 1 Z. 3 bis 5 BO für das Bauland im Bebauungsplan festzulegenden Vorschriften über die Bebauungsweise, Bebauungshöhe und Bebauungsdichte gegolten haben, also die Zulässigkeit des Bauvorhabens der mitbeteiligten Bauwerberin in dieser Hinsicht allein nach den allfälligen diesbezüglichen Bestimmungen der Bauordnung zu beurteilen war.

Da somit die Geltung der Bestimmungen der Bauordnung über die Bebauungsweise (vgl. § 5 Abs. 2 BO) einen Bebauungsplan voraussetzt und auch die Bebauungsdichte zufolge § 4 Abs. 1 Z. 5 leg. cit. einer Regelung im Bebauungsplan bedarf, konnte die erteilte Baubewilligung in Ermangelung eines Bebauungsplanes unter diesem Gesichtspunkt nicht rechtswidrig sein. Auch die Festsetzung von Bauklassen im Sinne des § 5 Abs. 3 BO erfolgt gemäß deren Abs. 1 im Bebauungsplan, sodaß auch in bezug auf die Bebauungshöhe im Sinne der Legaldefinition des § 2 Z. 11 BO ("die zulässige Gebäudehöhe an der der öffentlichen Verkehrsfläche zugekehrten Gebäudefront") keine auf Verordnungsstufe stehende Norm für die Beurteilung der Zulässigkeit des Bauvorhabens maßgebend war. Es erübrigen sich daher auch Erwägungen darüber, ob der in der Beschwerde geltend gemachte Einwand, wonach ein zurückgesetztes Geschoß vorliege und gemäß § 22 Abs. 1 BO "für die Gebäudehöhe die Deckenoberkante des zurückgesetzten Geschoßes maßgeblich" sei, berechtigt ist, weil die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, daß im Bebauungsplan eine Bauklasse festgesetzt ist, aus welcher sich in Verbindung mit § 5 Abs. 3 BO die zulässige Bebauungshöhe ergibt. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, daß der Gerichtshof bereits in seinem vorstehend erwähnten, gegenüber den Beschwerdeführern ergangenen Erkenntnis vom 29. Juni 1993, Zl. 93/05/0039, welches das in dieser Beziehung identische Bauvorhaben der mitbeteiligten Bauwerberin zum Gegenstand gehabt hat, die Auffassung vertreten hat, daß vom Vorliegen eines Dachgeschoßes und sohin davon auszugehen sei, daß für die Bestimmung der Gebäudehöhe nicht die Deckenoberkante dieses Dachgeschoßes maßgebend sei.

Die Beschwerdeführer haben also zwar in Ermangelung eines von der Baubehörde anzuwendenden Bebauungsplanes keinen aus einem derartigen Plan ableitbaren Anspruch auf die Einhaltung bestimmter Normen über die Bebauungsweise, Bebauungsdichte und Bebauungshöhe besessen, aber ungeachtet dessen im Hinblick auf ihre gegen die Gebäudehöhe rechtzeitig erhobenen Einwendungen einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der nach der ständigen hg. Judikatur (vgl. die bei Hauer-Zaussinger, NÖ Bauordnung, 4. Aufl., auf S. 478 unter ENr. 13 zitierten hg. Erkenntnisse) ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht begründenden Bestimmung des § 120 Abs. 4 BO (in der Fassung vor der Novelle LGBl. 8200-9), derzufolge eine Bewilligung gemäß § 92 BO in einer Gemeinde, in der kein Bebauungsplan gilt, zu versagen ist, wenn das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht. Ob das Vorhaben der mitbeteiligten Bauwerberin im Hinblick auf seine Höhe zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, haben aber weder die Baubehörden noch die Aufsichtsbehörde geprüft, weshalb die diesbezügliche Rüge der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG berechtigt ist, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn sie unter Bedachtnahme auf die in diesem Zusammenhang ergangene hg. Judikatur (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1985, Zl. 85/05/0149, BauSlg. Nr. 592) diesbezügliche Erwägungen angestellt hätte.

Wegen dieses offensichtlich auf einer Verkennung der Rechtslage beruhenden Verfahrensmangels war daher der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführer war abzuweisen, weil für die in vierfacher Ausfertigung vorzulegende Beschwerde und eine erforderliche Ausfertigung des angefochtenen Bescheides insgesamt lediglich S 570,-- an Stempelgebühren zu entrichten waren.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993050147.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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