TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/11 WI-15/91

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Veröffentlicht am 11.06.1992
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0001 Landesverfassung

Norm

B-VG Art99
B-VG Art101
B-VG Art141 Abs1 litb
Oö L-VG 1991 Art43 Abs2 Z2

Leitsatz

Keine Stattgabe einer Anfechtung der Wahl in die Oberösterreichische Landesregierung am 30.10.91; keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch die Einräumung des Rechtes des Landtags in der Landesverfassung auf Einrechnung des Landeshauptmannes in die Liste seiner Partei mangels bundesverfassungsgesetzlicher Regelung der Berechnung der Zahl der Mitglieder der Landesregierung

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 6. Oktober 1991 fand die mit Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung vom 1. Juli 1991, LGBl. 81/1991, ausgeschriebene Wahl des Oberösterreichischen Landtags statt.

Von den 791.575 abgegebenen gültigen Stimmen - 16.315 wurden als ungültig gewertet - entfielen auf die wahlwerbenden Parteien

    Österreichische Volkspartei (ÖVP)        357.771 Stimmen

    Sozialdemokratische Partei

    Österreichs (SPÖ)                        248.640 Stimmen

    Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)   140.311 Stimmen

    Vereinte Grüne Österreichs -

    Liste Buchner (VGÖ)                       20.603 Stimmen

    Grüne Alternative (GAL)                   24.250 Stimmen

Die 56 zu vergebenden Mandate (Art16 Abs1 des Oberösterreichischen Landes-Verfassungsgesetzes 1971 idFd WV LGBl. 122/1991: L-VG 1991) wurden nach Durchführung des ersten und zweiten Ermittlungsverfahrens auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt verteilt:

ÖVP 26 Mandate

SPÖ 19 Mandate

FPÖ 11 Mandate

(Verlautbarung der Landeswahlbehörde vom 21. Oktober 1991).

1.1.2. In der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Landtags am 30. Oktober 1991 kam es zur Wahl der Landesregierung, und zwar des Landeshauptmanns, der zwei Landeshauptmann-Stellvertreter und der sechs Landesräte (Art43 Abs1 und 2 L-VG 1991).

Aus dem Stenographischen Protokoll dieser ersten Sitzung der 24. Gesetzgebungsperiode des Oberösterreichischen Landtags vom 30. Oktober 1991 und der darüber angefertigten Niederschrift ergibt sich der folgende, für dieses Wahlanfechtungsverfahren relevante Sachverhalt, von dem auch die Anfechtungswerber ausgehen:

Nach der Wahl und Angelobung des Dr. Josef Ratzenböck zum Landeshauptmann - auf ihn waren 44 von 55 abgegebenen Stimmen entfallen - wurden die beiden Landeshauptmann-Stellvertreter und die übrigen sechs Landesregierungsmitglieder (Landesräte) gewählt. Zuvor war ein Antrag der Abgeordneten der FPÖ, den Landeshauptmann auf die Liste seiner Partei (ÖVP) einzurechnen, mit Mehrheitsbeschluß des Landtags abgewiesen worden. ÖVP, SPÖ und FPÖ hatten für die Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter und der Landesräte - ein gemeinsamer Wahlvorschlag iSd Art43 Abs2 Z4 L-VG 1991 lag nicht vor - getrennte Wahlvorschläge eingebracht, und zwar für die Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter lautend auf Dr. Karl Albert Eckmayr (ÖVP) und Dr. Karl Grünner (SPÖ), für die der (sechs) Landesräte lautend auf Leopold Hofinger, Dr. Josef Pühringer und Dr. Christoph Leitl (ÖVP), Fritz Hochmair und Mag. Gerhard Klausberger (SPÖ) sowie Dr. Hans Achatz (FPÖ). Die Abstimmung über die Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter erbrachte 25 Stimmen für den Vorschlag der ÖVP und 19 für den der SPÖ, über die Wahl der Landesräte jeweils 25 Stimmen für den Vorschlag der ÖVP, 19 für den der SPÖ und 11 Stimmen für den Vorschlag der FPÖ. Damit waren kraft Art43 Abs2 Z7 L-VG 1991 Dr. Karl Albert Eckmayr und Dr. Karl Grünner zu Landeshauptmann-Stellvertretern sowie Leopold Hofinger, Dr. Josef Pühringer, Dr. Christoph Leitl, Fritz Hochmair, Mag. Gerhard Klausberger und Dr. Hans Achatz zu Landesräten gewählt.

1.2.1. Mit der vorliegenden, am 26. November 1991 eingebrachten und auf Art141 Abs1 litb B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehren elf Abgeordnete der FPÖ-Fraktion des neu gewählten Oberösterreichischen Landtags, der Verfassungsgerichtshof möge die Wahl in die Oberösterreichische Landesregierung vom 30. Oktober 1991 "in Ansehung der vier - übrigen - Mitglieder der Landesregierung, welche der ÖVP angehören, allenfalls in Ansehung aller übrigen acht Mitglieder der Landesregierung, als rechtswidrig aufheben", und zwar wegen Anwendung einer "bundesverfassungswidrigen landesgesetzlichen Bestimmung" (Art43 Abs2 Z2 L-VG 1991) im Zuge dieser Wahlakte.

1.2.2. Die Erste Präsidentin des Oberösterreichischen Landtags als höchste Wahlbehörde (vgl. VfSlg. 4169/1972, 6277/1970, 11669/1988, 12229/1989) legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Zurückweisung, in eventu für die Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Wahlanfechtung erwogen:

2.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen in die Landesregierung, somit auch über die Anfechtung der Wahl einzelner Landesregierungsmitglieder und Ersatzmitglieder (s. VfSlg. 6277/1970, 12229/1989).

2.1.1.1. Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung ua. auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

2.1.1.2. Sie bedarf gemäß §67 Abs2 Satz 1 VerfGG 1953 eines Antrags von einem Zehntel aller Mitglieder des Landtags (d.s. hier: sechs), mindestens aber von zwei Mitgliedern. Diese Legitimationsvoraussetzung ist hier erfüllt.

2.1.1.3. Kraft §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht werden. Weder das L-VG 1991 noch andere Rechtsvorschriften richten einen derartigen, zunächst zu durchlaufenden administrativen Instanzenzug ein.

Demnach steht die unmittelbare Anfechtung der Wahl der Landesregierung und folglich auch von einzelnen ihrer Mitglieder beim Verfassungsgerichtshof binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens offen. Die Anfechtung wurde innerhalb dieser Frist eingebracht.

2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2. Die Anfechtungswerber hängen - gerafft wiedergegeben - der Rechtsmeinung an, daß die Bestimmung des Art43 Abs2 Z2 L-VG 1991 das rechtsstaatliche Prinzip verletze und (bundes-)verfassungswidrig sei. Der Landes-Verfassungsgesetzgeber hätte das Verfahren zur Wahl der Landesregierung umfassend regeln müssen und es nicht dem Landtag undeterminiert freistellen dürfen, mit einfacher Stimmenmehrheit darüber Beschluß zu fassen, ob der Landeshauptmann als Mitglied der Landesregierung bei der Wahl der übrigen Regierungsmitglieder auf die Liste seiner Partei einzurechnen sei, und damit darüber zu entscheiden, nach welchem "Wahlsystem" die Landesregierung gewählt werde.

2.3.1. Der in das 3. Hauptstück des L-VG 1991 ("Vollziehung des Landes, A. Landesregierung") eingereihte Artikel 43 hat folgenden Wortlaut:

"(1) Der Landeshauptmann wird vom Landtag mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Bei Stimmengleichheit ist derjenige gewählt, der der an Mandaten stärkeren Partei angehört. Bei gleicher Mandatsstärke geben die Parteilandessummen den Ausschlag.

(2) Die übrigen Mitglieder der Landesregierung werden hierauf vom Landtag nach dem Verhältniswahlrecht wie folgt gewählt:

1.

