TE Vfgh Erkenntnis 1992/10/3 G95/92

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Veröffentlicht am 03.10.1992
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Index

L2 Dienstrecht
L2400 Gemeindebedienstete

Norm

B-VG Art20 Abs1
B-VG Art118 Abs4
Innsbrucker GemeindebeamtenG 1970 §17 Abs2

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der die Gehorsamspflicht der Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck ohne Einschränkung regelnden Bestimmung des Innsbrucker GemeindebeamtenG 1970; ergänzende, verfassungskonforme Auslegung hinsichtlich der im B-VG festgelegten Ausnahmen von der Pflicht zur Befolgung einer Weisung (unzuständiges Organ, Verstoß gegen strafgesetzliche Vorschriften) möglich

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen in einer Disziplinarsache ergangenen Bescheid des gemäß §75 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970, LGBl. 44, eingerichteten Berufungssenates anhängig, mit dem der Beschwerdeführer, ein Beamter der Landeshauptstadt Innsbruck, ua. schuldig erkannt wurde, er habe dadurch, daß er die Befolgung bestimmt bezeichneter Weisungen der Magistratsdirektion abgelehnt und sich ausdrücklich geweigert habe, bestimmt bezeichnete, ihm jeweils mit Schreiben der Magistratsdirektion erteilte dienstrechtliche Anordnungen entgegenzunehmen, die in §17 Abs1, 2 und 4 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 normierten Dienstpflichten verletzt.

Aus Anlaß dieser (zu GZ 91/09/0083 protokollierten) Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag gestellt, die Worte "den dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten" in §17 Abs2 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Bestimmung, deren Aufhebung beantragt wird, und die mit ihr in unmittelbaren Zusammenhang stehenden Vorschriften des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 haben folgenden Wortlaut (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"III. Abschnitt

Pflichten der Beamten

Allgemeine Pflichten

§17 (1) ...

(2) Der Beamte hat in und außer Dienst das Standesansehen zu wahren, den dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten und ihnen und allen übrigen Bediensteten sowie den Parteien mit Anstand und Achtung zu begegnen.

(3) ...

...

(6) ..."

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Gesetzesprüfungsantrag ausgeführt, daß er bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, die mit der bei ihm anhängigen Beschwerde in Zweifel gezogen werde, §17 Abs2 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 anzuwenden hätte, daß die eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrages bildende Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung demnach gegeben sei.

4. Seine Bedenken gegen deren Verfassungsmäßigkeit hat der Verwaltungsgerichtshof nach einer Wiedergabe der Ausführungen in der bei ihm anhängigen Beschwerde und nach einem Hinweis auf seine Rechtsprechung zu Art20 Abs1 dritter Satz B-VG ("Das nachgeordnete Organ kann die Befolgung einer Weisung ablehnen, wenn die Weisung entweder von einen unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde.") folgendermaßen begründet:

"Nach dem wiedergegebenen Art20 Abs1 letzter Satz B-VG muß für einen nachgeordneten Organwalter eine einfachgesetzliche Ablehnungspflicht für den Fall bestehen, daß die Befolgung einer Weisung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Damit sind die wesentlichen Konturen für den (einfachen) Gesetzgeber verbindlich festgelegt.

Dies wurde vom Landesgesetzgeber vernachlässigt, weil §17 Abs2 IGBG für den nachgeordneten Organwalter eine unbeschränkte Gehorsamspflicht normiert, ohne demselben die verfassungsrechtlich vorgegebene Möglichkeit einzuräumen, die Befolgung einer Weisung dann abzulehnen, wenn diese auf die Setzung einer strafgesetzwidrigen Handlung abzielt oder von einem unzuständigen Organ herrührt. Diesem Mangel des Gesetzes konnte die belangte Behörde auch nicht durch unmittelbare Anwendung des Art20 Abs1 B-VG im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung abhelfen.

Die vom Verfassungsgerichtshof auf Grund des vorliegenden Antrages in Prüfung zu ziehenden, im §17 Abs2 IGBG enthaltenen Worte 'den dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzen Folge zu leisten' scheinen daher wegen ihres Widerspruches zu Art20 Abs1 letzter Satz B-VG verfassungswidrig zu sein (so auch Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S 260)."

5. Die Tiroler Landesregierung hat zu dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes eine Äußerung erstattet, in der sie zwar gegen die Antragslegitimation des Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken erhob, jedoch zur Verteidigung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung folgendes vorbrachte:

"Grundsätzlich scheinen die vom Verwaltungsgerichtshof gegen §17 Abs2 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 geltend gemachten materiellen Bedenken zuzutreffen. Dennoch erscheint entgegen der Ansicht der Verwaltungsgerichtshofes eine unmittelbare Anwendung des Art20 Abs1 letzter Satz B-VG nicht denkunmöglich. Auch wenn man die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Verfassungsbestimmung verneinen würde, so wären jene Worte des §17 Abs2 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970, deren Aufhebung der Verwaltungsgerichtshof beantragt, verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß den dienstlichen Anordnungen der Vorgesetzten nur dann Folge zu leisten ist, wenn diese nicht von einem unzuständigen Organ herrühren bzw. deren Befolgung nicht gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde.

