TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/19 93/10/0026

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Veröffentlicht am 19.12.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §1;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art129a Abs1 Z1;
B-VG Art83 Abs2;
VStG §51 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 1. Februar 1993, Zl. UVS-03/19/03242/92, betreffend Zurückweisung der Berufung in einer Verwaltungsstrafsache, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen im Betrag von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 29. September 1992 richtete der Beschwerdeführer folgende Eingabe an die Bundespolizeidirektion Wien:

"Revisionsrekurs

Dr. F wurde nicht der Zustellung des Straferkenntnisses angeschuldigt, sondern der unbotmässigen Zustellung der Zahlungsmahnung noch bevor das unzustellbare Straferkenntnis mit Postlauf bei der Behörde zurück war.

Wenn Dr. F den unter Beschwerde gezogenen Verwaltungstrafakt nicht bearbeitet hat, ist es aufklärungsbedürftig wieso Dr. F in diesen Verfahren unzulässige Zahlungsmahnungen schickt.

Im übrigen wurde die zuständige Amtschaft telefonisch von der künftigen Abwesenheit verständigt.

Sobald eine Verwaltungstrafrechtlich betretene Person einen Auslandsaufenthalt nachweisen kann, ist ein Verwaltungstraf Schriftstück nach der Rückkehr zwecks erlangung der Rechtskraft nochmals zuzustellen. Im vorliegenden falle ist die beschwerte Hinterlegung mit wirkung der Zustellung unzulässig. Es wird hiemit wiederholt der Zustellmangel geltend gemacht.

Es wird ferner daraufhin gewiesen, dass der von ihnen als Beschwerde zitierte Schriftsatz keine Beschwerde sondern wie ersichtlich eine Disziplinarstrafanzeige darstellt, die nicht den Gebührengesetz unterliegt. Die Tarifvorschreibung wird somit abgewiesen.

Dem Revisionsrekurs stattzugeben."

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Simmering, vom 7. Dezember 1992 wurde "der (vom Beschwerdeführer) im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens des Bezirkspolizeikommissariats Simmering Cst 727/Sg/92 wegen Art. IX/1/5 EGVG eingebrachte "Revisionsrekurs"" als unzulässig zurückgewiesen.

Innerhalb der Berufungsfrist brachte der Beschwerdeführer einen an die belangte Behörde gerichteten, mit "Berufung" überschriebenen Schriftsatz ein.

Dieser Schriftsatz wurde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, soweit dem Schriftsatz vom 21. Dezember 1992 überhaupt ein Sinn entnommen werden könne, richte er sich gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Dezember 1992. Die mit diesem Bescheid in Erledigung gezogene Verwaltungsstrafsache könne keinem der in Art. 129a Abs. 1 B-VG normierten Tatbestände subsumiert werden. Die vom Beschwerdeführer angestrebte Entscheidung falle nicht in die Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde.

In seiner Beschwerde gegen diesen Bescheid macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Sachentscheidung verletzt und bringt dazu vor, er habe mit seiner zurückgewiesenen Eingabe vom 21. Dezember 1992 eine begründete Berufung in einer Verwaltungsstrafsache (wegen Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 5 EGVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 143/1993) eingebracht. Die Entscheidung darüber falle gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 1 in die Zuständigkeit der belangten Behörde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennen die unabhängigen Verwaltungsssenate in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes. Dieser Bestimmung entspricht § 51 Abs. 1 VStG, wonach in Verwaltungsstrafsachen dem Beschuldigten das Recht der Berufung an den örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat zusteht.

Im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 21. Dezember 1992

heißt es eingangs:

"Betrifft.:

BERUFUNG

gegen den Bescheid und den gesamten Verwaltungstrafverfahren zu Cst 727-Sg/92 Dr. F insbesonders letzter Bescheid vom 7.12.1992 erhalten am 12.12.1992 des Bez. Komm. Simmering ..."

Der Beschwerdeführer stellt darin folgende Anträge:

"1.) Aufhebung des Bescheides vom 7.12.1992 wegen nichtkompetenzmässige Entscheidung über den bei der Disziplinarkomm. der Bundespolizeidirektion Wien Schottenring vom 29.9.1992 zu P 701/f/92 erliegenden Revisionsrekurses.

2.) Aufhebung des Mahnbescheides vom 6.7.1992, indem bis dato kein rechtskräftiges Straferkenntnis zugestellt wurde."

Nach Schilderung des "Verwaltungsstrafverfahrensablaufs" wird die belangte Behörde ersucht, den Anträgen 1 u. 2 mit einem Berufungsbescheid stattzugeben.

