TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/18 V24/92, V25/92

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Veröffentlicht am 18.03.1993
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
Verordnungen der BH Bregenz vom 16.03.88. ZIII 626-8/86. und vom 03.02.89. ZIII 633-8/87, mit denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der B 200 im Zuge der Ortsdurchfahrt durch Egg und auf den in die B 200 einmündenden Landesstraßen L 6 und L 26 mit 40 km/h festgesetzt wird
StVO 1960 §20 Abs2
StVO 1960 §43 Abs1 litb Z1

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit von eine Geschwindigkeitsbeschränkung für eine Kreuzung in der Ortsmitte verfügenden Verordnungen im Hinblick auf die in diesem Bereich entstehenden besonderen Gefahren für Fußgänger

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.  1. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz erließ am 16. März 1988

"zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit ... gemäß §43 Abs1

litb Z. 1 StVO 1960" eine Verordnung, Z III 626-8/86,

(kundgemacht am 29. April 1988 durch Aufstellen der entsprechenden

Verkehrszeichen), mit der "die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf

der B 200 im Zuge der Ortsdurchfahrt durch Egg von der

Aral-Tankstelle bis zur Einmündung in die Pfisterstraße mit 40 km/h

festgesetzt" wurde. Am 3. Februar 1989 erließ dieselbe Behörde eine

weitere Verordnung, Z III 633-8/87, (kundgemacht durch Aufstellen

der Verkehrszeichen am 29. Februar 1989), mit der auf den in die

B 200 einmündenden Landesstraßen L 6 und L 26 ebenfalls "zur

Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit ... die zulässige

Höchstgeschwindigkeit ... im Zuge der Ortsdurchfahrt durch Egg von

der Schmittenbachbrücke bis zum Sportgeschäft Waldner mit 40 km/h festgesetzt" wurde.

Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg stellt gemäß Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung in Verbindung mit Art148 i Abs2 B-VG und Art139 Abs1 B-VG den Antrag, die genannten Verordnungen wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.

Gesetzwidrig seien die zitierten Verordnungen - seiner Meinung nach - zur Gänze, weil sie in der Bestimmung des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 keine hinreichende Deckung finden.

Die B 200 sei im Ortsgebiet der Gemeinde Egg als Vorrangstraße geführt und beschreibe im Bereich der verordneten

40 km/h-Beschränkung bei einer Belagsbreite von 7,60 Meter und einer Kronenbreite (inklusive Gehsteig) von 10 Meter zunächst eine gleichmäßig verlaufende Rechtskurve, die mit ihrem Radius von 80 Meter genau der zugrundegelegten Ausbaugeschwindigkeit von 50 km/h entspreche. Der Kreuzungsbereich mit den beiden Landesstraßen sei der höchste Punkt der B 200, da bis dorthin die Straße leicht ansteigt und anschließend leicht abfällt. Von einer Fahrbahnkuppe im Sinne der StVO 1960 mit entsprechender Sichtbehinderung könne jedoch nicht gesprochen werden. Nach dem Kreuzungsbereich verlaufe die B 200 über mehrere hundert Meter geradlinig und mit uneingeschränkten Sichtverhältnissen.

Diese faktischen Gegebenheiten unterschieden sich bei einer Durchschnittsbetrachtung nicht von einem üblichen Straßenverlauf im Ortsgebiet und rechtfertigten daher auch nicht ein Abgehen von der vom Gesetzgeber gemäß §20 Abs2 StVO 1960 generell normierten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h im Ortsgebiet. Eine abweichende Regelung könne nur dann rechtens sein, wenn die tatsächlichen Verhältnisse von der gesetzgeberischen Durchschnittsbetrachtung so weit abweichen, daß eine Sonderregelung erforderlich wird. Weshalb aber die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes eine Herabsetzung der an sich im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 40 km/h erforderlich machten, könne der Landesvolksanwalt angesichts der beschriebenen tatsächlichen Verhältnisse nicht erkennen.

Auch eine Durchsicht der Verordnungsakten lasse eine sachliche Motivation oder Begründung vermissen. Es sei zwar die Rede davon, daß die Unfallgefahr entschärft, der Verkehr beruhigt, die Verkehrssicherheit gewährleistet bzw. erhöht werden solle, aus den Verordnungsakten sei allerdings auch zu erschließen, daß die Herabsetzung der Geschwindigkeit auf maximal 40 km/h dazu dienen soll, daß "künftig wenigstens nur 50 oder weniger km/h gefahren" wird. Dies rechtfertige aber nicht die Erlassung einer Verordnung nach §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960.

Daß die Verordnung tatsächlich nicht geeignet sei, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, beweise auch eine vorgelegte Unfallstatistik für die in Rede stehenden 40 km/h-Bereiche, durch welche mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck komme, daß sich die erfolgte Verordnungserlassung auf die Verkehrssicherheit überhaupt nicht auswirkte. Die mangelnde Erforderlichkeit werde zudem dadurch unterstrichen, daß geeignete Maßnahmen und Umstände für die erforderliche Verkehrssicherheit, wie Gehsteige, Breite und Übersichtlichkeit der Straße, ohnedies schon weitestgehend vorhanden sind.

