TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/18 94/01/0705

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Veröffentlicht am 18.01.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2 idF 1994/610;
AsylG 1991 §5 Abs1 Z3;
AsylG 1991 §5;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §66 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):94/01/0707 94/01/0706

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerden 1) der AV,

2) des EV und 3) des GV, alle in W, die Zweit- und Drittbf vertreten durch die Erstbf als ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin, diese jeweils vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in H, gegen die Bescheide des BM für Inneres vom 3. 8. 1994, Zl. 4.233.238/2-III/13/94, alle betreffend Feststellung gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. August 1988 wurden die Beschwerdeführer - ungarische Staatsangehörige - als Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes (1968) anerkannt. Mit gleichlautenden Bescheiden des Bundesasylamtes vom 5. Mai 1994 wurde jedoch "gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit Artikel 1 Abschnitt C Z. 5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, festgestellt, daß Sie das Ihnen zuerkannte Recht auf Asyl verlieren". Die dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführer wurden mit den Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 3. August 1994 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, vom jeweiligen Beschwerdeführer in Ansehung des ihn betreffenden Bescheides erhobenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges - erwogen hat:

Gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 verliert ein Flüchtling das Asyl, wenn festgestellt wird, daß hinsichtlich seiner Person einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F lit. a oder c oder Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände eingetreten ist. Auf Grund des § 5 Abs. 2 Asylgesetz 1991 ist eine Feststellung gemäß Abs. 1 mit Bescheid der Asylbehörde von Amts wegen zu treffen.

Daraus ergibt sich, daß es der Asylbehörde (§ 10 Abs. 1 Asylgesetz 1991) bei Zutreffen der entsprechenden Voraussetzungen lediglich obliegt, bescheidmäßig eine Feststellung dahingehend zu treffen, daß in bezug auf eine bestimmte Person, der als Flüchtling Asyl gewährt wurde oder die - wie in den vorliegenden Fällen - von Gesetzes wegen (§ 25 Abs. 3 leg. cit.) ebenso zu behandeln ist, einer der genannten Tatbestände eingetreten ist, und ein derartiger Ausspruch ex lege den Verlust des Asyls nach sich zieht. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher zunächst zu der Bemerkung veranlaßt, daß die bereits von der Erstbehörde getätigten, mit den angefochtenen Bescheiden aufrechterhaltenen Aussprüche, es werde festgestellt, daß die Beschwerdeführer das ihnen zuerkannte Asyl verlieren, im Gesetz keine hinreichende Deckung finden. Diese Aussprüche können zwar richtigerweise nicht so, wie dies in der Begründung der angefochtenen Bescheide einleitend zum Ausdruck kommt, umgedeutet werden, daß es sich hiebei ohnedies nur um eine Feststellung im Sinne des Gesetzes, also bloß um eine solche hinsichtlich des Eintrittes des Tatbestandes des Art. 1 Abschnitt C Z. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention bei den Beschwerdeführern, handle; sie sind aber, insbesondere im Hinblick auf die ausdrückliche Bezugnahme auf diese Konventionsbestimmung und damit auf diesen im § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 angeführten Tatbestand durchaus so zu verstehen, daß in der behördlich getroffenen Feststellung diese dem Gesetz entsprechende Feststellung enthalten ist. Der Umstand, daß jeweils im Spruch darüber hinaus auf die damit ex lege verbundene Rechtfolge, wenn auch in Form einer Feststellung, überflüssigerweise hingewiesen wurde, schadet aber nicht und führt demnach mangels Rechtsverletzung der Beschwerdeführer nicht zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

