TE Vfgh Erkenntnis 1991/10/9 B358/91

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Veröffentlicht am 09.10.1991
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art83 Abs2
AVG §10 Abs1
AVG §71 Abs1 lita idF vor der Nov BGBl 357/1990

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung als verspätet; keine Bedenken gegen die Verschuldensregelung für die Wiedereinsetzung im Verwaltungsverfahren vor der Novelle im Vergleich zu den unterschiedlichen Regelungen dieses Rechtsinstruments in anderen Verfahrensbereichen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit notariellem Übergabsvertrag vom 16. Februar 1989 hatte der Beschwerdeführer seinen geschlossenen Hof "Hinterferting" in Auffach "samt allem rechtlichen und tatsächlichen Zubehör, Viehstand, landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen, jedoch mit Ausnahme sämtlicher ... Grundstücke der 'Holzalpe'" seinem Sohn B übergeben. Mit Schriftsatz vom 22. Februar 1989 stellte jener Notar, der diesen Notariatsakt erstellt hatte, namens beider Vertragsparteien (an die Höfekommission und) an die Grundverkehrsbehörde den Antrag, (diesen Vertrag zu genehmigen bzw.) diesem Vertrag die grundverkehrsbehördliche Zustimmung zu erteilen; der öffentliche Notar verwies dabei auf eine Vollmacht vom 16. Februar 1989.

Diesem Rechtserwerb versagte die Grundverkehrsbehörde Wildschönau mit Bescheid vom 3. Mai 1989 unter Hinweis auf §3 Abs1 und §4 Abs1 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes, Anlage zur Kundmachung der Landesregierung vom 18. Oktober 1983 über die Wiederverlautbarung des Grundverkehrsgesetzes 1970, LGBl. für Tirol 69/1983, idF der Kundmachungen LGBl. für Tirol 44/1984 und 45/1988 (im folgenden: GVG 1983), die grundverkehrsbehördliche Zustimmung; dieser Bescheid wurde dem genannten öffentlichen Notar als Vertreter der Vertragsparteien und damit auch des Beschwerdeführers am 22. Juni 1989 zugestellt.

2.1. Mit Schreiben vom 10. Juli 1989, welches am selben Tag zur Post gegeben wurde, stellte der Beschwerdeführer - nunmehr vertreten durch den ihn auch in diesem verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren vertretenden Rechtsanwalt - bei der Grundverkehrsbehörde Wildschönau den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einbringung der Berufung gegen ihren Bescheid vom 3. Mai 1989 und holte gleichzeitig die versäumte Berufung nach. Begründet wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag damit, der Beschwerdeführer habe den Bescheid der Grundverkehrsbehörde Wildschönau vom 3. Mai 1989 am 27. Juni 1989 in der Kanzlei seines (nunmehrigen) Rechtsvertreters abgegeben und der seit vielen Jahren tätigen und verläßlichen Kanzleikraft über deren Befragen erklärt, er habe diesen Bescheid am 26. Juni 1989 erhalten. Der Kanzleikraft sei dies deshalb plausibel erschienen, weil der Beschwerdeführer einen Tag vorher zur Besprechung in der Kanzlei gewesen sei und den Bescheid nicht mitgehabt und ihr an diesem Tage nachmittags telefonisch mitgeteilt habe, er habe nun den Bescheid erhalten. Deshalb habe die Kanzleikraft nicht nochmals überprüft, ob die Angaben der Partei über den Erhalt des Bescheides richtig seien, wie dies sonst häufig geschehe. Als der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am letzten Tage der - falsch berechneten - Berufungsfrist die Berufungsschrift verfaßt habe, sei ihm erst aufgefallen, daß der betreffende Bescheid nicht dem Berufungswerber direkt, sondern dem eingangs genannten öffentlichen Notar zugestellt worden sei. Eine telefonische Rückfrage habe ergeben, daß der 26. Juni 1989 wohl jener Tag gewesen sei, an dem der Beschwerdeführer den Bescheid erhalten habe, "daß die rechtswirksame Zustellung an den Notar jedoch bereits am 22. Juni 1989 erfolgt" sei. Durch diese Kette von unglücklichen Umständen sei der Beschwerdeführer durch ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis von der rechtzeitigen Einbringung einer Berufung abgehalten worden.

