TE Vwgh Erkenntnis 1994/2/24 92/10/0392

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Veröffentlicht am 24.02.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §67d;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
VStG §5 Abs1;
VStG §51e Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des C in E, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 31. Juli 1992, Zl. 28/04/92 007/4, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Burgenland Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Eisenstadt vom 29. April 1992 wurde der Beschwerdeführer wegen Übertretung der §§ 4 Abs. 3 Z. 2 und 5 Abs. 1 des Burgenländischen Landes-Polizeistrafgesetzes, LGBl. Nr. 45/1986, in Verbindung mit § 7 VStG zu Geldstrafen von insgesamt S 70.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen in der Dauer von drei Wochen) bestraft. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer nachweislich am 4. Mai 1992 zugestellt. Die zweiwöchige Berufungsfrist endete daher am 18. Mai 1992.

Mit einem am 20. Mai 1992 zur Post gegebenen Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer eine mit 17. Mai 1992 datierte Berufung und einen mit 19. Mai 1992 datierten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde dabei im wesentlichen damit begründet, die Sekretärin des ausgewiesenen Vertreters, Frau S, sei am 18. Mai 1992 beauftragt worden, die Berufung zusammen mit mehreren anderen Schreiben zur Post zu bringen. Diese habe die Berufung mit übrigen Schriftstücken in ihrer Aktentasche verstaut. Bei Durchsicht der Tasche am nächsten Tag habe sie jedoch feststellen müssen, daß sich der Brief, welcher die Berufung gegen das erwähnte Straferkenntnis enthalte, noch in ihrer Tasche befunden habe. Der Brief sei nämlich offenbar in ein Seitenfach der Aktentasche gerutscht und daher bei der Aufgabe der übrigen Post übersehen worden. Die Frist zur Erhebung der Berufung sei daher abgelaufen. Zum Beweis dafür werde die Einvernahme von Frau S, p.A. L 7 in W, beantragt. Da der Beschwerdeführer aufgrund eines unvorhergesehenen bzw. unabwendbaren Ereignisses ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist zur Erhebung der Berufung zu wahren, werde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

Der an die Bundespolizeidirektion Eisenstadt gerichtete Antrag auf Wiedereinsetzung wurde von dieser mit Bescheid vom 17. Juni 1992 abgelehnt. Begründet wurde diese Entscheidung im wesentlichen damit, es fehle im Wiedereinsetzungsantrag an der näheren Darlegung, daß das Ereignis ohne Verschulden des Rechtsanwaltes eingetreten sei, insbesondere, daß die Kanzleiangestellte bisher verläßlich gearbeitet habe. Dem Antrag sei auch nicht zu entnehmen, in welcher Weise der Rechtsanwalt selbst seiner ihm obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflicht nachgekommen sei und warum es ihm trotz grundsätzlich gehandhabter Aufsicht im Einzelfall nicht möglich gewesen sei, das Versehen seiner Kanzleiangestellten rechtzeitig zu bemerken.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, wobei er die Auffassung vertrat, den zur Versäumung der Berufungsfrist führenden Sachverhalt detailliert dargelegt zu haben. Wenn die Behörde weitere Darlegungen zur Glaubhaftmachung benötige, hätte sie den Beschwerdeführer zur Angabe weiterer Erklärungen auffordern bzw. selbst entsprechende Erhebungen pflegen müssen. Dabei hätte auch die vom Beschwerdeführer als Zeugin namhaft gemachte Kanzleibedienstete einvernommen werden müssen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und die Ablehnung der Wiedereinsetzung bestätigt (Spruchpunkt I). Die Berufung gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Eisenstadt wurde als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde nach Darstellung des bisherigen Verfahrensgeschehens und der anzuwendenden Rechtslage - zusammengefaßt - damit, daß der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag die Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit des eingetretenen Ereignisses nicht ausreichend genug dargestellt habe. So gehe in keiner Weise hervor, ob es sich bei der Kanzleikraft um eine langjährige, verläßliche Angestellte gehandelt habe. Offen bleibe überdies, ob das behauptete Mißgeschick der Sekretärin ein erstmaliges oder regelmäßig bzw. auffallend häufig unterlaufenes Versehen sei, weshalb die Sekretärin z.B. einer besonderen Überwachungspflicht unterliege. Grundsätzlich sei auch davon auszugehen, daß bei mit Seitenfächern ausgestatteten Aktentaschen durchaus damit gerechnet werden müsse, daß Briefe in ein Seitenfach rutschten und daher bei Verwendung von solchen Aktentaschen derartige Vorkommnisse in Kauf genommen würden. Schon aus diesem Gesichtspunkt sei dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Kanzleiüberwachungspflicht vorzuwerfen, daß er es zugelassen habe, daß derart wichtige Schriftstücke in einer solchen Aktentasche zur Post transportiert worden seien. Dem Wiedereinsetzungsantrag sei auch in keiner Weise zu entnehmen, auf welche Art und Weise der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers seiner ihm obliegenden Kanzleiaufsicht und Überwachungspflicht nachkomme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff "Verwaltungsstrafsache" auch verfahrensrechtliche Entscheidungen, die in einem Verwaltungsstrafverfahren ergehen, einschließt (vgl. das Erkenntnis vom 25. Februar 1985, VwSlg. 11682/A). Die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag ist eine derartige verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. z.B. den Beschluß vom 11. November 1992, Zl. 92/02/0293).

