TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/18 95/06/0092

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Veröffentlicht am 18.05.1995
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;
L82009 Bauordnung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
BauG Vlbg 1972 §28 Abs2 lita;
BauG Vlbg 1972 §28 Abs2 litb;
BauG Vlbg 1972 §28 Abs2 litc;
BauG Vlbg 1972 §28 Abs2 litd;
BauG Vlbg 1972 §28 Abs2;
BauG Vlbg 1972 §28 Abs6;
BauO Wr §10;
BauO Wr §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der X-GmbH in D, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 23. Februar 1995, Zl. II-2173/95, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde R, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus dem Vorbringen in der Beschwerde und dem vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Frau Edith St., die damalige Eigentümerin der Liegenschaft Grundstück Nr. 2901/22 der KG R, beantragte beim Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde die Erlassung eines Vorprüfungsbescheides gemäß § 28 des Vorarlberger Baugesetzes. Mit Bescheid vom 2. Juli 1992 hat der Bürgermeister die Baunutzungsziffer mit 65 festgelegt. Mit dem in Erledigung der Berufung gegen diesen Bescheid ergangenen Bescheid der Berufungskommission der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 29. September 1992 wurde die Baunutzungsziffer mit 75 festgesetzt.

Die Beschwerdeführerin hat die Liegenschaft der Edith St. in der Absicht und Erwartung gekauft, darauf ein Mehrfamilienwohnhaus mit 7 Wohneinheiten zu errichten. Mit Eingabe vom 15. April 1993 hat sie die Erteilung der Baubewilligung für ein derartiges Wohnobjekt beantragt.

In der Sitzung der Gemeindevertretung der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 29. September 1993 wurde eine Verordnung über die Festlegung von Baunutzungszahlen im Sinne des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes beschlossen und am 7. Oktober 1993 kundgemacht. Diese Verordnung legt die Baunutzungszahl für die Liegenschaft mit 50 fest. Mit der Begründung, daß das Bauvorhaben der Verordnung der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 7. September 1993 widerspreche, wurde die Baubewilligung versagt. Die Beschwerdeführerin hat gegen diesen Bescheid Berufung erhoben. In der Folge wurde die Verordnung der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 7. Oktober 1993 außer Kraft gesetzt; mit Bescheid der Berufungskommission der Marktgemeinde vom 3. Februar 1994 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin Folge gegeben, die Angelegenheit wurde zur neuerlichen Entscheidung an den Bürgermeister zurückverwiesen. Im Bescheid wurde festgestellt, daß das Maß der höchstzulässigen Nutzung der Liegenschaft nicht überschritten werde.

Zwischenzeitig, nämlich am 4. Februar 1994, wurde eine neuerliche Verordnung der Gemeindevertretung der mitbeteiligten Marktgemeinde erlassen, mit der für bestimmte Bereiche des Ortsgebietes eine Bausperre im Sinne des § 10 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes erlassen wurde. Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 24. März 1994 wurde der Bauantrag aufgrund der Bausperreverordnung neuerlich abgewiesen. Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin hat die Berufungskommission mit Bescheid vom 4. Mai 1994 der Berufung neuerlich Folge gegeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung in der Sache an den Bürgermeister zurückverwiesen.

Nachdem auch die Verordnung über die Festsetzung der Bausperre aufgehoben wurde, trat am 1. Juli 1994 eine neuerliche Verordnung der Gemeindevertretung in Kraft, die das Maß der baulichen Nutzung für das verfahrensgegenständliche Gebiet mit 55 festsetzte. Aufgrund dieser Verordnung wurde mit Bescheid des Bürgermeisters vom 12. Oktober 1994 der Bauantrag wegen Überschreitung der höchstzulässigen Nutzung der Liegenschaft abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung der Beschwerdeführerin hat die Berufungskommission der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Bescheid vom 1. Dezember 1994 keine Folge gegeben. Die dagegen eingebrachte Vorstellung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. Februar 1995 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die Beschwerdeführerin führt aus, im Spruch des Vorprüfungsbescheides sei ausdrücklich eine Baunutzungsziffer von 75 für zulässig erklärt worden, diese Entscheidung sei im Verfahren zur Erteilung der Baubewilligung für die Behörde bindend. Aufgrund des Verhältnisses zwischen Vorprüfungs- und Baubewilligungsbescheid hätte der Antrag auf Erteilung der Baubewilligung nicht abgewiesen werden dürfen. Zum Zeitpunkt der Überreichung des Bauantrages und zum Zeitpunkt der erstmaligen Abweisung des Bauantrages habe die nunmehr die Basis der Abweisung bildende Verordnung noch gar nicht bestanden. Auch aus diesem Grund hätte eine Abweisung des Bauantrages nicht auf die Verordnung vom 1. Juli 1994 gestützt werden dürfen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, hat die Rechtsmittelbehörde - dies gilt in gleicher Weise auch für jede andere behördliche Entscheidung - im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden. Eine andere Betrachtungsweise wird dann geboten sein, wenn etwa der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, daß "auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist". Weiters wird eine andere Betrachtungsweise auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum Rechtens war. Dieser Rechtsprechung liegt die Rechtsauffassung zugrunde, daß die Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen ist, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, z.B. in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungsgegenstand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen bestimmten Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung (im Sinne der Anwendung einer im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsnorm bzw. nicht mehr geltenden Rechtslage), gilt die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden ist (vgl. die Erkenntnisse vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/08/0140, vom 26. Februar 1987, Zl. 86/08/0115, und vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0177, sowie das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A).

