TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/4 93/02/0296

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Veröffentlicht am 04.03.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §1 Z3;
AAV §22 Abs1;
AAV §22 Abs9;
AAV §96;
ASchG 1972 §24;
ASchG 1972 §27 Abs6;
AVG §52;
GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Bernard, Dr. Riedinger und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde der B-Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 7. Oktober 1993, Zl. 61.026/49-3/93, betreffend Vorschreibungen zum Schutz der Arbeitnehmer, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt 2. als unbegründet abgewiesen.

Hingegen wird der angefochtene Bescheid im Spruchpunkt 6. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 7. Oktober 1993 wurden der Beschwerdeführerin unter Berufung auf § 27 Abs. 6 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, (ASchG) eine Reihe von Aufträgen erteilt.

Die für die Erledigung der vorliegenden Beschwerde interessierenden Vorschreibungen zu den Punkten 2., 5. und 6. lauten:

2. Die nachstehend bezeichneten Betriebsbereiche bzw. -räume sowie die Bereiche der Fluchtwege aus diesen sind mit einer Notbeleuchtung im Sinne des § 10 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung BGBl. Nr. 218/1983, auszustatten. Die Notbeleuchtungsanlage muß sich - sofern sie nicht in Dauerbetrieb mit der Hauptbeleuchtung in Funktion ist - bei Ausfall der Hauptbeleuchtung selbsttätig einschalten und in ihrer Kapazität für eine Mindestleuchtdauer von 30 Min. ausgelegt sein.

Im 1. Kellergeschoß: der Sozialraum, die Garderoberäume sowie deren Vorraum, die Abortanlagen sowie die dazugehörenden Vorräume; im 2. Kellergeschoß: der Vorraum, der Aufzugstriebwerksraum sowie die Abstellräume.

5. Die automatischen Schiebetüren sind derart (Notstromanlage, Pufferbatterie, Relais, Zugfeder oder dgl.) auszustatten, daß bei Stromausfall ein selbsttätiges und einmaliges Öffnen der Türen bewirkt wird, solange sich Arbeitnehmer im Betrieb aufhalten.

6. Die automatischen Schiebetüren sind derart einzurichten, daß sie, solange sich Arbeitnehmer im Betrieb aufhalten, von der Innenseite in jedem teilgeöffneten Zustand der Türblätter in Fluchtrichtung bei Stromausfall oder im Gefahrenfall händisch schwenkbar sind.

In der Begründung führte die belangte Behörde zu den Aufträgen Punkt 2. und 6. im wesentlichen aus, für Arbeitsräume ohne natürliche Belichtung bestehe die Verpflichtung zur Ausstattung mit Notbeleuchtung schon ohne Vorschreibung nach § 10 Abs. 1 AAV, was auf den Tresorraum und die Archivräume im

2. Kellergeschoß zutreffe. Der nicht natürlich belichtete Aufzugstriebwerksraum und die nicht natürlich belichteten Abstellräume im 2. Kellergeschoß seien "sonstige Betriebsräume" im Sinne der AAV (vgl. deren § 19 Abs. 2). Nach § 24 Abs. 5 AAV müßten Verkehrswege ohne natürliche Belichtung, die zu Arbeitsräumen führen, mit einer Notbeleuchtung ausgestattet sein; für alle anderen Verkehrswege habe die Behörde eine Notbeleuchtung vorzuschreiben, wenn es die Erfordernisse eines sicheren Verkehrs verlangten. Bei diesen sowie dem Sozialraum, den Garderoberäumen, Vorräumen und Abortanlagen ergäben sich besondere Gefahren für die Arbeitnehmer dadurch, daß sich die gegenständlichen Räume in nicht natürlich belichteten Kellergeschoßen befänden, eine Notbeleuchtung bei Stromausfall der Orientierung diene und ein sicheres Verlassen dieser Bereiche gewährleistet sein solle.

