TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/24 94/19/0156

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Veröffentlicht am 24.03.1994
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art43;
Rechtsstellung der Flüchtlinge Protokoll 1974 Art7 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über 1. den Antrag des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in N, 1. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Wiedervorlage der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. März 1993, Zl. 4.341.282/3-III/13/93, betreffend Asylgewährung nach Verbesserung sowie 2. über die zu eins angeführte Beschwerde

Spruch

1. den Beschluß gefaßt:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wird stattgegeben;

2. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 34 Abs. 2 VwGG aufgetragen, binnen zwei Wochen eine Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen (§ 28 Abs. 5 VwGG). Dieser Mängelbehebungsauftrag wurde dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers am 17. September 1993 zugestellt.

Der Beschwerdeführer beantragte unter gleichzeitiger Nachholung der aufgetragenen Verbesserung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist und brachte vor, der Ablauf der Frist für die Wiedervorlage sei von einer Mitarbeiterin im Sekretariat seines rechtsfreundlichen Vertreters in das Fristenbuch ordnungsgemäß mit 1. Oktober 1993 eingetragen worden. An diesem Tag sei auch die Beschwerde und der Aufschiebungsantrag nebst der Fotokopie des angefochtenen Bescheides mit der Bitte um unverzügliche Postaufgabe an Frau P, eine "außerordentliche genaue und gewissenhafte Mitarbeiterin" im Sekretariat seines rechtsfreundlichen Vertreters übergeben worden. Aus unerklärlichen Gründen sei allerdings die Beschwerde nicht abgefertigt, sondern im Handakt des Rechtsfreundes verblieben und mit diesem wieder abgelegt worden. Da gleichzeitig im Fristenbuch ein Erledigungsvermerk angebracht worden sei, habe bei Überprüfung der Absendung am Abend des 1. Oktober der Irrtum auch nicht aufgeklärt werden können. Erst am 6. Oktober 1993 habe der Rechtsfreund des Beschwerdeführers anläßlich einer Aktendurchsicht das Mißgeschick entdeckt. Bisher sei es mit der Mitarbeiterin noch zu keinerlei Mißverständnissen hinsichtlich Postaufgaben oder Überreichungen gekommen.

Die Kanzleiangestellte bestätigte die Richtigkeit dieser Angaben mit ihrer Unterschrift.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß bei der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, ändert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Vertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Vertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr bevollmächtigter Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nachgekommen ist. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung zu überzeugen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1993, Zl. 93/02/0004).

Nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt wurde im vorliegenden Fall die Frist zur Mängelbehebung richtig vorgemerkt und für die rechtzeitige Fertigstellung der verbesserten Beschwerdeschrift gesorgt. In der Kanzlei des Beschwerdevertreters wurde die verbesserte Beschwerde einer zuverlässigen Kanzleikraft zur Postaufgabe rechtzeitig überlassen. Daß der Rechtsfreund des Beschwerdeführers nicht auch noch die näheren Umstände der Postabfertigung überwachte, sodaß ihm das Zurückbleiben des Schriftsatzes im Handakt zunächst entging, begründete jedenfalls kein - dem Beschwerdeführer zurechenbares - Verschulden, das über einen minderen Grad des Versehens hinausginge.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war somit stattzugeben.

Auf Grund der Beschwerde und der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides kann von folgendem ausgegangen werden:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der ehemaligen UdSSR, ist am 25. September 1992 in das Bundesgebiet eingereist. Am 28. September 1992 hat er beantragt, ihm Asyl zu gewähren. Er wurde dazu am 29. September 1992 vom Bundesasylamt niederschriftlich befragt und gab im wesentlichen an, daß er Ukrainer sei und seit 10 Jahren in Estland lebe. Durch das neue Staatsbürgerschaftsgesetz und andere Gesetze seien dort "Volksgruppenangehörige" - wie der Beschwerdeführer - benachteiligt worden; alle nach 1940 eingereisten "Volksgruppenangehörigen" seien keine estnischen Staatsangehörigen. Diese Personen hätten kein Wahlrecht und seien z.B. auch bei der Wohnungsvergabe benachteiligt. Der Beschwerdeführer habe deshalb im September 1991 und im März 1992 an Streiks für die Gleichberechtigung der Volksgruppen teilgenommen. Weil er sich dadurch einer strafbaren Handlung schuldig gemacht habe, habe man ihm "im Sommer 1992 gekündigt". Dadurch habe der Beschwerdeführer seine Aufenthaltsberechtigung in Estland verloren; es sei ihm auch nicht mehr möglich gewesen, sich "amtlich an der Wohnadresse" seiner Gattin anzumelden. Eine Rückkehr in die Ukraine, wo die Eltern des Beschwerdeführers lebten, sei ihm nicht möglich gewesen, "weil diese erst kürzlich den Wohnort wechseln mußten". Auf Grund der derzeitigen politischen Verhältnisse könne er sich eine Rückkehr in die ehemalige UdSSR nicht vorstellen.