2.2. Mit Bescheid der Grundverkehrsbehörde Wildschönau vom 12. Oktober 1989 wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag deshalb nicht bewilligt, weil ein vom Beschwerdeführer nicht beeinflußbares Hindernis nicht vorgelegen sei, vielmehr gehe die Fristversäumung auf einen im Alltag jederzeit möglichen Fehler zurück.

3.1. Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Berufung, welche näher begründet wurde.

3.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. Dezember 1990, Zl. LGv-850/2-89, wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Grundverkehrsbehörde Wildschönau vom 12. Oktober 1989 betreffend die Ablehnung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet abgewiesen, die Berufung gegen den Bescheid der genannten Behörde vom 3. Mai 1989 betreffend die Versagung der grundverkehrsbehördlichen Zustimmung als verspätet zurückgewiesen.

Begründet wurde dieser Bescheid hinsichtlich des erstgenannten Spruchteiles wie folgt:

"Nach der auf den Beschluß eines verstärkten Senates vom 19.1.1977, Slg. Nr. 9226/A, gestützten ständigen Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei am Fristversäumnis dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, sodaß im gegenständlichen Fall geprüft werden muß, ob dem Rechtsvertreter an der - durch das behauptete Versehen der Kanzleileiterin verursachten - verspäteten Einbringung der Berufung ein Verschulden trifft. Das Verschulden eines Kanzleibediensteten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes ist dem Verschulden der Partei oder dessen bevollmächtigten Rechtsanwaltes nicht schlechterdings gleichzuhalten und schließt daher nicht von vornherein die Wiedereinsetzung zugunsten der Partei aus. Das Versehen eines Kanzleibediensteten stellt für den Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei allerdings nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das ohne sein Verschulden die Einhaltung einer Frist verhinderte, dar, wenn ihm selbst im gegebenen Zusammenhang nicht eine leichte Fahrlässigkeit - sei es als culpa in eligendo, sei es als culpa in custodiendo - unterlaufen ist, d.h. im zweitgenannten Fall, wenn er der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist (vergl. die Erk. vom 11.4.1984, Zl. 81/11/0027,0028 und vom 24.4.1985, Zl. 84/11/0011-5).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als eines Hilfsapparates bedient.

Er muß gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten, die dem Rechtsanwalt nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und in dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt sein Verschulden an einer späteren Fristversäumnis im Sinne des §71 Abs1 lita AVG 1950 in Betracht. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von mit Präklusion sanktionierten Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vergl. die schon zitierten Erkenntnisse vom 11.4.1984, Zl. 81/11/0027,0028 und vom 24.4.1985, Zl. 84/11/0011-5).

Soweit nun der Berufungswerber vorliegend in seinen Berufungsausführungen vorbringt, sein Vertreter sei der ihm zumutbaren Aufsichts-, Überwachungs- und Kontrollpflicht über seine Kanzleikraft regelmäßig dadurch nachgekommen, daß er stichprobenartig die Arbeit seiner Angestellten überwacht, Rechtsmittelfristen nochmals berechnet und deren Eintragung kontrolliert habe, ist ihm entgegenzuhalten, daß dies im allgemeinen durchaus zutreffen mag; dies ändert jedoch nichts daran, daß vorliegend dem bevollmächtigten Vertreter selbst ein - den minderen Grad des Versehens übersteigendes - Verschulden anzulasten ist. Dies aus folgenden Gründen: Außer Streit steht, daß S R am 26.6.1989 beim nunmehrigen Vertreter, Rechtsanwalt Dr. A B, vorgesprochen hat. An diesem Tag wurde auch die im erstinstanzlichen Akt einliegende Vollmachtsurkunde unterfertigt. Im Zuge dieser Vorsprache muß zwangsläufig auch darüber gesprochen worden sein, wer den Übergabsvertrag verfaßt hat bzw. ob darauf resultierend allenfalls bereits ein Vollmachtsverhältnis bestand. Bei entsprechender Sorgfalt hätte dem nunmehrigen Vertreter auf jeden Fall klar sein müssen, daß insbesondere der Überprüfung der Frage, an wen und wann die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides erfolgt ist, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. Da es nun aber der nunmehrige Vertreter unterlassen hat, gerade im konkreten, sicher nicht alltäglichen Fall bezüglich der Frage des Zustelldatums entsprechende Nachforschungen anzustellen bzw. seiner Kanzleikraft ausreichende Informationen über die Gegebenheit dieses Falles zukommen zu lassen, wodurch eine ordnungsgemäße geschäftsmäßige Behandlung des vom Rechtsmittelwerber noch beizubringenden Grundverkehrsbescheides sichergestellt hätte werden können, muß nach Ansicht der erkennenden Behörde der Erstinstanz im Ergebnis beigepflichtet werden, wenn sie von einem Verschulden des Vertreters ausgegangen ist, das auf jeden Fall sogar den Grad eines minderen Versehens übersteigt.

