TE Vfgh Erkenntnis 1992/2/24 B198/91

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Veröffentlicht am 24.02.1992
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art7
RAO §10 Abs2
DSt 1872 §25 Abs2
DSt 1990 §28 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch Disziplinarerkenntnis der OBDK; ausreichend konkretisierter disziplinärer Vorwurf; keine Geltung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung für den Disziplinarrat oder die OBDK; keine Präjudizierung des Disziplinarrates durch den Einleitungsbeschluß

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 3. Juni 1986 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen

"1. der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er

in der Exekutionssache der betreibenden Partei Dr. (W N) gegen (I W) anläßlich des Vollzuges einer Fahrnisexekution am 30.4.1982 den Rechtsbehelf des betreibenden Gläubigers, nämlich die Durchführung der Intervention bei der Fahrnisexekution dadurch mißbrauchte, daß er entgegen dem Verbot des Vollstreckungsbeamten zusammen mit seinem Bruder Dr. (W N) und seiner Schwester (K S) in die Wohnung der Verpflichteten eindrang und versuchte, anläßlich dieses Exekutionsvollzuges den minderjährigen (V N) der Kindesmutter (I W) eigenmächtig abzunehmen.

2. der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er

a) anläßlich eines Telefongespräches am 31.7.1981 mit Dr. (G W) diesem gegenüber beleidigende und herabsetzende Äußerungen gemacht hat, insbesondere sich inhaltlich dahingehend äußerte, daß 'Dr. (W) schwachsinnig, ein Neurotiker, ein Wahnsinniger sei, einen Stuß verzapfe, an Verfolgungswahn leide, ihn geschmacklos und blöd belüge, kein Mannsbild mehr sei, er spinne, er habe nur das Geld seines Bruders im Schädel, er sei verrückt, er sei ein Schwachkopf, er sei ein Zittergreis, er habe nichts anderes im Schädel als seinen eigenen Kadaver, er zittere nur um sein schwachsinniges Leben, er sei ein Wahnsinniger, er sei ein Idiot, er sei ein Egoist, er solle sich ein paar Zeugen mitnehmen, die seine Sicherheit garantieren können, nämlich insoferne, daß sie ihn gegen seinen eigenen Verfolgungswahn abschirmen können, er scheiße sich ja ohne Verfolgung an bis ans Kreuz, er werde sich anscheißen, er sei ein Scheißkerl, er sei ein Idiot, er sei ein irrsinniger Typ, ein Zuhältertyp, er habe Gehirnauflösung, seine Vorstellungen würden einem krankhaften Hirn entspringen, er habe den Verstand verloren, er sei ein Trottel, der Beschuldigte sei wegen seiner Blödheit in Sorge, Dr. (W) zittere um seinen eigenen Kadaver';

b) am 24.10.1981 gegenüber Frau RA Dr. (H S) sich wie folgt geäußert hat: 'Sie Lügnerin, sie sind disziplinär, sie können nicht einmal gescheit reden, sie sind als Jurist ein Versager bzw. eine Null, sie haben ja nicht einmal bei mir gelernt, sie Puffmutter'."

Der Beschwerdeführer wurde hiefür zu einer Geldbuße von S 50.000,-- verurteilt.

1.2. Mit dem dem Beschwerdeführer am 15. Jänner 1991 zugestellten Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 25. Juni 1990, Z Bkd 53/87-47, wurde der Berufung des Beschwerdeführers (nur) teilweise Folge gegeben: Der angefochtene Bescheid des Disziplinarrates wurde in seinen Punkten 1 und 2 a) bestätigt, hingegen in seinem Punkt 2 b) und im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung des Schuldspruches und des sich darauf beziehenden Strafausspruches wurde die Disziplinarsache an den Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer zurückverwiesen; im Umfang der Aufhebung des Strafausspruches wegen der verbleibenden Schuldsprüche zu den Punkten 1 und 2 a) verhängte die OBDK eine Geldbuße in Höhe von S 20.000,--.

Der Kammeranwalt wurde mit seiner Strafberufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Das Erkenntnis ist im wesentlichen wie folgt begründet:

"Der Disziplinarrat traf nach Durchführung eines umfangreichen

Beweisverfahrens folgende Feststellungen:

...

