TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/15 92/13/0218

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Veröffentlicht am 15.12.1993
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

FinStrG §14 Abs3;
FinStrG §25 Abs1;
FinStrG §25;
FinStrG §29;
FinStrG §33 Abs1 idF 1975/335;
FinStrG §8 Abs1;
FinStrG §82 Abs3;
FinStrG §83;
VStG §21 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 12. August 1992, GZ. GA 10-383/92, betreffend Bestrafung wegen Abgabenhinterziehung und Finanzordnungswidrigkeit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer der mit Notariatsakt vom 10. Juli 1987 gegründeten S. GmbH, deren Betriebsgegenstand die Führung eines chinesischen Restaurants war. Erstmals durch Mitteilungen des Magistrats der Stadt Wien vom 20. Juli 1988, 7. November 1988 und 24. Mai 1989 erlangte das Finanzamt von der Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit durch die S. GmbH Kenntnis.

Mit Bescheid vom 2. März 1990 leitete das Finanzamt gegen den Beschwerdeführer das Finanzstrafverfahren wegen des Verdachtes der Hinterziehung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für Juni bis Dezember 1988 (zusammen S 53.000,--) sowie Jänner bis Juni 1989 (zusammen S 45.000,--) sowie der Finanzordnungswidrigkeit der nicht rechtzeitigen Entrichtung von Alkoholabgabe für Juni bis Dezember 1988 (S 11.700,--) und Jänner bis Juni 1989 (S 9.750,--) ein. Der Einleitungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer unter der Anschrift der S. GmbH durch Hinterlegung am 7. März 1990 zugestellt. Nach Rücklangen der nicht behobenen Sendung wurde der Einleitungsbescheid am 5. April 1990 neuerlich unter der Anschrift der S. GmbH sowie ein weiteres Mal am 10. Mai 1990 unter der inzwischen vom Finanzamt festgestellten Wohnanschrift des Beschwerdeführers jeweils durch Hinterlegung zugestellt.

Mit einer Eingabe des inzwischen bevollmächtigten steuerlichen Vertreters vom 21. März 1990 wurden Abgabenerklärungen für das Jahr 1988 vorgelegt. In der Eingabe wurde ausdrücklich Selbstanzeige im Sinne des § 29 FinStrG "bezüglich der ... Finanzordnungswidrigkeiten sowie der Nichtentrichtung von selbst zu berechnenden Abgaben (Umsatzsteuer, Alkoholsteuer)" erstattet.

Mit den am 12. Februar 1991 vorgelegten Abgabenerklärungen für das Jahr 1989 wurde ebenfalls hinsichtlich von "Finanzordnungswidrigkeiten" ausdrücklich eine Selbstanzeige erstattet.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung (Prüfungsbericht vom 11. April 1991) wurde die Bemessungsgrundlage nach dem festgestellten Wareneinkauf durch eine Rohaufschlagskalkulation und unter Ansatz eines Sicherheitszuschlages von 10 % ermittelt.

Am 4. Juni 1991 erließ das Finanzamt neuerlich einen Bescheid betreffend Einleitung des Finanzstrafverfahrens. Danach bestand gegen den Beschwerdeführer der Verdacht der Hinterziehung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG "für 1989" in Höhe von S 42.915,--, weiters der Hinterziehung im Sinne des § 33 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich Umsatzsteuer 1989, Alkoholabgabe 1988 und 1989 sowie Kapitalertragsteuer 1988 und 1989 und weiters der Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich Alkoholabgabe 1989 von S 11.195,--.

In einer schriftlichen Stellungnahme vom 14. August 1991 berief sich der steuerliche Vertreter - hinsichtlich der dem Beschwerdeführer letztlich zur Last gelegten Finanzvergehen - auf die von ihm am 12. Februar 1991 erstattete Selbstanzeige.

Die Finanzstrafbehörde erster Instanz lud den Beschwerdeführer für 13. Dezember 1991 zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor. Auf der Rückseite der Durchschrift der Vorladung ist ein handschriftlicher Vermerk folgenden Inhalts angebracht: "Anruf Mag. S. (= Verteidiger des Beschwerdeführers), wegen Schneeregen und Glatteis entfällt Verhandlung. Stellungnahme kommt."

Mit einem kein Datum aufweisenden, ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gefällten, dem Beschwerdeführer am 6. März 1992 zugestellten Erkenntnis des Finanzamtes als Finanzstrafbehörde erster Instanz, wurde dieser der Abgabenhinterziehung im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG hinsichtlich Umsatzsteuer "für 1989" in Höhe von S 9.737,-- sowie der Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich "Al für 1988 S 12.948,--, 1989 S 5.914,--" schuldig erkannt.

