TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/17 94/12/0216

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Veröffentlicht am 17.05.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
20/05 Wohnrecht Mietrecht;
24/01 Strafgesetzbuch;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

BDG 1979 §80 Abs5 Z2;
BDG 1979 §80 Abs5;
BDG 1979 §80 Abs9;
B-VG Art130 Abs2;
MRG §30 Abs2 Z3;
StGB §207;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde des P in N, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 16. Juni 1994, Zl. 44 4430/5-I/6/94, betreffend Entzug einer Naturalwohnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Revierinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; seine Dienststelle ist das Zollamt X.

Mit Bescheid der Dienstbehörde erster Instanz vom 21. Oktober 1974 wurde dem Beschwerdeführer eine Naturalwohnung für die Dauer seiner dienstlichen Verwendung bei der Zollwachabteilung X zugewiesen.

Diese Naturalwohnung wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Dienstbehörde erster Instanz vom 21. März 1994 unter Setzung einer Räumungsfrist von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides entzogen, weil der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 7. Juli 1993 der Begehung einer strafbaren Handlung gegen die Sittlichkeit, und zwar der Unzucht mit Unmündigen, für schuldig befunden worden war. Er habe diese Straftat an einer unmündigen Bewohnerin desselben bundeseigenen Wohngebäudes gesetzt. In seiner Stellungnahme im Verfahren habe der Beschwerdeführer ausgeführt, daß die von seiner Straftat betroffene Minderjährige und ihre Mutter den Entzug der ihm zugewiesenen Naturalwohnung in keiner Art und Weise beantragt hätten und keine Einwände gegen die Weiterbenützung seiner Naturalwohnung durch ihn erhoben hätten. Auch wenn der Schutztatbestand des § 80 Abs. 5 Z. 2 BDG 1979 somit von den unmittelbar betroffenen Personen nicht angesprochen worden sei, sei aber die Verantwortung gegenüber allen Wohnparteien des Hauses bzw. der Wohnanlage dadurch nicht aufgehoben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers nicht stattgegeben.

Zur Begründung wurde nach zusammengefaßter Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides, der Berufung und der Rechtslage weiter ausgeführt, im vorliegenden Verfahren sei unbestritten, daß der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 7. Juli 1993 für schuldig befunden worden sei, im Sommer 1991 eine unmündige Person, nämlich die damals zwölfjährige C.B., durch andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht zu haben. Er habe hiedurch das Verbrechen der Unzucht mit Minderjährigen nach § 207 Abs. 1 StGB begangen und sei hiefür unter Anwendung des § 37 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen oder im Falle der Uneinbringlichkeit zu 120 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe - unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren - verurteilt worden. Nach den Feststellungen des Gerichtes habe der Beschwerdeführer das Mädchen mit beiden Händen über der Kleidung an den Brüsten betastet und erklärt, daß er sie immer dort angreifen würde, wenn er ihr Freund wäre.

Der Beschwerdeführer bewohne mit seiner Gattin die Naturalwohnung Nr. y in N. Das Opfer seiner Unzuchtshandlungen habe die darunter gelegene Naturalwohnung bewohnt, in welcher auch das Delikt begangen worden sei. Bei der Strafbemessung habe das Gericht die bisherige Unbescholtenheit als mildernd gewertet. Der Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers sei keine Folge gegeben worden. Hinsichtlich der Strafbemessung habe das Oberlandesgericht erkannt, daß der Angeklagte bei der Straffestsetzung durch das Erstgericht einer eher ungewöhnlichen Milde teilhaftig geworden sei. Den Entscheidungsgründen des Landesgerichtes Feldkirch sei zu entnehmen, daß die Tat dem Beschwerdeführer nicht wesensfremd sei. Über den Ausgang des Gerichtsverfahrens sei auch in den "Vorarlberger Nachrichten" berichtet worden; daß der Vorfall zumindest den Bewohnern der Gemeinde N zur Kenntnis gelangt sei, könne nicht ausgeschlossen werden.

