TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/22 93/08/0226

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Veröffentlicht am 22.11.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §18a Abs2;
ASVG §18a;
ASVG §225 Abs1 Z3 litb;
ASVG §415;
AVG §56;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 6. August 1993, Zl. 121.658/2-7/93, betreffend Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG (mitbeteiligte Partei: R), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. September 1992 wies die Beschwerdeführerin den Antrag der Mitbeteiligten vom 4. Juni 1992 auf Selbstversicherung für die Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes gemäß § 18a ASVG für die Zeit vom 6. Juni 1990 bis 31. Mai 1991 gemäß § 225 Abs. 1 Z. 3 lit. b ASVG mit der Begründung ab, daß die Frist der letztgenannten Bestimmung, Beiträge zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG zu entrichten, im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen gewesen sei.

Dem von der Mitbeteiligten dagegen erhobenen Einspruch gab der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 22. Jänner 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. Nach der Bescheidbegründung habe die Mitbeteiligte im Einspruch vorgebracht, daß sie ihren Sohn, der am 21. November 1989 einen schweren Verkehrsunfall erlitten und sich deshalb bis 17. Mai 1990 im Landeskrankenhaus Graz befunden habe, am 18. Mai 1990 habe nach Hause nehmen müssen. Deshalb sei ihr von ihrem Arbeitgeber für die Zeit von 6. Juni 1990 bis 6. Juni 1991 ein Karenzjahr bewilligt worden. In diesem Jahr sei es ihr möglich gewesen, sich sehr intensiv um ihren Sohn zu kümmern und habe er auch überraschend gute Fortschritte gemacht. Sie habe erst durch Zufall erfahren, daß sie bei der "Pensionsversicherung" ansuchen müsse, damit ihr dieses Jahr für die Pension angerechnet werden könne. Daraufhin habe sie sofort einen Antrag eingereicht, der jedoch mit der Begründung abgelehnt worden sei, daß er um einige Tage zu spät gestellt worden sei. Nach Zitierung der §§ 18a Abs. 1, 225 Abs. 1 Z. 3 lit. b, 231 Abs. 1 und 2 sowie 44 Abs. 2 ASVG führte die Einspruchsbehörde aus, es sei unter Beachtung der genannten Normen die Frist, Beiträge zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG zu entrichten, mit 31. Mai 1992 abgelaufen. Obwohl nämlich das Karenzjahr der Mitbeteiligten erst mit 5. Juni 1991 beendet worden sei, habe die Frist des § 18a ASVG mit 31. Mai 1992 geendet, weil laut § 231 Abs. 1 ASVG der Juni 1991 nur dann als Versicherungsmonat gezählt werden könne, wenn mindestens Versicherungszeiten in der Dauer von 15 Tagen oder zwei Wochen vorlägen. Da die Mitbeteiligte im Monat Juni 1991 jedoch lediglich 6 Tage Versicherungszeiten aufweise, könne der Juni nicht als Versicherungsmonat herangezogen werden. Auch die Tage des Juni 1990 könnten nicht zu den Tagen des Juni 1991 hinzugezählt werden, weil gemäß § 231 Abs. 2 ASVG nur Versicherungszeiten von Kalendermonaten desselben Kalenderjahres addiert werden könnten. Der von der Mitbeteiligten am 4. Juni 1992 bei der Beschwerdeführerin eingelangte Antrag sei daher als verspätet eingebracht abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Berufung mit der Begründung, daß in § 18a ASVG kein Hinweis auf eine einjährige Frist ersichtlich sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 ASVG Folge und stellte in Abänderung des Einspruchsbescheides fest, daß die Mitbeteiligte für die Zeit vom 6. Juni 1990 bis 31. Mai 1991 wegen der Pflege ihres behinderten Kindes gemäß § 18a ASVG zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung berechtigt gewesen sei. Nach der Bescheidbegründung ergebe sich aus den §§ 18a und 415 ASVG, daß die belangte Behörde ausschließlich dafür zuständig sei, über die Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung an sich, nicht jedoch über die Frage zu entscheiden, ob die Zeit, die zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung berechtigt habe bzw. hätte, als Beitragszeit oder als neutrale Zeit im Sinne des ASVG zu gelten habe. Die Frage, ob eine Zeit der Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG als Beitragszeit zu gelten habe, sei nicht ident mit der Frage, ob während des gegenständlichen Zeitraumes eine Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes gemäß § 18a ASVG an sich bestanden habe. Der Mitbeteiligten sei daher insofern zu folgen, als die belangte Behörde in der Entscheidung über die Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG ausschließlich das Vorliegen der in § 18a ASVG festgehaltenen Voraussetzungen zu prüfen habe. Die Mitbeteiligte habe laut dem im Akt der Beschwerdeführerin befindlichen Antrag vom 29. Mai 1992 und ihrem weiteren Vorbringen im Verfahren sämtliche von § 18a ASVG geforderten Kriterien erfüllt. Die Entscheidung, ob diese Zeiten als Beitragszeiten (§ 225 Abs. 1 Z. 3 ASVG) oder neutrale Zeiten (§ 234 Abs. 1 Z. 11 ASVG) zu gelten hätten, falle nicht in die Zuständigkeit der belangten Behörde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete aber ebenso wie die Mitbeteiligte keine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall relevanten Teile des mit "Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes" überschriebenen § 18a ASVG in der Fassung vor der 52. Novelle, BGBl. Nr. 20/1994 lauten:

"(1) Personen, die sich der Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden behinderten Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, widmen und deren Arbeitskraft aus diesem Grund gänzlich beansprucht wird (Abs. 3), können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbst versichern...

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. eine Pflichtversicherung oder Weiterversicherung in einer gesetzlichen Pensionsversicherung oder ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht oder

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z. 3 bis 6 vorliegt.

...

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

..."

Gemäß § 225 Abs. 1 Z. 3 lit. b ASVG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der 51. Novelle, BGBl. Nr. 335/1993 sind als Beitragszeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 Zeiten einer sonstigen freiwilligen Versicherung (zu der auch jene des § 18a ASVG zählen) anzusehen,

"wenn die Beiträge innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Beitragszeitraumes, für den sie gelten sollen, wirksam (§ 230) entrichtet worden sind".

Zwar ist es richtig, daß die Berechtigung einer Person, sich nach § 18a ASVG für bestimmte Zeiten in der Pensionsversicherung selbst zu versichern, nicht ident ist mit der Frage, ob die Zeit, die zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung berechtigt hat bzw. hätte, als Beitragszeit im Sinne des § 225 Abs. 3 lit. b ASVG anzusehen ist, und daß die belangte Behörde gemäß § 415 ASVG nur zur Entscheidung der erstgenannten Frage zuständig ist. Unter der Berechtigung, sich gemäß § 18a ASVG für bestimmte Zeiten selbst zu versichern, ist aber, wie sich sowohl aus dem Wortlaut dieser Bestimmung im Zusammenhalt mit § 225 Abs. 3 lit. b ASVG als auch aus ihrem daraus erhellenden Zweck (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Novelle

BGBl. Nr. 609/1987, 324 Blg. NR. XVII. GP, S 24 f) ergibt, nichts anderes gemeint als die Berechtigung, für bestimmte, in § 18a ASVG genannte Zeiten durch Beitragsentrichtung wirksam Beitragszeiten in der Pensionsversicherung zu erwerben. Steht daher im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A) fest, daß der (die) Antragsteller (Antragstellerin) für die von ihm (ihr) entsprechendem § 18a ASVG gewählte oder danach begrenzte Zeit nach § 225 Abs. 3 lit. b ASVG Beitragszeiten nicht mehr wirksam erwerben kann, so ist seine (ihre) Berechtigung zur Selbstversicherung ebenso zu verneinen, wie in jenen Fällen, in denen im genannten Zeitpunkt ein Ausschluß der Selbstversicherung für diesen Zeitraum nach § 18a Abs. 2 ASVG feststeht. Diese Berechtigung zur Beitragsentrichtung ist demgemäß von der von der belangten Behörde angesprochenen, oben wiedergegebenen Frage zu unterscheiden, ob eine Zeit, die grundsätzlich zur Selbstversicherung (Beitragsentrichtung) berechtigte, (zufolge tatsächlicher Beitragsentrichtung) auch als Beitragszeit im Sinne des § 225 Abs. 3 lit. b ASVG anzusehen ist.

Da die belangte Behörde dies verkannte, ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Dadurch ist aber die Beschwerdeführerin schon deshalb in Rechten verletzt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß für sie zumindest in Zukunft (durch eine entsprechende Änderung des Gesetzes oder der leistungsrechtlichen Judikatur) durch diese mit dem angefochtenen Bescheid, also mittels einer individuellen Norm, der Mitbeteiligten eingeräumte Berechtigung zur Selbstversicherung eine Leistungsverpflichtung entstehen könnte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Grundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur Rechtsverletzungsmöglichkeit Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993080226.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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