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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des F in I, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. September 1994, Zl. 4.344.963/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 10. Juli 1994 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. Juli 1994 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. September 1994 wurde dieser Asylantrag abgewiesen. Die Behörde verneinte dabei das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 und bejahte das Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. September 1994 wurde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen.
Über die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des bekämpften Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
1. Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15. Juli 1994 zu Protokoll gegeben, daß er der kurdischen Volksgruppe zugehörig sei, die in der Türkei allgemein verfolgt werde. Er selbst habe ab 1980 weder einer politischen Bewegung angehört, noch sei er Sympathisant einer solchen gewesen, insbesondere habe er keine Verbindungen zur PKK gehabt. Er sei in den Jahren 1977 bis zum offiziellen Verbot Mitglied des Vereines "Devrimci Halk Kultur Dernegi" (Kulturverein für das revolutionäre Volk) mit der Zentrale in Ankara und einer Zweigstelle in Silvan gewesen. In Silvan habe der Beschwerdeführer bis 1991 gelebt, wo er im Jahr 1975 erstmals festgenommen worden sei, weil er Wände mit politischen Parolen beschmiert habe, weshalb er zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden sei. Am 12. September 1980 sei er wegen seiner Mitgliedschaft zu dem oben angeführten Verein festgenommen und nach zwei Monaten Haft wieder freigelassen worden. Ab diesem Zeitpunkt sei er immer wieder wegen Verdachtes der Kooperation mit der PKK vorübergehend verhaftet worden. So habe man ihn im Dezember 1984 wegen dieses Verdachtes 45 Tage in Haft gehalten und während dieser Zeit auf verschiedene Art (Stromstöße, Aufhängen von Autoreifen auf dem Hals) gefoltert. Danach habe man ihn wieder freigelassen. Im Jahr 1985 sei dieses Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. In den Jahren 1985 bis 1989 habe der Beschwerdeführer mit den Behörden keine gravierenden Probleme gehabt. In dieser Zeit sei er auch bei der Gemeinde in Silvan beschäftigt gewesen. Ab März 1991 habe die türkische Regierung Listen angefertigt, auf denen oppositionelle Personen festgehalten worden seien. Der Beschwerdeführer sei sich diebezüglich ganz sicher, daß er ebenfalls auf dieser Liste festgehalten worden sei. Diese Personen sollten dann im Auftrag der Regierung von deren Geheimorganisation Hisbollah ermordet werden. Es seien auch innerhalb eines Monats in Silvan gleich über 100 Personen ermordet worden. Ab 1991 sei der Beschwerdeführer auch immer wieder regelmäßig von der Polizei in Silvan vorgeladen und auch von seinem Arbeitsplatz auf die Wachstube abgeholt worden, wo er regelmäßig beschimpft und gefoltert worden sei, wobei diese Folterungen (Elektroschocks, Aufhängen und dgl.) keine sichtbaren Spuren hinterlassen hätten. Lediglich einmal habe er eine sichtbare Verletzung in Form einer Anschwellung am linken Sprunggelenk anläßlich eines gewaltsamen Stoßes aus einem Gendarmeriefahrzeug erlitten. In der Zeit von 1991 bis 1993 habe der Beschwerdeführer auf Grund seiner Furcht, ermordet zu werden, in Silvan auch keinen Wohnsitz mehr gehabt, sondern sei nach Diyarbakir verzogen. Seine Frau mit den beiden Kindern sei jedoch in Silvan bis Anfang 1993 verblieben, von wo sie dann in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist sei und dort einen Asylantrag gestellt habe. Ungeachtet seines Wohnsitzes in Diyarbakir habe der Beschwerdeführer weiterhin bei der Gemeinde in Silvan gearbeitet. Er habe sich zwar grundsätzlich sowohl in Silvan als auch in Diyarbakir versteckt gehalten, jedoch habe ihn die Polizei auf Grund seiner Beschäftigung bei der Gemeinde in Silvan immer wieder vorladen und von dort zu Verhören abholen können. Am 15. Oktober 1993 sei dem Beschwerdeführer von der Gemeinde Silvan gekündigt worden, wobei dies seiner Auffassung nach auf "politische Gründe" zurückzuführen sei. Der offizielle Grund habe darin bestanden, daß er seiner Arbeitsstätte 20 Tage ferngeblieben sei. Ab dem Jahr 1993 habe der Beschwerdeführer hauptsächlich in Istanbul gelebt, wobei er aber immer wieder fallweise nach Diyarbakir und Silvan zu Besuchen seiner Verwandten gefahren sei. In Istanbul habe er mit der Polizei keinerlei Probleme gehabt. Bei Personenkontrollen habe er sich auch problemlos mit seinem Führerschein ausweisen können. Die Heimat habe der Beschwerdeführer deshalb verlassen, weil er mit seiner Ermordung habe rechnen müssen und die türkische Regierung gegen das kurdische Volk eingestellt sei. Ihm sei auch bekanntgeworden, daß er bereits nach ca. 1 Monat nach seiner Übersiedlung nach Istanbul Anfang 1993 auf Grund eines Haftbefehls von der Polizei in Silvan gesucht worden sei.
