TE Vwgh Erkenntnis 1995/1/26 94/06/0125

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Veröffentlicht am 26.01.1995
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
20/11 Grundbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §425;
ABGB §431;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
BauO Tir 1989 §27;
BauO Tir 1989 §44 Abs3 lita;
BauO Tir 1989 §44 Abs5;
BauO Tir 1989 §7 Abs1;
BauRallg;
GBG 1955 §4;
LBauO Tir §49;
LBauO Tir §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des Otto W in München, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 21. April 1994, Zl. Ve1-550-2020/2, betreffend die Erteilung eines Abbruchauftrages (mitbeteiligte Partei: Gemeinde S, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Baugesuch vom 2. März 1971 kam der Beschwerdeführer bei der Baubehörde erster Instanz um Bewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses auf einem Grundstück im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde (in der Folge kurz: Gemeinde) ein. Aus den vorgelegten Plänen ergeben sich die Abmessungen des Hauses (im Einklang mit der Baubeschreibung) mit 18,0 x 12,50 m; im Lageplan sind die (Mindest-)Abstände des Hauses zur westlichen, nördlichen und östlichen Grundgrenze mit 4,00 m angegeben (festzuhalten ist, daß in diesem Lageplan - angegebener Maßstab: 1:500 - die näheren Ausmaße des - asymetrischen - Grundstückes nicht ausgewiesen sind). In der Baubeschreibung wird der Beschwerdeführer als Eigentümer des Grundstückes genannt; in der Niederschrift über die Bauverhandlung vom 7. April 1971 werden sowohl der Beschwerdeführer als auch Margarethe W als Bauwerber bezeichnet.

Mit Bescheid vom 7. April 1971 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde als Baubehörde erster Instanz dem Beschwerdeführer und der Margarethe W (die, so heißt es im Bescheid, mit Eingabe vom 2. März 1971 um die fragliche Baubewilligung ersucht hätten) die angestrebte Baubewilligung "nach Maßgabe der vorgelegten Pläne und Unterlagen" unter verschiedenen Vorschreibungen, darunter (Punkt 3.), daß die in den Lageplänen eingetragene Situierung genau einzuhalten und der Grundgrenzenabstand zu den Nachbargrundstücken mit 4 m einzuhalten sei. Dieser Bescheid blieb nach der Aktenlage unangefochten.

Mit Schreiben vom 30. März 1992 gab M. R., die Eigentümerin des westlich und nördlich angrenzenden Grundstückes, der Baubehörde bekannt, sie befinde sich mit dem Beschwerdeführer in einem Nachbarschaftsstreit, der seine Ursachen hauptsächlich darin habe, daß der Beschwerdeführer ihr gehörige Liegenschaftsflächen ohne ihre Zustimmung beanspruche. Nachdem es zwischenzeitig auf Betreiben des Beschwerdeführers sogar zu einem Strafverfahren gegen sie gekommen sei, in dem sie freigesprochen worden sei, sehe sie "zu Recht keinen Grund mehr, in irgendeiner Weise" auf den Beschwerdeführer Rücksicht zu nehmen. Es betreffe "folgenden baurechtlichen Umstand": Der im Baubescheid aufgetragene Abstand zu den Nachbargrenzen werde nicht eingehalten. Eine Vermessung im Jahre 1991 habe ergeben, daß "die gesamte Ostseite des Gebäudes nicht den gesetzlich erforderlichen Mindestabstand" aufweise, von der nördlichen Grenze betrage der geringste Abstand 66 cm, die gesamte Nordseite sei ebenfalls innerhalb des Grenzabstandes, die Westseite weise in etwa zur Hälfte nicht den erforderlichen Grenzabstand auf. Insgesamt entspreche das Gebäude nicht dem Baubescheid.

