TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/14 94/20/0347

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Veröffentlicht am 14.03.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art33;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des C in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1993, Zl. 4.341.433/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, der am 4. Oktober 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 6. Oktober 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 1992, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Während die Behörde erster Instanz die Abweisung des Asylansuchens des Beschwerdeführers noch mit dessen mangelnder Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 begründet hatte, stützte sich die belangte Behörde bei ihrer abweislichen Entscheidung, ohne sich mit der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, lediglich auf den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit., wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging dabei von den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 7. Oktober 1992 vor dem Bundesasylamt aus, nach denen er sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet etwa drei Wochen in Rumänien aufgehalten habe. In rechtlicher Hinsicht befaßte sich die belangte Behörde sodann mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle.

Der Beschwerdeführer wendet sich nun in der Beschwerde gegen die Annahme der belangten Behörde, daß Rumänien, das der Genfer Flüchtlingskonvention mit Erklärung vom 7. August 1991 nach Variante b des Art. 1 Abschnitt B beigetreten ist, den sich daraus ergebenden Verpflichtungen im Zeitpunkt seines dortigen Aufenthaltes auch nachgekommen sei. Insbesondere müsse über das bloße Vorhandensein von Rechtsgrundlagen für einen rechtmäßigen Aufenthalt eines Asylwerbers in diesem Drittstaat auch die konkrete Verwaltungspraxis dieses Staates eine solche sein, daß die rein rechtlich gegebenen Schutzmechanismen in der Praxis mit zumutbaren Mitteln auch durchgesetzt hätten werden können. Feststellungen zu diesem Punkte lägen nicht vor. Die belangte Behörde habe vielmehr ihre Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit dadurch verletzt, daß sie sich bei der Beurteilung der Effektivität bzw. praktischen Anwendung des "Nonrefoulementrechtes" durch Rumänien auf eine "generalisierende Betrachtung" zurückziehe. Hätte die belangte Behörde dieser Ermittlungspflicht Genüge getan, hätte sie feststellen können, daß "das Verbot des Refoulement von nigerianischen Flüchtlingen durch Rumänien keine Umsetzung in der Verwaltungspraxis erfährt" (ad notam: der Beschwerdeführer ist Türke), sowie daß der Beschwerdeführer in Rumänien nicht einmal "Duldung meines Aufenthaltes durch die dortigen Behörden" erfahren habe.

Diese Ausführungen sind nach Maßgabe der den Beschwerdeführer betreffenden Mitwirkungspflicht in Bestreitung der von der belangten Behörde angenommenen Effektivität des Verfolgungs- und Rückschiebeschutzes des Beschwerdeführers in Rumänien nach Maßgabe der diesen im Verfahren grundsätzlich treffenden Mitwirkungspflicht gerade noch ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der der belangten Behörde zum Vorwurf zu machenden Verletzung von Verfahrensvorschriften (mangelndes Parteiengehör, mangelhaftes Ermittlungsverfahren und Verletzung der eingehenden Begründungspflicht) zu erkennen. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht auch nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß §§ 39, 45, 60 AVG in Verbindung mit §§ 16 und 20 Asylgesetz 1991) verpflichtet ist, ersparen könnte. Die Pflicht des Beschwerdeführers zur Darlegung der Wesentlichkeit der von ihm vor dem Verwaltungsgerichtshof gerügten Verfahrensmängel geht nicht weiter, als seine Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren gegangen wäre, hätte die belangte Behörde die Verfahrensvorschriften beachtet.

Würde die nun - zumindest implizite - vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung zutreffen, Rumänien komme den sich aus der Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Verpflichtungen tatsächlich (zumindest im Zeitpunkt seines Aufenthaltes) nicht nach, so könnte nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß er dort bereits vor Verfolgung sicher gewesen sei. Damit aber hat der Beschwerdeführer bereits die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensfehler aufgezeigt.

Mit seinen Ausführungen unterliegt der Beschwerdeführer nicht dem grundsätzlich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG, weil die belangte Behörde erstmals von diesem Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht hat, ohne jedoch dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, hiezu Stellung zu nehmen.

Da sohin Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die verzeichneten Stempelgebühren infolge Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht zu entrichten waren.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200347.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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