TE Vwgh Erkenntnis 1994/5/19 94/19/0290

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Veröffentlicht am 19.05.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §14 Abs2;
AsylG 1991 §20 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in E, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Februar 1993, Zl. 4.342.139/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Februar 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines tunesischen Staatsangehörigen, der am 30. November 1992 in das Bundesgebiet eingereist war, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Dezember 1992, mit welchem sein Asylantrag abgewiesen worden war, abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden und über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG erwogen hat:

Anläßlich seiner vor dem Bundesasylamt am 9. Dezember 1992 erfolgten Einvernahme hat der Beschwerdeführer angegeben, er habe sich bereits im April 1990 entschlossen, Tunesien zu verlassen. Er sei am 26. April 1990 illegal nach Algerien gereist, wo er sich bis Oktober 1990 aufgehalten habe. Über Libyen, Ägypten und Jordanien sei er legal nach Syrien gelangt, wo er im Dezember 1990 eingetroffen sei. Er habe sich bis März 1992 in Damaskus aufgehalten, sei dann nach Libyen zurückgekehrt. Seine weitere Reise habe ihn nach Malta geführt, wo er sich vier Monate aufgehalten und um Asyl angesucht habe. Sein Asylantrag sei jedoch abgewiesen worden. Da seine Aufenthaltsberechtigung für Malta nicht verlängert worden sei und sein Reisepaß am 22. Juli 1992 abgelaufen wäre, sei er nach Libyen zurückgekehrt, habe dort mit seinen Eltern fernmündlichen Kontakt aufgenommen und ersucht, einen neuen Reisepaß zu besorgen. Dies sei auch geschehen; sein Bruder Salim habe diesen Paß nach Libyen gebracht. Er habe dem Beschwerdeführer erklärt, dieser Paß sei gefälscht und habe

1.500 US-$ gekostet. Mit der sich daraus ergebenden neuen Identität sei er wiederum nach Malta gefahren, wo er sich zwei Monate aufgehalten habe. Auch dann sei wiederum die Aufenthaltsberechtigung nicht verlängert worden, sodaß er am 30. November 1992 mit dem Flugzeug nach Wien gekommen sei. Zu seinen Fluchtgründen aus seinem Heimatland befragt, gab der Beschwerdeführer an, er habe politische Probleme in seiner Heimat gehabt. Er sei Schriftführer der Schülerschaft in einer Schule in Kasserine gewesen. Es habe dort im März 1990 Probleme mit der Regierung gegeben. Am 20. April 1990 habe ein Lehrer dieser Schule einen Mitschüler für 15 Tage von der Schule verwiesen, worauf es zu Unruhen und einer illegalen Demonstration gekommen sei, an der viele Schüler dieser Schule teilgenommen hätten. Da Demonstrationen in Tunesien grundsätzlich untersagt seien, sei die Polizei eingeschritten und es sei in weiterer Folge auf beiden Seiten zu Gewalttaten gekommen. Diese Demonstrationen hätten vier Tage angedauert. Vorerst sei niemand verhaftet worden, sondern erst einige Tage später. Vier namentliche genannte Mitschüler seien Anfang Mai von der Polizei verhaftet worden. Er habe von diesen Verhaftungen erfahren, da er noch im Untergrund versteckt in Tunesien gewesen sei. Er nehme an, daß er deshalb nicht verhaftet worden sei, weil sein Bruder Regierungsbeamter sei und offensichtlich seinen Einfluß geltend gemacht habe. Der Beschwerdeführer selbst sei kein Mitglied einer islamischen Partei, sympathisiere jedoch mit einer illegalen islamischen Partei. Bis zur genannten Demonstration im April 1990 sei er auch in seinem Heimatland keinen konkreten Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Auch danach sei er weder von der Polizei noch von Justizbehörden verhaftet worden, habe jedoch Angst gehabt, daß eine Verhaftung unmittelbar bevorstehe. Auf Vorhalt seiner zuvor gemachten Angaben, er habe Tunesien am 26. April 1990 verlassen, zum anderen er habe sich noch bei Verhaftung der vier Mitschüler zwischen 1. und 14. Mai 1990 noch in Tunesien aufgehalten, gab der Beschwerdeführer an, er habe Tunesien nicht im April, sondern erst Anfang Mai verlassen. Er habe sich im Untergrund versteckt gehalten. Er habe in den arabischen Durchreisestaaten nicht um Asyl angesucht, weil es zwischen diesen Staaten Auslieferungsabsprachen gebe. Des weiteren erklärte der Beschwerdeführer, er habe sich in Malta an die UNO gewandt und dort habe man ihm mitgeteilt, daß er in Malta kein Asyl erhalten werde, weshalb er es unterlassen habe, in diesem Land um Asyl anzusuchen. Bei seiner Rückkehr in sein Heimatland würde er vermutlich verhaftet und mißhandelt werden. Er habe von einem auf ihn lautenden Haftbefehl erfahren. Von der Möglichkeit, in westlichen Botschaften in den Staaten des Aufenthaltes um Asyl anzusuchen, habe er nicht gewußt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Dezember 1992 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl abgewiesen und einer allfälligen Berufung dagegen die aufschiebende Wirkung aberkannt. Das Bundesasylamt begründete seine abweisliche Entscheidung zunächst damit, der Beschwerdeführer habe mangels glaubwürdiger Darstellung seiner Fluchtgründe eine gegen ihn gerichetete Verfolgung nicht glaubhaft machen können, zum anderen vertrat es die Ansicht, der Beschwerdeführer habe sich vor seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Libyen, Ägypten, Jordanien, Syrien und Malta im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 bereits in Sicherheit befunden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung nach Wiedergabe der vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren sowie in seiner Berufung gemachten Angaben und Zitierung der in Anwendung gebrachten Rechtslage im wesentlichen damit, es scheine nicht glaubhaft, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Flucht Verfolgung zu fürchten gehabt habe, da es bereits zweifelhaft sei, daß er tatsächlich für die Partei "Al Nahda" tätig gewesen sei. Mit der bloßen Behauptung, Sympathisant dieser Partei gewesen zu sein und sie als Sprecher einer Schülerschaft vertreten zu haben, sei über eine tatsächliche Mitgliedschaft nichts ausgesagt. Sonstige Vorverfolgungen, d.h. Beeinträchtigungen durch tunesische Behörden vor dem Jahre 1990 wegen politischer Tätigkeiten seien vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Darüberhinaus habe er sich seinen eigenen Angaben zufolge einige Zeit in Libyen und Syrien aufgehalten; hätte er tatsächlich Furcht vor einer drohenden Auslieferung aus diesen Ländern gehabt, so hätte er schon damals versucht, auszureisen und in einem anderen Land Aufenthalt zu nehmen. Aus dem Umstand, daß sich der Beschwerdeführer in Libyen aufgehalten und sich dort sogar einen Reisepaß habe besorgen lassen, lasse vielmehr auf das Fehlen einer tatsächlich drohenden Gefahr einer Abschiebung schließen. Dem in der Berufung beigelegten Gerichtsurteil des Berufungsgerichtes Kaaf vom 20. Mai 1992 sei zu entnehmen, daß er wegen Delikten, die auch in "anderen westlichen Ländern" strafbar seien, verurteilt worden sei. Verurteilungen eines Asylwerbers in seiner Heimat wegen allgemeiner krimineller Handlungen seien jedoch kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling. Im vorliegenden Fall enthalte auch das Vorbringen keine Anhaltspunkte, daß die drohende strafrechtliche Sanktion den Charakter einer Verfolgung wegen politischer Gesinnung aufweise. Im übrigen lägen diese Umstände schon längere Zeit zurück und seien daher nicht mehr beachtlich. Die belangte Behörde sah vielmehr den Grund für die Asylantragstellung in Österreich in der Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung durch die maltesischen Behörden.

Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren das auch von der belangten Behörde zitierte Gerichtsurteil des Berufungsgerichtes in Kaaf vom 20. Mai 1992 mit der Erklärung vorgelegt, die darin genannten, zur Verurteilung herangezogenen Straftaten seien als Vorwand mißbraucht worden, den Beschwerdeführer wegen seiner politischen Aktivitäten zu inhaftieren, diese Verurteilung stelle sich daher in Wahrheit als politische Verfolgung dar. Die belangte Behörde - die offenbar selbst nicht in Zweifel zog, daß dem Beschwerdeführer diese Urkunde im Verfahren vor dem Bundesasylamt noch nicht zugänglich gewesen sei (Gegenteiliges läßt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen) - hätte sich daher im Sinne des § 20 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1991 nicht nur mit dem Inhalt dieser Urkunde, sondern auch mit dem hiezu erstatteten ergänzenden Vorbringen auseinanderzusetzen gehabt, die im Urteil genannten, zur Verurteilung führenden Vorwürfe seien unzutreffend gewesen, diese Vorgangsweise werde in diesem wie in vielen anderen Fällen von der tunesischen Gerichtsbarkeit angewandt, um Oppositionelle - insbesondere Sympathisanten und Mitglieder der "Al Nahda"-Partei - mit Hilfe unfairer, jeglicher menschenrechtlicher Grundsätze entbehrender Verfahren zu bekämpfen. Da nicht auszuschließen ist, daß dieses Vorbringen geeignet sein könnte, Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 glaubhaft zu machen, der aufgezeigte Verfahrensmangel daher wesentlich ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190290.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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