TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/16 B511/91

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Veröffentlicht am 16.06.1992
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art5
ASVG §49 Abs3 Z20
ASVG §50

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht und im Eigentumsrecht durch die Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen auf Basis des lohnsteuerrechtlichen Sachbezugswertes für die Zurverfügungstellung eines Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge zur Sozialversicherung ist für Pflichtversicherte nach §44 Abs1 ASVG regelmäßig der Arbeitsverdienst, das ist nach Z1 bei Dienstnehmern (und Lehrlingen) das Entgelt im Sinne des §49 Abs1, 3, 4 und 6. Unter Entgelt sind nach §49 Abs1 die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält. Als Entgelt gelten nach §49 Abs3 Z20, zweiter und dritter Fall unter anderem nicht

"... die Beförderung der Dienstnehmer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf Kosten des Dienstgebers sowie der Ersatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten des Dienstnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit Massenbeförderungsmitteln".

Für die Bewertung der Sachbezüge gilt nach §50 ASVG die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer.

1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich wird der Einspruch des Beschwerdeführers als Dienstgeber gegen die Vorschreibung von Beiträgen zur Sozialversicherung in der Höhe von 14.590,20 S abgewiesen. Daß einer näher bezeichneten Dienstnehmerin ein Firmen-Pkw für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Verfügung gestellt wurde, sei als beitragspflichtiger Sachbezug im Sinne des §50 ASVG iVm §15 Abs2 EStG zu werten, dessen Höhe sich aus der einschlägigen Kundmachung der Finanzlandesdirektion ergebe. Unter §49 Abs3 Z20 ASVG falle der Sachverhalt nicht. Insbesondere seien keine tatsächlichen Kosten für Fahrten mit Massenbeförderungsmitteln entstanden.

Zwar seien bis Dezember 1988 die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht zu bewerten gewesen. Nunmehr seien aber für die Benützung eines firmeneigenen Kraftfahrzeuges "für Privatfahrten (d.s. auch die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte) ... als monatlicher Sachbezug 1,5 % der Anschaffungskosten des Kraftfahrzeuges, maximal 7000 S anzusetzen". Soweit der Einspruchswerber auf den Verkehrsabsetzbetrag und das Pendlerpauschale hinweise, verwechsle er die Frage der Bewertung mit der Frage der Lohnsteuerfreiheit.

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums, die Verletzung des Legalitätsprinzips durch denkunmögliche Rechtsanwendung und Verstoß gegen Treu und Glauben sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §50 ASVG gerügt.

Bisher sei die Benützung von Firmenfahrzeugen für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht beitragspflichtig gewesen. An dieser Rechtslage habe die Steuerreform 1988 nichts geändert. Zwar sei das Zurverfügungstellen eines solchen Transportmittels bis 1988 außerdem steuerfrei gewesen, und (nur) bei Benützung eines Privatfahrzeuges habe das Kraftfahrzeugpauschale gebührt, während nunmehr jeder Arbeitnehmer eine Steuerermäßigung in Höhe des Verkehrsabsetzbetrages erhalte und zusätzliche Fahrtspesen als Werbungskosten (Pendlerpauschale) geltend machen kann, sodaß zur Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung jetzt die Zurverfügungstellung eines Dienstfahrzeuges als steuerpflichtiger Sachbezug behandelt werde. An der grundsätzlichen Anerkennung der Fahrtspesen als Werbungskosten habe sich aber auch hier nichts geändert. Das Sozialversicherungsrecht, das eine pauschale Berücksichtigung von Fahrtspesen nicht kenne, behandle sowohl die Beförderung auf Kosten des Dienstgebers als auch den Ersatz der tatsächlichen Kosten von Massenbeförderungsmitteln als beitragsfrei. Obwohl die Zurverfügungstellung eines Fahrzeuges des Dienstgebers den klassischen Fall der Beförderung auf Kosten des Dienstgebers darstelle, ziehe die Behörde nicht einmal die Kosten des Massenbeförderungsmittels vom Sachbezugswert ab. Diese Änderung der Praxis sei nicht durch Änderungen im Abgabenrecht geboten, das nur für die Bewertung, nicht aber für die Frage maßgeblich sei, ob überhaupt ein (beitragspflichtiger) Sachbezug vorläge; sie sei willkürlich und verstoße gegen Treu und Glauben.

Sollte aber §50 ASVG den von der Behörde angenommenen Inhalt haben, sei er gleichheitswidrig.

3. Die belangte Behörde sieht den Beschwerdeführer in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt und hat von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen auf Basis des lohnsteuerrechtlichen Sachbezugswertes für die Zurverfügungstellung des Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unterstellt dem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt, stellt eine denkunmögliche und willkürliche Gesetzesanwendung dar und verletzt den Beschwerdeführer daher in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums.

Was Grundlage der Beitragsbemessung ist, regelt bei pflichtversicherten Dienstnehmern §44 Abs1 Z1 iVm §49 Abs1, 3, 4 und 6 ASVG. Demnach bestimmt sich auch, wieweit ein beitragspflichtiger Sachbezug im Sinne des §49 vorliegt. Die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer gilt nach dem klaren Wortlaut des §50 nur für die Bewertung der Sachbezüge.

