TE Vwgh Erkenntnis 1994/9/30 93/08/0268

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Veröffentlicht am 30.09.1994
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. H, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Niederösterreich vom 19. August 1993, Zl. IVc 7022/7100/B, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem am 3. Jänner 1958 geborenen Beschwerdeführer, der seit 1985 mit kurzfristigen Unterbrechungen Leistungen der Arbeitslosenversicherung bezieht, wurde vom Arbeitsamt Wr. Neustadt (Erstbehörde) am 26. März 1993 eine Beschäftigung als Lagerarbeiter bei der Firma K mit Arbeitsantritt am 5. April 1993 zugewiesen. Das Beschäftigungsverhältnis kam nicht zustande. Als Grund dafür gab der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Vernehmung vom 5. April 1993 vor der Erstbehörde an, daß er bei seiner Vorstellung "etwas gezeichnet vom Alkohol" gewesen sei. Die Frage des "Chefs", ob er am Vortag etwas getrunken habe, habe er mit "ca. drei Bier und zwei Spritzer" bejaht.

Daraufhin sprach die Erstbehörde mit Bescheid vom 6. Mai 1993 aus, daß der Beschwerdeführer gemäß § 10 AlVG den Anspruch auf Arbeitslosengeld (gemeint: Notstandshilfe) für die Zeit vom 5. April 1993 bis 2. Mai 1993 verloren habe; eine Nachsicht werde nicht erteilt. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß der Beschwerdeführer die Arbeitsaufnahme bei der Firma K am 5. April 1993 verweigert bzw. vereitelt habe.

In der dagegen erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, er sei wirklich arbeitswillig gewesen und daher sehr enttäuscht, daß der Herr (der Firma K), mit dem er gesprochen habe, so über ihn geredet habe. Er habe wirklich nur am Vortag zwei Bier und einen Spritzer getrunken, dann aber die ganze Nacht geschlafen. Er habe jedoch gleich gemerkt, daß ihn der "Herr vom K" nicht wolle.

In dem über Auftrag der belangten Behörde von der Erstbehörde ergänzten Ermittlungsverfahren teilte die Firma K. KG mit Schreiben vom 3. Juni 1993 mit, daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Bewerbung um die zugewiesene Beschäftigung am 1. April 1993 auf den unterfertigten Angestellten des genannten Unternehmens "einen unter Alkoholeinfluß stehenden Eindruck" gemacht habe und auch direkt darauf angesprochen worden sei. Soweit erinnerlich habe der Beschwerdeführer sofort zugegeben, am Vorabend Alkohol zu sich genommen zu haben. Da die Aufnahme eines unter Alkoholeinfluß stehenden Bewerbers außerhalb der Überlegungen des genannten Unternehmens stehe, sei das Bewerbungsgespräch sofort beendet worden.

Der Beschwerdeführer bestritt in seiner am 30. Juni 1993 erfolgten niederschriftlichen Stellungnahme zu diesem Schreiben, daß er am Bewerbungstag unter Alkoholeinfluß gestanden sei. Er habe lediglich mitgeteilt, daß er am Vortag Alkohol zu sich genommen habe. Beim Vorstellungsgespräch sei ihm jedoch angeboten worden, ihm "einen Stempel zu geben". Er habe jedoch arbeiten wollen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Dies wurde nach Zitierung der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen und nach auszugsweiser Wiedergabe der Ermittlungsergebnisse damit begründet, daß die Angaben der K. KG glaubwürdig seien, zumal der Beschwerdeführer anläßlich seiner ersten Niederschrift selbst zugegeben habe, bei seiner Vorstellung "etwas vom Alkohol gezeichnet" gewesen zu sein. Seine anderslautenden Angaben seien als reine Schutzbehauptungen zu werten. In rechtlicher Hinsicht sei dieser Sachverhalt dahin zu beurteilen, daß der Beschwerdeführer durch sein Verhalten (Alkoholkonsum) das Nichtzustandekommen des ihm angebotenen, nach § 9 Abs. 2 AlVG zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 10 Abs. 1 leg. cit. herbeigeführt habe und daher nach dieser Gesetzesstelle ein Bezugsausschluß für vier Wochen gerechtfertigt sei. Eine Nachsicht der Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AlVG sei nach § 10 Abs. 2 leg. cit. jedenfalls dann zu gewähren, wenn der Arbeitslose in angemessener Zeit, d.h. in der Regel innerhalb der Ausschlußfrist, die Beschäftigung bei einem anderen Dienstgeber aufnehme. Eine solche Arbeitsaufnahme sei jedoch nicht erfolgt. Die belangte Behörde vertrete deshalb die Auffassung, daß im Beschwerdefall § 10 Abs. 2 AlVG keine Anwendung finde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Bezug von Arbeitslosengeld (gemeint: Notstandshilfe) und insbesondere auf Nachsichtgewährung nach § 10 Abs. 2 AlVG verletzt erachtet. In Ausführung dieser Beschwerdepunkte bringt er vor, er sei, wie er schon im Verwaltungsverfahren dargestellt habe, bereit gewesen, die zugewiesene Beschäftigung anzunehmen, und habe keineswegs am Tag des Vorstellungsgesprächs unter Alkoholeinfluß gestanden. Er habe vielmehr wahrheitsgemäß angegeben, am Vorabend Alkohol konsumiert zu haben, dies aber nicht in einem solchen Übermaß, daß die Alkoholisierung am folgenden Tag nachgewirkt habe. Da er sohin gewillt gewesen sei, die ihm zugewiesene Beschäftigung anzunehmen und das Dienstverhältnis nur deshalb nicht zustande gekommen sei, weil der (präsumtive) Dienstgeber der irrigen Annahme gewesen sei, der Beschwerdeführer stehe unter Alkoholeinfluß, sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wenn der Arbeitslose sich weigert, eine ihm vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, verliert er nach § 10 Abs. 1 erster Satz in Verbindung mit § 38 AlVG für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen den Anspruch auf Notstandshilfe.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Zumutbarkeit der ihm angebotenen Beschäftigung im Betrieb der K. KG, wohl aber, daß er die Annahme dieser Beschäftigung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG vereitelt habe.