Anläßlich eines Ortsaugenscheines am 22. Mai 1992 (an dem auch ein Vertreter des Beschwerdeführers teilnahm) wurde festgehalten, daß das Wohnhaus "nicht entsprechend dem Baubescheid vom 3. April 1971 situiert wurde". Gemäß einem näher bezeichneten Vermessungsplan wiesen die Grenzabstände zur westlichen Grundgrenze 2,70 m bzw. 3,32 m, zur nördlichen Grundgrenze 0,66 m bzw. 2,63 m und zur wesentlichen Grundgrenze 2,90 m bzw. 3,70 m auf. Festgestellt werde, daß gemäß Baubescheid der Abstand mindestens 4,00 m betragen müßte und daher das Bauvorhaben nicht dem Baubescheid entsprechend ausgeführt sei.

Der Beschwerdeführer äußerte sich (schriftlich) dahin, daß sein Wohnhaus die Abstände von je 4 m zum nördlichen und zum westlich bzw. zum östlich angrenzenden Grundstück nicht einhalte. Die Eigentümerin des östlich angrenzenden Grundes genehmige diesen faktischen Zustand ausdrücklich und sei auch bereit, "allfällige erforderliche Unterschriften zu leisten bzw. Maßnahmen zu setzen, die allenfalls gefordert werden"; sie wolle aber vorerst den Ausgang der Auseinandersetzung mit M. R. abwarten. Zu dieser Auseinandersetzung sei festzuhalten, daß er das Grundstück von M. R. mit Kaufvertrag vom 13. Mai 1971 erworben und sodann hierauf im Jahre 1973 das strittige Wohnhaus errichtet habe. Bereits zuvor sei aber auch M. R. bekannt gewesen, daß das geplante Wohnhaus aufgrund der geplanten Ausgestaltung nur unter Verletzung des

4 m-Grenzabstandes errichtet werden könne. M. R. habe dem Beschwerdeführer auch angeboten, ihm einen "in diesem Sinne allfällig notwendig weiteren Grund zu übereignen". Aufgrund dieser Vereinbarung und Zusage habe M. R. im Bauverfahren keinen Einwand gegen das geplante Bauvorhaben erhoben, obwohl sich bereits dem Einreichplan habe entnehmen lassen, daß die Grenzabstände nicht eingehalten werden könnten, zumal die Breite des Grundstückes des Beschwerdeführers lediglich 18 m betragen habe, die Breite des Wohnhauses aber "in der Folge dann auch mit 12,5 m bewilligt wurde". Damit sei auch das Bauvorhaben des Beschwerdeführers "rechtskräftig in dieser Form, also mit den nunmehr beanstandeten Grenzverletzungen genehmigt" worden. Er habe somit auch im Sinne des "§ 68 AVG ein Recht erworben, daß dieser Bescheid keine Abänderung" mehr erfahre. Darüber hinaus werde beantragt, das gegenständliche Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß eines näher bezeichneten mit M. R. anhängigen Zivilprozesses auszusetzen.

Nach einer Reihe weiterer (nicht beschwerdegegenständlicher) Verfahrensschritte ordnete der Bürgermeister der Gemeinde mit dem an den Beschwerdeführer gerichteten Bescheid vom 11. Jänner 1993 gemäß § 44 Abs. 3 der Tiroler Bauordnung (TBO) den Abbruch des fraglichen Gebäudes innerhalb von sechs Monaten, vom Tage der Zustellung an gerechnet, an; der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG wurde als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der gesetzlichen Bestimmungen ausgeführt, sowohl der Baubehörde als auch dem Bauwerber sei bereits im Zeitpunkt des Baubewilligungsverfahrens bekannt gewesen, "daß einer Bewilligung des Projektes mit diesen Ausnahmen der zu geringe Grenzabstand" entgegenstehe. In einer näher bezeichneten Klage habe der Beschwerdeführer vorgebracht, aufgrund der Pläne sei klar gewesen, daß das geplante Wohnhaus gemäß der vorgesehenen Ausgestaltung nur unter Verletzung des 4 m Grenzabstandes errichtet werden könne, dies an der nördlichen und nordwestlichen Grenze seines Grundstückes zum Grundstück der M. R.. Zwischen den Streitteilen sei dazu die Vereinbarung getroffen worden, (so habe er weiter vorgebracht), daß der Beschwerdeführer sein Bauvorhaben nach Belieben ausgestalten könne, und M. R. allfällig erforderlichen Grund in diesem Bereich, der danach zur Einhaltung der Grenzabstände notwendig werde, ihm zu bestimmten Bedingungen verkaufe.