Nach dem dargestellten Sachverhalt könne kein Zweifel bestehen, daß der Beschwerdeführer sich gegenüber einer im Haus wohnenden Person einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen die Sittlichkeit schuldig gemacht habe. Schon allein durch das Strafausmaß werde auch bestätigt, daß die Handlung nach den Umständen auch nicht als geringfügig bezeichnet werden könne. Der Beschwerdeführer habe somit ein Verhalten gesetzt, das einen Kündigungsgrund nach § 30 Abs. 2 Z. 3 des Mietrechtsgesetzes 1981 darstelle und daher zum Entzug der ihm zugewiesenen Naturalwohnung berechtige.

Zum Berufungsvorbringen, wonach die Dienstbehörde bereits 1992 vom Verhalten des Beschwerdeführers Kenntnis erlangt habe, sei zu bemerken, daß die Dienstbehörde - nicht zuletzt zur Schonung der Interessen des Beschwerdeführers - jedenfalls berechtigt gewesen sei, mit der Einleitung des Kündigungsverfahrens bis zum Ende des gerichtlichen Strafverfahrens zuzuwarten. Aus dem Umstand, daß mit der Kündigung zugewartet worden sei, könne daher für den Beschwerdeführer nichts gewonnen werden. Dazu sei ergänzend zu bemerken, daß das Ergebnis des Strafverfahrens der Dienstbehörde erst mit Schreiben des Landesgerichtes Feldkirch vom 17. November 1993 bekanntgegeben worden sei. Der Beschwerdeführer selbst habe keinerlei Meldung über das anhängige Strafverfahren an seine Dienstbehörde erstattet.

In der Berufung sei weiters vorgebracht worden, daß weder die Minderjährige noch ihre Mutter Einwendungen gegen die Weiterbenützung der gegenständlichen Wohnung durch den Beschwerdeführer erhoben hätten. Auch mit diesem Vorbringen könne für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts gewonnen werden, weil es allein Sache der Dienstbehörde sei, allfällige Gründe wahrzunehmen, die zum Entzug einer Naturalwohnung führen könnten. Es bedürfe dazu keiner wie immer gearteten Anregungen durch andere - wenn auch durch das Verhalten des Beschwerdeführers massiv betroffene - Mitbewohner.

Der Gesetzgeber räume der Behörde bei Vorliegen einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 80 Abs. 5 BDG 1979 die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung ein. Im Beschwerdefall müsse diese Entscheidung wegen des ihr zugrunde liegenden Sachverhaltes zwingend auf Entzug der Naturalwohnung lauten. Dieser Sachverhalt bestehe in einem strafgerichtlich abgeurteilten Übergriff auf eine minderjährige Hausbewohnerin. Nach diesem Übergriff, der keineswegs als geringfügig angesehen werden könne, sei jedenfalls den anderen Hausbewohnern ein Verbleiben des Beschwerdeführers als Mitbewohner des Hauses nicht zumutbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 80 Abs. 2 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, kann dem Beamten im Rahmen des Dienstverhältnisses eine Dienst- oder Naturalwohnung zugewiesen werden. Dienstwohnung ist eine Wohnung, die der Beamte zur Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben beziehen muß. Naturalwohnung ist jede andere Wohnung. Die Zuweisung oder der Entzug einer Dienst- oder Naturalwohnung hat durch Bescheid zu erfolgen. Durch die Zuweisung einer Dienst- oder Naturalwohnung an den Beamten wird kein Bestandverhältnis begründet.

Nach Abs. 5 der genannten Bestimmung kann die Dienstbehörde die Dienst- oder Naturalwohnung entziehen, wenn

1.

der Beamte an einen anderen Dienstort versetzt wird oder aus dem Dienststand ausscheidet,

2.

ein Verhalten gesetzt wird, das einen Kündigungsgrund nach § 30 Abs. 2 Z. 3 des Mietrechtsgesetzes 1981, BGBl. Nr. 520, darstellen würde. ...

Gemäß § 30 Abs. 1 des Mietrechtsgesetzes 1981, BGBl. Nr. 520, kann der Vermieter den Mietvertrag nur aus wichtigen Gründen kündigen. Als wichtiger Grund ist nach Abs. 2 Z. 3 der genannten Bestimmung insbesondere anzusehen, wenn der Mieter vom Mietgegenstand einen erheblich nachteiligen Gebrauch macht, namentlich den Mietgegenstand in arger Weise vernachlässigt oder durch sein rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet oder sich gegenüber dem Vermieter oder einer im Haus wohnenden Person einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit schuldig macht, sofern es sich nicht um Fälle handelt, die nach den Umständen als geringfügig zu bezeichnen sind; dem Verhalten des Mieters steht, soweit er es unterließ, die ihm mögliche Abhilfe zu schaffen, das Verhalten seines Ehegatten und der anderen mit ihm zusammenwohnenden Familienangehörigen sowie der von ihm sonst in die gemieteten Räume aufgenommenen Personen gleich.