Das Ziel seiner Ausreise habe darin bestanden, daß er zu seiner Familie in die Bundesrepublik gelange, wozu er sich einer Schlepperorganisation bedient habe. Nachdem der Beschwerdeführer von deutschen Grenzkontrollbeamten mit einem gefälschten Reisepaß aufgegriffen und rückgewiesen worden sei, habe er bei seiner Einvernahme vor den Gendarmeriebeamten des Postens in Kufstein zunächst noch erklärt, daß er über Bulgarien auf dem Landweg nach Österreich eingereist sei. Aus der Türkei sei er noch mit seinem Original-Reisepaß ausgereist, während er dann bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt angab, er könne keine genauen Angaben über die konkrete Fluchtroute machen. Eine zunächst deponierte Bestreitung, überhaupt einen türkischen Reisepaß ausgestellt erhalten zu haben, widerrief der Beschwerdeführer nach dem Vorhalt seiner diesbezüglich anderslautenden Behauptungen und gestand zu, daß er vor ca. 1 Jahr einen Reisepaß in Istanbul ausgestellt erhalten habe.
2. Das Bundesasylamt stellte zu seiner Reiseroute fest, daß der Beschwerdeführer während seiner Reisedauer von ca. 15 Tagen sich entweder in Bulgarien, in Griechenland oder in der russischen Föderation aufgehalten habe. Im Hinblick auf die Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention durch diese Staaten in den Jahren 1993 und davor sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer bereits Verfolgungssicherheit im Sinn des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 erlangt habe. Es bestünden keine Hinweise dafür, daß diese Staaten die aus ihrer Mitgliedschaft sich ergebenden Pflichten, insbesondere das im Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention statuierte Refoulementverbot nicht einhalten würden.
3. Die belangte Behörde sprach dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid angesichts der in seinem Vorbringen enthaltenen Widersprüche die Glaubwürdigkeit ab und verneinte damit das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991; überdies bestätigte sie das Vorliegen des Asylausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991.
In der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung hatte der Beschwerdeführer die Annahme der Erstbehörde, daß in den vorerwähnten Aufenthaltsstaaten während seiner Reiseroute ein effektiver Schutz vor Abschiebung bestanden habe, nicht weiter bestritten, allerdings geltend gemacht, daß er keine Möglichkeit gehabt habe, in den vorerwähnten Ländern einen Asylantrag zu stellen.
4. In dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde zur Begründung der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zutreffend darauf hin, daß er entgegen seinen Angaben nach Inhalt des vorgelegten Gerichtsurteils von dem Vorwurf, im Jahr 1975 politische Parolen auf Wände geschrieben zu haben, freigesprochen worden ist. Danach war der Beschwerdeführer auch nur 20 Tage lang in Haft gewesen. Die belangte Behörde zeigte weiters auf, daß der Beschwerdeführer einerseits angab, sich ab 1991 aus Furcht um sein Leben regelmäßig versteckt gehalten, andererseits aber bis Anfang 1993 weiterhin bei der Gemeinde in Silvan offiziell gearbeitet zu haben. Dies, obwohl er auf der Todesliste der türkischen Regierung gestanden und von der Polizei immer wieder verhaftet und gefoltert worden sei. Andererseits sei er aber auch nach seiner Übersiedlung nach Istanbul immer wieder nach Silvan zu Verwandtschaftsbesuchen gefahren, wobei er zunächst weiters ausführte, dort auf Grund eines Haftbefehls von der Polizei ab Anfang 1993 gesucht worden zu sein. Das Datum dieses Haftbefehls korrigierte dann der Beschwerdeführer über Vorhalt des darin zum Ausdruck kommenden Widerspruchs dahingehend, daß dieser erst ab 1994 erlassen worden sein dürfte, wobei er sich eben nicht mehr so genau erinnern könne.