In der Berufung gegen dieses Erkenntnis wurde (neuerlich) die Auffassung vertreten, der Selbstanzeige vom 12. Februar 1991 bzw. 21. März 1990 komme strafbefreiende Wirkung zu. Außerdem wurde ausgeführt, es könne mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Tatbestand in subjektiver Hinsicht nicht erwiesen sein.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wird ausgeführt, der Beschwerdeführer sei als "Alleingeschäftsführer" für die Einhaltung der steuerlichen Vorschriften verantwortlich gewesen. Dennoch habe er weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch Alkoholabgabeanmeldungen eingereicht noch entsprechende Vorauszahlungen geleistet. Im Zuge der Betriebsprüfung hätten die Besteuerungsgrundlagen infolge gravierender formeller und materieller Mängel geschätzt werden müssen. Die Finanzstrafbehörde erster Instanz sei daher zu Recht davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer wußte, sein Vorgehen, die "Buchhaltung nur fragmentarisch zu führen" und in der Folge keine Umsatzsteuervoranmeldungen einzureichen bzw. Vorauszahlungen zu leisten, würde eine Abgabenverkürzung bewirken. Von der Finanzstrafbehörde erster Instanz sei daher zu Recht ein bewußt vorsätzliches Verhalten "bzw. zumindest bedingter Vorsatz hinsichtlich der Alkoholabgabe" angenommen worden. Hinsichtlich der Selbstanzeige wurde die Auffassung vertreten, dieser komme auf Grund der als Verfolgungshandlung anzusehenden Versendung des Einleitungsbescheides keine strafbefreiende Wirkung zu. Dem Vorbringen, es sei keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden, wurde von der belangten Behörde entgegengehalten, die ursprünglich für 13. Dezember 1991 anberaumte Verhandlung sei auf ein telefonisches Ersuchen des Verteidigers auf den 18. Dezember 1991 vertagt worden. Der Verteidiger habe am 18. Dezember 1991 erklärt, den Termin wegen Glatteises nicht wahrnehmen zu können, "wobei er vorschlug, statt der Verhandlung einen Schriftsatz einbringen zu wollen und somit auf die Abhaltung der mündlichen Verhandlung verzichtet hat". Da bis Ende Februar 1992 die angekündigte Rechtfertigung nicht eingelangt sei, sei eine neuerliche Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich erschienen.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst dadurch in seinen Rechten verletzt, daß von der belangten Behörde die Bestimmungen des § 29 FinStrG nicht angewandt worden sind.

Im Falle der Erstattung einer Selbstanzeige tritt Straffreiheit unter anderem dann nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Selbstanzeige Verfolgungshandlungen im Sinne des § 14 Abs. 3 FinStrG gegen den Anzeiger, gegen andere an der Tat Beteiligte oder gegen Hehler gesetzt waren (§ 29 Abs. 3 lit. a FinStrG). Nach § 14 Abs. 3 FinStrG ist Verfolgungshandlung jede nach außen erkennbare Amtshandlung eines Gerichtes, einer Finanzstrafbehörde oder eines im § 89 Abs. 2 FinStrG genannten Organs, die sich gegen eine bestimmte Person als den eines Finanzvergehens Verdächtigen, Beschuldigten oder Angeklagten richtet, und zwar auch dann, wenn das Gericht, die Finanzstrafbehörde oder das Organ zu dieser Amthandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder die Person, gegen die sie gerichtet war, davon keine Kenntnis erlangt hat.

Der an den Beschwerdeführer als Beschuldigten erlassene, eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 14 Abs. 3 FinStrG darstellende Bescheid vom 2. März 1990, betreffend die Einleitung des Finanzstrafverfahrens wegen des Verdachtes der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG sowie der Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 FinStrG wurde entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift dem Beschwerdeführer bereits am 7. März 1990 an dem, eine Abgabestelle nach § 4 Zustellgesetz darstellenden Ort, der S. GmbH durch Hinterlegung zugestellt. Da bereits die Versendung des Einleitungsbescheides als eine nach außen erkennbare Amtshandlung anzusehen ist, war im Beschwerdefall weder von Bedeutung, daß der Beschwerdeführer die der Aktenlage nach ordnungsgemäß zugestellte Sendung nicht behoben hat, noch daß die Finanzstrafbehörde die Sendung dem Beschwerdeführer in der weiteren Folge noch zweimal zugestellt hat.

Die vom Verteidiger als "Selbstanzeigen" bezeichneten Eingaben vom 21. März 1990 und 12. Februar 1991 waren somit unter dem Gesichtspunkt des § 29 Abs. 3 lit. a FinStrG jedenfalls verspätet. Soweit sich die Beschwerde auf § 29 FinStrG stützt, ist sie daher nicht begründet.