Die Baubehörde habe nun "unter Berücksichtigung des Bauverhandlungsergebnisses in den Spruch des Bescheides unter Punkt 3 die Auflage aufgenommen, daß der Grundgrenzenabstand zu den Nachbargrundstücken mit 4 m einzuhalten" sei. Bei dieser Auflage handle es sich um eine projektsgestaltende Auflage, die zulässig sei. Hiezu sei beispielsweise auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1988, Zl. 85/06/0068, oder vom 29. März 1977, Zl. 2745, zu verweisen, wonach nicht nur projektsgestaltende, sondern auch "projektshindernde" Auflagen zulässig seien, solange der Charakter und der Zweck des Vorhabens nicht geändert werde. Eine derartige Änderung könne nicht eintreten, weil es sich "nach wie vor um die Errichtung eines zumindest in groben Zügen gleichbleibenden Wohngebäudes" handle. Die Baubehörde sei im Jahr 1971 offensichtlich davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer die erforderlichen Grundstreifen zur Einhaltung des Abstandes werde erwerben können. Wie sich sowohl aus dem wiedergegebenen Klagsvorbringen als auch aus den Ausführungen in einem näher bezeichneten Urteil ergebe, habe damals zwischen dem Beschwerdeführer und der M. R. Einvernehmen geherrscht und es sei davon ausgegangen worden, daß der erforderliche Grenzabstand durch Übereignung geschaffen werden könne. Diese Übereignung hätte allerdings vor Errichtung des Gebäudes stattfinden müssen. Da somit im gegenständlichen Fall ein wesentlicher Punkt des Baubescheides, nämlich die Einhaltung des vorgeschriebenen Grenzabstandes von 4 m nicht erfüllt sei, sei das gegenständliche Gebäude zur Gänze als konsenslos zu betrachten. Ob von der Anrainerin A. W. die Unterschreitung des Grenzabstandes zu ihrem Grundstück genehmigt werde oder nicht, sei "vollkommen irrelevant, weil die vorgeschriebenen Abstände in der richtigen Höhe vorliegen müssen und nicht durch die Genehmigung der Nachbarin unterschritten werden dürfen". Die einzige Möglichkeit zur Sanierung dieser Abstandsverletzung sei der Erwerb des notwendigen Grundes von A. W.. Fraglos sei der Baubescheid vom 7. April 1971 rechtskräftig, jedoch habe der Beschwerdeführer "die in diesem Bescheid aufgenommene projektshindernde Auflage nicht eingehalten, da er ansonsten die gegenständliche bauliche Anlage nicht verwirklichen hätte können". Das Begehren, das Verfahren gemäß § 38 AVG auszusetzen, sei mangels Antragslegitimation des Beschwerdeführers zurückzuweisen; überdies wäre es inhaltlich unberechtigt, weil die Frage der Übereignung eines Grundstreifens von M. R. an den Beschwerdeführer keine Vorfrage für das gegenständliche Verfahren darstelle, weil es nur darauf ankomme, ob ein Konsens über die bauliche Anlage vorliege oder nicht, nicht aber "ob dieser durch eine Grundübereignung irgendwann hergestellt werden kann".

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Im Zuge des Berufungsverfahrens holte die Behörde eine ergänzende Stellungnahme eines Bausachverständigen ein, in der es unter anderem heißt, daß die Grenzabstände, wie sie sich aus dem vorliegenden Vermessungsplan ergäben, in mehreren (näher bezeichneten) Punkten "nicht den derzeitigen bauordnungsgemäßen Abständen" entsprächen, nämlich mindestens 3,00 m im Freiland; zum Zeitpunkt der Errichtung des Wohnhauses hätten jedoch zumindest 4,00 m als Grenzabstand gegolten. Der Beschwerdeführer brachte (auch zu anderen Aspekten) eine umfangreiche Stellungnahme ein.

