TE Vwgh Erkenntnis 1994/9/29 94/18/0232

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Veröffentlicht am 29.09.1994
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §10 Abs1;
FrG 1993 §11 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der V in Wien, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Februar 1994, Zl. IV-609.213/FrB/94, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. Februar 1994 erklärte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) den von ihr der Beschwerdeführerin, einer bosnischen Staatsangehörigen, am 17. Juli 1990 erteilten unbefristeten Sichvermerk gemäß § 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG für ungültig.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß die Beschwerdeführerin am 12. November 1993 wegen §§ 127, 128, 130, 278 StGB festgenommen und zur Anzeige gebracht worden sei. Am 10. Dezember 1993 sei sie vom Jugendgerichtshof Wien wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 130 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bedingt rechtskräftig verurteilt worden. Es sei somit spruchgemäß zu entscheiden und eine Ermessensentscheidung zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu treffen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11 Abs. 1 FrG ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2) rechtfertigen würden.

Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, daß sie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahles gemäß den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 130 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bedingt rechtskräftig verurteilt wurde. Das dieser Verurteilung zugrundeliegende Verhalten rechtfertigte die Annahme der belangten Behörde, der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet würde die öffentliche Ordnung gefährden.

Der Hinweis der Beschwerdeführerin, aus § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG ergebe sich, daß eine Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten nicht die Annahme rechtfertige, es sei die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet, geht in diesem Zusammenhang schon deswegen fehl, weil die dort (unter anderem) genannte Voraussetzung einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe "von mehr als sechs Monaten" ausschließlich für die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes von Bedeutung ist. Für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist hingegen nicht das Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung wesentlich, sondern, ob das gesamte Verhalten des Fremden die in der genannten Bestimmung umschriebene Annahme rechtfertigt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Juli 1994, Zl. 94/18/0157). Schon der Hinweis auf die der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Verstöße gegen fremdes Vermögen bildet eine ausreichende sachverhaltsmäßige Grundlage für die im § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG umschriebene Annahme. Weder die bisherige Unbescholtenheit und Minderjährigkeit noch die behauptete Teilnahme an den strafbaren Handlungen in untergeordneter Weise oder über Anstiftung Dritter sprechen gegen diese Beurteilung. Der im gegebenen Zusammenhang erhobenen Verfahrensrüge ist somit der Boden entzogen.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, daß die belangte Behörde bei der gebotenen Interessenabwägung die Dauer ihres Aufenthaltes in Österreich, das Ausmaß ihrer Integration und das ihrer Angehörigen bzw. die Intensität ihrer familiären und beruflichen Bindungen nicht berücksichtigt habe. Die Aussage des angefochtenen Bescheides allein, es sei eine Ermessensentscheidung zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu treffen gewesen, sei nicht ausreichend.

Für die von der belangten Behörde "getroffene Ermessensentscheidung zum Nachteil der Beschwerdeführerin" ist im Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 FrG kein Raum (arg.: "... ist zu versagen, wenn ..."). Hingegen hat die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 94/18/0234). Diesem Gebot hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht entsprochen: Obwohl ihr bekannt war, daß sich die (in Wien geborene) Beschwerdeführerin seit drei Jahren (wieder) in Österreich aufhält, mit ihrem Vater im gemeinsamen Haushalt lebt und als Lehrling beschäftigt ist (vgl. dazu die Niederschrift vom 1. Februar 1994), hat sie es unterlassen, diese Umstände bei ihrer Entscheidung mitzuberücksichtigen.

Da die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt hat, leidet der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994 (wobei Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 390,-- - Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 30,-- - zu berücksichtigen waren).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994180232.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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