    Am 30. April 1982 wurde durch den Vollstrecker ... des

Exekutionsgerichtes ... die zu ... unter Intervention bewilligte

Fahrnisexekution zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Forderung

der betreibenden Partei Dr. (W N), vertreten durch Rechtsanwalt Dr.

(W S), von 1.065,14 S gegen die verpflichtete Partei (I W) in deren

Wohnung ... durchgeführt. Neben der Schwester der betreibenden

Partei ... war auch der Beschuldigte erschienen, ohne jedoch durch

eine Substitutionsvollmacht der Dr. (W S) zur Intervention am

Vollzug bevollmächtigt zu sein. Der Beschuldigte wies auch keine

Vollmacht der ebenfalls erschienenen betreibenden Partei vor. Der

Vollstrecker ... entschied daher dahin, daß nur Dr. (W N) zum

Vollzug zugelassen werde.

    Der Beschuldigte wurde hingegen von der Teilnahme am Vollzug

ausgeschlossen, ... Obwohl der Beschuldigte zum Vollzug nicht

zugelassen worden war, drang er in die Wohnung der (I W) nach deren Öffnung ein und versuchte zumindest dadurch die Wegnahme des minderjährigen (V) durch (K S) zu ermöglichen, daß er das Versperren einer Tür durch (I W) verhinderte und diese von einer Verfolgung seiner Schwester durch sein Dazwischentreten abhielt. Auf Grund dieser Vorfälle wies der Vollstrecker den Beschuldigten an, die Wohnung zu verlassen, welcher Aufforderung dieser nachkam. Auf Grund der lautstarken Auseinandersetzungen in der Wohnung der (I W) versammelten sich im Vorhaus vor deren Wohnung eine Reihe von Hausbewohnern, die die Vorgänge verfolgten. Der Vollstrecker veranlaßte hierauf die Verständigung der Funkstreife, die den Vorgang aufnahm. Nach dem Verlassen der Wohnung wies der Beschuldigte im Vorhaus des Hauses einen Beschluß des Bezirksgerichtes (W) sowie seine Legitimation als Rechtsanwalt vor und wies mehrmals darauf hin, daß er Anwalt sei.

Am 31. Juli 1981 rief Dr. (G W) den Beschuldigten an, um ihn zu ersuchen, die angebliche Verfolgung seiner Familie zu unterlassen. Im Verlaufe dieses Telefongespräches verwendete der Beschuldigte die im Pkt 2 a) des Spruches des (bekämpften) Erkenntnisses im einzelnen angeführten Ausdrücke und erhob die dort angeführten Vorwürfe.

...

In rechtlicher Hinsicht ging der Disziplinarrat davon aus, daß der Beschuldigte beim Vollzug der Fahrnisexekution gegen (I W) trotz eines ausdrücklichen Verbotes des Vollstreckers in deren Wohnung eingedrungen sei und sich dadurch in die Amtshandlung des Vollzugsorganes eingemischt habe. Außerdem habe er den Vollzug der Exekution ... dazu mißbraucht, um unrechtmäßigerweise die Herausgabe des Minderjährigen (V) von (I W) zu erzwingen ... Da

dieses Verhalten des Beschuldigten einem größeren Personenkreis bekanntgeworden sei, erfülle es auch den Tatbestand des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes. Da der Beschuldigte sich außerdem bei der Intervention als Rechtsanwalt ausgewiesen und seine Tätigkeit als die eines Rechtsanwaltes hingestellt habe, stelle sein Verhalten auch eine Berufspflichtenverletzung dar. Die zum Teil schwersten beleidigenden Äußerungen des Beschuldigten bei dem am 31. Juli 1981 mit (G W) geführten Telefongespräch könnten nicht durch seine starke emotionale Verwicklung in die Angelegenheit seiner Familien entschuldigt werden. ... Da jedoch der Beschuldigte ... nicht als Rechtsanwalt eingeschritten sei, habe er nur das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu verantworten.

...

Die Berufung des Beschuldigten ist teilweise berechtigt.