Die Zahl der nach dem Verhältniswahlrecht den einzelnen Parteien zukommenden Mandate ist wie folgt zu berechnen:

Die Zahlen der Mandate der einzelnen Parteien im Landtag sind, nach ihrer Größe geordnet, nebeneinander zu schreiben; unter jede dieser Zahlen ist die Hälfte zu schreiben, darunter das Drittel, das Viertel usw. Alle so angeschriebenen Zahlen sind, nach ihrer Größe geordnet und beginnend mit der größten Zahl, mit Leitzahlen (1, 2, 3 usw.) bis zu jener Zahl zu numerieren, die der Anzahl der zu vergebenden Mandate entspricht. Die auf diese Weise mit der letzten Leitzahl bezeichnete Zahl ist die Wahlzahl. Jede Partei erhält so viele Mandate, wie die Wahlzahl in der Zahl ihrer Mandate im Landtag enthalten ist. Gibt die Berechnung unter Zugrundelegung der Mandate der einzelnen Parteien im Landtag nicht den Ausschlag, so sind der Berechnung die Parteilandessummen zugrundezulegen. Ergeben sich auch hienach auf ein Mandat gleiche Ansprüche, so entscheidet das Los, das von dem an Jahren jüngsten anwesenden Mitglied des Landtages zu ziehen ist.

2.

Der Landeshauptmann kann auf die Liste seiner Partei eingerechnet werden. Ist jedoch der Partei des Landeshauptmannes auf Grund des Stärkeverhältnisses im Landtag die absolute Mehrheit der Mandate in der Landesregierung auch unter Einrechnung des Landeshauptmannes auf die Liste seiner Partei gesichert, so ist der Landeshauptmann auf die Liste seiner Partei einzurechnen.

3.

Die Landeshauptmann-Stellvertreter sind auf die Liste ihrer Partei einzurechnen.

4.

Wird für die Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter ein gemeinsamer Wahlvorschlag aller im Landtag vertretenen Parteien eingebracht, so sind die Landeshauptmann-Stellvertreter in einem Wahlgang zu wählen. Wird ein gemeinsamer Wahlvorschlag nicht eingebracht, so sind die Landeshauptmann-Stellvertreter nach Wahlvorschlägen getrennt in gesonderten Wahlgängen zu wählen. Hiebei steht den einzelnen im Landtag vertretenen Parteien das Recht zur Einbringung von Wahlvorschlägen soweit zu, als ihnen nach Maßgabe des Verhältniswahlrechtes (Z. 1) Landeshauptmann-Stellvertreter zukommen.

5. Für die Wahl der Landesräte gilt Z. 4 sinngemäß.

6.

Zur Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter und der Landesräte, der ein gemeinsamer Wahlvorschlag aller im Landtag vertretenen Parteien zugrunde liegt, ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Landtages und die unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

7.

Wahlvorschläge für die Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter und der Landesräte in gesonderten Wahlgängen müssen jeweils von der Mehrheit der Abgeordneten jener Partei unterzeichnet sein, der das zu wählende Regierungsmitglied zukommt. Ein Mitglied des Landtages darf für jeden Wahlgang nur einen Wahlvorschlag unterzeichnen; unterzeichnet ein Mit glied des Landtages mehrere Wahlvorschläge für einen Wahlgang, so sind alle von ihm geleisteten Unterschriften ungültig. Bei der Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter und der Landesräte in gesonderten Wahlgängen können gültige Stimmen nur von den Abgeordneten abgegeben werden, die der Partei, der das zu wählende Regierungsmitglied zukommt, angehören. Die auf dem Wahlvorschlag einer Partei Aufscheinenden sind gewählt, wenn sie zwei Drittel der Stimmen der Abgeordneten, die der Partei angehören, der das zu wählende Mitglied zukommt, erhalten. Erhält dieser Wahlvorschlag nicht die erforderliche Stimmenanzahl, dann sind die auf dem Wahlvorschlag einer Partei Aufscheinenden auch dann gewählt, wenn sie in einem weiteren Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen der Abgeordneten, die der Partei angehören, der das zu wählende Mitglied zukommt, erhalten.

8.

Wird für einen gesonderten Wahlgang von der Partei, der das zu wählende Regierungsmitglied zukommt, kein Wahlvorschlag oder nur ein ungültiger Wahlvorschlag eingebracht, so geht das Recht auf Einbringung eines Wahlvorschlages auf den Landtag über. Im übrigen gilt für die Wahl Z. 6 sinngemäß.