Mit Bescheid vom 30. Dezember 1993 wies der Gemeinderat der Gemeinde die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Zusammenfassend billigte die Behörde die Beurteilung der Behörde erster Instanz. Entgegen der Beurteilung des Beschwerdeführers sei das gesamte Bauvorhaben als konsenswidrig anzusehen. Ein Gebäude stelle rechtlich eine Einheit dar und wenn es durch einen Zubau, Umbau oder durch sonstige bewilligungspflichtige Bauabänderungen anders als bewilligt errichtet werde, folge daraus nicht nur die Rechtswidrigkeit der "die Bewilligungsgrenze überschreitenden Teile, sondern die Rechtswidrigkeit des gesamten Gebäudes". Aufgrund der Auflagen und Bedingungen im Baubewilligungsbescheid wäre zwar die Ausführung des Bauvorhabens "genau in der in Plänen dargestellten Form nicht mehr möglich gewesen", es wäre aber möglich gewesen, das Bauvorhaben "eben genau entsprechend diesen Auflagen abzuändern und entsprechend zu verkleinern". Eine Betrachtung der Pläne zeige auch dem Laien, daß eine Verkleinerung von Räumen oder das Weglassen von Räumen "ohne komplette Minderung des Bauvorhabens so möglich wäre, daß die aus dem Wortlaut des Bescheides und den Plänen hervorgehenden Grenzabstände eingehalten worden wären". Wenn der Beschwerdeführer "dies in Hoffnung auf eine zu erwerbende Grundfläche unterlassen" habe, so sei dies "eben auf sein Risiko und in bezug auf den Baubewilligungsbescheid in rechtswidriger Weise" erfolgt. Überdies sei die Überdachung der Garage entgegen dem Einreichplan um ca. 1,20 m nach Süden verlängert worden. Da somit eindeutig feststehe, daß auch die Garage unteilbar mit dem Gebäude verbunden sei und somit das gesamte Bauwerk einschließlich der Garage ein unteilbares Ganzes bilde, sei es zutreffend gewesen, "den Abbruchbescheid für das gesamte Bauwerk zu erlassen".

Die Zuständigkeit des Gemeinderates zur Entscheidung über die Berufung ergebe sich aufgrund der Befangenheit des Bürgermeisters (der den Bescheid erster Instanz erlassen habe) und des Vizebürgermeisters (der Grenzabstand des gegenständlichen Gebäudes zum Grundstück seiner Mutter (A.W.) stimme nicht), wodurch der Gemeindevorstand beschlußunfähig geworden sei. Da keine Ersatzmitglieder für den Gemeinevorstand gewählt worden seien, sei gemäß § 38 Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung der Gemeinderat zur Entscheidung berufen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, in der er auch geltend machte, daß der (aus vier Peronen bestehende) Gemeindevorstand auch bei Befangenheit des Bürgermeisters und des Vizebürgermeisters beschlußfähig gewesen wäre, und auch, daß das Sitzungsprotokoll des Gemeinderates nur eine unzureichende Begründung aufweise.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Zusammenfassend führte sie (mit näherer Begründung) aus, daß der Gemeinderat gemäß § 31 Abs. 1 und Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung zur Entscheidung berufen gewesen sei. Nach der Rechtsprechung müsse nicht nur der Spruch, sondern auch die Begründung eines Bescheides vom Beschluß eines Kollegialorganes umfaßt sein. Das gegenständliche Sitzungsprotokoll entspreche diesen Erfordernissen. Der Abbruchauftrag sei ausreichend bestimmt. Auch eine Aussetzung des baupolizeilichen Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß des Benützungsbewilligungsverfahrens sei nicht gerechtfertigt, weil dies überdies dazu führen würde, daß die Durchführung eines baubehördlichen Verfahrens von einem antragsbedürftigen Verwaltungsakt (Benützungsbewilligung) abhängig wäre. Die Vorschreibung, daß ein Abstand von 4 m zu den Grundgrenzen einzuhalten sei, sei in Rechtskraft erwachsen. Die Baubehörde habe aber in nachvollziehbarer Weise begründet, daß mit der Auflage nicht etwa beabsichtigt gewesen sei, die Bewilligung unter Verletzung von Abstandsvorschriften zu erteilen und lediglich als Absichtserklärung kundzutun, "daß irgendwann in der Zukunft eine Übereignung zur Sanierung der Abstandsvorschriften stattzufinden" habe, sondern vielmehr, daß diese Übereignung vor Errichtung des Gebäudes hätte stattfinden müssen, was aufgrund des zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung herrschenden Einvernehmens zwischen dem Beschwerdeführer und M. R. durchaus möglich gewesen wäre. Andernfalls wäre es am Beschwerdeführer gelegen, sein Projekt im Hinblick auf diese Auflage abzuändern und entsprechend zu verkleinern. Halte ein wesentlicher Teil des Gebäudes eine gesetzliche Abstandsvorschrift nicht ein, sei das gesamte Gebäude als konsenslos anzusehen, weshalb zutreffend die Abtragung des gesamten Gebäudes angeordnet worden sei. § 38 AVG räume einer Partei keinen Anspruch auf Unterbrechung ein, weshalb diesbezüglich zu Recht mit einer Zurückweisung vorgegangen worden sei. Überdies sei "die Grenzverletzung aufgrund des derzeitigen Grundbuchsstandes einwandfrei feststellbar", weshalb keine Vorfrage im Rechtssinne vorliege, womit die Klärung der Frage, ob die Nachbarin zivilrechtlich verpflichtet sei, eine Übereignung durchzuführen, kein unentbehrliches Tatbestandselement für die Frage darstelle, ob der Grenzabstand eingehalten sei oder nicht. Weiters seien die Abstände zum Grundstück der A. W. nicht eingehalten worden, und es lägen "laut Aktenlage darüber hinausgehende Konsenswidrigkeiten vor, die selbst durch eine Übereignung nicht saniert werden könnten".

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Beschwerdeführer hat eine Äußerung zur Gegenschrift eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 38 Abs. 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966, LGBl. Nr. 4/1966, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 98/1991, tritt der Gemeindevorstand nach Bedarf zusammen. Der Gemeindevorstand ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist.

Nach Abs. 4 leg. cit. sind die stimmberechtigten Mitglieder des Gemeindevorstandes im Falle ihrer Verhinderung durch Ersatzmitglieder zu vertreten, wenn solche nach § 79 Abs. 3 der Tiroler Gemeindewahlordnung 1991 oder nach § 23 Abs. 3 der Gemeindeordnung gewählt wurden. In diesem Falle ist das entsprechende Ersatzmitglied zu laden.

Nach Abs. 5 geht die Zuständigkeit zur Beschlußfassung auf den Gemeinderat über, wenn in einer Angelegenheit die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder des Gemeindevorstandes einschließlich der Ersatzmitglieder verhindert ist. Dies gilt auch für die Beschlußunfähigkeit des Gemeindevorstandes aus anderen Gründen.

Im Beschwerdefall ist unstrittig, daß der Gemeindevorstand aus vier stimmberechtigten Mitgliedern bestand, daß keine Ersatzmitglieder gewählt waren und daß zwei stimmberechtigte Mitglieder befangen waren (was der Beschwerdeführer nicht mehr in Zweifel zieht). Damit war der Gemeindevorstand gemäß § 38 Abs. 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 nicht beschlußfähig (weil nicht MEHR als die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend sein konnte), sodaß gemäß Abs. 5 die Zuständigkeit zur Beschlußfassung auf den Gemeinderat überging. Die Beurteilung des Beschwerdeführers, daß der Gemeinderat zur Entscheidung nicht berufen war, ist somit unzutreffend.

Gemäß § 38 Abs. 6 leg. cit. sind die Sitzungen des Gemeindevorstandes nicht öffentlich. Die Beschlüsse sind in einer vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterfertigenden Niederschrift festzuhalten. Die Niederschriften sind bei den Gemeindeakten zu verwahren. Das Recht auf Einsichtnahme in die Niederschriften ist auf die Mitglieder des Gemeinderates beschränkt.

Vorliegendenfalls hat der Gemeinderat gemäß § 34 Abs. 2 leg. cit. die Öffentlichkeit von der Beratung (und der Entscheidung) über die Berufung des Beschwerdeführers ausgeschlossen. Gemäß § 35 Abs. 3 leg. cit. darf die Niederschrift der Beschlüsse, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit gefaßt wurden, abgesehen von Feststellungen nach Abs. 2 (wonach Mitglieder des Gemeinderates, die einem Beschluß nicht zugestimmt haben, verlangen können, daß dies in der Niederschrift festgehalten wird) Einzelheiten über die Beratung und Abstimmung nicht enthalten. Im "allgemeinen Beratungsprotokoll" ist zu den fraglichen Vorgängen festgehalten, daß gemäß § 34 Abs. 2 leg. cit. die Öffentlichkeit ausgeschlossen und diesbezüglich eine eigene, nur den Gemeinderatsmitgliedern und nicht der Öffentlichkeit zugänglichen Niederschrift, verfaßt wurde (zitiert nach einer Mitteilung der Gemeinde vom 12. Jänner 1994 an den Beschwerdeführer). Auch der Verwaltungsgerichtshof vermag diesem abgesonderten Protokoll nichts Bedenkliches zu entnehmen; insbesondere enthält es (entgegen den Mutmaßungen des Beschwerdeführers) die Begründung des Berufungsbescheides, sodaß die Annahme des Beschwerdeführers, es sei "der Intimationsbescheid des Gemeinderates nicht durch einen entsprechenden Beschluß des Gemeinderates gedeckt", unzutreffend ist.

Gemäß § 44 Abs. 3 lit. a der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989, hat die Behörde den Abbruch einer baulichen Anlage innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist aufzutragen, wenn für diese bauliche Anlage, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung und der Erlassung des Auftrages bewilligungspflichtig war bzw. ist, eine Baubewilligung nicht vorliegt.

Gemäß Abs. 5 leg. cit. ist Abs. 3 lit. a sinngemäß anzuwenden, wenn ein Bauvorhaben abweichend von der Baubewilligung ausgeführt wurde und diese Abweichung eine Änderung des Bauvorhabens darstellt, zu deren Vornahme auch dann, wenn das Bauvorhaben bereits ausgeführt wäre, eine Baubewilligung erforderlich wäre.

Richtig ist, daß der Beseitigungsauftrag stets an den Eigentümer der Baulichkeit zu richten ist und die Behörde die Frage, wer Eigentümer der fraglichen Baulichkeit ist, auch von Amts wegen zu überprüfen hat. Sofern der Beschwerdeführer nun einwendet, die belangte Behörde sei offensichtlich davon ausgegangen, daß er "alleine aufgrund des Grundbuchsstandes Eigentümer dieser Baulichkeit ist" und nicht überprüft habe, "warum nun dies nicht auch auf Frau Margarthe W zutreffen soll, die seinerzeit ebenfalls Konsenswerberin" gewesen sei, weshalb schon deshalb der angefochtene Bescheid inhaltlich rechtswidrig sei, ist ihm nicht zu folgen. Der Beschwerdeführer hatte wiederholt von "seinem Haus" gesprochen (also nicht etwa vorgebracht, daß es einer anderen Person gehöre). Keineswegs waren die Behörde ohne weitere Anhaltspunkte allein aufgrund des Umstandes, daß die Baubewilligung nicht nur dem Beschwerdeführer, sondern auch seiner (wie er vorbringt) damaligen Ehefrau erteilt wurde, verhalten, von Amts wegen die vom Beschwerdeführer nun vermißten Nachforschungen anzustrengen, wobei es auffällt, daß er auch nun nicht behauptet, daß das Haus jemand anderem gehöre (ein Vorbringen, das überdies im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende Neuerungsverbot unbeachtlich wäre).

Der Beschwerdeführer bringt auch in der Beschwerde vor, aus den dem Baubewilligungsverfahren zugrundegelegten Plänen sei klar ersichtlich gewesen, daß Grenzabstände von 4 m bei einer Grundstücksbreite von 18 m und einer Gebäudebreite von 12,5 m nicht eingehalten werden könnten. Zunächst ist dem entgegenzuhalten, daß in dem vom Beschwerdeführer selbst im Baubewilligungsverfahren vorgelegten Lageplan die (Mindest-)Abstände zur westlichen, nördlichen und östlichen Grenze mit jeweils 4,0 m angegeben sind und die entscheidende Unrichtigkeit dieser Pläne nur durch Nachmessen der - im Plan ziffernmäßig nicht ausgewiesenen - Grundstücksbreite zutage tritt. (Ob der Beschwerdeführer seinerzeit der Behörde wissentlich falsche Pläne vorgelegt hat, kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben).