Die Vorschreibung zu Punkt 6. sei - so die belangte Behörde weiter - aus folgenden Gründen notwendig: Die gegenständlichen Schiebetüren seien zwar keine Notausgänge im Sinne des § 23 AAV, da solche nach dieser Bestimmung "zusätzliche" Ausgänge aus Räumen oder Gebäuden seien, die im Einzelfall vorzuschreiben seien; diese Schiebetüren seien aber für die Arbeitnehmer (sowie auch für die Kunden) die einzige Möglichkeit, in Gefahrenfällen die Betriebsräume und das Betriebsgebäude zu verlassen. Die Behörde nehme davon Abstand, im vorliegenden Fall einen "zusätzlichen" Notausgang vorzuschreiben, sondern vertrete die Ansicht, daß mit den Vorschreibungen zu Punkt 5. und 6. dem Schutz der Arbeitnehmer in gleicher Weise gedient sei. Die automatischen Schiebetüren, die somit im vorliegenden Fall "auch" als Notausgang dienten (nicht als "zusätzliche" Ausgänge und somit Notausgänge gemäß § 23 AAV) müßten zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei Stromausfall oder im Gefahrenfall händisch schwenkbar im Sinne der Vorschreibung Punkt 6. sein. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei es nämlich so, daß in Gefahrenfällen (z.B. bei Brand) die Menschen in Panik dem Ausgang zuströmen und gegen die Türe drücken würden. Ein lediglich selbsttätiges und einmaliges Öffnen von automatischen Schiebetüren in solchen Fällen sei nicht geeignet, ein rasches und sicheres Verlassen des Betriebsgebäudes zu gewährleisten. Die Vorschreibung zu Punkt 6. sei demnach zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer notwendig.

Gegen diesen Bescheid - und zwar allein gegen die Aufträge zu Punkt 2. und zu Punkt 6. - richtet sich die vorliegende

Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Zum Auftrag Punkt 2.:

Gemäß § 10 Abs. 1 AAV müssen Arbeitsräume ohne natürliche Belichtung mit einer Notbeleuchtung ausgestattet sein. Nach § 10 Abs. 2 AAV hat die Behörde eine Notbeleuchtung u.a. für sonstige Betriebsräume vorzuschreiben, falls sich für die Arbeitnehmer bei Ausfall der künstlichen Beleuchtung, insbesondere durch die Art der Betriebseinrichtungen ... in erhöhtem Maße Gefahren ergeben ...

Der mit "weitergehende Schutzmaßnahmen" überschriebene § 96 AAV lautet:

Wenn die besonderen Betriebsverhältnisse im Einzelfall Maßnahmen zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer erfordern, die über die Vorschriften des II. Hauptstückes dieser Verordnung hinausgehen, hat die Behörde im Rahmen der Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes solche Maßnahmen auf Antrag des Arbeitsinspektorates durch Bescheid vorzuschreiben.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin war es daher - sofern die Voraussetzungen des § 96 AAV zutrafen - rechtlich zulässig, auch für solche Räume eine Notbeleuchtung vorzuschreiben, die auch nicht als "sonstige Betriebsräume" (vgl. § 1 Z. 3 AAV) gelten, sodaß dahinstehen kann, welche von dieser Vorschreibung erfaßten Räume als "sonstige Betriebsräume" zu qualifizieren sind. Daß aber die "besonderen Betriebsverhältnisse" im Sinne des § 96 AAV die in Rede stehende Maßnahme erfordern, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht als rechtswidrig zu erkennen:

Die Beschwerdeführerin bringt dazu im wesentlichen vor, bei Ausfall der künstlichen Beleuchtung der in der Vorschreibung Punkt 2. genannten Räumlichkeiten sei eine sichere Orientierung und ein Verlassen derselben auch ohne Notbeleuchtung gefahrlos möglich, zumal die im 2. Kellergeschoß befindlichen Archivräume und der dort situierte Tresorraum als Arbeitsräume zu qualifizieren seien und daher einschließlich der Verkehrswege (vom 2. Kellergeschoß über das 1. in das Erdgeschoß) ohnedies gemäß § 10 Abs. 1 und § 24 Abs. 5 AAV mit einer Notbeleuchtung zu versehen seien.

Wie sich aus den im Verwaltungsverfahren von der Beschwerdeführerin vorgelegten Plänen ergibt, so ist es zwar richtig, daß der "Vorraum" im 2. Kellergeschoß (vor dem Tresorraum) offenbar ohnedies im Grunde des § 24 Abs. 5 erster Satz, erster Halbsatz, AAV ("Verkehrswege ohne natürliche Belichtung, die zu Arbeitsräumen führen, müssen mit einer Notbeleuchtung ausgestattet sein") mit einer Notbeleuchtung versehen sein muß, doch ist eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin durch eine diese Verpflichtung wiederholende Vorschreibung nicht ersichtlich. Was aber die übrigen in diesem Auftrag erwähnten Räume anlangt, so sind diese derart situiert, daß die belangte Behörde zu Recht davon ausgehen konnte, mit der für die Arbeitsräume samt den diesbezüglichen Verkehrswegen vorgesehenen Notbeleuchtung könne nicht das Auslangen gefunden werden. Damit steht - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - weder die obzitierte Vorschrift des § 10 Abs. 2 AAV noch jene des § 24 Abs. 5 erster Satz, zweiter Halbsatz, in Verbindung mit § 21 Abs. 8 AAV (über die Notbeleuchtung "anderer Verkehrswege", wenn es die Erfordernisse eines sicheren Verkehrs verlangen) in Widerspruch, da die belangte Behörde auch diese Voraussetzungen im Hinblick auf die Situierung der in der bekämpften Vorschreibung angeführten Räume ohne weiteres annehmen konnte. Der - von der Beschwerdeführerin vermißten - Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens bedurfte es auf Grund des klaren Sachverhaltes als Grundlage für diesen Auftrag nicht.