Mit Bescheid vom 30. September 1992 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, daß er infolge der politischen Veränderungen in der ehemaligen Sowjetunion "Probleme" mit seiner Staatsbürgerschaft habe; er sei kein Russe und auch kein "Estone". Eine Rückkehr in die Ukraine sei ihm gemeinsam mit seiner Gattin nicht möglich; deren Familienangehörige hätten 1938 und in der späteren kommunistischen Ära Repressalien zu erleiden gehabt. Durch den Verlust seiner Aufenthaltsberechtigung sei ihm das Recht auf ein Zusammenleben mit seiner Familie (Gattin) verweigert worden. Im Falle seiner Rückkehr müßte er damit rechnen, von der estnischen Polizei aufgegriffen und abgeschoben zu werden.

In einer Ergänzung der Berufungsbegründung brachte der Beschwerdeführer weiters vor, er habe keine Möglichkeit gehabt, in den von ihm durchreisten Drittstaaten einen Asylantrag zu stellen, weil die Reiseleitung "jedem Reiseteilnehmer gefolgt sei". Erst in Wien habe er Gelegenheit gehabt, sich von der Reisegesellschaft zu entfernen, "weil alle einkaufen gegangen seien". Wegen des illegalen Aufenthaltes in Estland würde er von der Polizei bestraft werden; eine polizeiliche Benachrichtigung habe er schon erhalten.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies - soweit für das Verfahren vor dem Gerichtshof noch von Belang - die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Selbst dann, wenn der Beschwerdeführer staatenlos sein sollte, folge daraus noch nicht, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1991 sei, da er durch den Aufenthaltsstaat - wie näher ausgeführt wurde - keine Verfolgung zu befürchten habe. Darüber hinaus habe das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers ergeben, daß er bereits in anderen Staaten, nämlich in der Schweiz und in Ungarn, vor Verfolgung sicher gewesen sei.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird erkennbar Rechtswidrigkeit des Bescheides wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Tatsache seines Aufenthaltes in der Schweiz und in Ungarn. Er legt auch nicht dar, warum die Annahme der belangten Behörde, er sei dort vor Verfolgung sicher gewesen, nicht zutreffen sollte. Er führt in seiner Beschwerde nur aus, daß er bemängle, er sei nicht befragt worden, warum er "nicht bereits vor dem gegenständlichen Wien-Aufenthalt einen Antrag auf Asylgewährung in einem der Länder, durch welche unsere Reise ging" gestellt habe. Für den Fall einer derartigen Frage, hätte er die Unmöglichkeit der Antragstellung dargestellt. - Damit zeigt der Beschwerdeführer jedoch keinen relevanten Verfahrensmangel auf, führt er doch nicht aus, was er konkret im Falle der von ihm bemängelten unterlassenen Fragestellung vorgebracht hätte.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0743) ist Verfolgungssicherheit anzunehmen, wenn der Asylwerber im Drittstaat keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt war und auch wirksamen Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, wie lange sich der Asylwerber in diesem Drittstaat aufgehalten hat, welche Absichten er dabei verfolgt hat und ob sein Aufenthalt den dortigen Behörden bekannt und von diesen geduldet war, war doch die danach anzunehmende Verfolgungssicherheit zumindest bereits ab dem Zeitpunkt gegeben, in dem er in einen der genannten Drittstaaten eingereist war. Die durch die Angaben des Beschwerdeführers nicht widerlegte Schlußfolgerung der belangten Behörde, daß Verfolgungssicherheit für den Beschwerdeführer in der Schweiz und in Ungarn bestanden habe, kann demnach nicht als unschlüssig angesehen werden, zumal die Genfer Flüchtlingskonvention für Ungarn am 12. Juni 1989 in Kraft getreten ist (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0743) und für die Schweiz die Genfer Flüchtlingskonvention nach deren Art. 43 Abs. 1 (vgl. BGBl. 55/1955) und das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nach dessen Art. VIII Z. 1 (vgl. BGBl. 78/1974) gelten. Daß es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sein sollte, zumindest in einem dieser Staaten trotz des Umstandes, daß die Reiseleitung "jedem Reiseteilnehmer gefolgt sei", um Asyl anzusuchen, kann nicht angenommen werden.

Die belangte Behörde hat daher schon im Hinblick auf das Vorliegen des Kriteriums gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 die Berufung des Beschwerdeführers im Asylverfahren zu Recht abgewiesen.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigte sich auch eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190156.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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