(3) Die Bestimmungen des Abs2 sind bei Nachwahlen sinngemäß anzuwenden.

(4) Die Landesregierung wird für die Dauer der Gesetzgebungsperiode gewählt.

(5) Die Mitglieder der Landesregierung bleiben im Amt, bis der Landtag eine neue Landesregierung gewählt und diese ihr Amt angetreten hat."

2.3.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag den in der Anfechtungsschrift vorgetragenen Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in dieser Anfechtungssache präjudiziellen Norm des Art43 Abs2 Z2 L-VG 1991 aus folgenden Überlegungen nicht beizutreten:

Die Vorschrift des Art43 Abs2 Z2 Satz 1 L-VG 1991 ("Der Landeshauptmann kann auf die Liste seiner Partei eingerechnet werden") fand sich schon in Art32 Abs2 Satz 1 L-VG 1954 (..., wobei der Landeshauptmann auf die Liste seiner Partei eingerechnet werden kann"). Anders als diese Vorläuferbestimmung fügt das L-VG 1991 (Art43 Abs2 Z2 Satz 2) einschränkend bei, daß der Landeshauptmann auf die Liste seiner Partei dann einzurechnen "ist", wenn dieser Partei auf Grund des Stärkeverhältnisses im Landtag die absolute Mehrheit der Mandate in der Landesregierung auch unter Einrechnung des Landeshauptmanns auf die Liste seiner Partei zukommt.

Der Verfassungsgerichtshof befaßte sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art32 Abs2 Satz 1 L-VG 1954 bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 5676/1968. Darin hieß es ua.:

"Die Bedeutung des B-VG für die Länder liegt darin, daß es nicht nur die verfassungsrechtliche Grundlage für die Organisation des Bundes (als Oberstaat) enthält, sondern daß es auch die dem Wesen eines Bundesstaates entsprechende Aufteilung der staatlichen Funktionen auf den Bund (Oberstaat) und die Länder (als Gliedstaaten) regelt und daß es die verfassungsrechtlichen Grundzüge für die Organisation der Länder (als Gliedstaaten) enthält.

Die Landesverfassungsgesetze sind an die im B-VG niedergelegten Grundzüge gebunden (vgl. VfSlg. 3134/1956, 3314/1958). Sie dürfen nichts enthalten, was mit dem B-VG nicht vereinbar ist (vgl. VfSlg. 258/1924) und unterliegen deshalb auch der Prüfung gemäß Art140 B-VG in bezug auf ihre Übereinstimmung mit der Bundesverfassung (vgl. VfSlg. 3969/1961).

Bezüglich der Zusammensetzung und der Bildung der Landesregierungen enthält nun das B-VG folgende Grundsätze:

a) die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von Stellvertretern und weiteren Mitgliedern (Art101 Abs3 B-VG),

b) die Landesregierung ist vom Landtag zu wählen (Art101 Abs1 B-VG),

c) die Mitglieder der Landesregierung müssen nicht dem Landtag angehören, jedoch kann in die Landesregierung nur gewählt werden, wer zum Landtag wählbar ist (Art101 Abs2 B-VG).

Nur in diesem Rahmen darf sich die Landesverfassungsgesetzgebung bewegen (vgl. Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, Wien 1922, S 203). Der Rahmen ist aber sehr weit gezogen. Das B-VG hat sich auf die Aufstellung ganz allgemein gehaltener Grundzüge beschränkt und deren nähere Ausführung den Landesverfassungen überlassen. Über die Zahl der Mitglieder der einzelnen Landesregierungen und über die Art ihrer Wahl sagt das B-VG nichts aus. Zur Regelung all dieser Fragen sind somit die Landesverfassungsgesetzgeber zuständig, und es ist den Ländern dabei völlig freie Hand gelassen (vgl. hiezu Adamovich, Zur Frage der verfassungsmäßigen Organisation der Landesverwaltung in Österreich, Zeitschrift für Verwaltung, 3. Jg. 1923, S 33 ff).

