TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/30 92/15/0215

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Veröffentlicht am 30.06.1994
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Index

61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §8 Abs4;
FamLAG 1967 §8 Abs5;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des F in Z, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 9. Oktober 1992, Zl. GA 5-1876/92, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.100,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem beim Finanzamt am 21. April 1992 eingelangten Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung erhöhter Familienbeihilfe für sein am 8. Februar 1981 geborenes Kind M, Schüler, war ein von der Kinderabteilung des Krankenhauses X mitgefertigtes ärztliches Zeugnis des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Zwettl beigeschlossen, in dem es wörtlich wie folgt lautet:

"M, geb 1981, ist im Sinne des § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erheblich behindert, da er (sie) infolge des festgestellten Leidens bzw. Gebrechens voraussichtlich einer besonderen Pflege oder eines besonderen Unterhaltsaufwandes bedarf.

Festgestellte Leiden bzw. Gebrechen:

Syndaktylie III - V man. dxtr.

Beeinträchtigt nur im Werkunterricht und Turnen.

Das (die) festgestellte(n) Leiden bzw. Gebrechen besteht

(bestehen) seit Geburt."

Dem Antrag war ferner eine fachärztliche Bestätigung des Facharztes für plastische Chirurgie Doz. Dr. H vom 20. März 1992 mit folgendem Inhalt beigeschlossen:

"Bei dem Kind M besteht eine Symbrachydaktylie der rechten Hand, d.i. eine angeborene Fehlbildung an der rechten Hand mit Hypoplasie des Mittelfingerendglieds und weitgehend fehlender Sensibilität in diesem Bereich sowie beträchtlicher Hypoplasie des Ringfingers und Kleinfingers, die nur zweigliedrig angelegt sind und keine aktive Beweglichkeit (Beugung) aufweisen.

Durch diese Handmißbildung ist M in der Funktion seiner rechten Hand deutlich eingeschränkt. Auch als Beihand (das Kind ist Linkshänder) ist eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktion vorhanden. Diese eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit wird auch für die Zukunft bestehen bleiben und die Möglichkeit der Berufswahl sowie die Berufsausbildung negativ beeinflussen."

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen; dies nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgebenden Rechtsvorschriften sinngemäß mit folgender Begründung:

Es obliege der Abgabenbehörde, im Einzelfall unter Berücksichtigung der Art des festgestellten Leidens oder Gebrechens und aller anderen Umstände zu beurteilen, ob eine WESENTLICHE Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG vorliege. Dieser Grundsatz der freien Beweiswürdigung finde auch in der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seinen Niederschlag. Bei Prüfung der Frage, ob das schulpflichtige Kind Martin als erheblich behindert im Sinne des FLAG anzusehen sei, könne sich der Beschwerdeführer nicht auf die von ihm vorgelegte fachärztliche Bestätigung vom 20. März 1992 stützen; ärztliche Zeugnisse seien nämlich nur von den im § 8 Abs. 6 FLAG genannten Ärzten und Institutionen als zu würdigende Beweismittel bei der Prüfung des Anspruches auf die erhöhte Familienbeihilfe zulässig. Ein zulässiges Beweismittel liege im konkreten Fall in Form eines vom Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft X und von der Kinderabteilung des Krankenhauses X unterfertigten ärztlichen Zeugnisses vom 24. Februar 1992 vor. Inhaltlich könne in diesem Zeugnis kein Widerspruch erkannt werden, weil die festgestellte Beeinträchtigung mit dem Zusatz "Beeinträchtigt nur im Werkunterricht und Turnen" auf diese Gegenstände eingegrenzt werden sollte. Für das Ausmaß der Beeinträchtigung der Schulbildung sei wesentlich, ob und inwieweit durch die Behinderung die Teilnahme am Unterricht erschwert werde bzw. überhaupt unmöglich sei. Im Beschwerdefall sei das Kind durch sein Gebrechen während der Pflichtschulausbildung in den Gegenständen Werkunterricht, Turnen und, wie der Beschwerdeführer glaubhaft dargestellt habe, auch beim Maschinschreiben und bei der Bedienung eines Computers beeinträchtigt. Es komme aber nicht darauf an, ob das Kind in einzelnen Unterrichtsfächern oder gewissen Fertigkeiten infolge der zweifellos bestehenden Behinderung voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt sei, sondern allein darauf, daß die Schulbildung global durch das Gebrechen eine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung erfahre. Eine solche Gesamtbeeinträchtigung der Schulbildung sei aber nicht "auszunehmen". Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens könne sicherlich auch davon ausgegangen werden, daß die Behinderung des Kindes bei der Unterrichtsgestaltung in den betroffenen Gegenständen entsprechend berücksichtigt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 8 FLAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 573/1978 lauten auszugsweise wie folgt:

"(4) Für jedes Kind, das erheblich behindert ist, erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich um 650 S.

(5) Als erheblich behindert gelten Kinder,

a)

...

b)

deren Schulbildung im schulpflichtigen Alter infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist oder die überhaupt schulunfähig sind,

c)

...

d)

...

(6) Die erhebliche Behinderung ist durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen. Einem amtsärztlichen Zeugnis ist eine entsprechende Bestätigung einer inländischen Universitätsklinik oder einer inländischen Krankenanstalt sowie eine entsprechende Bestätigung des Schularztes gleichzusetzen."

Die Beschwerde rügt als Verletzung von Verfahrensvorschriften, daß die belangte Behörde die fachärztliche Bestätigung des Universitätsdozenten Dr. H vom 20. März 1992 im Rahmen ihrer Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen und auch das vom Beschwerdeführer im Abgabenverfahren beantragte Gutachten einer Universitätsklinik nicht eingeholt habe. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liege darin, daß die belangte Behörde auch auf dem Boden des von ihr festgestellten Sachverhaltes den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nicht hätte abweisen dürfen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung für die Eignung eines Zeugnisses, das Vorliegen einer erheblichen Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 lit. c FLAG als erwiesen anzunehmen oder zu verneinen, nicht nur die Feststellung von Art und Ausmaß des Leidens, sondern auch der konkreten Auswirkungen dieses Leidens auf die Berufsausbildung, und zwar in schlüssig und damit nachvollziehbar begründeter Weise (vgl. hiezu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1994, Zl. 94/14/0013, mwN). Gleiches muß auch für Zeugnisse nach lit. b dieser Gesetzesstelle gelten.

Diesen Anforderungen entspricht das amtsärztliche, von der Kinderabteilung des Krankenhauses X mitgefertigte Zeugnis vom 21. April 1992 nicht ausreichend. Befund und Schlußfolgerung sind nicht nur äußerst knapp gehalten, das Gutachten zielt mit der Feststellung, daß das Kind "infolge des festgestellten Leidens bzw. Gebrechens voraussichtlich dauernd einer besonderen Pflege oder eines besonderen Unterhaltsaufwandes bedarf" auch offenkundig auf den hier nicht maßgebenden Tatbestand des § 8 Abs. 5 LIT. a FLAG, nicht aber auf die hier maßgebende LIT. b dieser Gesetzesstelle ab. Die allein auf dieses Gutachten abstellende Begründung des angefochtenen Bescheides erscheint daher nicht schlüssig. Auch das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde stellt sich insofern als mangelhaft dar, als letztere weder die Ergänzung des unzureichenden amtsärztlichen Gutachtens veranlaßt noch auch dem schon im Abgabenverfahren vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Einholung eines Universitätsgutachtens entsprochen hat. Diese Verfahrensmängel sind - worauf übrigens auch die erst im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegte, nur insofern nicht dem Neuerungsverbot unterliegende ergänzende Stellungnahme des Amtsarztes hindeutet - auch wesentlich, weil nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Auf Grund des Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992150215.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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