TE Vfgh Beschluss 2007/3/14 B1776/06

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Veröffentlicht am 14.03.2007
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33

Leitsatz

Stattgabe eines Wiedereinsetzungsantrags wegen Versäumung derBeschwerdefrist

Spruch

Dem Wiedereinsetzungsantrag wird stattgegeben.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 12. Oktober 2006, zur Post gegeben am 13. Oktober 2006, eine Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, Zl. RV/1706-W/06 vom 30. August 2006. Dem Beschwerdevorbringen nach wurde dieser Bescheid dem Antragsteller am 31. August 2006 zugestellt, die sechswöchige Beschwerdefrist endete sohin am 12. Oktober 2006.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27. November 2006, B1776/06, wurde die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als verspätet zurückgewiesen.

2. Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2007, welcher am gleichen Tag zur Post gegeben wurde, begehrt der Antragsteller durch seinen nunmehrigen Vertreter die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist und erhebt gleichzeitig Beschwerde gegen den unter Pkt. 1 näher bezeichneten Bescheid. In diesem Wiedereinsetzungsantrag wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Beschwerde sei rechtzeitig am letzten Tag der Beschwerdefrist fertig gestellt und der (namentlich genannten) Kanzleileiterin im Beisein einer weiteren (namentlich genannten) Kanzleimitarbeiterin mit der Anweisung übergeben worden, die Beschwerde wegen sonst drohender Fristversäumnis noch am gleichen Tag, dem 12. Oktober 2006, zur Post zu bringen. Die Kanzleileiterin habe die Übergabe des Schriftstückes im Fristenbuch vermerkt, zur Post bringen sollte es allerdings, wie üblich, die bereits erwähnte Kanzleimitarbeiterin. Diese brachte entgegen der Anweisung des Beschwerdevertreters und ihrer Zusage, der Anweisung nachzukommen, das Schriftstück erst am nächsten Tag, dem 13. Oktober 2006, zur Post. Gegenüber der Kanzleileiterin behauptete sie jedoch am Tag der tatsächlichen Aufgabe (13. Oktober 2006), das Schriftstück rechtzeitig am 12. Oktober 2006 aufgegeben zu haben, und trug dieses Datum auch als Aufgabedatum in das Fristenbuch ein. Da beide Mitarbeiterinnen normalerweise sehr zuverlässig arbeiteten, habe der Beschwerdevertreter bis zur Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses am 19. Jänner 2007 keinen Grund daran zu zweifeln gehabt, dass die Beschwerde rechtzeitig aufgegeben worden sei. Selbst am Tag der Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses behauptete die Mitarbeiterin noch, die Beschwerde rechtzeitig zur Post gebracht zu haben. Erst weitere Nachprüfungen bei der Post deckten auf, dass sie die Unwahrheit gesagt hatte.

II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist ist begründet.

1.1. Da das VfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, so weit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 9817/1983, 11.706/1988).

1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von 14 Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tag, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Offenbar verspätet eingebrachte Anträge sind ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen (§148 Abs3 ZPO).

Die Frist - sie begann am 19. Jänner 2007 zu laufen - wurde im gegenständlichen Fall gewahrt.

1.3. Es kam nicht hervor, dass den in der vorliegenden Sache bevollmächtigten Rechtsanwalt des Antragstellers - für welchen die Verschuldensregel des §146 Abs1 ZPO gleichfalls gilt (§39 ZPO) - ein leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft. Dem Parteienvertreter ist ein Verschulden seiner Kanzleimitarbeiter nur dann anzulasten, wenn man ihm selbst Nachlässigkeit bei der Kontrolle, Überwachung oder Belehrung vorwerfen kann. Der Verfassungsgerichtshof sieht nach Lage des Falles keinen Grund, das - durch zwei Erklärungen an Eides Statt bescheinigte - Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in Zweifel zu ziehen, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten einer bis zu diesem Zeitpunkt zuverlässigen Kanzleiangestellten beruhte. Dieses Fehlverhalten kann dem Prozessbevollmächtigten nicht angelastet werden, weil aufgrund des bisherigen Arbeitsverhaltens der Kanzleikraft keine Veranlassung zu intensiver Überwachung oder Kontrolle bestand.

2. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - gemäß §33 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung - Folge zu geben.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B1776.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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