TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/14 93/01/0076

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Veröffentlicht am 14.12.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §19 Abs1 Z2;
AsylG 1991 §19 Abs3;
AVG §39 Abs2;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des L in E, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. November 1992, Zl. 4.304.845/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. November 1992 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines bulgarischen Staatsangehörigen, abgewiesen. Hiezu wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe fristgerecht gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 7. Februar 1991, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, berufen. Auf Grund der Tatsache, daß er seinen Wohnsitz im Bereich Gamlitz ohne Bekanntgabe einer neuen Abgabestelle verlassen habe und eine solche auch nicht habe festgestellt werden können, seien allerdings die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 erfüllt und der Asylantrag daher abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im "Recht auf eine Sachentscheidung im Verwaltungsverfahren" verletzt. Er bringt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes im wesentlichen vor, der belangten Behörde habe "die Adreßänderung" bekannt gewesen sein müssen, zumal im Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 24. Juli 1992, betreffend seinen am 8. Oktober 1991 geborenen Sohn, ausgeführt sei, daß dieser durch seine Mutter, die Gattin des Beschwerdeführers, vertreten werde, welche unter der Adresse 8461 Ehrenhausen Nr. 36 wohnhaft sei. Diese Adresse hätte die Sicherheitsdirektion "zwangsläufig" nur vom Beschwerdeführer erhalten können, und sie wäre "schon im Rahmen der Manuduktionspflicht (§ 13 AVG)" verpflichtet gewesen, dies auch an die belangte Behörde weiterzugeben. Im übrigen sei die Bestimmung des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991, da sie rückwirkend gelte und eine Verschlechterung der Rechtsposition des Beschwerdeführers mit sich bringe, verfassungswidrig.

Gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. § 8 Abs. 2 Zustellgesetz findet gemäß § 19 Abs. 3 des im vorliegenden Fall anzuwendenden Asylgesetzes 1991 im Asylverfahren mit der Maßgabe Anwendung, daß ohne vorhergehenden Zustellversuch die Hinterlegung bei der Behörde selbst erfolgt.

Die Ermächtigung der Behörde gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, hat nicht nur zur Voraussetzung, daß die unverzügliche Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle unterlassen wurde, sondern auch, daß eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ohne - wenn auch durch "einfache Hilfsmittel" (so RV 162 Blg.Nr. 15. GP S. 10) - versucht zu haben, die (neue) Abgabestelle auszuforschen, darf daher von § 8 Abs. 2 Zustellgesetz kein Gebrauch gemacht werden.

Vor der Hinterlegung des angefochtenen Bescheides am 4. Dezember 1992 hat die belangte Behörde nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten am 12. November 1992 zwar eine telefonische Auskunft der Gemeinde G, wonach der Beschwerdeführer nach E verzogen sei, und eine telefonische Auskunft der Gemeinde E, wonach hinsichtlich des Beschwerdeführers "keine Vormerkungen" bestünden, eingeholt. Den Verwaltungsakten läßt sich aber nicht entnehmen, daß die belangte Behörde auch versucht hätte, eine Abgabestelle des Beschwerdeführers über die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark zu erheben. Dieser Versuch wäre ohne Schwierigkeiten möglich und nach der Lage des Falles schon deshalb geboten gewesen, weil die Annahme, der Beschwerdeführer werde eine Änderung der Abgabestelle jener Behörde mitteilen, die im gegenständlichen Verfahren bereits eingeschritten ist, zumindest naheliegt, zumal sich aus dem, vom Beschwerdeführer vorgelegten Bescheid betreffend seinen Sohn ergibt, daß die Behörde diesen "im Sinne der Familieneinheit" an der neuen Abgabestelle des Beschwerdeführers zugestellt hat. Da die belangte Behörde somit nicht alle ihr nach der Lage des vorliegenden Falles offenstehenden Möglichkeiten, eine Abgabestelle des Beschwerdeführers ohne Schwierigkeiten im Sinne des § 8 Abs. 2 Zustellgesetz festzustellen, genutzt hat, konnte schon aus diesem Grunde eine rechtswirksame Zustellung des angefochtenen Bescheides durch die am 4. Dezember 1992 erfolgte Hinterlegung nicht bewirkt werden. Vielmehr erfolgte die Zustellung des angefochtenen Bescheides dadurch, daß dieser dem Beschwerdeführer laut seinem Vorbringen in der Beschwerde - dem die belangte Behörde insoweit auch nicht entgegengetreten ist - am 30. Dezember 1992 übergeben wurde, zumal sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten auch kein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer zu einem früheren Zeitpunkt zugekommen wäre. Es erweist sich die am 10. Februar 1993 eingebrachte Beschwerde daher als rechtzeitig. Sie ist aus folgenden Gründen auch berechtigt:

Gemäß § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 sind Asylanträge in jedem Stand des Verfahrens abzuweisen, wenn der Asylwerber eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982) nicht rechtzeitig mitgeteilt hat. Die im Sinne dieser Bestimmung rechtzeitige Mitteilung der Änderung der Abgabestelle wird, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23. November 1994, Zl. 94/19/0599 (auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird), dargelegt hat, dann unterlassen, wenn die - trotz gepflogener zumutbarer Erhebungen - mangelnde Kenntnis einer Abgabestelle des Asylwerbers es der Behörde unmöglich machte, das Asylverfahren (auf andere Weise als gemäß § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991) zu beenden.

Von dieser Rechtslage ausgehend erweist sich freilich die Auffassung der belangten Behörde, im vorliegenden Fall seien bereits auf Grund der Tatsache, daß der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im Bereich G ohne Bekanntgabe der neuen Abgabestelle verlassen habe und eine solche auch nicht habe festgestellt werden können, die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 erfüllt, als verfehlt. Bereits aus diesem Grund hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen oder auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten am 28. Dezember 1992, somit vor Erlassung des angefochtenen Bescheides, seine neue Abgabestelle telefonisch bekanntgegeben hat, eingegangen werden mußte. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich auf Grund des Beschwerdevorbringens auch nicht veranlaßt, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 als verfassungswidrig zu beantragen (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1994, B 1219/93-11).

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993010076.X00

Im RIS seit

18.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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