Im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vergl. hiezu den Beschluß vom 25.3.1976, Zl. 65/75 = Verwaltungssammlung 9024/A) vertritt die erkennende Behörde sohin zusammenfassend die Ansicht, daß zwar - entgegen den Ausführungen der Erstinstanz - ein 'Ereignis' im Sinne der Gesetzesbestimmung des §71 Abs1 lita AVG 1950 vorliegt, daß aber in Ansehung des dem Vertreter des Berufungswerbers vorwerfbaren Verschuldens an der in Rede stehenden Fristversäumung der Erstinstanz beigepflichtet werden muß, daß der vorliegende Sachverhalt einen Wiedereinsetzungsantrag nicht zu stützen vermag. Der Berufung zu Punkt 1) kommt daher keine Berechtigung zu."

4. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

4.1. Begründet wird dies zunächst damit, daß die Zustellung des Bescheides der Grundverkehrsbehörde Wildschönau vom 3. Mai 1989 an den eingangs erwähnten öffentlichen Notar deshalb nicht rechtswirksam gewesen sei, da ein urkundlicher Nachweis der Bevollmächtigung des Antrages im erstinstanzlichen Verfahren vor der Grundverkehrsbehörde Wildschönau gefehlt habe. Der angefochtene Bescheid sei vor Inkrafttreten der AVG-Novelle BGBl. 357/1990 erlassen worden, sodaß die bisher geltende Rechtslage maßgebend sei. Nach §10 Abs1 AVG 1950 in der bis 31. Dezember 1990 geltenden Fassung hätten sich Vertreter durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen gehabt; eine mündliche Vollmachtserteilung vor der Behörde sei ebenso wenig vorgelegen wie eine Vertretung durch eine in §10 Abs4 AVG 1950 genannte Person. Die Rechtsmittelfrist gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe somit - wenn überhaupt - erst zu laufen begonnen, als der Beschwerdeführer selbst diesen erstinstanzlichen Bescheid erhalten habe (das ist der 26. Juni 1989), sodaß die am 10. Juli 1989 zur Post gegebene Berufung rechtzeitig eingebracht worden sei. Durch die Zurückweisung dieser Berufung als verspätet wäre der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

4.2. §71 AVG 1950 in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. 357/1990 verstoße im übrigen gegen den Gleichheitssatz, wenn man jene Personen, die einen Verfahrensschritt fristgerecht gesetzt hätten, mit jenen vergleiche, bei denen dies auf Grund eines auf leichter Fahrlässigkeit beruhenden Versehens der Partei selbst oder ihres Vertreters unterblieben sei. Es erscheine fraglich, ob das im allgemeinen anzuerkennende Interesse an der Rechtssicherheit eine so gravierende Benachteiligung desjenigen, der eine Rechtsmittelfrist versäumt habe, auch dann rechtfertige, wenn dieses Versäumnis zB lediglich auf einem Fehler beruhe, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch mache. Sodann heißt es hiezu:

"Zusammenfassend erscheint es sachlich durch nichts gerechtfertigt, einer Partei, der selbst oder deren Vertreter bei einem Fristversäumnis der geringste Fehler unterlaufen ist, materielles Unrecht zuzumuten, dessen Ausmaß und Folgen nahezu beliebig sein können bzw. nur durch den zufälligen Gegenstand des Verfahrens, in dem dieses Fristversäumnis passiert ist, bestimmt werden. Dieses Mißverhältnis zwischen der Schwere des Fehlers und der Schwere seiner Folgen wurde auch allgemein als unbillig empfunden und hat zur Novellierung der betreffenden Bestimmungen geführt. Derart unbillige Lösungen verstoßen aber auch gegen den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz."