Gemäß (dem nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden) § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie 2. kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß gemäß § 71 Abs. 2 leg. cit. binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist gemäß § 71 Abs. 4 AVG die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

Da die Berufung gemäß § 63 Abs. 5 AVG in der Fassung der Novelle 1990 von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen ist, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat und der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Wiedereinsetzung ausdrücklich an die Bundespolizeidirektion Eisenstadt gerichtet und auch bei dieser eingebracht hat, war diese Behörde gemäß § 71 Abs. 4 AVG in erster Instanz zur Entscheidung über seinen Antrag berufen (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Anmerkung 10 zu § 71).

In der Sache selbst ist darauf zu verweisen, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl. etwa den Beschluß vom 30. November 1989, Zl. 89/13/0226, 0227). Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. etwa aus der ständigen Rechtsprechung den Beschluß vom 24. Juni 1993, Zlen. 93/15/0031, 0032).

In der Beschwerde wird gerügt, daß die belangte Behörde keine öffentliche mündliche Verhandlung nach § 51e VStG durchgeführt habe. In seiner Berufung habe der Beschwerdeführer auch die Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor der Bundespolizeidirektion behauptet. Hätte die belangte Behörde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die angeführte Zeugin vernommen, so hätte sich herausgestellt, daß diese eine beim damaligen Rechtsanwalt langjährig beschäftigte Angestellte sei und derart zuverlässig arbeite, daß sie einer ständigen Kontrolle nicht bedürfe. Im übrigen sei grundsätzlich davon auszugehen, daß die Kanzleiangestellte auch verläßlich sei.

Diese Ausführungen sind nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muß nämlich das Unterbleiben der öffentlichen mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht in jedem Fall die Aufhebung des Berufungsbescheides nach sich ziehen; maßgeblich ist die - in der Beschwerde darzustellende - Relevanz im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 18. September 1991, Zl. 91/03/0165, und vom 28. Juni 1993, Zl. 92/10/0028). An der Relevanz fehlt es jedoch im Beschwerdefall, da nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung die Wiedereinsetzungsgründe bereits im Wiedereinsetzungsantrag und nicht erst im Berufungsverfahren hierüber geltend zu machen sind. Die Zulässigkeit der Wiedereinsetzung in das Verfahren ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (vgl. das Erkenntnis vom 11. Mai 1987, Zl. 87/10/0049) gesteckt ist. Der behauptete Wiedereinsetzungsgrund muß daher bereits im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand glaubhaft gemacht und es müssen bereits im Antrag taugliche Bescheinigungsmittel beigebracht werden (vgl. auch den Beschluß vom 7. August 1992, Zl. 92/14/0058). Ausführungen darüber, daß die Kanzleiangestellte bisher durchaus verläßlich gearbeitet hat, waren im Wiedereinsetzungsantrag nicht enthalten. Die in der Beschwerde vertretene Rechtsansicht, die Beschäftigung in der Kanzlei eines Rechtsanwaltes bringe an sich schon die Verläßlichkeit mit sich, kann nicht geteilt werden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 23. Jänner 1978, Zlen. 1895 ff/77). Der belangten Behörde ist daher keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit unterlaufen, wenn sie keine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumte, da bei dieser die erstmals in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, das Versehen sei einer an sich verläßlichen Kanzleikraft unterlaufen, gar nicht Beweisthema war. Der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang behauptete Verfahrensmangel ist daher nicht gegeben.

Der Vertreter des Beschwerdeführers hat daher nicht glaubhaft gemacht, daß er ohne sein Verschulden daran verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten, mag auch in der Person der Kanzleibediensteten ein Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG eingetreten sein. Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages erweist sich daher als frei von Rechtsirrtum. Die verspätete Berufung gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion wurde daher zu Recht zurückgewiesen.

Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich die Beschwerde zur Gänze als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992100392.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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