Nach §49 Abs2 Z20 ASVG gilt unter anderem die Beförderung der Dienstnehmer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf Kosten des Dienstgebers sowie der Ersatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten des Dienstnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit Massenbeförderungsmitteln nicht als Entgelt. Der Beschwerdeführer will die Überlassung eines Kraftfahrzeuges des Arbeitgebers für Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte dem ersten dieser beiden Tatbestände zuordnen. Ob diese Auffassung richtig ist, kann der Verfassungsgerichtshof dahingestellt sein lassen. Denn es wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber in allen Fällen, in denen die Beförderung der Arbeitnehmer nicht vom Arbeitgeber selbst besorgt wird, mit Rücksicht auf die Schwierigkeit von Feststellungen über die tatsächliche Verwendung eines Dienstfahrzeuges und im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung nur die Kosten des Massenbeförderungsmittels für den Weg zur Arbeitsstätte berücksichtigt.

Nun ist freilich die Überlassung eines Kraftfahrzeuges für den Weg zur Arbeitsstätte auch nicht "Ersatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten ... mit Massenbeförderungsmitteln" im buchstäblichen Sinn. Da sie aber dem Arbeitnehmer solche Kosten erspart, ist sie in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung dem Ersatz solcher Kosten gleichzuhalten. Jedenfalls ist kein Grund ersichtlich - und auch von der belangten Behörde garnicht behauptet -, der es rechtfertigen könnte, zwar den Ersatz der Kosten eines tatsächlich benutzten Massenbeförderungsmittels beitragsfrei zu stellen, die tatsächliche Überlassung eines Kraftfahrzeuges des Arbeitgebers hingegen voll als Sachbezug zu werten. Eine solche Regelung würde eine unsachliche Differenzierung zwischen Personen, die ein Massenbeförderungsmittel benützen (können) und jenen bewirken, die ein Privatfahrzeug verwenden (müssen); sie verstieße daher gegen den Gleichheitssatz.

Der Fall der Überlassung eines Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist im Gesetz aber offenkundig überhaupt nicht geregelt. Daß §49 Abs3 Z20 lückenhaft ist und verständiger Auslegung bedarf, ergeben schon die bei Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck, ASVG, 51. ErgLfg, 376, mitgeteilten Überlegungen der Rubrik "Aus der Praxis", SoSi 1968, 33:

"Die Einschränkung auf Fahrten mit Massenbeförderungsmitteln muß so verstanden werden, daß der Ersatz von Fahrtkosten insoweit beitragsfrei ist, als er die Kosten, die bei Benützung eines Massenbeförderungsmittels erwachsen wären, nicht übersteigt. Die Beitragsfreiheit müßte jedoch an sich unabhängig davon anerkannt werden, ob der Dienstnehmer tatsächlich ein Massenbeförderungsmittel benützt oder ob er mit einem eigenen Kraftfahrzeug zur Arbeitsstätte fährt. In manchen Gegenden stehen Massenbeförderungsmittel nicht zur Verfügung. Der Versicherte ist dann darauf angewiesen, sein eigenes Fahrzeug zu benützen. Unter diesen Voraussetzungen kommt im Hinblick auf den G.-Wortlaut nur die Möglichkeit in Betracht, unter Bedachtnahme auf die Entfernung einen fiktiven Autobustarif als Maßstab für die beitragsrechtliche Beurteilung von Kostenvergütungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte heranzuziehen.

Diese Rechtsauffassung hält der Hv., wie er mit Rundbrief an alle SV.-Träger v. 21.12.1972, 26-37. 15 : 37.25 : 37/72 P/Sa, mitgeteilt hat, weiter aufrecht, weil weder durch die 29. Nov. zum ASVG noch durch das EinkommensteuerG. 1972 eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist. Ergänzend wird noch ausgeführt: Da der Fahrtkostenzuschuß gem. §§58a DO. A, 50a DO. B und 46a DO. C auch bei Benützung des eigenen Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unter Zugrundelegung jener Kosten zu bemessen ist, die bei Benützung eines öffentlichen Beförderungsmittels erwachsen wären, ist er nicht als Entgelt iS. des §49 Abs1 ASVG anzusehen und daher beitragsfrei zu behandeln."

Nimmt man im Einklang mit dieser - offenbar ständig gehandhabten - Praxis an, daß das Gesetz unter tatsächlichen Kosten eines Massenbeförderungsmittels tatsächlich aufgelaufene Kosten bis zur Höhe der Kosten eines Massenbeförderungsmittels versteht, so kann auch die vorliegende Frage ohne Schwierigkeiten verfassungskonform gelöst werden: Sollte die Überlassung des Fahrzeuges nicht ohnedies einer Beförderung durch den Arbeitgeber gleichzuhalten sein, so stellt sie eben einen - wie immer zu bewertenden - Sachbezug dar, der Kosten eines Massenbeförderungsmittels gar nicht erst entstehen läßt, weshalb der Wert dieses Sachbezuges dem Ersatz tatsächlich erwachsener Kosten der Fortbewegung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entspricht, die bis zur Höhe der (fiktiven) Kosten eines Massenbeförderungsmittels beitragsfrei zu belassen sind.

Da die belangte Behörde diese - naheliegende - verfassungskonforme Auslegung unterlassen und dem Gesetz solcherart fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, fällt ihr nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz und - wegen verfassungswidriger und daher denkunmöglicher Gesetzesanwendung - die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums zur Last.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind 2500 S an Umsatzsteuer enthalten.

Schlagworte

Sozialversicherung,Beitragspflicht (Sozialversicherung), Auslegung verfassungskonforme, Bemessungsgrundlage (Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B511.1991

Dokumentnummer

JFT_10079384_91B00511_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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