TE Vwgh Erkenntnis 1995/6/20 94/19/0625

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Veröffentlicht am 20.06.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1 idF 1974/796;
AsylG 1968 1991 §16 Abs1;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler und Dr. Dolp als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. März 1992, Zl. 4.306.897/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Äthiopiens, der am 16. November 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Jänner 1991, mit dem festgestellt worden war, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit ihrem Bescheid vom 20. März 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 29. September 1992, B 581/92, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese gleichzeitig dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigebrachten Beschwerdeergänzung macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylgewährung und Aufenthaltsberechtigung verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.

Gemäß § 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 17. Dezember 1990 angegeben, Mitglied der verbotenen EPLF, der Eritreischen Volksbefreiungsfront, gewesen zu sein. Die Region Eritrea sei von der Militärregierung Äthiopiens bombardiert worden. Der Beschwerdeführer habe wegen seiner Zugehörigkeit zur EPLF Zusammenstöße mit der Polizei gehabt und sei in eine Haftanstalt gebracht worden, wo er verprügelt worden sei. Mit Unterstützung der EPLF habe er einen äthiopischen Reisepaß erlangt und sei am 16. August 1990 illegal in den Sudan gereist, von wo er nach Erhalt von mit Hilfe der EPLF besorgten Reisedokumenten nach Griechenland und von dort nach Budapest geflogen sei.

In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer über sein bisheriges Vorbringen hinausgehend aus, er sei Mitglied der katholischen Kirche und als Entscheidungsträger der EPLF inhaftiert worden. Er sei zu drei Jahren Haft verurteilt worden und habe ein Jahr und vier Monate in Haft verbracht, bis er mit Hilfe einiger Parteimitglieder freigelassen worden sei.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage davon aus, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigen würden, er befinde sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention außerhalb seines Heimatlandes und sei daher nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Insbesondere sei das Vorbringen des Beschwerdeführers in sich "völlig widersprüchlich". So habe er bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme angegeben, Mitglied der EPLF gewesen zu sein, während er in der Berufung behaupte, Entscheidungsträger dieser Gruppierung gewesen zu sein. Mit diesen bloßen Behauptungen sei über seine tatsächliche Zugehörigkeit aber nichts ausgesagt, weil zufolge einem von der belangten Behörde verwendeten Literaturzitat das aktive Eintreten für eine Organisation nur dann glaubhaft sei, wenn der Asylsuchende hinreichende Kenntnisse über deren Zielsetzungen, örtliche Struktur und Arbeitsweise nachweise, seinen Beitritt und seine Tätigkeit für diese Organisation in nachvollziehbarem Zusammenhang darlege und durch seine persönliche Glaubwürdigkeit untermauere. Daß die EPLF in Opposition zum herrschenden Regime gestanden sei, sei allgemein und auch dem Beschwerdeführer bekannt. Die Angaben über seine Verhaftung seien widersprüchlich, weil der Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz weder eine Verurteilung noch eine längere Haftdauer angegeben und auch keinerlei Nachweise hinsichtlich eines Gefängnisaufenthaltes erbracht habe. Auch habe er in der Niederschrift angegeben, nicht vorbestraft zu sein. Es sei daher unglaubwürdig, daß er, sollte er tatsächlich inhaftiert gewesen sein, dies nicht sofort angegeben hätte. Auch sei seine allenfalls zum damaligen Zeitpunkt bestandene Gefährdung mittlerweile weggefallen, weil die Regierung Äthiopiens eine neue administrative Gliederung des Landes vorgenommen und an Stelle von 29 nunmehr 14 Regionen eingerichtet habe. Das Gebiet Eritreas werde auf einer offiziellen Landkarte schon nicht mehr als äthiopisch bezeichnet und bestehe die äthiopische Regierung, die sich nach dem Sturz des äthiopischen Präsidenten gebildet habe, unter anderem auch aus Mitgliedern der EPLF, sodaß eine Verfolgung von Mitgliedern dieser Gruppierung "extrem unwahrscheinlich" sei. Die Behauptung, der Beschwerdeführer habe seinen Reisepaß von Mitgliedern der EPLF erhalten, erscheine als Schutzbehauptung und widerspreche den logischen Denkgrundsätzen.