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe es im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Mietrechtsgesetz 1981 unterlassen, sein Gesamtverhalten als Mieter zu beurteilen, weil es nicht auf bloß einen einzigen Vorfall ankommen könne. Im konkreten Fall habe das Oberlandesgericht Innsbruck in seiner Berufungsentscheidung vom 4. November 1993 ausgeführt, daß "wegen der Unbescholtenheit des Angeklagten und der Art seines nicht sehr gravierenden Eingriffes in die Geschlechtssphäre des unmündigen Mädchens" die Strafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB zur Gänze bedingt nachgesehen worden sei, obwohl das Landesgericht Feldkirch dies im allgemeinen bei Unzuchtsdelikten, die Unmündige betreffen würden, nicht tue. Gerade diese außerordentlichen Milderungsgründe seien aber durch die belangte Behörde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden.

Auch die betroffenen Personen (Tochter und Mutter) hätten die Kündigung nicht gefordert. Darüberhinaus hätten beide die Naturalwohnung bereits verlassen.

Dieses Vorbringen kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

Die Inanspruchnahme der im Abs. 5 des § 80 BDG 1979 vorgesehenen Entziehungsmöglichkeiten ist als eine an die Dienstbehörde gerichtete Vorschrift zu werten, aus der bei Vorliegen der gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen die Berechtigung (und die Verpflichtung) der Dienstbehörde zur Entziehung der Naturalwohnung, nicht aber eine über die Feststellung des Vorliegens der im Gesetz genannten Tatbestände hinausgehende Begründungspflicht im Sinne einer Ermessensregelung folgt (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1977, Zl. 496/77, Slg. Nr. 9296/A). Eine Interessensabwägung, wie sie § 80 Abs. 9 BDG 1979 vorsieht, hat die Dienstbehörde bei Handhabung des § 80 Abs. 5 BDG 1979 nicht vorzunehmen (vgl. auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. März 1988, Zl. 87/12/0007, Slg. Nr. 12.669/A, und vom 29. November 1988, Zl. 88/12/0155).

Im Beschwerdefall ist der Sachverhalt unbestritten; in Frage gestellt wird im wesentlichen lediglich, ob das vom Beschwerdeführer zu vertretende Delikt im Sinne des § 30 Abs. 2 MRG 1981 als geringfügig zu bezeichnen ist. Dem unter Hinweis auf die zum Mietgesetz (MG) ergangenen Entscheidungen MietSlg. 19.287 (zum unleidlichen Verhalten) und MietSlg. 21.423 (betreffend einen fahrlässig verursachten Zimmerbrand) erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers ist vielmehr das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 25. Februar 1976, 1 Ob 536/76, MietSlg. 28.303, das zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 19 Abs. 2 Z. 3 MG erging, entgegenzuhalten, nach dem bei Beurteilung der Frage der Geringfügigkeit grundsätzlich davon auszugehen ist, daß bei einer strafbaren Handlung, die Verbrechenseignung besitzt, von vornherein nicht von Geringfügigkeit gesprochen werden kann (in diesem Sinne auch Würth in Rummel II2, RZ 22 zu § 30 MRG 1981). Da der Tatbestand des § 207 StGB diesen Anforderungen entspricht, hat die Behörde zutreffend die Geringfügigkeit des Verhaltens verneint und auf eine weitere Wertung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers, das, soweit den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und den Disziplinarakten entnommen werden kann, auch nicht gerade zugunsten des Beschwerdeführers spricht, verzichtet. Dem Umstand, daß die vom Verhalten des Beschwerdeführers betroffenen Personen bereits ausgezogen sind, kommt - abgesehen davon, daß es sich hiebei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung handelt (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Rechtsprechung zu § 41 VwGG) - keine entscheidende Bedeutung zu. Die Frage eines allfälligen Kündigungsverzichtes durch Zeitablauf ist nicht mehr releviert worden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Ermessen VwRallg8

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994120216.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

23.08.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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