TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/24 G19/92, G20/92

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Veröffentlicht am 24.06.1992
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
RAO §2 Abs2

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung über die Verlängerung der erforderlichen praktischen Verwendungszeit eines Rechtsanwaltsanwärters auf sechs bzw sieben Jahre in der Fassung BGBl 474/1990

Spruch

§2 Abs2 der Rechtsanwaltsordnung, Gesetz vom 6. Juli 1868, RGBl. Nr. 96/1868, idF des ArtII Z2 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, über das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut 1990 - DSt 1990) sowie über Änderungen der Rechtsanwaltsordnung, der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verwaltungsgerichtshof sind zu Z92/01/0078 und Z92/01/0051 Beschwerden von Rechtsanwaltsanwärtern anhängig, die sich jeweils gegen einen Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien richten, mit dem der Antrag des Rechtsanwaltsanwärters auf Feststellung, daß die von ihm zu absolvierende Praxiszeit, die eine Voraussetzung für eine Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte darstelle, fünf Jahre betrage, mit der Begründung abgewiesen wurde, daß die Übergangsbestimmung des ArtVI Abs3 des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes, BGBl. Nr. 556/1985, im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung komme.

1.2. Der Verwaltungsgerichtshof stellte in diesen Beschwerdesachen die Anträge, §2 Abs2 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) vom 6. Juli 1868, RGBl. Nr. 96/1868, idF jeweils der ArtII Z2 der Bundesgesetze BGBl. Nr. 556/1985 und BGBl. Nr. 474/1990 als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2.1. Begründend brachte der Verwaltungsgerichtshof vor:

Die Beschwerden seien zulässig, weil kein Fall des §5a bzw. des §30 Abs4 RAO vorliege. Da die Beschwerdeführer nach ihren eigenen Vorbringen die als Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte erforderliche Rechtsanwaltsprüfung noch nicht gänzlich abgelegt haben und sohin auch die Eintragung in diese Liste bis 1. Jänner 1992 nicht erwirken konnten, sei der belangten Behörde, was die Nichtanwendbarkeit der genannten Übergangsbestimmung anlange, zu folgen. Daraus ergebe sich aber, daß die vom Beschwerdeführer zu absolvierende Praxiszeit gemäß des nunmehr angefochtenen §2 Abs2 RAO sieben Jahre betrage. Der Verwaltungsgerichtshof gehe daher davon aus, daß diese Bestimmung bei der Beurteilung der Beschwerden anzuwenden und somit in diesen Beschwerdesachen präjudiziell sei.

1.2.2. Hinsichtlich der Bedenken führt der Verwaltungsgerichtshof aus, daß er die vom Verfassungsgerichtshof im Beschluß vom 11. Oktober 1991, B355/91, aufgeworfenen Bedenken betreffend die Verfassungsmäßigkeit des §2 Abs2 RAO teile. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf die Begründung des genannten Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes verwiesen.

2. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf das hg. Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 1992, G315/91 ua., von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Zur Zulässigkeit der Anträge:

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).

Da der Verwaltungsgerichtshof auch dem Erfordernis des §62 VerfGG dadurch nachgekommen ist, daß er sich den im Einleitungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 1991, B355/91, dargelegten Bedenken angeschlossen hat, und auch sonst keine der meritorischen Behandlung der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes entgegenstehende Hindernisse hervorgekommen sind, sind die Anträge zulässig.

3.2. In der Sache selbst:

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 3. März 1992, G315/91 ua., (dieses Normenprüfungsverfahren wurde ua. aus Anlaß des vorhin zitierten Einleitungsbeschlusses vom 11. Oktober 1991, B355/91, gefällt) ausgesprochen, daß §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 verfassungswidrig war.

Da sich - aus der Sicht der geltend gemachten Bedenken - die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Fassung des §2 Abs2 RAO (d.i. die Fassung BGBl. Nr. 474/1990) bloß in einem unwesentlichen Punkt von §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 unterscheidet (mit der RAO-Novelle, BGBl. Nr. 474/1990, wurde verfügt, daß im dritten Satz des §2 Abs2 RAO die Worte "vor Antritt der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt" zu entfallen haben), treffen die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Einleitungsbeschluß vom 11. Oktober 1991, B355/91, unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes geäußerten und im Erkenntnis vom 3. März 1992, G315/91 ua., für begründet erachteten Bedenken auch auf §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 zu. Es genügt daher, auf dieses zuletzt zitierte Erkenntnis zu verweisen.

4. Da §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 durch das Bundesgesetz, BGBl. Nr. 176/1992, mit dem die Rechtsanwaltsordnung und das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz geändert werden, (abermals) geändert wurde, hatte sich der Verfassungsgerichtshof auf einen Ausspruch gemäß Art140 Abs4 B-VG zu beschränken.

Der Ausspruch über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art140 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwälte Ausbildung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G19.1992

Dokumentnummer

JFT_10079376_92G00019_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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