Selbst wenn man die Kreuzung mit den beiden Landesstraßen allenfalls als Gefahrenbereich erkennen sollte, wäre die angefochtene Maßnahme der Bezirkshauptmannschaft Bregenz zu weit gefaßt. Die Verkehrssicherheit könne in diesem Bereich um vieles besser durch eine Verkehrsampel erhöht werden.

Auch die Festsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der L 6 und der L 26 im Zuge der Ortsdurchfahrt sei nicht vom Gesetz gedeckt. Die 40 km/h-Beschränkung beziehe sich jeweils auf die letzten 50 Meter dieser Landesstraßen vor der Einmündung in die B 200. Beide Landesstraßen seien gegenüber der B 200 benachrangt und daher im Kreuzungsbereich mit einem Vorschriftszeichen gemäß §52 Z24 StVO 1960 (Stopzeichen) versehen. Da vor Einmündung in die B 200 ohnedies zwingendermaßen angehalten werden muß, diene es weder der Verkehrssicherheit noch einem sonstigen in §43 Abs1 litb StVO 1960 genannten Interesse, wenn in einem solchen Bereich eine Geschwindigkeitsbeschränkung verordnet wird, die im wesentlichen kaum mehr als den Anhalteweg erfaßt.

2. Sowohl die Bezirkshauptmannschaft Bregenz als auch die Vorarlberger Landesregierung haben Äußerungen erstattet, in welchen sie beantragen, den Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg als unbegründet abzuweisen.

a. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz führt zur Verteidigung ihrer Verordnungen vom 16. März 1988, Z III 626-8/86, und vom 3. Februar 1989, Z III 633-8/87, aus, daß "die Gemeinde Egg ... als wichtigste(r) Einkaufsort des Vorderen und des Mittleren Bregenzerwaldes" gelte. Dieses Einkaufszentrum werde besonders geprägt "durch den Wälderpark, der fünf Handelsbetriebe (darunter ein Supermarkt, eine Bank sowie ein Gastgewerbebetrieb) umfaßt, sowie das Geschäftszentrum, in dem ebenfalls zahlreiche Handelsbetriebe (darunter ein Supermarkt, eine Apotheke, ein Friseur sowie ein Cafe) untergebracht sind". Darüberhinaus befänden sich im Ortszentrum von Egg mehrere Gastgewerbebetriebe, Modegeschäfte, zwei Bäckereien, ein Schmuckgeschäft, eine Tankstelle sowie zahlreiche öffentliche Dienststellen. Innerhalb der letzten Jahre seien mehrere Betriebe neu eröffnet worden.

Egg sei auch mit einem Kindergarten, einer Volksschule, einer Hauptschule und einem Bundesoberstufenrealgymnasium, die einzige allgemeinbildende höhere Schule im Bregenzerwald, ausgestattet. Das Ortszentrum von Egg sei zudem mit einer Bevölkerungsdichte von 600 Personen pro km2 besonders dicht besiedelt. Egg sei aber auch ein beliebter Fremdenverkehrsort und der wichtigste Verkehrsknotenpunkt im Bregenzerwald. Auf der B 200, der frequentiertesten Straße im Bregenzerwald, verkehrten auch mehrere Buslinien. Es bestehe also ein Interesse daran, daß die durch den Verkehr bedingten Gefahren möglichst herabgesetzt werden.

Zur Veranschaulichung der Verkehrssituation, wie sie sich aus der Sicht eines auf den gegenständlichen Straßen fahrenden PKW-Lenkers darstellt, schildert die Bezirkshauptmannschaft Bregenz weiters im einzelnen die Orts- und Straßenverhältnisse.

Diese - auf amtsbekannte Tatsachen gestützte - Beschreibung des Ortszentrums Egg zeige, daß es auf und neben diesen Straßen viele verkehrsbedingte Gefahrenbereiche gibt, die eine Verkehrsbeschränkung zum Schutze aller Verkehrsteilnehmer erforderlich machen. Auch die Tatsache, daß sich die Zahl der Verkehrsunfälle nach Erlassung der in Rede stehenden Verordnungen nicht geändert hat, beweise nicht die Rechtswidrigkeit dieser Verordnungen. Wird nämlich berücksichtigt, daß die Verkehrsdichte innerhalb der letzten Jahre stark zugenommen hat, so sei die Tatsache, daß die Zahl der Verkehrsunfälle nahezu gleich geblieben ist, als Erfolg zu werten. Als Verkehrsbeschränkung sei eine Geschwindigkeitsbeschränkung eingeführt worden, weil diese am besten den örtlichen Verhältnissen entspricht, wesentlich billiger ist und denselben Erfolg brachte wie eine Lichtsignalanlage.

b. Die Vorarlberger Landesregierung schließt sich in ihrer Äußerung im wesentlichen den Argumenten der Bezirkshauptmannschaft Bregenz an.