Die in den Landesverfassungsgesetzen über die Wahl der Mitglieder der Landesregierung getroffenen Bestimmungen müssen von den Landtagen vollzogen werden. Für die Vollziehbarkeit würde es genügen, wenn die Landesverfassungsgesetze die Zahl der Mitglieder der Landesregierungen regelten, aber darüber hinaus keine näheren Bestimmungen enthielten, als in Art101 B-VG niedergelegt sind. Dies ergibt ein Vergleich mit der Bestimmung des Art70 B-VG in der Fassung BGBl. 1/1920. Die in dieser Bestimmung bezüglich der Wahl der Bundesregierung getroffene Regelung enthielt keine nähere Determinierung als Art101 B-VG in der seither unverändert gebliebenen Fassung und dies, obwohl noch vor Inkrafttreten des B-VG im Gesetz StGBl. 283/1920 vorübergehend vorgesehen war, daß die Mitglieder der Staatsregierung außer dem Staatskanzler oder eine Anzahl von ihnen - insoweit die Bestellung gemäß dem Gesetz über die Staatsregierung, StGBl. 180/1919, nicht möglich war - im Wege der Verhältniswahl nach dem System der gebundenen Liste gewählt werden konnten. Der Akt der Wahl der Regierung durch die Volksvertretung, der rechtssystematisch eine Vollziehung von Gesetzen ist, wurde durch die Verfassung selbst - seines eminent politischen Charakters wegen - keiner näheren Determinierung unterworfen.

Aus dieser bundesverfassungsgesetzlichen Regelung ist abzuleiten, daß auch eine landesverfassungsgesetzliche Bestimmung gleicher Art bezüglich der Wahl der Landesregierung keiner näheren Determinierung bedarf, um vom verfassungsrechtlichen Standpunkt aus vollziehbar zu sein. Die aus einer solchen, weit gefaßten Bestimmung möglicherweise entstehenden praktischen Schwierigkeiten (auf die Kelsen-Froehlich-Merkl, a.a.O., S 167, hinweisen) sind verfassungsrechtlich irrelevant.

Eine landesverfassungsgesetzliche Bestimmung, die dem Landtag bezüglich der Art der Wahl der Mitglieder der Landesregierung keine über Art101 B-VG hinausgehende Bindung auferlegt, wäre also mit den im B-VG enthaltenen Grundzügen durchaus vereinbar. Die Landesverfassungsgesetzgebung ist aber nicht gehindert, nähere Determinierungen bezüglich der Wahl zu treffen. Sie kann dies beispielsweise durch Normierung des Verhältniswahlverfahrens für alle Mitglieder der Landesregierung oder eine Anzahl von ihnen tun. . .

(Es) wurde dem Landtag das Recht eingeräumt, bei der Wahl der übrigen Mitglieder der Landesregierung darüber zu befinden, ob der Landeshauptmann auf die Liste seiner Partei eingerechnet wird (Art32 Abs2, Nebensatz des ersten Satzes).

Diese Modifizierung in der Abgrenzung der beiden Wahlsysteme (Landeshauptmann - Mehrheitswahl; übrige Mitglieder der Landesregierung - Verhältniswahl) bedeutet eine teilweise Erweiterung der durch die Einführung des Verhältniswahlrechtes für einen Teil der Mitglieder der Landesregierung erfolgten Einengung der Wahlfreiheit des Landtages. Eine solche Regelung entspricht den rechtsstaatlichen Erfordernissen bezüglich der Bestimmtheit des Gesetzesinhaltes, denn sie bezeichnet alle Möglichkeiten, von denen der Landtag bei der Wahl der Landesregierung in freier Entscheidung Gebrauch machen kann. Die Regelung liegt innerhalb des durch Art101 B-VG abgesteckten Rahmens und verstößt auch gegen keine andere Bestimmung des B-VG. . .

Es bestehen daher gegen die bei der Wahl der Mitglieder der Oberösterreichischen Landesregierung anzuwendenden Bestimmungen des Art32 Abs2 OÖ L-VG 1954, wonach der Landeshauptmann bei der Wahl der übrigen Mitglieder der Landesregierung auf die Liste seiner Partei eingerechnet werden kann, keine verfassungsrechtlichen Bedenken."

