TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/27 90/10/0049

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Veröffentlicht am 27.02.1995
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

EGVG Art9 Abs1 Z1;
StGB §115 Abs3;
VStG §6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des Al. A. in F, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 31. Jänner 1990, Zl. III-4033/89, betreffend Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 31. Jänner 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 24. April 1988 um 3.25 Uhr in B, X-Platz 4, vor der J-Bar, die Ordnung an einem öffentlichen Ort durch sein Verhalten, welches geeignet gewesen sei, Ärgernis zu erregen, gestört, indem er an einer wörtlichen und tätlichen Auseinandersetzung beteiligt gewesen sei. Hiedurch habe er eine Übertretung gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG begangen. Es wurde eine Geldstrafe in Höhe von S 700,-- (Ersatzarreststrafe 42 Stunden) verhängt.

In der Begründung heißt es, der Anzeige des Gendarmeriepostens B vom 2. Mai 1988 könne entnommen werden, daß am 24. April 1988 um 3.25 Uhr R.M., M.S. einerseits sowie die türkischen Staatsangehörigen Y.A., der Beschwerdeführer und Y.Ac. andererseits nach dem Verlassen der J-Bar in B, X-Straße 4, vor dem angeführten Lokal in Streit geraten seien. Aus welchem Grund es dazu gekommen sei, habe aufgrund der verschiedenen Aussagen nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Es sei zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, an der alle fünf angeführten Personen aktiv teilgenommen hätten. Da es im mitteleuropäischen Raum durchaus nicht üblich sei, verbale Auseinandersetzungen durch das Setzen von Tätlichkeiten und das Abhalten von Raufereien zu bereinigen, sei das Vorgehen des Beschwerdeführers zweifels geeignet, den Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG zu verwirklichen.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung im wesentlichen eingewendet, es hätte festgestellt werden müssen, von wem die Auseinandersetzung ausgegangen sei. Der Beschwerdeführer habe die Tätlichkeiten zur Abwehr widerrechtlicher Angriffe in Notwehr gesetzt.

Dieser Argumentation des Beschwerdeführer müsse seine eigene Aussage vor dem Gendarmerieposten B entgegengehalten werden. Dort habe der Beschwerdeführer unter anderem ausgesagt, daß er mit seinem Sohn und dessen Cousin das Lokal um ca. 3.30 Uhr verlassen habe. Vor dem Lokal seien ca. sechs, sieben Leute gestanden. Als sie an diesen vorbeigegangen seien, habe einer von denen auf türkisch gerufen "Wir ficken deine Frau" oder ähnliches. Es sei sicher, daß der Blonde (S.) dies gerufen habe. Der Beschwerdeführer habe darauf gesagt, er solle seine "Schnorre" halten. Daraufhin hätte sich S. auf den Beschwerdeführer gestürzt. Der mit dem Bart (M.) hätte ihn aber aufgehalten. Plötzlich hätte M. den Beschwerdeführer mit der Faust an die linke Schläfe geschlagen, sodaß er umgefallen sei. In weiterer Folge hätte sich S. auf den Beschwerdeführer gestürzt. Sie hätten dann am Boden gerauft. Mit dem Bärtigen (M.) hätte der Beschwerdeführer keine tätliche Auseinandersetzung mehr gehabt.

Die belangte Behörde gehe davon aus, daß die Sachverhaltsdarstellung, wie sie vom Beschwerdeführer selbst geschildert werde, der Wahrheit entspreche. Allerdings könne die belangte Behörde aus diesen Aussagen eine Notwehrsituation für den Beschwerdeführer nicht ableiten. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit gehabt, die beleidigenden Ausführungen beim nächsten Gendarmerieposten anzuzeigen anstatt mit verbalen Gegenangriffen eine tätliche Auseinandersetzung zu provozieren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, er habe nur in Notwehr gehandelt; dies habe auch das Strafverfahren vor dem Landesgericht Feldkirch ergeben. Die belangte Behörde habe es unterlassen, dem Beweisantrag des Beschwerdeführers stattzugeben und den entsprechenden strafgerichtlichen Akt beizuschaffen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung mehrfach auf den Unterschied zwischen einem "Handgemenge" und einer "Rauferei" hingewiesen (vgl. das Erkenntnis vom 10. September 1984, Slg.NF 11.502/A, und die dort zitierte Vorjudikatur). In ein Handgemenge kann auch derjenige geraten, der sich gegen einen widerrechtlichen Angriff zur Wehr setzt. Hat der Beschuldigte in Notwehr oder unverschuldeter putative Notwehr gehandelt, so war sein Verhalten auch nicht geeignet, Ärgernis zu erregen, weil Notwehrmaßnahmen von unbefangenen Menschen nicht als unerlaubt und schändlich empfunden werden. Gleiches hätte für den Fall unverschuldeter Notwehrüberschreitung zu gelten.

Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung erkennbar den vom Beschwerdeführer selbst geschilderten Sachverhalt zugrunde gelegt. Dieser somit festgestellte Sachverhalt ist zunächst nicht geeignet, den Schuldspruch insoweit zu tragen, als dem Beschwerdeführer die Verwirklichung des Straftatbestandes durch Beteiligung an einer "wörtlichen Auseinandersetzung" vorgeworfen wird. Nach den Angaben des Beschwerdeführers, von denen die belangte Behörde ausgeht, hat er auf den - von ihm nicht provozierten - Zuruf "Wir ficken deine Frau" mit den Worten reagiert "Halt die Schnorre". Wenn der Beschwerdeführer auf einen ordinären, empörenden und jeglichen Anstand vermissen lassenden Zuruf mit relativ harmlosen Worten reagiert hat, dann kann ihm nicht der Vorwurf einer den Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG verwirklichenden Beteiligung an einer wörtlichen Auseinandersetzung vorgeworfen werden. Die Rechtsordnung billigt nämlich demjenigen, der von einem anderen in unzumutbarer Weise (verbal) attackiert wird, eine entsprechende Reaktion zu. So ist nach § 115 Abs. 3 StGB entschuldigt, wer sich nur durch Entrüstung über das Verhalten eines anderen hinreißen läßt, ihn in einer den Umständen nach entschuldbaren Weise zu beschimpfen, zu mißhandeln oder mit Mißhandlungen zu bedrohen, wenn seine Entrüstung, insbesondere auch im Hinblick auf die seit ihrem Anlaß verstrichene Zeit, allgemein begreiflich ist.

Anhand des festgestellten Sachverhaltes kann aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Beschwerdeführer - entsprechend der schon im Verwaltungsstrafverfahren vorgetragenen Verantwortung - lediglich in ein "Handgemenge" im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung geraten ist bzw. sich gegen einen widerrechtlichen Angriff zur Wehr gesetzt hätte. Nach den von der belangten Behörde übernommenen Angaben des Beschwerdeführers hat sich S. auf den Beschwerdeführer gestürzt, wobei ihn aber M. aufgehalten hat. Anschließend hat M. den Beschwerdeführer mit der Faust an die linke Schläfe geschlagen, sodaß der Beschwerdeführer umgefallen ist. In weiterer Folge hat sich S. auf den Beschwerdeführer gestürzt und sie haben am Boden gerauft. Angesichts dieses Sachverhalts kann - mangels näherer Feststellungen - nicht ausgeschlossen, der Beschwerdeführer habe in Notwehr gehandelt. Daß dem Beschwerdeführer aus seiner verbalen Reaktion auf den ordinären Zuruf kein Vorwurf gemacht werden kann, wurde bereits dargelegt.

Aus den dargestellten Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1990100049.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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