II. 1. Die Legitimation des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg zur Antragstellung ergibt sich aus Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung sowie aus Art148 i Abs2 B-VG in Verbindung mit Art148 e B-VG. Der Antrag ist somit zulässig.

2. §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 sieht die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen für bestimmte Straßenstrecken durch Verordnung vor, "wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert, ...".

Wie der Verfassungsgerichtshof dazu in VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte, sind "bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 ... die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen".

Der Verfassungsgerichtshof ist zwar der Meinung, daß die allgemeinen, von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz in ihrer Äußerung weitwendig dargestellten Gesichtspunkte zur wirtschafts-, verkehrs- und bildungspolitischen Bedeutung der Gemeinde Egg "im Zentrum des Bregenzerwaldes" (Egg als Einkaufszentrum, als einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte des Bregenzerwaldes, Fremdenverkehrsort, Ausstattung mit Bildungseinrichtungen) nicht ausreichen, um eine vom Gesetzgeber selbst festgelegte Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet (§20 Abs2 StVO 1960) aus Gründen der Verkehrssicherheit gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 durch Verordnung weiter zu beschränken.

Hingegen ist die Bezirkshauptmannschaft Bregenz im Recht, wenn sie auf Grund einer entsprechenden Anregung der Gemeinde Egg mit Rücksicht auf die konkrete "Lage ... der Straße(n)" sowie auf "die Lage, Widmung oder Beschaffenheit des an der Straße gelegenen ... Gebietes" die - relativ geringfügige - Geschwindigkeitsbeschränkung von (50 km/h auf) 40 km/h als erforderlich im Sinne des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 erachtete. Die mit den beiden, vom Landesvolksanwalt von Vorarlberg angefochtenen Verordnungen verfügten Geschwindigkeitsbeschränkungen betreffen eine Kreuzung in der Ortsmitte der Gemeinde Egg, die zwar, was die B 200 anlangt, breit und relativ übersichtlich ausgebaut wurde und damit von der straßenbaulichen Gestaltung für eine höhere Geschwindigkeit geeignet erscheint (weshalb der Geschwindigkeitsbeschränkung, wie aus dem Verordnungsakt erweislich, vom "Landesstraßenbauamt Feldkirch" auch widersprochen wurde). Auf der fraglichen Straßenstrecke (als Teil des Ortskerns) herrscht aber ein besonders reger Fußgängerverkehr, der bei der notwendigen Überquerung der (Durchzugs-)Straßen zwangsläufig in Konflikt mit dem Fahrzeugverkehr gerät. Da für die B 200 ein Verkehrsaufkommen von ca. 500 Kraftfahrzeugen pro Spitzenstunde angegeben wird, ist es offensichtlich, daß im Bereich der verordneten Geschwindigkeitsbeschränkung besondere verkehrsbedingte Gefahren für Fußgänger entstehen. Diese werden in der Beschreibung der Verkehrssituation durch die Bezirkshauptmannschaft Bregenz im einzelnen dargetan. Auch der am besten mit der Sachlage vertraute Gendarmerieposten Egg empfiehlt in seiner Stellungnahme vom 11. Jänner 1988, Z 4121/88, die Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h im Ortszentrum von Egg, um "für eine Entschärfung der Unfallgefahr" zu sorgen. Im Interesse der Fußgänger, deren Gefährdung verringert werden soll, sowie zur Reduzierung der Unfallhäufigkeit ist daher die 40 km/h-Beschränkung als "erforderlich" anzusehen.

Der Umstand, daß die Verkehrsunfälle nach Erlassung der angefochtenen Verordnungen kaum weniger wurden, wie der Landesvolksanwalt in seinem Antrag ausführt, ist nicht geeignet, die Erforderlichkeit der Maßnahme in Zweifel zu ziehen. Abgesehen davon, daß, wie die Bezirkshauptmannschaft Bregenz zu Recht dartut, bei zunehmender Verkehrsdichte eine gleichbleibende Zahl von Verkehrsunfällen bereits als ein - gewisser - Erfolg der Geschwindigkeitsbeschränkungen angesehen werden kann, läßt sich daraus möglicherweise ableiten, daß die Geschwindigkeitsbeschränkungen - allein - nicht ausreichen, den gewünschten verkehrssichernden Effekt zu erzielen, keinesfalls aber, daß sie nicht erforderlich sind.

Entgegen der Auffassung des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg hält der Verfassungsgerichtshof die in der Äußerung der Vorarlberger Landesregierung wiedergegebene Auffassung für vertretbar, "daß zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit bei der Ortsdurchfahrt in Egg verschiedene technische und bauliche Maßnahmen vorzunehmen sind ..." und "... vorerst die Erlassung einer Geschwindigkeitsbeschränkung die für die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 zweckmäßigste Lösung ..." bildet.

Die vom Landesvolksanwalt von Vorarlberg an den Verfassungsgerichtshof herangetragenen Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 16. März 1988, Z III 626-8/86, und vom 3. Februar 1989, Z III 633-8/87, treffen sohin nicht zu. Sein Antrag auf Aufhebung der Verordnungen war abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:V24.1992

Dokumentnummer

JFT_10069682_92V00024_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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