TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/28 94/19/1359

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Veröffentlicht am 28.03.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Mai 1994, Zl. 4.341.928/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 15. Oktober 1992 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Oktober 1992 einen Asylantrag.

Das Bundesasylamt hat diesen Asylantrag mit Bescheid vom 20. Oktober 1992 mit der Begründung abgewiesen, daß die Flüchtlingseigenschaft bei der Beschwerdeführerin zu verneinen sei.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Mai 1994 wurde die gegen den vorerwähnten Bescheid erhobene Berufung abgewiesen und der Beschwerdeführerin damit die Asylgewährung versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin - ohne sich mit ihrer Flüchtlingseigenschaft auseinanderzusetzen - ausschließlich deshalb kein Asyl gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihr der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie stützte sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung am 19. Oktober 1992, wonach sich diese vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet in Niger und in Tunesien aufgehalten habe und folgerte daraus, daß die Beschwerdeführerin - zumal es ihr möglich gewesen sei, bei "den dortigen Behörden um Asyl anzusuchen" - bereits in Niger und in Tunesien vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen der Voraussetzungen für eine rechtsfehlerfreie Bejahung des gebrauchten Asylausschließungsgrundes. Sie bringt dazu vor, es würden Gründe vorliegen, warum sie in den von der belangten Behörde herangezogenen Ländern nicht sicher vor Rückschiebung in ihr Heimatland gewesen sei. Sowohl Niger als auch Tunesien seien von Nigeria wirtschaftlich abhängig. Die Behörden von Niger und von Tunesien würden keinesfalls gegen die Interessen der nigerianischen Behörden handeln. Es sei undenkbar, daß ein nigerianischer Staatsangehöriger in Niger oder in Tunesien wegen politischer Verfolgung Asyl erhalte. Dieser Umstand sei für sie als nigerianische Staatsangehörige so evident gewesen, daß sie gar nicht daran gedacht habe, dies gesondert vorbringen zu müssen. Die Behörde habe sie jedoch gar nicht befragt, ob es Gründe gebe, warum sie in Niger und in Tunesien nicht sicher vor Rückschiebung in ihr Heimatland gewesen sei. Die Behörde hätte aber die Pflicht gehabt, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Hätte die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren durchgeführt - und dabei insbesondere eine ergänzende Einvernahme der Beschwerdeführerin durchgeführt - dann wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Der Beschwerdeführerin ist darin zuzustimmen, daß in dem ihrer Beschwerde zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, um annehmen zu können, die Staaten Niger und Tunesien hätten ihr aufgrund ihrer jeweils "im großen und ganzen effektiv geltenden Rechtsordnung" als Zufluchtsstaaten bereits einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention - insbesondere hinsichtlich des Rückschiebungsschutzes - entsprechenden Schutz geboten.

Die Beschwerdeausführungen sind nach Maßgabe der einen Asylwerber im Verfahren treffenden Mitwirkungspflicht ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der im vorliegenden Beschwerdefall der belangten Behörde unterlaufenen Verletzungen von Verfahrensvorschriften (Parteiengehör, Ermittlungs- und Begründungspflicht) zu erkennen. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht nicht so weit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier: gemäß den §§ 11, 16 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit den §§ 39, 45 und 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht entsprechend der durch § 60 (in Verbindung mit § 67) AVG gebotenen Begründung dargelegt, aufgrund welcher Ermittlungen und Überlegungen sie zu der Feststellung gelangte, die Beschwerdeführerin habe nicht darzutun vermocht, daß sie keinen Rückschiebungsschutz (in Niger und in Tunesien) genossen habe. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt wurde, obwohl die belangte Behörde - anders als die Erstbehörde - nunmehr den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 herangezogen hat, verstößt ihr (erstmals in der Beschwerde erstattetes) Vorbringen diesbezüglich auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Die aufgezeigten Verletzungen von Verfahrensvorschriften sind auch wesentlich, weil unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und dem nach der Aktenlage hinsichtlich des gebrauchten Ausschließungsgrundes fehlenden Ermittlungsverfahren nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994191359.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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