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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspäsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des K in E, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Bundesminsters für Inneres vom 18. Juni 1993, Zl. 4.304.053/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer - ein iranischer Staatsangehöriger - reiste am 9. Oktober 1990, aus Ungarn kommend, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10. Oktober 1990 einen Asylantrag. Bei seiner am 18. Oktober 1990 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich durchgeführten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer im wesentlichen folgendes an:
Er gehöre in seiner Heimat keiner politischen Partei oder Organisation an. Er sei ohne Glaubensbekenntnis und gehöre zu keiner ethnischen Minderheit. Da er ein Gegner des jetzigen Regimes sei, habe er jede Möglichkeit genützt, um gegen dieses aufzutreten. In seiner Verwandtschaft seien zahlreiche Anhänger der Mudjahedin gewesen. Bei Besuchen sei er des öfteren mit diesen Bekannten zusammengekommen, habe aber mit den Mudjahedin selbst nichts zu tun gehabt. Aufgrund seines Kontaktes mit seinen Verwandten sei er jedoch von den Revolutionswächtern auch verdächtigt worden, ein Anhänger der Mudjahedin zu sein. Ein Cousin des Beschwerdeführers sei hingerichtet, ein anderer sei verschleppt worden. Ein weiterer Cousin mit dem Namen K sei in die BRD geflüchtet; dort sei er jedoch von Handlangern des Regimes aufgefunden und in einem Fluß, vermutlich in der Nähe der Stadt Aachen, ertränkt worden. Im Juli 1989 sei der Beschwerdeführer von Revolutionswächtern ohne Grund in der Stadt Masahhad festgenommen und 5 Tage lang eingesperrt worden. Während dieser Zeit sei er öfters geschlagen worden. Im August 1989 sei der Beschwerdeführer neuerlich festgenommen und für eine Nacht eingesperrt worden. Auch damals sei er zusammengeschlagen worden, weil er etwas Alkohol getrunken und aus dem Mund nach Alkohol gerochen habe. Die Namen der Personen, die ihn geschlagen hätten, könne er nicht angeben. In der letzten Zeit habe der Beschwerdeführer immer öfter Drohanrufe erhalten und er sei mit dem Umbringen bedroht worden, weil er verdächtig gewesen sei, Nachrichten an die Mudjahedin weiterzugeben. Im Juni 1990 sei der Beschwerdeführer auf der Straße von einem Revolutionswächter wieder mit dem Tod bedroht worden. Im Juli 1990 sei ein Versuch unternommen worden, den Beschwerdeführer in Masahhad mit einem PKW zu überfahren; er habe sich jedoch in letzter Sekunde retten können. Zusammen mit dem Umstand, daß ihm im Jahr 1989 die Ausstellung eines Reisepasses ohne Angabe von Gründen verweigert worden sei, sei dem Beschwerdeführer bewußt geworden, daß man ihn aus dem Weg zu schaffen versuche. Er habe sich deshalb zur Flucht aus seiner Heimat entschlossen.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien sprach mit Bescheid vom 12. März 1992 gemäß § 1 AsylG (1968 idF BGBl. Nr. 796/1974) aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. Nr. 55/1955) sei.
Gegen diesen Bescheid berief der Beschwerdeführer, wobei er im wesentlichen auf sein erstinstanzliches Vorbringen verwies und hinzufügte, er habe deshalb umgebracht werden sollen, weil er sich geweigert habe, mit den Pasdaran zusammenzuarbeiten. Wegen ihrer politischen Überzeugung als Mitglieder der Mudjahedin hätten zehn seiner Verwandten aus dem Iran flüchten müssen, die restliche Familie habe nach seiner Flucht Schwierigkeiten bekommen.
Mit Bescheid vom 18. Juni 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der Beschwerdeführer erachtet sich - nach dem Beschwerdeinhalt erkennbar - in seinem Recht auf Asylgewährung verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt zunächst die "knappe" - nach Ansicht der Beschwerde nicht ausreichende - Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ohne jedoch damit aufzuzeigen, welcher konkrete Fehler deshalb dem angefochtenen Bescheid anhaften soll. Der Vorwurf der Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe - ebenso wie die Behörde erster Instanz - ihre Begründungspflicht verletzt und keine Feststellungen getroffen, entbehrt der Grundlage. Der Beschwerdeführer erkennt selbst, daß nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides seine niederschriftlichen Angaben von der belangten Behörde als festgestellt angesehen wurden.
Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt die Beschwerde im wesentlichen darin, daß das vom Beschwerdeführer dargelegte Vorgehen der Revolutionswächter und das dargestellte Schicksal seiner Verwandten von der belangten Behörde zu Unrecht nicht als asylrechtlich relevante Verfolgung gewertet worden seien. Diesen Ausführungen ist zu entgegnen, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur den Asylwerber selbst betreffende Nachteile, nicht aber Maßnahmen, die gegen seine Angehörigen gesetzt wurden, als Grund für die Asylgewährung in Frage kommen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0821, vom 29. Oktober 1993, Zl. 93/01/0704 und vom 26. November 1993, Zl. 93/01/0108). Die erstmals in der Beschwerde ins Treffen geführte Gefahr einer sog. Sippenhaftung, die der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren aber weder behauptet noch glaubhaft gemacht hat, unterliegt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG geltenden Neuerungsverbot, weshalb auf diese Ausführungen der Beschwerde nicht weiter einzugehen war.
Hingegen ist dem Beschwerdeführer darin beizupflichten, daß die in seiner Erstbefragung hinsichtlich seiner Person dargelegten Maßnahmen von der belangten Behörde weder schlüssig gewürdigt noch ausreichend rechtlich gewertet wurden. Die belangte Behörde geht zwar von den Angaben des Beschwerdeführers aus - demnach wurde der Beschwerdeführer aufgrund seiner Familienverhältnisse der Mitgliedschaft bei den oppositionellen Volksmodjahedin verdächtigt, im Juli 1989 von Revolutionswächtern grundlos festgenommen, 5 Tage inhaftiert und mißhandelt; im August 1989 wurde er neuerlich eine Nacht inhaftiert, mißhandelt und danach wegen des Verdachtes der Nachrichtenweiterleitung an die Volksmodjahedin in Drohanrufen mit dem Tode bedroht; im Juni 1990 wurde er auf der Straße von einem Revolutionswächter mit dem Tod bedroht; im Juli 1990 wurde versucht, den Beschwerdeführer mit dem Auto zu überfahren -, sie vermutet, daß die maßgeblichen staatlichen Stellen (im Iran) davon überzeugt gewesen seien, daß keine ernstzunehmende Verbindung des Beschwerdeführers mit oppositionellen Gruppen bestehe. Für diese ausdrücklich als Vermutung bezeichnete Annahme der belangten Behörde fehlt jedoch jedwede aktenmäßige Grundlage. Angesichts der sich wiederholenden gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen ist die Argumentation der belangten Behörde, der Verdacht gegen den Beschwerdeführer sei aufgrund der befristeten Dauer seiner Festnahmen vollständig ausgeräumt gewesen, jedenfalls nicht nachvollziehbar.
Der belangten Behörde kann aber auch darin nicht gefolgt werden, wenn sie von Revolutionswächtern begangene Mißhandlungen am Beschwerdeführer als "bedauerliche Fehlleistung eines einzelnen, nicht jedoch als staatliche oder staatlich initiierte Verfolgung" abtun will. Über die Rolle der iranischen Revolutionswächter und die genauen Hintergründe des gegen den Beschwerdeführer gerichtet gewesenen Autoattentates hat die belangte Behörde weder Ermittlungen vorgenommen noch ausreichende Feststellungen getroffen. Danach erweist sich aber die im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung, daß nur Maßnahmen des Staates bzw. diesem zurechenbarer Organe asylrechtlich relevant seien, als nicht ausreichend belegt und demnach als lückenhaft. Auch kann der Ansicht der belangten Behörde, die gegen den Beschwerdeführer gerichtet gewesenen Maßnahmen (Festnahmen, Mißhandlungen, Todesdrohungen, Attentat) hätten nicht das asylrechtlich relevante "Ausmaß an Intensität und Qualität überschritten", nicht gefolgt werden.
Da der Sachverhalt somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist und die belangte Behörde ihren Bescheid mehrfach mit Verfahrensfehlern belastete, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190366.X00Im RIS seit
20.11.2000