Was schließlich der Hinweis der Beschwerdeführerin auf das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1992, Zl. 92/04/0064, und ihr Vorbringen anlangt, die in Rede stehende Vorschreibung verstoße "aufgrund der exzessiven Kostenbelastung gegen das für die Auflagenerteilung geltende Prinzip der Verhältnismäßigkeit", ist zu bemerken: Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis zur Vorschrift des § 77 Abs. 1 erster Satz GewO zum Ausdruck gebracht, daß der Betriebsinhaber nicht ohne Rücksicht darauf, ob derselbe Effekt nicht auch mittels weniger einschneidender Vorkehrungen erreicht werden kann, mit Maßnahmen belastet werden darf. Selbst wenn man mit der Beschwerdeführerin diesen Grundsatz auch auf die Vorschrift des § 96 AAV (in Verbindung mit § 27 Abs. 6 und § 24 ASchG) anwendet, ist für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen, weil sie selbst nicht darlegt, welche "weniger einschneidende Maßnahmen" in diesem Sinne in Frage gekommen wären.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin in diesem Umfang als unbegründet und war - unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG - gemäß § 42 Abs. 1 leg. cit. abzuweisen.

Zum Auftrag Punkt 6.:

Gemäß § 22 Abs. 1 erster Satz AAV müssen Ausgänge für Fußgänger nach Möglichkeit mit Flügeltüren abgeschlossen sein; automatische Schiebetüren sind zulässig.

Nach § 22 Abs. 9 letzter Satz AAV müssen automatische Türen und Tore im Notfall selbsttätig öffnen oder von Hand aus leicht zu öffnen sein.

Die belangte Behörde hat - wie oben dargestellt - in der Begründung des angefochtenen Bescheides darauf verwiesen, ein lediglich selbsttätiges und einmaliges Öffnen von automatischen Schiebetüren in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die Schiebetüren die einzige Möglichkeit seien, die Betriebsräume zu verlassen, sei nicht geeignet, ein rasches und sicheres Verlassen derselben zu gewährleisten. Demgemäß sei auch die Vorschreibung zu Punkt 6. zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer notwendig.

Damit hat die belangte Behörde allerdings Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Dies deshalb, weil nicht ohne weiteres einsichtig ist, daß trotz der sich aus der einzigen Möglichkeit, das Betriebsgebäude zu verlassen, erschließbaren "besonderen Betriebsverhältnisse" im Sinne des § 96 AAV mit dem im Notfall selbsttätigen Öffnen (vgl. auch die Vorschreibung zu Punkt 5.) nicht das Auslangen gefunden werden kann. Der Hinweis der belangten Behörde in der Gegenschrift, es solle damit auch für jene Fälle Vorsorge getroffen werden, in denen die Sicherheitsvorrichtungen der "Panikautomatik (Gummistrang bzw. Notschalter)" versagen würden, erscheint dem Gerichtshof nicht ausreichend. Vielmehr hätte es - insoweit ist die Beschwerdeführerin im Recht - der Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens bedurft, mit welchem klargestellt hätte werden müssen, ob das Risiko eines technischen Gebrechens der vorhandenen Sicherheitsvorrichtungen dennoch eine weitergehende Vorschreibung erfordert. Am Rande sei vermerkt, daß auch nicht einsichtig ist, weshalb die in Rede stehenden Schiebetüren in jedem "teilgeöffneten" Zustand (und nicht auch bei völligem Geschlossensein) schwenkbar sein sollen.

Der angefochtene Bescheid war daher in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren an Ersatz von Stempelgebühren war abzuweisen, da die Beschwerde nur in 2-facher Ausfertigung einzubringen war.

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993020296.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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