Die belangte Behörde ist - wie schon die Erstbehörde in Übereinstimmung mit den Bescheidbegründungen - davon ausgegangen, daß gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 hinsichtlich der Beschwerdeführer der in Art. 1 Abschnitt C Z. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention genannte Tatbestand eingetreten ist, nach welcher Bestimmung dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, (mit einer hier nicht geltenden Ausnahme) nicht mehr angewendet werden wird, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Das Vorliegen dieses Tatbestandes hat sie deshalb als erwiesen angenommen, weil auf Grund der politischen Umwälzungen im Heimatland der Beschwerdeführer, die unter anderem in der Abhaltung freier Wahlen und der demokratischen Legitimierung der Regierung - was von den Beschwerdeführern auch nicht bestritten werde - ihren Ausdruck gefunden hätten, sowie der Änderung der Rechtslage und -anwendung objektiv kein Anlaß bestehe, eine asylrechtlich relevante Verfolgung in Ungarn befürchten zu müssen, und die Beschwerdeführer auch das subjektive Vorliegen dieser Furcht weder bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung noch in der Berufung dargetan hätten.

Unbestritten ist, entsprechend der Aktenlage, daß den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt worden war, weil sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befanden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt waren, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Wenn die Beschwerdeführer geltend machen, es sei ihnen "seinerzeit", als sie "um eine Stellungnahme gebeten" worden seien, "nicht klar" gewesen, "daß das Bundesasylamt beabsichtigt", ihnen ihre "Stellung als Flüchtling abzuerkennen", so ist ihnen entgegenzuhalten, daß sich aus den betreffenden, von ihnen unterfertigten Niederschriften vom 7. Mai 1994 (hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin) und vom 31. März 1994 (hinsichtlich des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers) eindeutig ergibt, daß ihnen jeweils unter Beiziehung eines Dolmetschers zu Beginn der Vernehmung diese Absicht "auf Grund der geänderten politischen Situation in Ungarn" zur Kenntnis gebracht wurde und sie gefragt wurden, was sie hiezu anzugeben hätten. Die Erstbeschwerdeführerin hat hiebei ausdrücklich erklärt, daß sie im Falle ihrer Rückkehr nach Ungarn mit "keinerlei Verfolgungshandlungen seitens der ungarischen Behörden zu rechnen hätte", und ihr Anliegen, das Asyl nicht zu verlieren, im wesentlichen damit begründet, daß sie "lediglich vor dem Nichts stehen würde und auch finanziell nicht die Möglichkeit hätte", sich "eine Wohnung zu mieten". Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer haben, jeweils mit der abschließenden Erklärung der Erstbeschwerdeführerin, "mit der Niederschrift vollinhaltlich einverstanden" zu sein, im wesentlichen nur betont, daß sie auf Grund ihres Aufenthaltes in Österreich seit dem 11. bzw. 12. Lebensjahr überhaupt keinerlei Beziehungen mehr zu Ungarn hätten und daher gerne in Österreich weiterleben und arbeiten bzw. ihre Berufsausbildung beenden würden.

Gemäß § 11 Asylgesetz 1991 findet auf Verfahren nach diesem Bundesgesetz, soweit nicht anderes bestimmt wird, das AVG Anwendung. Im Hinblick darauf, daß im § 16 Abs. 1 leg. cit. (an zwei Stellen) von der "Begründung des Asylantrages" die Rede ist und sich sonst daraus nichts ergibt, was gegen eine derartige Einschränkung sprechen würde, muß davon ausgegangen werden, daß diese Bestimmung auf Verfahren nach § 5 leg. cit. nicht anzuwenden ist. Das ändert allerdings nichts an der schon aus § 37 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800 - 0803). Die Erstbehörde war aber - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer - nicht verpflichtet, über den Vorhalt der von ihr offenbar als notorisch gemäß § 45 Abs. 1 AVG erachteten Tatsache tiefgreifender politischer Veränderungen im Heimatland der Beschwerdeführer seit Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft hinaus noch weitere, konkrete Fragen an die Beschwerdeführer zu richten, wurden sie doch bei ihrer Befragung hinreichend mit der neu eingetretenen Situation in ihrem Heimatland konfrontiert und bestand auf Grund ihrer dazu gegebenen Antworten kein Anhaltspunkt hiefür, daß sie ungeachtet dieser allgemeinen Situation dort weiterhin eine Verfolgung wegen ihrer politischen Gesinnung zu erwarten hätten.