Die Angabe des Beschwerdeführers in seiner Berufung, Entscheidungsträger der EPLF gewesen zu sein, stellt wohl eine gewisse Steigerung gegenüber seiner vor der Behörde erster Instanz aufgestellten Behauptung dar, Mitglied dieser Partei gewesen zu sein. Die belangte Behörde hat aber keine näheren Ausführungen darüber gemacht, ob und warum sie diese Steigerung als wesentlich erachte, sondern ist davon ausgegangen, daß nur bei Nachweis näherer Kenntnisse über eine bestimmte Organisation das Eintreten für diese glaubhaft sei. Hiebei hat die belangte Behörde aber in keiner Weise dargelegt und ergibt sich solches auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsakten, daß sie den Beschwerdeführer in dieser Hinsicht - ergebnislos - befragt hätte. Ohne eine derartige Befragung erweist sich aber der aus dem Fehlen der angeführten Angaben gezogene Schluß auf die Unglaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens als nicht tragfähig.

Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich seiner Inhaftierung dem über seine Erstbefragung aufgenommenen Protokoll zufolge wörtlich ausgeführt: "Ich wurde in eine Haftanstalt in CABALLE in Addis Abeba gebracht und dort verprügelt. Das ist dort üblich, daß man dort dauernd geschlagen wird." Nähere Fragen des die Einvernahme durchführenden Amtsorgans über Grund oder Dauer dieser Inhaftierung können dem Protokoll nicht entnommen werden. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Berufung ausgeführt hat, er sei auf Grund einer Verurteilung inhaftiert worden und habe von der verhängten dreijährigen Freiheitsstrafe ein Jahr und vier Monate verbüßt, stellt dies zwar eine weitergehende Ausführung der (behaupteten) ihm widerfahrenen Verfolgung dar, doch kann aus der näheren Darstellung eines bereits bei der Erstbefragung erhobenen Vorbringens, dessen Detaillierung von der Behörde erster Instanz nicht gefordert worden war, noch nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens geschlossen werden. Ebensowenig läßt sich solches aus der Angabe des Beschwerdeführers, nicht vorbestraft gewesen zu sein, ableiten, weil er die Frage nach Vorstrafen im gegebenen Zusammenhang nicht zwingend als Frage nach den im Mittelpunkt seiner folgenden Ausführungen stehenden, gegen ihn gerichteten staatlichen Aktivitäten auffassen mußte (vgl. für viele andere z. B. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1994, Zl. 94/19/0042).

Soweit die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid darauf gegründet hat, daß infolge einer Neugliederung Äthiopiens eine allenfalls für den Beschwerdeführer bestandene Gefahr weggefallen sei, fehlt dieser Argumentation, abgesehen davon, daß weder der Begründung des angefochtenen Bescheides noch den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist, auf welche Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde diese Aussage stützt, und auch nicht, daß dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren Gelegenheit geboten worden wäre, hiezu Stellung zu nehmen, die Schlüssigkeit. Selbst wenn in der Zwischenzeit eine derartige verwaltungsmäßige Neugliederung Äthiopiens erfolgt sein sollte, würde dies noch nicht zwangsläufig bedeuten, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung nicht mehr in Betracht käme. Eine Feststellung, daß Äthiopien zufolge eingetretener Unabhängigkeit Eritreas nicht mehr als Heimatland des Beschwerdeführers anzusehen sei, wurde von der belangten Behörde nicht getroffen; es gibt auch sonst keinen Anhaltspunkt dafür, daß Eritrea nunmehr als selbständiger, völkerrechtlich (auch von Österreich) anerkannter Staat existiert und demnach nicht weiter zu Äthiopien gehört (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 4. November 1992, Zl. 92/01/0479).

Nicht erfindlich ist es, aus welchem Grund die Erlangung eines Reispasses unter Zuhilfenahme von Mitgliedern der EPLF eine Schutzbehauptung darstellen und den logischen Denkgrundsätzen widersprechen sollte. Diese These der belangten Behörde vermag mangels näherer Begründung den Spruch des angefochtenen Bescheides nicht zu tragen.

Die sohin dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Verfahrensmängel erweisen sich angesichts der Angaben des Beschwerdeführers, mit denen er politisch motivierte, durchaus schwerwiegende Eingriffe in seine persönliche Freiheit und seine körperliche Unversehrtheit geltend gemacht hat, als wesentlich, weil die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994190625.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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