Zu unrecht behauptet der Beschuldigte ..., daß der erkennende Senat des Disziplinarrates ... entgegen der Regelung des §25 Abs1 DSt nur aus einem Vorsitzenden und drei weiteren Mitgliedern bestanden habe und demnach nicht gehörig besetzt gewesen sei. Aus dem Protokoll über die Disziplinarverhandlung vom 3. Juni 1986 ...

ergibt sich nämlich, daß dem erkennenden Senat der

Präsidentenstellvertreter Dr. H O und die Disziplinarräte Dr. H S

(BE) sowie Dr. E H, Dr. H P und Dr. K S als weitere

Senatsmitglieder angehört haben. Gleiches ergibt sich aus dem

Protokoll über die beratende Sitzung vom 3. Juni 1986 ... In dem

angefochtenen Erkenntnis ... ist allerdings die Aufnahme des

Disziplinarrates Dr. E H als weiteres Senatsmitglied versehentlich

unterblieben ... Die gerügte nicht gehörige Besetzung des

erkennenden Senates liegt somit nicht vor.

Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat auch keine Bedenken gegen die vom Disziplinarrat zu den Anschuldigungsfakten 1.) und

2.) a) getroffenen Feststellungen und übernimmt diese als unbedenklich. Daß die beleidigenden und herabsetzenden Äußerungen gegenüber (G W) gemacht wurden, wird vom Beschuldigten nicht bestritten. ...

... Der Beschuldigte gibt selbst zu, daß seine Schwägerin zur Herausgabe des Minderjährigen (V) nicht bereit gewesen sei. Er mußte sich daher darüber im Klaren sein, daß jede mit Gewaltanwendung erfolgte Abnahme des Kindes durch ihn oder seinem Bruder Dr. (W N) oder seine Schwester (K S) eine verbotene Eigenmacht darstellt und daher gegen die Regelung des §19 AußStrG verstößt. Außerdem hat der Beschuldigte der Anordnung des Vollstreckers, der ihn von der Teilnahme am Vollzug der Fahrnisexektuion ausschloß, dadurch zuwider gehandelt, daß er in die Wohnung der (I W) eingedrungen ist und sich dort anschickte, seiner Schwester (K S) bei der Abnahme des Minderjährigen (V) behilflich zu sein. Er hat daher die von ihm erzwungene Teilnahme am Vollzug der Fahrnisexekution dazu mißbraucht, seiner Schwester bei der eigenmächtigen Abnahme des Minderjährigen (V) behilflich zu sein. Der Beschuldigte hat somit gegen die Standesregel des §10 Abs2 RAO verstoßen ... Da der Beschuldigte selbst zugibt, als Rechtsanwalt eingeschritten zu sein, hat er die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu verantworten. ...

Die beleidigenden und herabsetzenden Äußerungen des Beschuldigten gegenüber Dr. (G W) stellen eine Verwaltungsübertretung nach Art8 EGVG (Verletzung des öffentlichen Anstandes) bzw. nach §1 des oö. Landesgesetzes vom 22.10.1975, LGBl Nr. 76 über die Verfolgung von Ehrenkränkungen dar. Wenn auch der Beschuldigte von Dr. (G W) unter seiner Geheimnummer angerufen wurde, mußte er trotzdem damit rechnen, daß das Gespräch von jemandem mitgehört wird, wie das auch tatsächlich der Fall war ... Damit gelangte aber eine vom Beleidigten Dr. (G W) verschiedene Person vom Verhalten des Beschuldigten Kenntnis. Dieser hat daher auch in diesem Fall gegen §10 Abs2 RAO verstoßen und damit das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen. ...

...

Bei der Neubemessung der Strafe, für die dem Beschuldigten ... zur Last fallenden Disziplinarvergehen (Punkt 1.) und 2.)a) des angefochtenen Erkenntnisses war erschwerend das Zusammentreffen zweier Disziplinardelikte und die zweifache Eignung des Faktums 1.) als Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes. Als mildernd wurde hingegen das Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit und der Umstand, daß sich der Beschuldigte nur durch sein familiäres Engagement zu seinen Tathandlungen hat hinreißen lassen, angenommen. ..."

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie mangels Konkretisierung des Strafvorwurfes in dem aus Art7 EMRK erfließenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht. Die belangte Behörde sei willkürlich vorgegangen, weil §10 Abs2 RAO "ebensowenig die erforderliche Konkretisierung des zweiten Generaltatbestandes (des) §2 des Disziplinarstatutes darstelle, wie die Vorbemerkungen zu den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes vom 8.10.1977 in der geltenden Fassung".