Abgesehen davon sei das sachlich gerechtfertigte Interesse an der Aufrechterhaltung allenfalls materiell unrichtiger, aber rechtskräftiger Entscheidungen keineswegs in allen Bereichen der Verwaltung gleich groß wie im Bereich des streitigen Zivilprozesses. Im Zivilprozeß gehe es darum, das Interesse des Klägers, seinen meist schon längst gegebenen materiellen Rechtsanspruch rasch durchzusetzen, entsprechend zu schützen, wogegen in Verwaltungsverfahren solche Konstellationen zwar auch möglich seien, sich aber in vielen Fällen lediglich Bewilligungswerber mit gleichgerichteten Interessen und die Behörde als Vertreterin der öffentlichen Interessen gegenüberstünden. In vielen Fällen sei nicht einzusehen, wem damit gedient sei, daß eine solche Entscheidung aufrecht bleibe. Insbesondere scheine eine sachliche Rechtfertigung für die Regelung jedenfalls dann zu fehlen, wenn es sich lediglich um eine Verspätung von einigen Tagen handle. Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die mit der Fristversäumung verbunden sein könnten, vermöge auch das Interesse an der Verwaltungsökonomie eine solche Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen, zumal eine "entsprechende Bestimmung beispielsweise einfacher zu vollziehen wäre als die inhaltlich ähnlich gestalteten Bestimmungen über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für Beschwerden an die öffentlichen Gerichtshöfe."

Noch deutlicher trete die fehlende sachliche Rechtfertigung der Regelung hervor, "wenn man den Boden der Theorie verläßt und sich der Praxis" zuwende. Während es in den zahlreichen Fällen beantragter Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand meist um Fristversäumnisse von wenigen Tagen gehe, würden Zivilprozesse und bestimmte Verwaltungsverfahren oft über Jahre, Zusammenlegungs- und Servitutenregulierungsverfahren über Jahrzehnte dauern. Es scheine "absurd, die mit einer Fristversäumnis verbundene erhebliche Benachteiligung damit rechtfertigen zu wollen, daß dies notwendig sei, um Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, weil es bei einer Verfahrensdauer von fast zwei Jahren" wie im vorliegenden Fall überhaupt keine Rolle spiele, ob das Verfahren vier Tage länger oder weniger lang dauere.

Aber auch ein Vergleich mit dem seit 1983 in Geltung stehenden letzten Satz des §146 Abs1 ZPO zeige die gleiche Rechtswidrigkeit der bestehenden Regelung. Der Grundsatz, daß es dem Gesetzgeber freistehe, verschiedene Materien verschieden zu regeln, treffe nicht uneingeschränkt zu; es sei zu prüfen, ob die Verschiedenheit der Materie im Einzelfall als sachliche Rechtfertigung für eine Verschiedenbehandlung gleichgelagerter Fälle ausreiche. Wäre durch eine Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei geringstem Verschulden in jenen Fällen, die den Verwaltungsbehörden zur Entscheidung zugewiesen seien, der Zugang zum Recht gegenüber jenen Fällen, für die die ordentlichen Gerichte zuständig seien, wesentlich erschwert, so erscheine eine solche unterschiedliche Behandlung deshalb problematisch, weil es in das Belieben des einfachen Gesetzgebers gestellt sei, eine Sache den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zur Entscheidung zuzuweisen. Außerdem könne das Interesse an materiell richtigen Entscheidungen in jenen Angelegenheiten, die den Verwaltungsbehörden zur Vollziehung zugewiesen seien, nicht geringer sein als in jenen Angelegenheiten, die von den ordentlichen Gerichten entschieden würden.

4.3. Der belangten Behörde falle aber auch eine "unrichtige Auslegung" des §71 Abs1 lita AVG 1950 zur Last, wenn sie es dem Vertreter des Beschwerdeführers selbst anlaste, daß er zu einem Zeitpunkt, zu dem weder dem Beschwerdeführer noch dessen (nunmehrigen) Vertreter bekannt gewesen sei, daß überhaupt schon ein erstinstanzlicher Bescheid ergangen sei, Nachforschungen darüber hätte anstellen müssen, wann und an wen die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides erfolgt sei bzw. seiner Kanzleikraft ausreichende Informationen über die Gegebenheiten dieses Falles zukommen lassen hätte müssen.