Richtig ist wohl, daß ein Gebäude mit einer Breite von 12,5 m angesichts einer Grundstücksbreite von 18,0 m (Abstand der West- von der Ostgrenze), wie behauptet, unmöglich seinen Abstand von 4,0 m sowohl zur westlichen, als auch zur östlichen Grenze einhalten kann. Damit vermag der Beschwerdeführer aber keine derartige Unmöglichkeit, einen Abstand von 4,0 m zur NORDgrenze einzuhalten, aufzuzeigen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei "BEREITS Eigentümer jener Grundstücksteile, die zur Erhaltung allfälliger Grenzvorschriften notwendig sind, in bezug auf die Anrainerin" M. R., er habe sie "bereits auf Unterfertigung eines verbücherungsfähigen Vertrages geklagt", beruht auf der rechtlich unzutreffenden Qualifikation, daß ein Anspruch auf "Unfertigung eines verbücherungsfähigen Vertrages" bereits Eigentum verschaffe: der bloße - behauptete - Titel gibt noch kein Eigentum (§ 425 ABGB); einer der - seltenen - Fälle echten "außerbücherlichen Eigentums" (siehe dazu für viele Spielbüchler in Rummel I2, Rz 2 zu § 431 ABGB oder auch die in Hauer, Tiroler Baurecht2, bei E 1b zu § 27 TBO wiedergegebene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes) wird damit nicht aufgezeigt. Der Erwerb eines Grundstreifens von der Nachbarin A. W. wird nicht behauptet (sondern lediglich in Aussicht gestellt). Es war daher zutreffend, der Beurteilung die Grenzen zugrunde zu legen, wie sich aus dem Plan des Geometers ergeben.

Teilte man die Beurteilung des Beschwerdeführers, daß die Vorschreibung von Grenzabständen, die unmöglich eingehalten werden könnten, unwirksam sei, könnte sich dies demnach nicht auch auf den Abstand zur nördlichen Grenze beziehen. Da dieser Abstand tatsächlich nicht 4,0 m beträgt, sondern lediglich zwischen 0,66 m und 2,63 m, ist das Gebäude schon deshalb in einem wesentlichen Teil als konsenswidrig errichtet anzusehen, sodaß die Behörde zu Recht die Abtragung des gesamten Gebäudes aufgetragen hat (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Oktober 1980, Slg. Nr. 10247/A). Vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles ist eine Verletzung des ausdrücklich vorgeschriebenen Mindestabstandes in einem derartigen Umfang (jedenfalls befindet sich der nördliche Teil des Hauses in seiner gesamten Breite von 12,5 m mit einer Tiefe von 1,37 m bis 3,34 m im Abstandsbereich zur nördlichen Grenze) als "wesentlich" im aufgezeigten Sinn anzusehen. Damit ist auch die Beurteilung des Beschwerdeführers, es dürfte (wenn überhaupt) nur jener Teil des Gebäudes abgetragen werden, der in den Abstandsbereich ragt, untreffend. Daher kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob das Haus in bezug auf die Abstände zur West- und zur Ostgrenze konsensmäßig ist bzw. welche Auswirkung die aufgezeigte "Unmöglichkeit" auf die diesbezüglichen Abstände hat. Ebenso kann dahingestellt bleiben, welche Abstände ohne diese Vorschreibungen einzuhalten gewesen wären oder auch, welche Abstände im Falle eines Neubaues nach der nun gegebenen Rechtslage einzuhalten wären (oder auch ob für das tatsächlich errichtete Gebäude - oder zumindest für Teile hievon - ein Baukonsens erwirkt werden könnte), weil es darauf im vorliegenden Auftragsverfahren nicht ankommt.

Somit war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994060125.X00

Im RIS seit

23.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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