Daraus ist ersichtlich, daß es sich bei diesem Schriftsatz um eine Berufung an die belangte Behörde handelt. Er ist als Berufung bezeichnet, nennt die bekämpften unterinstanzlichen Bescheide und enthält das ausdrückliche Begehren, den gestellten Anträgen mit einem "Berufungsbescheid" stattzugeben. Gründe, weshalb es sich bei diesem Schriftsatz entgegen seiner ausdrücklichen Bezeichnung als solche nicht um eine Berufung handeln solle, werden von der belangten Behörde weder im angefochtenen Bescheid noch in der Gegenschrift genannt und sich auch für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich.

Aus dieser Berufung in Verbindung mit dem Spruch des unterinstanzlichen Bescheides vom 7. Dezember 1992 (Zurückweisung des "im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens wegen Art. IX/1/5 EGVG eingebrachten Revisionsrekurses") und der ausdrücklichen Bezugnahme auf einen "Mahnbescheid" (vom 6. Juli 1992) ergibt sich die Richtigkeit der in der Beschwerde vorgetragenen Auffassung, die belangte Behörde sei vom Beschwerdeführer in einer Verwaltungsstrafsache im Sinne des Art. 129a Abs. 1 Z. 1 B-VG angerufen worden. Die im angefochtenen Bescheid vertretene gegenteilige Ansicht ist nicht begründet; sie wird in der Gegenschrift der belangten Behörde - mit Recht - nicht mehr wiederholt.

Die mit der Unzuständigkeit der belangten Behörde begründete Zurückweisung der Berufung bewirkte zwangsläufig die behauptete Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Entscheidung in der Sache selbst iSd § 66 Abs. 4 AVG (siehe zu diesem Begriff Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, Rz 538 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Darunter ist im Beschwerdefall das Recht darauf zu verstehen, daß die belangte Behörde zumindest die Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides, und zwar insbesondere die in der Berufung des Beschwerdeführers bestrittene Kompetenz der Erstbehörde zur Erlassung ihres Bescheides vom 7. Dezember 1992, prüft und sodann entweder der Berufung stattgibt oder sie als unbegründet abweist (soweit sie sich gegen den besagten Bescheid richtet). Dies scheint die belangte Behörde zu verkennen, wenn sie in der Gegenschrift ausführt, eine Verletzung im Recht auf Sachentscheidung komme durch die gewählte Vorgangsweise nicht in Betracht.

Die weitere in der Gegenschrift geäußerte Ansicht, der Bescheid vom 7. Dezember 1992 sei "in Erledigung eines Disziplinarverfahrens" ergangen, ist mit seinem Spruch nicht vereinbar, in dem ausdrücklich gesagt wird, es werde damit ein "im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens eingebrachtes" Rechtsmittel zurückgewiesen. In Übereinstimmung damit heißt es in der Begründung, "im Verwaltungsstrafverfahren" sei das Rechtsmittel des "Revisionsrekurses" gesetzlich nicht vorgesehen und somit nicht zulässig.

Das Beschwerdevorbringen, es sei von der zurückgewiesenen Berufung unter anderem auch eine Angelegenheit des Disziplinarrechtes betroffen gewesen und die belangte Behörde habe damit eine ihr nicht zukommende Kompetenz (als Disziplinarbehörde) in Anspruch genommen, ist schon deshalb nicht berechtigt, weil die belangte Behörde gar keine Sachentscheidung getroffen hat. Zur Zurückweisung der Eingabe wegen (vermeintlicher) Unzuständigkeit war sie jedenfalls zuständig. Ob die Erstbehörde als Strafbehörde zur Entscheidung über den "Revisionsrekurs" zuständig war, ist nicht zu prüfen, weil mit dem angefochtenen Bescheid der erstinstanzliche Bescheid nicht bestätigt, sondern die dagegen erhobene Berufung als unzulässig zurückgewiesen wurde.

Ob die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers, soweit sie sich gegen den "Mahnbescheid" vom 6. Juli 1992 richtet, Rechtens ist oder nicht, kann mangels näherer Feststellungen über den Inhalt dieses (im vorgelegten Strafakt nicht erliegenden) Bescheides derzeit nicht beurteilt werden. Dieser Feststellungsmangel ist offensichtlich die Folge der vorhin als unzutreffend erkannten Ansicht der belangten Behörde, sie sei zur Entscheidung über die Berufung nicht zuständig.

Aus diesen Gründen ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr.416/1994.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz (siehe auch Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung) Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Instanzenzug Zuständigkeit Besondere Rechtsgebiete Verfahrensrechtliche Bescheide Zurückweisung Kostenbescheide Ordnungs- und Mutwillensstrafen Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Zurückweisung wegen Unzuständigkeit Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche Zuständigkeit sachliche Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993100026.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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