Der Verfassungsgerichtshof bekräftigte diese in VfSlg. 5676/1968 dargelegte Rechtsansicht in der Folge im Erkenntnis VfSlg. 6277/1970 sowie in jüngerer Zeit im Erkenntnis VfSlg. 11669/1988, worin vervollständigend festgehalten ist, daß als inhaltliche Schranken für die Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers (jedenfalls) das demokratische Prinzip der Bundesverfassung und das allgemeine Sachlichkeitsgebot angesehen werden müssen. Die mit dem Erkenntnis VfSlg. 5676/1968 eingeleitete Rechtsprechung fand zuletzt ihre Fortsetzung im Erkenntnis VfSlg. 12229/1989.

Im Erkenntnis VfSlg. 11669/1988 wurde ua. wörtlich ausgeführt:

"Das B-VG hat für die Länder zunächst die Bedeutung, daß es nicht nur die Grundzüge der Organisation des Bundes bildet, sondern auch die dem Wesen eines Bundesstaates gemäße Aufteilung der staatlichen Funktionen auf den Bund (als Oberstaat) und die Länder (als Gliedstaaten) regelt und überdies die verfassungsrechtlichen Grundzüge der Organisation der Länder selbst enthält (VfSlg. 5676/1968). Die Autonomie des Landes-Verfassungsgesetzgebers ist daher zwar nicht völlig unbegrenzt; die ihm gesetzten Grenzen sind aber sehr weit gezogen - vgl. VfSlg. 5676/1968 (zur relativen Verfassungsautonomie vgl. zB Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer, 1967, 17 ff; Novak, Bundes-Verfassungsgesetz und Landesverfassungsrecht, in: Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, 1980, 111 ff, (mwH); Pernthaler, Die Verfassungsautonomie der österreichischen Bundesländer, JBl. 1986, 477). Landes-Verfassungsgesetze dürfen nur in Bindung an diese im B-VG festgeschriebene Grundlage erlassen werden. Sie dürfen nichts anordnen, was mit dem B-VG unvereinbar ist (vgl. Art99 Abs1 B-VG, s. ferner VfSlg. 258/1924, 3134/1956, 3314/1958, 5676/1968), und unterliegen darum auch der verfassungsgerichtlichen Prüfung auf ihre Übereinstimmung mit der Bundesverfassung gemäß Art140 B-VG (vgl. VfSlg. 3969/1961, 5676/1968 ua.).

Für die Zusammensetzung und Bildung der Landesregierungen legt nun das B-VG folgende Grundsätze fest: Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von Stellvertretern und weiteren Mitgliedern (Art101 Abs3 B-VG). Sie ist vom Landtag 'zu wählen' (Art101 Abs1 B-VG); ihre Mitglieder müssen nicht dem Landtag angehören, doch kann in die Landesregierung nur gewählt werden, wer zum Landtag wählbar ist (Art101 Abs2 B-VG).

Damit ist der bundesverfassungsgesetzliche Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die Landes-Verfassungsgesetzgebung - im hier maßgebenden Fragenbereich - bewegen darf (s. dazu Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, 1922, 203). Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 5676/1968 aussprach, hat sich das B-VG auf die Aufstellung ganz allgemein gehaltener Grundzüge beschränkt und die nähere Ausführung den Verfassungen der Gliedstaaten überantwortet (vgl. Adamovich-Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 162):

Über die Zahl der Mitglieder der einzelnen Landesregierungen und

die Art ihrer Wahl sagt das B-VG also nichts aus. Zur Regelung all

dieser Fragen ist somit der (jeweilige)