Es kann nun im vorliegenden Beschwerdefall unerörtert bleiben, ob § 20 (Abs. 1 und 2) Asylgesetz 1991 auch in anderen, nicht die Behandlung und Erledigung von Asylanträgen betreffenden Verfahren gilt. Sollte dies der Fall sein, so wäre für den Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar, daß das Ermittlungsverfahren erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (in der bereinigten Fassung nach Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch den Verfassungsgerichtshof laut Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994) mangelhaft und demnach dessen Ergänzung oder Wiederholung von der belangten Behörde anzuordnen gewesen wäre. Dem Umstand, daß die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide (am 8. August 1994) erlassen hat, ohne den Beschwerdeführern noch (nach der genannten, am 5. August 1994 erfolgten Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994) Gelegenheit zu einer allfälligen Ergänzung ihres Berufungsvorbringens hinsichtlich des Vorliegens anderer als "offenkundiger" Mängel des Verfahrens zu bieten (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. November 1994, Zl. 94/01/0610), käme keine Bedeutung zu, weil von ihnen die Wesentlichkeit eines solchen Verfahrensmangels nicht aufgezeigt worden wäre.

In diesem Fall wäre auch auf das jeweilige Berufungsvorbringen, soweit es über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz hinausging, von der belangten Behörde nicht Bedacht zu nehmen gewesen, hätte sie doch gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung (ausschließlich) dieses Ergebnis zugrunde zu legen gehabt. Dadurch, daß die belangte Behörde dessenungeachtet jeweils auch das Berufungsvorbringen in ihre Erwägungen miteinbezogen und die Auffassung vertreten hat, daß damit für den Standpunkt der Beschwerdeführer gleichfalls nichts zu gewinnen sei, wären die Beschwerdeführer aber nicht in ihren Rechten verletzt worden. Würde man hingegen den Standpunkt einnehmen, daß § 20 Asylgesetz 1991 auf Verfahren nach § 5 leg. cit. nicht anwendbar sei, so wäre eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens auf Grund des § 37 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG auch durch die belangte Behörde nicht gemäß § 66 Abs. 1 AVG "notwendig" gewesen. Sie hätte zwar in diesem Fall zu Recht das jeweilige Berufungsvorbringen mitberücksichtigt. In den Berufungen wurde jedoch im wesentlichen nur damit argumentiert, daß es in Ungarn eine Bestimmung gebe, "nach welcher bei zumindest fünfjährigem illegalen Aufenthalt im Ausland das Eigentum der betreffenden Person konfisziert und auch die Wohnung weitergegeben werden", nachdem sie eine Gemeindewohnung bewohnt hätten, diese "sicherlich nicht mehr vorhanden sein" werde und es die Beschwerdeführer mit besonderer Härte treffen würde, wenn sie wieder nach Ungarn zurückkehren müßten, und zwar die Erstbeschwerdeführerin - unter Berücksichtigung dessen, daß ihr Gatte im Jahre 1990 verstorben sei, sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten könne und in Österreich Sozialhilfe beziehe -, weil sie "von familiärer Seite her niemand unterstützen könnte", sowie den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer, weil sie - abgesehen davon, daß sie dort keine Wohnmöglichkeit hätten - auf Grund ihrer sprachlichen Probleme nicht in der Lage sein würden, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Dabei würde es sich ebensowenig, wie in erster Instanz, um Sachverhalte handeln, in denen eine den Beschwerdeführern drohende asylrechtlich relevante Verfolgung auf Grund ihrer politischen Gesinnung zu erblicken wäre.

Soweit schließlich in den Beschwerden noch zusätzliches Vorbringen erstattet wird, aus dem abgeleitet werden soll, daß die Beschwerdeführer trotz der in den angefochtenen Bescheiden "angeführten politischen Umwälzungen" Verfolgung in ihrem Heimatland zu befürchten hätten, steht seiner Beachtung das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG entgegen, weshalb darauf nicht näher einzugehen ist.

Da sich somit die Beschwerden als unbegründet erweisen, waren sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenSachverhalt SachverhaltsfeststellungBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994010705.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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