Sodann heißt es in der Beschwerde:

"Zum Zeitpunkt des Gespräches des Beschwerdeführers mit seinem nunmehrigen Vertreter war nicht bekannt, daß bereits ein Bescheid ergangen war. Auf die Frage seines Vertreters, ob er schon einen Bescheid erhalten habe, hat der Beschwerdeführer dies ausdrücklich verneint (was ja den Tatsachen entsprach). Bei dieser Sachlage durfte der Vertreter des Beschwerdeführers darauf vertrauen, daß der Vertragsverfasser als berufsmäßiger Parteienvertreter den erstinstanzlichen Bescheid, wenn ein solcher ergeht, dem Beschwerdeführer zumindest mit einem Eingangsdatum versehen übermittelt oder - wie allgemein üblich - mit einem Begleitschreiben, aus dem sich Datum der Zustellung und Ende der Rechtsmittelfrist ergibt. Da der Kanzleileiterin selbstverständlich auch bekannt war, daß im Falle eines Vertretungsverhältnisses die Rechtsmittelfrist mit Zustellung an den Vertreter zu laufen beginnt und aufgrund der Tatsache, daß sich die Arbeit der Kanzleileiterin bis dorthin immer als richtig und verläßlich erwiesen hat, durfte der Vertreter des Beschwerdeführers auch darauf vertrauen, daß die Kanzleikraft aus dem Einlangensstempel, der Zustellverfügung und einem allfälligen Begleitschreiben das Datum des Beginnes der 14-tägigen Rechtsmittelfrist richtig entnehmen wird. Außerdem hat der Vertreter des Beschwerdeführers seiner Kanzlei die Anweisung gegeben, hinsichtlich des Zustelldatums direkt bei der Behörde nachzufragen, wenn eine Partei einen Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bringt und das Kuvert nicht mithat, da die Parteien häufig einige Tage später in die Kanzlei kommen und dann das Datum der Zustellung nicht mehr definitiv angeben können.

Im konkreten Fall war dann sogar auf dem erstinstanzlichen Bescheid handschriftlich das Datum der Zustellung an Notar (Name) vermerkt, doch hat die Kanzleikraft entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheit sowohl dieses Datum als auch die Zustellverfügung übersehen und auch bei der Grundverkehrsbehörde nicht mehr rückgefragt. ... Das Versehen ist daher ausschließlich bei der Kanzleileiterin gelegen und wurde weder von der Partei noch von deren Vertreter vorhergesehen."

4.4. Schließlich habe die belangte Behörde auch Verfahrensvorschriften in so gravierender Weise verletzt, daß ihr Willkür zur Last falle. Wenn es auch Sache des Wiedereinsetzungswerbers sei, das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen glaubhaft zu machen, sei es doch fast unmöglich vorherzusehen, worin allenfalls die für die Entscheidung für den Wiedereinsetzungsantrag zuständige Behörde ein Verschulden der Partei oder ihres Vertreters erblicken könne. Wenn nun hier die belangte Behörde zum Ergebnis gelange, es komme nicht darauf an, was geschehen sei, nachdem der Beschwerdeführer den erstinstanzlichen Bescheid erhalten und in die Kanzlei seines Vertreters gebracht habe, sondern darauf, was zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vertreter am 26. Juni 1989 besprochen worden sei, wäre zu fordern gewesen, daß die belangte Behörde den Vertreter des Beschwerdeführers davon in Kenntnis setze, um ihm Gelegenheit zu geben, den Verlauf der betreffenden Besprechung und die Gründe, warum nicht auch schon auf Grund dieser Besprechung die von der belangten Behörde für erforderlich gehaltenen Nachforschungen angestellt worden seien, darzulegen. Diese Verpflichtung hätte umso mehr bestanden, als die Grundverkehrsbehörde Wildschönau den Wiedereinsetzungsantrag aus völlig anderen Gründen abgelehnt habe wie die belangte Behörde, sodaß der Beschwerdeführer bzw. dessen Vertreter auch in der Berufung gegen diesen Bescheid nicht die Möglichkeit gehabt hätten, auf Überlegungen, es könnte allenfalls aus den von der belangten Behörde angenommenen Gründen ein Verschulden des Vertreters vorliegen, einzugehen.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Sie ist insgesamt nicht begründet.

