TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/19 92/18/0280

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.01.1995
beobachten
merken

Index

60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §72 Abs1;
ASchG 1972 §31 Abs2 litp;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des P in M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, egen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 7. Mai 1992, Zl. Ge-51.174/8-1992/Pan/Neu, betreffend Bestrafung wegen einer Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 22. Mai 1991 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als zur Vertretung nach außen Berufener einer näher bezeichneten Kommanditgesellschaft zu verantworten, daß am 26. September 1990 an einer näher genannten Baustelle ein Arbeitnehmer der Gesellschaft mit Blecheindeckungsarbeiten auf ca. 30 cm breiten Stahlträgern beschäftigt gewesen sei, wobei er lediglich durch ein für die Personensicherung völlig ungeeignetes ca. 16 mm dickes geflochtenes Polypropylenseil, in welches mittels je einer Seilbackenklemme die beiden Kauschen gelegt worden seien, sowie für die Personensicherung völlig ungeeignete Karabiner gegen Absturz gesichert gewesen sei und die Absturzhöhe ca. 9 m betragen habe. Dadurch habe er eine Übertretung des § 72 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) begangen.

Über den Beschwerdeführer wurde wegen dieser Übertretung eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

2. In der Berufung gegen dieses Straferkenntnis führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, § 72 AAV verpflichte den Arbeitgeber nicht, die Arbeitnehmer zu zwingen, nur mit einer geeigneten Schutzausrüstung zu arbeiten. Die Verpflichtung des Arbeitgebers bestehe vielmehr darin, die in der Verordnung genannten Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Ein Verstoß gegen § 72 Abs. 1 AAV könne nur darin bestehen, daß einem Arbeitnehmer keine geeigneten Sicherungsmittel zur Verfügung gestellt worden seien, nicht aber darin, daß ein Arbeitnehmer mit ungeeigneten Sicherungsmittel gearbeitet habe. Der Spruch des Straferkenntnisses gehe damit an der Bestimmung des § 72 AAV vorbei, weil er ein Verhalten pönalisiere, das nicht strafbar sei. Eine Änderung des Spruches dahingehend, daß keine geeigneten Sicherungsmittel zur Verfügung gestellt worden seien, scheitere an der Verjährung.

3.1. Mit Bescheid vom 7. Mai 1992 wies der Landeshauptmann von Oberösterreich (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab und änderte den Spruch (abgesehen von der für das vorliegende Beschwerdeverfahren unerheblichen Präzisierung der für die Verantwortlichkeit gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950 maßgebenden Umstände) insofern ab, als sie bei der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat nach der Angabe der Absturzhöhe den Nebensatz anfügte, "obwohl bei derartigen Arbeiten entweder Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre zur Verfügung zu stellen sind".

3.2. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde unter anderem aus, "daß entgegen der Ansicht des Berufungswerbers der Arbeitgeber auch verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß die Arbeitnehmer die Sicherheitsmittel anwenden (vgl. § 94 Abs. 1 AAV)". Die Änderung des Spruches habe im Hinblick auf § 44a VStG 1950 erfolgen müssen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. § 72 Abs. 1 AAV hat folgenden Wortlaut:

"Sofern bei Arbeiten an absturzgefährlichen Stellen durch Schutzmaßnahmen nach den §§ 18, 24 und 44 ein ausreichender Schutz nicht erreicht werden kann oder die Durchführung solcher Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den Umfang der auszuführenden Arbeiten nicht gerechtfertigt ist, sind den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen, wie Sicherheitsseile (Fangseile), Karabinerhaken, Falldämpfer, Seilkürzer oder Höhensicherungsgeräte, zur Verfügung zu stellen.

Sicherheitsseile dürfen nur in Verbindung mit Sicherheitsgürteln oder Sicherheitsgeschirren verwendet werden."

2.1. Das an den Arbeitgeber gerichtete Gebot des § 72 Abs. 1 AAV beschränkt sich darauf, den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen "zur Verfügung zu stellen". Eine Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Arbeitnehmer diese Schutzausrüstung benützen, ist aus dieser Norm im Hinblick auf ihren eindeutigen Wortlaut nicht zu erschließen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 88/08/0221). Im Hinblick darauf, daß die von der belangten Behörde als erwiesen angenommene Tat - auch unter Berücksichtigung der von ihr vorgenommenen Änderung im Spruch - darin besteht, daß ein Arbeitnehmer ohne die erforderlichen Sicherungsmittel beschäftigt war, kommt § 72 Abs.1 AAV als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 nicht in Betracht. Dadurch, daß die belangte Behörde § 72 Abs. 1 AAV als Verwaltungsvorschrift bezeichnet hat, die durch die Tat verletzt wurde, hat sie gegen § 44a lit. b VStG 1950 verstoßen und damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

2.2. Im Hinblick auf dieses Ergebnis brauchte nicht weiter untersucht zu werden, ob die im Spruch des angefochtenen Bescheides bezeichnete Arbeitsstelle unter § 7 Abs. 1 und 2 der Bauarbeiterschutzverordnung gefallen ist und daher aus diesem Grunde § 72 Abs. 1 AAV keinen selbständigen Anwendungsbereich neben den genannten Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung hat (siehe auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 24. November 1992). Desgleichen kann dahinstehen, ob die belangte Behörde auf Grund eines mängelfreien Verfahrens zu der Annahme gelangen durfte, die vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Person sei zur Tatzeit nicht mehr verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG 1950 gewesen.

3. Aus den unter Punkt II.2.1. genannten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992180280.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten