TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/25 93/17/0060

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Veröffentlicht am 25.11.1994
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Index

L34007 Abgabenordnung Tirol;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/02 Zivilprozessordnung;
25/01 Strafprozess;
27/01 Rechtsanwälte;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §10 Abs1;
BAO §83 Abs1;
B-VG Art11 Abs2;
LAO Tir 1984 §63 Abs1;
RAO 1868 §8 Abs1 idF 1990/474;
StPO 1975 §44 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
ZPO §30 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Beschwerde des K in I, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Berufungskommission nach § 38 des Tiroler Tourismusgesetzes 1991 vom 2. Februar 1993, Zl. Id-6.2/1048-11/93, betreffend Fiktion der Zurücknahme einer "Berufungsausführung" i.A. Tourismusbeitrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Das Amt der Tiroler Landesregierung schrieb dem Beschwerdeführer mit vorläufigem Bescheid vom 4. Juli 1991 einen Tourismusbeitrag in Höhe von S 200,-- zur Zahlung vor.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen fristgerecht eine als "Einspruch" bezeichnete Berufung und brachte darin (lediglich) vor, die Vorschreibung sei dem Grunde und der Höhe nach unrichtig.

In einem als "Berufungsausführung" überschriebenen Schriftsatz vom 13. September 1991 wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Tiroler Tourismusgesetz 1991 und Bedenken hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der Promillesatzverordnung vorgebracht sowie der im bekämpften Bescheid angeführte beitragspflichtige Umsatz als unrichtig und überhöht bekämpft. Im Schriftsatz wird als Berufungswerber der Beschwerdeführer "vertreten durch Rechtsanwalt Dr. B" bezeichnet und darauf verwiesen, daß der Beschwerdeführer "gemäß § 10 AVG" den genannten Rechtsanwalt bevollmächtigt habe.

In weiterer Folge wurde mit Bescheid vom 7. Jänner 1993 Rechtsanwalt Dr. B "eingeladen", im Zusammenhang mit dem Schriftsatz vom 13. September 1991 sich durch die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht binnen acht Tagen auszuweisen, widrigenfalls die Eingabe als zurückgenommen gelte.

Im Schriftsatz vom 19. Jänner 1993 wurde namens des Beschwerdeführers mitgeteilt, daß dieser Rechtsanwalt Dr. B "gemäß § 8 RAO, § 10 AVG sowie § 30 Abs. 2 ZPO" bevollmächtigt habe. Es werde insbesondere im Hinblick auf § 8 RAO keine schriftliche Vollmacht vorgelegt.

Die belangte Behörde traf sodann mit dem angefochtenen Bescheid folgende

"Verfügung:

Es wird festgestellt, daß die von Rechtsanwalt Dr. B in I, eingebrachte Berufungsausführung betreffend den an Herrn K in I ergangenen vorläufigen Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 4. Juli 1991, Zl. 154156/3018, (Schriftsatz vom 13. September 1991), als zurückgenommen gilt."

In der Begründung dieses Bescheides (bei der Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens) heißt es, am 16. September 1991 sei beim Amt der Tiroler Landesregierung ein mit 13. September 1991 datierter, als "Berufungsausführung" bezeichneter Schriftsatz eingelangt, "in welchem Rechtsanwalt Dr. B in I eine Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Tiroler Tourismusgesetz 1991 vorbrachte und die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides beantragte".

Hinsichtlich der für die Beurteilung der Rechtsfrage maßgebenden Erwägungen wird in der Begründung im wesentlichen ausgeführt, beim ersten Satz des § 8 Abs. 1 RAO handle es sich um eine den Umfang der Berufsausübung regelnde Vorschrift, die der Bundesgesetzgeber in Wahrung der Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 Z. 6 B-VG erlassen habe, während der zweite Satz als prozessuale Bestimmung anzusehen sei. Eine in der RAO als Bundesgesetz enthaltene verfahrensrechtliche Norm könne sich "bestenfalls" nur auf Bereiche beziehen, in denen Behörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden bundesgesetzlich geregelte Verfahrensvorschriften anzuwenden hätten. Im vorliegenden Fall seien aber nur landesgesetzliche Verfahrensbestimmungen anzuwenden. Es sei Sache des Landesgesetzgebers, entsprechende Regelungen in landesgesetzlichen Verfahrensvorschriften zu treffen. § 63 Abs. 1 der Tiroler Landesabgabenordnung - TLAO sehe aber nach dem derzeitigen Stand der Rechtslage die Vorlage einer schriftlichen Vertretungsvollmacht zwingend vor, sodaß sich der Einschreiter zu Unrecht auf anders lautende bundesgesetzliche Regelungen berufen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Nach seinem gesamten Vorbringen erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht verletzt, daß der Schriftsatz vom 13. September 1991 nicht als zurückgenommen gelte.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides im Zusammenhalt mit der Begründung (zur Heranziehung der Begründung zur Auslegung eines unklaren Spruches vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 1983, Zl. 83/08/0113) auch die Entscheidung enthält, die gegenständliche "Berufungsausführung" sei Rechtsanwalt Dr. B zuzurechnen und nicht dem Beschwerdeführer. Daher konnte der Beschwerdeführer im Sinne der diesbezüglichen Ausführungen im hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. N.F. Nr. 11.625/A, durch den angefochtenen Bescheid auch in seinen Rechten verletzt werden.