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, daß als maßgebende Rechtslage jene zum Zeitpunkt der Erlassung des im Vorstellungsverfahren in Prüfung gezogenen Bescheides anzusehen ist, das war der Zeitpunkt der Zustellung des Berufungsbescheides der Berufungskommission der Marktgemeinde R vom 1. Dezember 1994. Zu diesem Zeitpunkt stand die Verordnung der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 1. Juli 1994 betreffend Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung mit 55 für die betreffende Liegenschaft in Geltung. Da das Vorarlberger Baugesetz keine Bestimmung enthält, wonach auf anhängige Verfahren die Rechtslage zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrages anzuwenden wäre, hat nun die Berufungskommission der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Recht die Verordnung vom 1. Juli 1994 berücksichtigt.

Gemäß § 28 Abs. 1 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. 39/1972 idF LGBl. Nr. 47/1983 hat die Behörde auf schriftlichen Antrag bei Vorhaben nach §§ 23 Abs. 1 lit. a, b und h eine Vorprüfung durchzuführen. Wenn es im Interesse der Einfachheit, Raschheit oder Kostenersparnis gelegen ist, hat die Behörde nach Einlangen eines Antrages gemäß § 25 von Amts wegen eine Vorprüfung durchzuführen. Abs. 2 dieser Bestimmung normiert, daß die Behörde bei der Vorprüfung festzustellen hat, ob dem Vorhaben

a) ein Flächenwidmungsplan aufgrund des Raumplanungsgesetzes,

b)

ein Bebauungsplan aufgrund des Raumplanungsgesetzes,

c)

eine Verordnung über das Maß der baulichen Nutzung aufgrund des Raumplanungsgesetzes,

              d)              eine Verordnung über die Art der Bebauung aufgrund des Raumplanungsgesetzes,

              e)              offensichtlich unbehebbare Hindernisse hinsichtlich der im § 4, im § 11 und im § 22 Abs. 1 geforderten Voraussetzungen entgegenstehen.

Nach Abs. 6 dieser Bestimmung hat, wenn der Antrag nicht abgewiesen oder zurückgewiesen wird, die Behörde festzustellen, daß dem Vorhaben keine Gründe nach Abs. 2 entgegenstehen. Ein solcher Bescheid verliert nach Ablauf von 2 Jahren nach seiner Erlassung seine Gültigkeit.

Da das Vorprüfungsverfahren nach § 28 Abs. 2 lit. a, b, c und d BauG die Aufgabe hat, festzustellen, ob ein Bauvorhaben den dort namentlich genannten Verordnungen widerspricht, kann schon mangels Normierung einer besonderen rechtlichen Wirkung des Vorprüfungsbescheides (etwa analog der Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen gemäß § 9 und 10 der Wiener Bauordnung) nicht davon ausgegangen werden, daß der Ausspruch, ein Bauvorhaben widerspreche nicht den genannten Verordnungen, auch auf eine aufgrund einer neuen Verordnung geänderte Rechtslage Rechtswirkungen entfalte. Ein derartiger Bescheid hat den Charakter eines Feststellungsbescheides, wobei sich die Feststellung angesichts des Gesetzeswortlautes nur auf die zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geltenden generellen Rechtsvorschriften beziehen kann. Der zweite Satz des § 28 Abs. 6, wonach ein solcher Bescheid nach Ablauf von 2 Jahren nach seiner Erlassung seine Gültigkeit verliert, kann nur dahin verstanden werden, daß die Behörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Vorprüfung nach Ablauf von 2 Jahren auch dann nicht mehr gebunden ist, wenn sich die Rechtslage nicht geändert hat.

Für die von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsansicht, ein Vorprüfungsbescheid entfalte Bindungswirkung für die Baubehörde auch im Fall der geänderten Rechtslage, bietet das Vorarlberger Baugesetz keine Grundlage.

Aufgrund der Verordnung der Marktgemeinde R vom 1. Juli 1994, mit der das Maß der baulichen Nutzung im verfahrensgegenständlichen Bereich mit 55 festgesetzt wurde, ist somit im Ergebnis das Bauansuchen der Beschwerdeführerin zu Recht abgewiesen worden.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995060092.X00

Im RIS seit

25.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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