Der Beschwerdeführer rügt weiters unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit, daß die belange Behörde die Bestimmung des § 25 FinStrG nicht angewandt hat. Nach Abs. 1 dieser Gesetzesstelle hat die Finanzstrafbehörde von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn das Verschulden des Täters geringfügig ist und die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

Der Beschwerdeführer übersieht mit seinem Vorbringen, daß ein geringfügiges Verschulden zwar auch bei einem - nach den Feststellungen der belangten Behörde - vorsätzlichen Handeln des Beschuldigten vorliegen kann, daß in einem solchen Fall aber besondere Umstände der Tat diesen Schluß rechtfertigen müssen, wie z.B. verminderte Zurechnungsfähigkeit, Unbesonnenheit, drückende Notlage usw. (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 1986, 86/18/0167). Der in der Beschwerde geltend gemachte Umstand, daß dem Beschwerdeführer als chinesischem Staatsbürger nicht jenes Maß an Sorgfalt wie einem österreichischen Staatsbürger zugemutet werden könne, stellt eine solche Besonderheit nicht dar, zumal in der Beschwerdeschrift übersehen wird, daß dem Beschwerdeführer nicht eine Sorgfaltsverletzung, sondern vorsätzliches Handeln zur Last gelegt worden ist.

Die Meinung des Beschwerdeführers, die Tat hätte deswegen keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen, weil die in Rede stehenden Abgaben durch Guthaben - die sich aus den nach Durchführung der abgabenbehördlichen Prüfung erlassenen Bescheiden ergeben hätten - entrichtet worden sind, ist unzutreffend. Eine umfangreiche bereits bewirkte Abgabenverkürzung zieht nämlich nicht deswegen unbedeutende Folgen nach sich, weil die Aufdeckung der Tat zur nachträglichen Entrichtung der verkürzten bzw. nicht entrichteten Abgaben führt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. September 1986, 83/13/0033).

Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer weiters, daß ihm vorsätzliches Handeln ohne Vernehmung vor der Finanzstrafbehörde zur Last gelegt worden ist.

Vorsätzlich handelt, wer eine strafbare Handlung mit Wissen und Wollen begeht. Ob Handlungen oder Unterlassungen mit dem Ziel erfolgen, Abgaben zu verkürzen, beruht auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang. Auf ihn kann nur aus dem Verhalten des Täters, soweit es nach außen in Erscheinung tritt, geschlossen werden (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1981, 14/2524, 2876/80, 81/14/0125, 0126). Dabei stellt die Vernehmung des Täters für die Finanzstrafbehörde nicht die einzige Möglichkeit der Feststellung eines Sachverhaltes, von dem aus auf diesen Willensvorgang geschlossen werden kann, dar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist somit in der Unterlassung der Vernehmung des Beschwerdeführers für sich allein betrachtet keine Verletzung von Verfahrensvorschriften zu erblicken, zumal dem Beschwerdeführer im Finanzstrafverfahren ausreichend Gelegenheit geboten worden ist, seinen Standpunkt in rechtlicher und sachlicher Hinsicht darzulegen.

Insoweit der Beschwerdeführer rügt, die Unterlassung der Einvernahme des Beschwerdeführers stelle eine Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter dar, ist er darauf zu verweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig ist, über eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (hier: Art. 83 Abs. 2 B-VG) zu urteilen (vgl. Art. 133 Z. 1 B-VG).

Auch die Beantwortung der Frage, ob die Finanzstrafbehörde erster Instanz zu Recht einen Verzicht des Beschwerdeführers auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angenommen hat oder nicht, ist für sich allein nicht dafür ausschlaggebend, ob der Bescheid der belangten Behörde dem Gesetz entspricht. Der Beschwerdeführer hat seine Auffassung, ein rechtsgültiger Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei nicht vorgelegen, im Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Erkenntnis nicht vorgebracht; überdies hat er es unterlassen, im Sinne des § 160 Abs. 1 lit. b FinStrG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Finanzstrafbehörde zweiter Instanz zu beantragen.

Die belangte Behörde hat aber ihre Auffassung, der Beschwerdeführer habe hinsichtlich der ihm angelasteten Finanzvergehen vorsätzlich gehandelt, ausschließlich darauf gestützt, daß der Beschwerdeführer als "Alleingeschäftsführer" für die Einhaltung der steuerlichen Vorschriften verantwortlich gewesen sei und er trotzdem weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch Alkoholabgabeanmeldungen eingereicht noch entsprechende Vorauszahlungen geleistet habe. Hiemit wurden keine Sachverhalte festgestellt, die den Schluß auf das innere Wissen und Wollen des Beschwerdeführers erlaubten. Der belangten Behörde ist damit aber ein Begründungsmangel unterlaufen, bei dessen Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kosten waren im Sinne der §§ 47 ff VwGG im beantragten Ausmaß zuzusprechen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992130218.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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