Die Bestimmungen der §§ 9 bis 11 AlVG sind Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrundeliegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muß sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, im Sinne der Absätze 2 bis 5 des § 9 AlVG zumutbare Beschäftigung anzunehmen, das heißt bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein. Um sich in bezug auf eine vom Arbeitsamt vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, das objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen (sieht man vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen, ab) somit auf zwei Wegen verschuldet (das heißt dessen Zustandekommen vereitelt) werden: Nämlich dadurch, daß der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit), oder aber, daß er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. das Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/08/0132, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Unter der (zuletzt angesprochenen) "Vereitelung" im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das - bei gegebener Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt. Das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses muß nicht nur in der Sphäre des Vermittelten, sondern darüber hinaus in einem auf das Nichtzustandekommen gerichteten oder dies zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042, vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0101, und vom 11. Mai 1993, Zl. 92/08/0149, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es nicht unschlüssig, wenn die belangte Behörde - auch im Hinblick auf die Aussage des Beschwerdeführers in seiner niederschriftlichen Vernehmung vom 5. April 1993, er sei bei der Vorstellung (aufgrund des Alkoholkonsums vom Vorabend) "etwas vom Alkohol gezeichnet" gewesen - die Angaben der K. KG in ihrem Schreiben vom 3. Juni 1993 als glaubwürdig erachtete und demgemäß bei der rechtlichen Beurteilung davon ausging, daß der Beschwerdeführer auf den Angestellten der K. KG, der das Vorstellungsgespräch führte, "einen unter Alkoholeinfluß stehenden Eindruck" gemacht habe. Ob die in der Beschwerde selbst zugestandene Alkoholisierung des Beschwerdeführers vom Vorabend in der Weise nachwirkte, daß er auch beim Vorstellungsgespräch noch alkoholisiert war, oder sie sich nur mehr so auswirkte, daß er "etwas" (aber immerhin doch so) "vom Alkohol gezeichnet" war, daß sich der genannte Angestellte der K. KG nach dem Alkoholkonsum vom Vorabend erkundigte, ist aus rechtlichen Gründen belanglos. Denn wenn ein Arbeitsloser schon zum Vorstellungsgespräch aufgrund eines (zumindest subjektiv) übermäßigen Alkoholkonsums am Vorabend in einem von diesem Konsum gezeichneten Zustand erscheint, so ist dieses Verhalten, auch dann, wenn keine aktuelle Alkoholisierung mehr vorliegt, wegen der begründeten Befürchtung des potentiellen Dienstgebers, daß sich ein solcher Zustand erst recht im Dienstverhältnis wiederholen werde, nicht nur objektiv geeignet, das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern; der Arbeitslose nimmt mit einem solchen Verhalten auch in Kauf, daß dadurch das Beschäftigungsverhältnis nicht zustande kommt. Die Annahme einer Vereitelung der zugewiesenen Beschäftigung im Sinne des § 10 Abs.1 AlVG durch den Beschwerdeführer ist daher nicht rechtswidrig.

Gemäß § 10 Abs. 2 AlVG ist der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z. B. Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Nachsichtsgründe können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur solche sein, die dazu führen, daß der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes den Arbeitslosen unverhältnismäßig härter träfe als dies sonst ganz allgemein der Fall ist (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0147, und vom 16. November 1993, Zl. 93/08/0233, mit weiteren Judikaturhinweisen). Wiewohl sich der Beschwerdeführer in der Beschwerde auch im Recht auf Anwendung dieser Ausnahmebestimmung verletzt erachtet, hat er weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde tatsächliche Umstände angeführt, die eine Ausnahme nach den eben dargestellten Grundsätzen rechtfertigten. Die bloße Bereitschaft, die zugewiesene Beschäftigung anzunehmen, stellt unter Bedachtnahme auf die gegebene Vereitelung der Beschäftigung keinen berücksichtigungswürdigen Nachsichtsgrund dar.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993080268.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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