Die Tiroler Landesregierung vertritt daher die Ansicht, daß die in Prüfung gezogenen Worte 'den dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten' des §17 Abs2 leg.cit. nicht verfassungswidrig sind und stellt daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle den eingangs bezeichneten Antrag des Verwaltungsgerichtshofes abweisen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Die dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zugrundeliegende Annahme, er hätte die angefochtene Bestimmung des §17 Abs2 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 als eine der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides bei der Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden, ist jedenfalls denkmöglich (s. dazu etwa VfSlg. 8136/1977, 84, mwH, 10701/1985, 709). Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

B. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

1.a) Die die Weisungsgebundenheit der nachgeordneten Organwalter im Bereich der Verwaltung regelnde Vorschrift des Art20 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG hat folgenden Wortlaut:

"Sie sind, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt wird, an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden und diesen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich. Das nachgeordnete Organ kann die Befolgung einer Weisung ablehnen, wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde."

b) Art20 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG gilt auch für die nachgeordneten Organwalter im Bereich der Gemeinden, und zwar auch insoweit, als sie im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (Art118 Abs2 B-VG) tätig werden (s. dazu etwa Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1972), 622; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7, Rz 875; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht (1986), 416). Art118 Abs4 erster Satz B-VG ("Die Gemeinde hat die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen ... zu besorgen.") schließt lediglich die Erteilung von Weisungen staatlicher Organe in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde aus (s. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 8136/1977, 8215/1977).

2. Es ist dem einfachen Gesetzgeber verwehrt, den Normgehalt des Art20 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG zu verändern. Insbesondere dürfen durch eine dieser Verfassungsnorm zeitlich nachfolgende einfachgesetzliche Vorschrift die in Art20 Abs1 dritter Satz B-VG festgelegten Ausnahmen von der Pflicht zur Befolgung einer Weisung weder eingeschränkt noch beseitigt werden.

3.a) Die Vorschrift des Art20 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG erhielt ihre geltende Fassung durch den am 1. Oktober 1925 in Kraft getretenen ArtI §11 der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1925, BGBl. 268, sowie durch den mit 11. Dezember 1929 in Kraft getretenen ArtI §8 der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1929, BGBl. 392.

Die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene, nunmehr in §17 Abs2 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 enthaltene Bestimmung gehört seit dem Inkraftreten des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes LGBl. 40/1956 mit 1. Juli 1956 (unverändert) dem Rechtsbestand an; sie ist somit im Verhältnis zu Art20 Abs1 B-VG die spätere Norm.

b) Entsprechend dem in §1 Abs1 des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes 1970 umschriebenen persönlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat sie die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Landeshauptstadt Innsbruck stehenden Dienstnehmer (Beamten) zu Adressaten.

Sie beschränkt sich auf das an die Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck gerichteten Gebot, den "dienstlichen Anordnungen" ihrer "Vorgesetzten" Folge zu leisten. Damit steht sie im Einklang mit der Vorschrift des Art20 Abs1 zweiter Satz B-VG, soweit diese die nachgeordneten Organwalter an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe bindet.

Der Wortlaut der angefochtenen Bestimmung steht ihrer (verfassungskonformen) Auslegung in dem Sinn, daß nur Weisungen zu befolgen sind, die von einem zuständigen Organ erteilt wurden und deren Befolgung nicht gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde, keineswegs entgegen.

Die Bestimmung enthält keine Regelung über das Recht (bzw. die Pflicht) eines nachgeordneten Organwalters, die Befolgung einer Weisung unter bestimmten Voraussetzungen abzulehnen. Sie schließt Derartiges weder ausdrücklich aus noch bestimmt sie diesbezüglich etwas von der Vorschrift des Art20 Abs1 dritter Satz B-VG Abweichendes. Damit erweist sich die angefochtene Bestimmung als eine in dieser Hinsicht unvollständige Norm, die den Art20 Abs1 dritter Satz B-VG unberührt läßt und durch ihn ergänzt wird. Insgesamt bedeutet dies, daß sich das Recht (und die Pflicht), die Befolgung einer Weisung abzulehnen, die von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder deren Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde, für die Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck (unmittelbar) aus Art20 Abs1 dritter Satz B-VG ergibt.

Somit trifft es nicht zu, daß es sich bei der angefochtenen Bestimmung um eine einfachgesetzliche Norm handelt, die in Widerspruch zur Beschränkung der Gehorsamspflicht nachgeordneter Organwalter in Art20 Abs1 dritter Satz B-VG eine nicht in gleicher Weise beschränkte Gehorsamspflicht der Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck festlegt und daher iS der vom Verwaltungsgerichtshof vorgebrachten Bedenken wegen Widerspruches zu Art20 Abs1 dritter Satz B-VG verfassungswidrig ist.

Der Antrag war darum abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Weisung, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Dienstrecht, Dienstpflichten, Gehorsam dienstlicher, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G95.1992

Dokumentnummer

JFT_10078997_92G00095_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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