3.1.2. Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, daß das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfes, worin die Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken sei, einen Bescheid mit Willkür belastet (vgl. VfSlg. 11776/1988). Ein solcher Fall liegt jedoch offenkundig nicht vor. Der angefochtene Bescheid legt im einzelnen dar, welcher disziplinäre Vorwurf aufgrund des festgestellten - vom Beschwerdeführer auch nicht bestrittenen - Sachverhaltes diesem gemacht wird. Die belangte Behörde legt auch in vertretbarer Weise dar, gegen welche gesetzlichen Anordnungen der Beschwerdeführer verstoßen habe, und warum er die ihm nach §10 Abs2 RAO obliegende Standespflicht, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit seines Benehmens die Ehre und Würde des Standes zu wahren, verletzt habe. Insbesondere wird zum ersten Faktum konkretisiert, daß sein Verhalten gegen §19 Außerstreitgesetz, und beim zweiten, daß er gegen ArtVIII EGVG (richtig: §1 OÖ PolizeistrafG, LGBl. Nr. 36/1979) bzw. §1 des OÖ Landesgesetzes vom 22. Oktober 1975, LGBl. Nr. 76/1975, verstoßen habe.

Daß der belangten Behörde dabei ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre, ist nicht erkennbar. Die behauptete Verletzung des Gleichheitsgebotes bzw. des Art7 EMRK liegt somit nicht vor.

3.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Recht auf ein faires Verfahren. Es sei für ihn nicht überprüfbar, auf welche Weise die Kollegialbehörde erster Instanz zusammengestellt worden sei. Während in der Vorladung vom 13. März 1986 Dr. H O, Dr. H H, Dr. R J, Dr. K M und Dr. K S sowie als Ersatzmitglieder Dr. E H und Dr. H P genannt worden seien, fehle "im Senat am 14.4.1986 Herr Kollege Dr. K M und im Senat vom 3.6.1986 ... Herr Kollege Dr. H H"; die Senatszusammensetzung sei somit geändert worden, ohne daß die Verhandlung neu durchgeführt worden sei. Es sei für ihn insbesondere nicht überprüfbar, ob die Senatszusammensetzung von Fall zu Fall vom Präsidenten gemäß §25 Abs2 DSt oder von einem anderen Disziplinarratsmitglied vorgenommen wurde. Dazu komme, daß die ihn betreffenden Einleitungsbeschlüsse von 16 Disziplinarratsmitgliedern gefaßt worden seien, von denen je vier Mitglieder in den erkennenden Senaten vom 14. April und 3. Juni 1986 mitgewirkt hätten. Wenn aber die Einleitung des Disziplinarverfahrens praktisch vom Plenum beschlossen worden sei, dann sei von den erkennenden Senaten als einem kleinen Teil des Plenums eine unabhängige und unparteiische Beurteilung nicht mehr zu erwarten gewesen, denn wenn Richter auch für die Verfolgung der Strafsachen zuständig sind, liege es in der Natur der Sache, daß hier die richterliche Tätigkeit sich mehr der Belastung als der Verteidigung des Beschuldigten zuwenden müsse.

Für die Zusammensetzung der erkennenden Senate habe es weder eine Geschäftsordnung noch eine Geschäftsverteilung gegeben, ebensowenig sei eine Reihenfolge vorherbestimmt gewesen, in welcher weitere Disziplinarratsmitglieder bei Verhinderung eines Senatsmitgliedes in den erkennenden Senat einzutreten hatten.

Wenn der Verfassungsgerichtshof §5 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der OÖ Rechtsanwaltskammer mit Erkenntnis VfSlg. 9892/1983 aufgehoben habe, weil "Bedenken hinsichtlich der Quantität der Mitglieder bestanden, sofern eine gesetzliche Determination nicht gegeben war, muß dies nach den zitierten Verfassungsgerichtshofentscheidungen auch für die Qualität der Senatszusammensetzung gelten". Hätte die belangte Behörde die gesetzmäßige Zusammensetzung der Kollegialbehörde erster Instanz von Amts wegen geprüft, dann hätte sie sich zweifellos rechtzeitig mit dem Antrag des Beschwerdeführers vom 17. November 1986 befaßt, in welchem er namentlich Disziplinarratsmitglieder des erkennenden Senates abgelehnt habe. Statt dessen habe die belangte Behörde jedoch am 25. Juni 1990 das angefochtene Erkenntnis verkündet und erst im nachhinein, nämlich am 5. November 1990 seinen Ablehnungsantrag vom 17. November 1986 behandelt. Der Beschwerdeführer rege gleichzeitig die amtswegige Prüfung der §§25 Abs2 und 29 Abs3 DSt 1872 "in der angewendeten Fassung" an.

3.2.2. Der Verfassungsgerichtshof verweist zunächst auf seine Rechtsprechung, in der er klargestellt hat, daß es keine verfassungsrechtliche Anordnung gibt, die eine feste Geschäftsverteilung für die nach dem Disziplinarstatut für Rechtsanwälte zu bildenden einzelnen Senate des Disziplinarrates oder der OBDK gebieten würde (VfGH 28.6.1990, B545/89, sowie 27.9.1990, B1660/88). Der Verfassungsgerichtshof hat auch bereits eingehend dargelegt, daß durch den Beschluß zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens keine Präjudizierung des Disziplinarrates eintrete und es verfehlt sei, einen solchen Beschluß mit einer Anklageschrift in einem strafgerichtlichen Verfahren gleichzusetzen (VfGH 27.9.1990, B1660/88). Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung weiterhin fest und sieht sich nicht veranlaßt, aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich §25 Abs2 DSt 1872 (diese Bestimmung ist im Beschwerdefall gemäß ArtV Z2 DSt 1990 anzuwenden, weil das Rechtsmittel, über das die belangte Behörde entschieden hat, vor dem 31. Dezember 1990 beim Disziplinarrat eingebracht wurde) oder §28 Abs1 DSt 1990 - da der angefochtene Bescheid erst am 15. Jänner 1991 zugestellt wurde, ist diese Bestimmung nach ArtV Z5 DSt 1990 an Stelle des §29 Abs3 DSt 1872 maßgeblich - einzuleiten.

Die Beschwerdevorwürfe sind aber auch sonst nicht begründet. Wie die belangte Behörde in der Gegenschrift zu Recht ausführt, sei dem Beschwerdeführer in der Ladung zur mündlichen Verhandlung von der belangten Behörde bekanntgegeben worden, aus welchen Mitgliedern der Senat bestehen werde. Diese Mitglieder hätten sodann auch an der Fällung des Erkenntnisses mitgewirkt. Da seit der vorangegangenen Verhandlung am 14. April 1986 mehr als ein Monat verstrichen gewesen sei, sei - wie in der Gegenschrift richtig dargelegt wird - die Verhandlung am 3. Juni 1986 analog §276a StPO neu durchgeführt worden, wobei die Ergebnisse der vorangegangenen Verhandlung vom Vorsitzenden referiert worden seien, was auch dem Umstand Rechnung getragen habe, daß sich die Zusammensetzung des Senates geändert habe. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich aufgrund der Aktenlage nicht veranlaßt, diesen Ausführungen der belangten Behörde entgegenzutreten.

Was schließlich die geltend gemachte Befangenheit betrifft, übersieht der Beschwerdeführer, worauf die belangte Behörde in der Gegenschrift ebenfalls zu Recht hinweist, daß die Disziplinarbehörde erster Instanz das dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Disziplinarerkenntnis am 3. Juni 1986 beschloß, sodaß auf den Antrag des Beschwerdeführers vom 17. November 1986 erst aufgrund der Teilaufhebung, die mit dem eben zitierten Erkenntnis erfolgte, einzugehen war. Der Verfassungsgerichtshof vermag daher auch dem Vorwurf des Beschwerdeführers nicht beizupflichten, daß er durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter oder auf ein faires Verfahren verletzt worden sei.

3.3.1. Was die über ihn verhängte Geldbuße betrifft, macht der Beschwerdeführer schließlich geltend, daß die Judikatur der belangten Behörde zu §289 StPO nicht einheitlich sei und daß das DSt 1872 auf diese Gesetzesstelle gar nicht verweise.

3.3.2. Mit diesem Vorbringen wird offenkundig eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte gar nicht geltend gemacht. Ob die Behörde richtig vorgegangen ist, hat der Verfassungsgerichtshof jedoch nicht zu prüfen. Daran ändert auch nichts, daß im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides bereits das DSt 1990 anzuwenden war (s. hiezu insbesondere auch ArtV Z5 DSt 1990).

3.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Kollegialbehörde, fair trial, Geschäftsverteilung, Behördenzusammensetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B198.1991

Dokumentnummer

JFT_10079776_91B00198_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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