Landes-Verfassungsgesetzgeber zuständig, und es ist den Ländern

dabei 'völlig freie Hand gelassen' (VfSlg. 5676/1968; zustimmend

Novak, aaO, 130; s. hiezu auch: Adamovich (sen.), Zur Frage der

verfassungsmäßigen Organisation der Landesverwaltung in Österreich,

Zeitschrift für Verwaltung, 3. Jg. 1923, 33 ff). Auch eine

landesverfassungsgesetzliche Regelung, aus der sich ergibt, daß der

Landtag bei der Art der Wahl der Mitglieder der Landesregierung

über Art101 B-VG hinaus nicht gebunden sei, stünde - nach der

Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 5676/1968,

6277/1970) - mit den im B-VG festgelegten Grundzügen im Einklang,

doch ist hier dem Landes-Verfassungsgesetzgeber nach dem schon

Gesagten eine nähere Determinierung keineswegs verwehrt. Freilich

muß jede derartige konkrete gesetzliche Regelung der Willensbildung

des Landtages dem demokratischen Prinzip der Bundesverfassung

entsprechen und in sich gleichheitsgemäß, d.h. sachlich

gerechtfertigt sein, also dem - auch den Gesetzgeber

verpflichtenden - allgemeinen Gebot des Art7 Abs1 B-VG iVm

Art2 StGG standhalten (vgl. VfSlg. 5811/1968, S 646); sie darf

auch sonst die bundesverfassungsgesetzlich gezogenen Grenzen nicht

verletzen. . .

    Vorschriften über die Wahl der Mitglieder der Landesregierung

. . . sind - als die Organisation des Landes regelnde Normen -

typisch materielles Landesverfassungsrecht und sollen in der

Landesverfassung (Art99 B-VG) enthalten sein. Gerade hiefür räumt

die Bundesverfassung . . . einen besonders weiten

Gestaltungsfreiraum ein. Dies ist schon damit erklärbar, daß es für einen demokratischen Bundesstaat von existenzieller Bedeutung ist, daß die Gliedstaaten durch ihre - unmittelbar demokratisch legitimierten - Parlamente (mit besonderem Präsenz- und Konsensquorum - Art99 Abs2 B-VG) ihre Organisation weitestgehend - ohne durch vom Oberstaat gesetzte Normen beschränkt zu sein - selbständig regeln können. Die Verfassungsautonomie der Länder ist nur insofern relativiert, als die Bundesverfassung ausdrücklich Schranken enthält (vgl. zB Adamovich-Funk, aaO, 10, 128, 192 und die dort zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes). . .

(Es) ist auch der Landes-Verfassungsgesetzgeber an die allgemeinen bundesverfassungsgesetzlichen Gebote, etwa an den Gleichheitsgrundsatz (Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG) und das sich daraus ergebende Sachlichkeitsgebot sowie an das demokratische Prinzip, wie es in den Regelungen des B-VG seinen Ausdruck gefunden hat, gebunden. Die durch diese Gebote statuierten Schranken sind im Sinne eines möglichst weiten Freiraumes auszulegen (vgl. VfSlg. 5676/1968, S 114). Die Frage, wie der Landeshauptmann und die übrigen Mitglieder der Landesregierung zu wählen sind, ist weitestgehend eine rechtspolitische; für ihre Lösung setzen das Gleichheitsgebot und das demokratische Prinzip nur insofern Schranken, als nicht sachlich unbegründbare oder mit dem demokratischen Grundsatz unvereinbare Regelungen getroffen werden (dürfen).

Anders als etwa bei der Wahl der Mitglieder des Bundesrates, bei der bundesverfassungsrechtlich das Verhältniswahlprinzip vorgesehen ist (Art35 Abs1 B-VG), ist dem Landes-Verfassungsgesetzgeber bei der Regelung der Wahl des Landeshauptmannes bundesverfassungsrechtlich ein bestimmtes Wahlsystem nicht vorgegeben. Aus dem demokratischen Baugesetz der Bundesverfassung ergibt sich jedoch, daß nur ein dem demokratischen Prinzip entsprechendes Wahlrecht der Repräsentativorgane, das sich am Verhältniswahlrecht oder am Mehrheitswahlrecht (allenfalls auch qualifizierter Mehrheiten) oder am Konkordanzprinzip orientiert (vgl. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, 1986, 206 ff) oder das sich als Mischform dieser Systeme erweist, bundesverfassungsrechtlich unbedenklich ist. Ein Wahlrecht freilich, das diesem Gebot nicht entspricht, wäre unzulässig. . ."