Die somit zulässige Beschwerde ist schon aus folgenden

Erwägungen begründet:

§ 63 Abs. 1 TLAO hat folgenden Wortlaut:

"(1) Die Parteien und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben."

§ 8 Abs. 1 RAO in der Fassung BGBl. Nr. 474/90 bestimmt:

"(1) Das Vertretungsrecht eines Rechtsanwaltes erstreckt sich auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfaßt die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Vor allen Gerichten und Behörden ersetzt die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis."

Der Wortlaut der Regelung des § 8 Abs. 1 letzter Satz RAO bezieht sich unmißverständlich auf ALLE (Gerichte und) Behörden, ohne etwa dahin zu differenzieren, in welchen Angelegenheiten diese Behörden tätig werden. In diesem Sinne heißt es auch in den Materialien (1380 BlgNR 17. GP 7), daß dieses Recht des Rechtsanwaltes "generell in der Rechtsanwaltsordnung verankert werden soll".

Aus letzterem ist auch zwanglos zu schließen, daß der Bundesgesetzgeber die Regelung über den Vollmachtsnachweis im Verfahren, die der Art nach in den bestehenden Verfahrensgesetzen geregelt ist und auch systematisch zum Verwaltungs-(Abgaben-)verfahren gehört, auch (soweit es nicht das gerichtliche Verfahren betrifft) unter Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz des Art. 11 Abs. 2 B-VG getroffen hat ("ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet" hat). Davon, daß es sich bei der Regelung des § 8 Abs. 1 letzter Satz RAO um eine "prozessuale" Bestimmung handelt, ging im übrigen - insofern zutreffend - auch die belangte Behörde aus.

Art. 11 Abs. 2 B-VG ermächtigt den Bundesgesetzgeber, die Ausübung der den Ländern zustehenden, aus der Zuständigkeit zur Regelung eines bestimmten Sachgebietes fließenden Gesetzgebungshoheit auf dem Gebiet (u.a.) des Verwaltungsverfahrens, insbesondere auch in den Angelegenheiten des Abgabenwesens durch ein entsprechendes Bundesgesetz zu unterbinden, soweit der Bundesgesetzgeber ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher, d.h. für Bund und Länder inhaltlich gleicher Vorschriften als vorhanden erachtet. Die Ausschaltung der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder wirkt insofern für die Zukunft, als diesen eine von der vom Bundesgesetzgeber getroffenen verfahrensrechtlichen Regelung abweichende Behandlung verfahrensrechtlicher Belange in künftigen Gesetzgebungsakten verwehrt ist (vgl. dazu etwa VfSlg. 3061/1956 oder 6842/1972); letzteres jedoch mit der Einschränkung der Ausnahmeregel des Art. 11 Abs. 2 letzter Satz B-VG, wonach abweichende Regelungen dann getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.

Das bedeutet nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch, daß insofern eine verfahrensrechtliche Regelung des Bundesgesetzgebers in Handhabung des Art. 11 Abs. 2 B-VG einer abweichenden früheren Regelung inhaltlich derogiert (vgl. in diesem Sinne VfSlg. 3061/1956 sowie 4317/1962). Die weitergehende Frage, ob diese Derogationswirkung auch auf jene abweichenden Regelungen zutrifft, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind (im Sinne von "unerläßlich" - vgl. VfSlg. 8945/1980 sowie 11564/1987), oder nicht (letzteres hat der Verfassungsgerichtshof hinsichtlich des Rechtsüberganges durch die B-VG-Novelle 1974 als gegeben erachtet; vgl. VfSlg. 8945/1980), kann auf sich beruhen, weil es keineswegs einsichtig ist, warum es - anders als in anderen Verfahrenssystemen (wie etwa AVG oder ZPO) - im Geltungsbereich der Tiroler Landesabgabenordnung "unerläßlich" sein soll, daß ein einschreitender Rechtsanwalt den urkundlichen Nachweis der erteilten Vollmacht zu erbringen hat und nicht die bloße Berufung darauf genügen soll.

Derart verkannte die belangte Behörde die Rechtslage, wenn sie die Rechtsauffassung vertrat, es seien nur landesgesetzliche Verfahrensvorschriften anzuwenden und nicht auch die Verfahrensregel des § 8 Abs. 1 letzter Satz RAO.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2. Das Mehrbegehren auf Zuerkennung von Umsatzsteuer mußte im Hinblick auf die Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes abgewiesen werden; weiters betrifft die Abweisung des Mehrbegehrens nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

Schlagworte

Stellung des Vertretungsbefugten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993170060.X00

Im RIS seit

05.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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