TE Vwgh Erkenntnis 1994/2/21 90/10/0155

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Veröffentlicht am 21.02.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
70/05 Schulpflicht;

Norm

AVG §45 Abs3;
AVG §60;
SchPflG 1985 §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und den Senatspräsidenten Mag. Onder sowie die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des AO und der GO in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom 11. Juli 1990, Zl. I-27211/.-1990, betreffend Aufnahme in die Sonderschule, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Unterricht und Kunst) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 9.870,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 2. Februar 1990 unterschrieb der Erstbeschwerdeführer - ohne Rücksprache mit der Zweitbeschwerdeführerin - einen offenbar von der Volksschule N vorbereiteten Antrag, den mj. RO, den Sohn der Beschwerdeführer, in die Allgemeine Sonderschule in X aufzunehmen. Im Zuge des Verfahrens wurden ein schulärztliches Gutachten (vom 6. Februar 1990) und ein Gutachten eines Sonderschullehrers (vom 1. März 1990) eingeholt. Die Beschwerdeführer beantragten am 27. März 1990 ein schulpsychologisches Gutachten, welches am 4. April 1990 erstattet wurde. Mit Bescheid vom 7. Mai 1990 sprach der Bezirksschulrat X aus, daß RO infolge psychischer Behinderung dem Unterricht nicht zu folgen vermöge, aber dennoch bildungsfähig sei und seine allgemeine Schulpflicht ab dem Schuljahr 1989/90 (richtig wohl: 1990/91) gemäß

"§ 8 Schulpflichtgesetz, BGBl. Nr. 141/1962, in der Sonderschule X zu erfüllen" habe. Die Begründung dieses Bescheides lautet:

"Schulpflichtige Kinder, die infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule nicht zu folgen vermögen, aber dennoch bildungsfähig sind, haben ihre allgemeine Schulpflicht in einer ihrer Eigenart und Bildungsfähigkeit entsprechenden Sonderschule zu erfüllen.

Zur Feststellung ob die Sonderschulbedürftigkeit gegeben ist, wurde ein Gutachten des Leiters der zuständigen Sonderschule X eingeholt. Da dieses feststellt, daß Ihr Kind infolge des geistigen Rückstandes nur in einer Sonderschule entsprechend gefördert werden kann, war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung.

Der Landesschulrat für Niederösterreich (belangte Behörde) übermittelte den Akt dem schulpsychologischen Dienst mit der Bitte "um Überprüfung und Gutachten". Der Gutachter lud in der Folge die Beschwerdeführer für den 28. Juni 1990 in die Volksschule N und hielt in einem Aktenvermerk fest, daß die Beschwerdeführer nicht erschienen seien, wohl aber das Kind; er habe in der Folge die Zweitbeschwerdeführerin telefonisch erreicht und gefragt, ob die Eltern die Zustimmung zur schulpsychologischen Untersuchung ihres Sohnes geben würden. In diesem Telefongespräch habe die Zweitbeschwerdeführerin erklärt, daß ihr Sohn auf jeden Fall in der Volksschule verbleiben werde, daß sie in die Schule kommen werde, um mit dem Gutachter zu sprechen; sie sei auch erschienen, habe sich aber sofort wieder entfernt als sie den Gutachter, der sich in dem für die Untersuchung bestimmten Raum aufgehalten habe, nicht in der Direktionskanzlei angetroffen habe, obwohl ihr die Klassenlehrerin angeboten habe, den Gutachter herbeizuholen. Da aus den Äußerungen und dem Verhalten der Erziehungsberechtigten zu schließen gewesen sei, daß sie nicht mit einer schulpsychologischen Untersuchung einverstanden seien, sei eine derartige Untersuchung nicht durchgeführt worden. Aus den Darstellungen der Klassenlehrerin und aus den vorliegenden schriftlichen Leistungen ergebe sich (zusammengefaßt) aber, daß das Kind nicht in der Lage sei, dem Unterricht in der Volksschule zu folgen weshalb empfohlen werde, es in die Allgemeine Sonderschule aufzunehmen.

Mit Bescheid vom 11. Juli 1990 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 8 des Schulpflichtgesetzes (BGBl. Nr. 76/1985) ab und bestätigte den Bescheid der ersten Instanz mit nachstehender Begründung:

"Der Schüler hat - trotz Zurückstellung - das Lehrziel der

1. Schulstufe der Volksschule nicht erreicht. Er ist in der Regelschule überfordert und nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen. Es liegt ein Entwicklungsrückstand vor, der eine intensive Betreuung und Förderung notwendig macht, welche nur in einer Allgemeinen Sonderschule möglich ist. Dies konnte durch die vorliegenden Gutachten und Berichte zweifelsfrei ermittelt werden. Auch der Schulweg nach X ist laut schulärztlichem Gutachten zumutbar. Somit war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 8 Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76, haben schulpflichtige Kinder, die infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule nicht zu folgen vermögen, aber dennoch schulfähig sind, ihre allgemeine Schulpflicht in einer ihrer Eigenart und Schulfähigkeit entsprechenden Sonderschule oder einer Volks- oder Hauptschule angeschlossenen Sonderschulklasse zu erfüllen, soweit solche Schulen (Klassen) vorhanden sind und der Schulweg den Kindern zumutbar ist. Abs. 2 bestimmt unter anderem, welche Gutachten zur Feststellung, ob das Kind der Förderung durch die beantragte Art der Sonderschule bedarf, einzuholen sind.

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Nach § 60 AVG - diese Bestimmung gilt gemäß § 67 AVG auch für die Bescheide der Berufungsbehörde - sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Diesen Vorschriften wurde im vorliegenden Fall nicht entsprochen. Zum einen wurde nach der Aktenlage den Beschwerdeführern kein Parteiengehör zu den eingeholten, in der Gegenschrift genannten Gutachten gewährt. Zum anderen wird in der Begründung des angefochtenen Bescheides zur Frage der Sonderschulbedürftigkeit des RO lediglich ausgeführt, es sei aufgrund der vorliegenden Berichte und Gutachten festgestellt worden, daß er in der Regelschule überfordert und nicht in der Lage sei, dem Unterricht zu folgen. Es liege ein Entwicklungsrückstand vor, der eine intensive Betreuung und Förderung notwendig mache, welche nur in einer Allgemeinen Sonderschule möglich sei. Auf welche Ermittlungsergebnisse sich diese Beurteilung konkret stützt und welche Erwägungen bei der Beweiswürdigung maßgebend waren, ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich. Dieser Begründungsmangel kann durch den in der Gegenschrift (ansatzweise) unternommenen Versuch, die fehlende Begründung nachzuholen, nicht saniert werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. März 1993, Zl. 92/10/0376 und Zl. 92/10/0461, auf die gemäß Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird).

Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz im verzeichneten Ausmaß stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1990100155.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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