Der Verfassungsgerichtshof hält an der insbesondere im Erkenntnis VfSlg. 5676/1968 zu Art32 Abs2 Satz 1 L-VG 1954 dargelegten Rechtsauffassung, die auf die im wesentlichen Punkt inhaltlich gleiche Vorschrift des Art43 Abs2 Z2 L-VG 1991 zu übertragen ist, unverändert fest. Das Vorbringen der Anfechtungswerber in der Anfechtungsschrift ist nicht geeignet, den Verfassungsgerichtshof zu einer Abkehr von dieser gefestigten Rechtsprechung zu veranlassen:

Die Anfechtungswerber vermeinen, daß die in Art43 Abs2 L-VG 1991 normierte Ermächtigung des Landtages, sich bei der Wahl der Landesregierung für eines der beiden möglichen Wahlsysteme - je nachdem, ob der Landeshauptmann eingerechnet wurde oder nicht - zu entscheiden, dem rechtsstaatlichen Prinzip zuwiderlaufe. Aus Art99 Abs1 B-VG, wonach jedes Land eine kodifizierte Landesverfassung haben müsse, ergebe sich, daß eine "politische" Entscheidung des Landtages über den für die Wahl der Mitglieder der Landesregierung anzuwendenden Wahlmodus bundesverfassungswidrig sei. Die Anfechtungswerber berufen sich dabei auf die Erkenntnisse VfSlg. 6783/1972 zum Steiermärkischen Landes-Verfassungsgesetz 1960 und VfSlg. 7011/1973 zur Geschäftsordnung des Burgenländischen Landtages. In beiden Erkenntnissen habe der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertreten, daß die Regelung von Beschlußerfordernissen für Gesetzesbeschlüsse nicht an den Geschäftsordnungsgeber delegiert werden dürfe, sondern in die Landesverfassung selbst gehöre.

Dieser Einwand überzeugt jedoch allein schon deswegen nicht, weil sich die Argumentation des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis VfSlg. 6783/1972 (s. auch VfSlg. 7011/1973) auf den Wortlaut des Art97 Abs1 B-VG berief. Danach ist zu einem Landesgesetz der Beschluß des Landtages, die Beurkundung und Gegenzeichnung "nach den Bestimmungen der Landesverfassung" und die Kundmachung durch den Landeshauptmann im Landesgesetzblatt erforderlich. Diese Formulierung rechtfertigte den Schluß, es liege darin (auch) die Anordnung, daß die Landesverfassung die materiellen Erfordernisse für einen Gesetzesbeschluß des Landtages (Anwesenheitsquorum und erforderliche Mehrheit) zu enthalten hat und sich nicht auf eine Delegierung beschränken darf. Für den Verfassungsgerichtshof war im Erkenntnis VfSlg. 6783/1972 mit maßgebend, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber in den Bestimmungen für Volksvertretungen über Anwesenheitsquorum und erforderliche Mehrheit keine bloßen Ordnungsvorschriften sah, sondern es für notwendig hielt, dort, wo er die Beschlußerfordernisse selber regelte, auch das Anwesenheitsquorum und die erforderliche Mehrheit festzulegen (Hinweis auf Art31 und 44 B-VG für den Nationalrat, Art37 B-VG für den Bundesrat, Art99 B-VG für den Landtag als Landesverfassungsgesetzgeber und Art117 Abs3 B-VG für den Gemeinderat). In der hier entscheidenden Frage der Regelung der Berechnung der Zahl der Mitglieder der Landesregierung fehlt eine derartige (bestimmte) bundesverfassungsgesetzliche Aussage, sodaß die Argumentation der Anfechtungswerber nicht zielführend sein kann.

2.3.3. Zusammenfassend ergibt sich, daß der Verfassungsgerichtshof die von den Anfechtungswerbern vorgebrachten Bedenken ob der (Bundes-)Verfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden, die Wahl der Landesregierung regelnden landes-(verfassungs-)gesetzlichen Vorschrift nicht teilt.

2.4. Da die geltend gemachte Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens (: Anwendung eines bundesverfassungswidrigen Landes-(verfassungs-)gesetzes) demnach nicht vorliegt und der Verfassungsgerichtshof eine Wahl nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung gezogenen Schranken zu überprüfen hat (s. VfSlg. 11732/1988), war der Wahlanfechtung nicht stattzugeben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, Landesregierung, Grundprinzipien der Verfassung, Rechtsstaatsprinzip, Landesverfassung, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:WI15.1991

Dokumentnummer

JFT_10079389_91W0I015_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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