Vorauszuschicken ist, daß in der vorliegenden Rechtssache §71 Abs1 lita AVG 1950 idF vor der Novelle BGBl. 357/1990 anzuwenden ist. Dies aber nicht, wie die Beschwerde vermeint, deshalb, weil der angefochtene Bescheid vor Inkrafttreten dieser Novelle erlassen worden ist. Vielmehr ist diese Novelle laut ArtIV Abs1 des BG BGBl. 357/1990 mit 1. Jänner 1991 in Kraft getreten, der angefochtene Bescheid wurde aber erst am 15. Februar 1991 zugestellt und somit erlassen. Jedoch ordnet ArtIV Abs2 leg.cit. an, daß am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen sind. Das gegenständliche grundverkehrsbehördliche Verfahren war zu diesem Zeitpunkt anhängig, sodaß es auf der Grundlage der bis 1. Jänner 1991 geltenden Rechtslage zu Ende zu führen war.

1. Zu den vorgebrachten Normbedenken gegen §71 Abs1 lita AVG 1950 in der hier maßgebenden Fassung vor der Novelle BGBl. 357/1990 verweist der Verfassungsgerichtshof auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach er gegen diese Bestimmung keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt. Mit dem Erkenntnis VfSlg. 10.367/1985 hatte er zwar die Worte "ohne ihr Verschulden" in §46 des VwGG 1985, BGBl. 10, als verfassungswidrig aufgehoben; dies aber unter Berufung auf die besondere Verzahnung des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof mit dem vor dem Verfassungsgerichtshof, für welches diese Einschränkung nicht normiert war. Im Erkenntnis VfSlg. 10.770/1986 führte der Gerichtshof demgemäß aus, sofern nicht besondere Gründe, wie etwa eine solche Verzahnung von Beschwerdeverfahren, vorlägen, stehe es dem Normsetzer frei, sich in den einzelnen Bereichen der Verfahren für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahren adäquat Rechnung tragen, sofern nur die strittigen Verfahrensgesetze in sich - dh. jeweils für sich betrachtet - gleichheitsgemäß gestaltet seien. Die hier präjudizielle Regelung wurde insgesamt als sachgerecht beurteilt.

Soweit in der Beschwerde Vergleiche mit der Regelung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in anderen Verfahrenssystemen als dem AVG, insbesondere in der ZPO, gezogen werden bzw. die sachliche Rechtfertigung des Abstellens auf jegliches Verschulden bestritten wird, ist auf die eben zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen. Erwähnt sei, daß dieser Vergleich - im Gegensatz zur einleitenden Behauptung - in diesem Punkt das wesentliche Beschwerdevorbringen ausmacht.

Soweit in der Beschwerde aber darauf abgestellt wird, eine Ungleichbehandlung jener Personen, die ein Rechtsmittel rechtzeitig oder verspätet einbringen, derart, daß letztere im Falle einer Fristversäumung von (meist) nur wenigen Tagen mit unverhältnismäßigen Folgen konfrontiert werden, sei sachlich nicht gerechtfertigt, ist zu erwidern, daß nicht nur die Sanktionen, sondern vor allen Dingen die Voraussetzungen jeweils unterschiedlich sind, ob nämlich ein Rechtsmittel eben rechtzeitig eingebracht wurde oder nicht. Die Argumentation der Beschwerde läuft in dieser Hinsicht logisch zu Ende gedacht darauf hinaus, daß im verwaltungsbehördlichen Rechtsmittelverfahren überhaupt keine Fristsetzung vorgenommen werden dürfte, weil bei jeder auch noch so langen gesetzlichen Frist immer wieder damit argumentiert werden könnte, es sei im konkreten Fall nur zu einer Fristüberschreitung von wenigen Tagen gekommen. Schon diese Überlegung zeigt, daß das Beschwerdevorbringen in dieser Hinsicht verfehlt ist. In Wirklichkeit läuft dieses darauf hinaus, allein eine solche Regelung als verfassungskonform anzuerkennen, die ein bloß leichtes Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters als unschädlich ansieht, wie dies etwa in der ZPO, im VwGG und im VerfGG iVm. der ZPO, seit der Novelle BGBl. 357/1990 nunmehr aber auch im AVG vorgesehen ist. Dieser Auffassung ist aber nicht zu folgen. Vielmehr ist es dem Gesetzgeber - außer im Falle eines hier nicht erkennbaren Exzesses - durch den Gleichheitssatz nicht verwehrt, in verschiedenen Rechtsbereichen verschiedene rechtspolitische Ziele zu verfolgen; die "Richtigkeit" dieser Maßnahmen ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu überprüfen. Der Verfassungsgerichtshof bleibt deshalb bei seiner in VfSlg. 10.770/1986 geäußerten Meinung, daß gegen §71 Abs1 lita AVG 1950 idF vor der Novelle BGBl. 357/1990 keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

2.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann verletzt, wenn die Behörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert, wie etwa dadurch, daß sie eine verfahrensrechtlich zulässige Berufung zurückweist (vgl. zB VfSlg. 9274/1982, 10.260/1984) oder zu Unrecht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als gegeben annimmt (vgl. VfSlg. 10.260/1984 unter Hinweis auf VfSlg. 9959/1984 betreffend Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens).