Zusammengefaßt sah die belangte Behörde die behauptete Flüchtlingseigenschaft angesichts der ihrer Auffassung nach nicht überzeugenden Darstellung des zur Flucht des Beschwerdeführers führenden Sachverhaltes als nicht gegeben an, wobei sie ergänzend bemerkte, daß die allgemeinen Ausführungen über das Kurdenproblem in der Türkei nicht geeignet seien, eine gegen den Beschwerdeführer konkret gerichtete Verfolgungshandlung durch den türkischen Staat darzutun. Selbst wenn die behaupteten polizeilichen Übergriffe vor 1993 stattgefunden hätten, seien diese mangels eines mit der tatsächlichen Ausreise vorhandenen zeitlichen Konnexes asylrechtlich nicht relevant.
5. Wenn nun die Beschwerde neuerlich (wie schon in der Berufungsschrift gegen den Bescheid des Bundesasylamtes) auf die Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK und damit auch allgemein auf die Probleme für Teile der kurdischen Bevölkerung in der südöstlichen Türkei hinweist, so wird damit keine die Person des Beschwerdeführers betreffende konkrete Verfolgungshandlung dargetan, womit diese Ausführungen aber erst eine asylrechtliche Relevanz erhalten würden. Flüchtling im Sinn des hier anzuwendenden § 1 Z. 1 AsylG 1991 ist nur eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Demnach bedarf es einer ausreichenden Bescheinigung einer gegen den Beschwerdeführer selbst gerichteten Verfolgungshandlung, was die belangte Behörde nicht angenommen hat. Soweit die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers für nicht glaubhaft erachtet hat, kann dieser Würdigung von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung aus nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, weil sich in den Behauptungen (anders als es die Verfahrensrüge in der Beschwerdeschrift darzustellen sucht) in der Tat mehrere, oben aufgezeigte Widersprüche finden. Dazu kommt, daß der Beschwerdeführer auch jetzt in seiner Beschwerde nicht weiter auf die vom angefochtenen Bescheid konkret aufgezeigten und präzise dargestellten Widersprüche eingeht, sondern lediglich auf die seinerzeitige bis zum Jahr 1980 bestandene Mitgliedschaft bei dem Verein "Kulturverein für das revolutionäre Volk" verweist. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer selbst angab, seit diesem Zeitpunkt weder politisch aktiv noch Sympathisant der PKK gewesen zu sein, wobei er von seiner maßgeblich behaupteten politischen Aktivität, im Jahr 1975 politische Parolen an Wände geschrieben zu haben, im Jahr 1985 freigesprochen worden war. Danach war er sogar bis Anfang 1993 bei der Gemeinde in Silvan beschäftigt und hat sich auch ca. 1 Jahr vor seiner Ausreise aus der Türkei in Istanbul einen türkischen Reisepaß ausstellen lassen und diesen auch problemlos erhalten. Wenn der Beschwerdeführer auch noch in den Jahren 1993 und 1994 bei Polizeikontrollen unbehelligt blieb und an der Grenze mit seinem Reisepaß legal ausreisen konnte, so vermag der Verwaltungsgerichtshof in der die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneinenden Schlußfolgerung der belangten Behörde eine Rechtswidrigkeit nicht zu erkennen.
6. Insoweit der Beschwerdeführer nunmehr erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorbringt, die belangte Behörde hätte ermitteln müssen, ob die angenommenen Durchreisestaaten tatsächlich einen effektiven Abschiebungsschutz für den Beschwerdeführer gewährleistet hätten, ist festzuhalten, daß im Verwaltungsverfahren Versäumtes (im hier gegebenen Fall: in der Berufung unterlassenes Vorbringen) nicht im Verwaltungsgerichtsverfahren nachgeholt werden kann. Im übrigen bedarf es aber angesichts des vorher dargestellten Ergebnisses, wonach vom Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht ausgegangen werden kann, keiner weiteren Überprüfung des von der belangten Behörde herangezogenen Ausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991. Wenn der Beschwerdeführer auch noch in den Jahren 1993 und 1994 bei Polizeikontrollen unbehelligt blieb und an der Grenze mit seinem Reisepaß legal ausreisen konnte, so vermag der Verwaltungsgerichtshof in der die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneinenden Schlußfolgerung der belangten Behörde eine Rechtswidrigkeit nicht zu erkennen.
7. Die Beschwerde war daher als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200807.X00Im RIS seit
20.11.2000