TE Vfgh Erkenntnis 1991/12/14 B73/91

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Veröffentlicht am 14.12.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung bei Anhängigkeit der Beschwerde zum Zeitpunkt des Beginns der Verhandlung (nichtöffentlichen Beratung) auch nach Verordnungsprüfungsantrag des Verwaltungsgerichtshofs

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Ärztekammer für Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht wird, richtet sich gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 18. Oktober 1990 (ausgefertigt unter dem Datum des 20. November 1990), Z WF Dr.M/Pe, dessen Aufhebung beantragt wird.

1.2. Mit diesem Bescheid wird einer Beschwerde gegen den Bescheid des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Kinderunterstützung für seinen Sohn insoweit abgewiesen wurde, als diese (auch) rückwirkend begehrt wurde, keine Folge gegeben.

2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Eine Behörde hat bei Erlassung eines Bescheides auch jene Bestimmungen anzuwenden, die für ihre Zuständigkeit und ihre richtige Zusammensetzung maßgeblich sind.

Wie sich aus den Verwaltungsakten und dem angefochtenen Bescheid ergibt, erfolgte dessen Beschlußfassung in der Sitzung des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien am 18. Oktober 1990 durch die Mitglieder des Beschwerdeausschusses Dr. E G als stellvertretenden Vorsitzenden, Dr. E B, Dr. D S und Dr. E S. Anwesend war ferner der - nicht dem Beschwerdeausschuß angehörende - stellvertretende Kammeramtsdirektor Dr. L M. Die mit 20. November 1990 datierte Ausfertigung des Bescheides vom 18. Oktober 1990 ist von Dr. E G als stellvertretenden Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses, ferner aber auch von Dr. M N als Präsidenten und Dr. W E als Finanzreferenten der Ärztekammer für Wien gefertigt.

3.2. Die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses gründet sich offenbar auf §43 Abs1 letzter Satz der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 15. Dezember 1970, wonach zur Beschlußfähigkeit die Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern erforderlich ist. Die belangte Behörde hat daher diese Bestimmung bei Erlassung des angefochtenen Bescheides offenkundig angewendet. Auch der Verfassungsgerichtshof hat den letzten Satz des §43 Abs1 leg.cit. bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde anzuwenden.

3.3. Diese Bestimmung, deren Aufhebung vom Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß einer bei ihm anhängigen Beschwerde beantragt worden war, hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Dezember 1991, V92/91, als gesetzwidrig aufgehoben.

Im Anlaßfall dieses Verordnungsprüfungsverfahrens ist die aufgehobenen Bestimmung nach Art139 Abs6 B-VG nicht mehr anzuwenden.

Wäre der vorliegende Beschwerdefall, der vor der Stellung des Antrages des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des §43 Abs1 letzter Satz der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängig war, zu einem früheren Zeitpunkt zur Behandlung gekommen, so hätte er Anlaß geboten, im Zusammenhang mit dem vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Antrag von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des letzten Satzes des §43 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien einzuleiten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10616/1985, 10736/1985 und 10954/1986) sind dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn) alle jene Fälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß diese Ausführungen auch dann gelten, wenn das Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung (Verordnungsstelle) aufgrund eines Antrages des Verwaltungsgerichtshofes eingeleitet wurde und die in Prüfung gezogene Verordnung (Verordnungsstelle) in einem beim Verfassungsgerichtshof im angeführten Zeitpunkt anhängigen Beschwerdeverfahren präjudiziell ist (vgl. VfSlg. 10139/1984).

Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren, das zur oben genannten Entscheidung führte, begann am 13. Dezember 1991. Die vorliegende Beschwerde wurde am 17. Jänner 1991 eingebracht, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Da die belangte Behörde die als gesetzwidrig aufgehobene Verordnungsstelle angewendet hat und es nach Lage des Falles auch nicht von vornherein ausgeschlossen ist, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war, ist daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt wurde sowie daß der Bescheid aufgehoben wird.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B73.1991

Dokumentnummer

JFT_10088786_91B00073_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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