2.2. Es ist daher zu prüfen, ob die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid der Grundverkehrsbehörde Wildschönau zu Recht an den eingangs genannten öffentlichen Notar zugestellt hat bzw. ob die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht verweigert worden ist.

2.2.1. Dem Beschwerdevorbringen, der erstinstanzliche Bescheid sei dem die beiden Vertragsparteien vertretenden öffentlichen Notar nicht rechtswirksam zugestellt worden, kann nicht gefolgt werden. Diesem erst im Zuge des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens behaupteten - und deshalb verspätet vorgebrachten - Mangel erwidert die belangte Behörde in der Gegenschrift, das Vollmachtsverhältnis mit dem öffentlichen Notar habe im zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren erster Instanz bestanden, es sei nie strittig gewesen und die vorgelegte Vollmacht sei vermutlich über Wunsch der Verfahrensparteien seitens der ersten Instanz wieder zurückgestellt worden. Daraus ergibt sich, daß die belangte Behörde zu Recht angenommen hat, daß sich die Vertragsparteien, somit auch der Beschwerdeführer, durch den öffentlichen Notar vertreten ließen und die Ausweisung durch eine schriftliche Vollmacht im Sinne des §10 Abs1 AVG 1950 erfolgte. Sie ging demgemäß zu Recht auch davon aus, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an eben diesen öffentlichen Notar rechtswirksam am 22. Juni 1989 erfolgte. Die Rechtsmittelfrist begann daher mit dieser Zustellung zu laufen, die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung war verspätet.

Trotzdem wäre die Berufung nicht zurückzuweisen gewesen, wenn - wie behauptet - ein Wiedereinsetzungsgrund vorgelegen wäre.

2.2.2. Es ist aber auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht verweigert worden. Die Wiedereinsetzung nach §71 Abs1 lita AVG 1950 ist nämlich nur dann zulässig, wenn weder der Partei noch ihrem Vertreter ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Last fällt (vgl. VfSlg. 10.260/1984).

Diesbezüglich gehen die Beschwerdebehauptungen weithin am angefochtenen Bescheid vorbei und betreffen den - im bekämpften Berufungsbescheid nicht übernommenen - Abweisungsgrund des erstinstanzlichen Bescheides; darauf war nicht näher einzugehen.

Im übrigen kam aber die belangte Behörde in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, daß unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles der Beschwerdevertreter selbst entsprechende Vorkehrungen hätte treffen müssen, um das wahre Datum der Bescheidzustellung festzustellen sowie die richtige Eintragung der Rechtsmittelfrist und die rechtzeitige Bearbeitung des Rechtsmittels zu gewährleisten. Dem konnte die Beschwerde kein maßgebliches Argument entgegenhalten, vielmehr behauptet sie bloß das Gegenteil und bekämpft im weiteren die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides.

Der Beschwerdeführer wurde sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3. Was schließlich den behaupteten gravierenden Verfahrensfehler betrifft, genügt es, darauf hinzuweisen, daß der bekämpfte Bescheid nicht darauf abstellt, was zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beschwerdevertreter zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich besprochen wurde, sondern darauf, was zu tun Pflicht des Beschwerdevertreters gewesen wäre. Im übrigen wird nicht einmal in der Beschwerde angedeutet, welches entscheidungswesentliche Tatsachenvorbringen die belangte Behörde übersehen hätte.

Der Beschwerdeführer wurde sohin auch nicht im diesbezüglich geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Daß der Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre, wurde weder in der Beschwerde behauptet, noch ist dies im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hervorgekommen.

5. Die Beschwerde war deshalb als unbegründet abzuweisen.

III. Gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG konnte von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Wiedereinsetzung, Rechtspolitik, Verschulden des Vertreters (Wiedereinsetzung), Zustellung, Zustellbevollmächtigter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B358.1991

Dokumentnummer

JFT_10088991_91B00358_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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