TE Vwgh Erkenntnis 1995/6/27 94/20/0689

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Veröffentlicht am 27.06.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. August 1994, Zl. 4.338.947/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, der am 21. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. August 1992, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 25. Juli 1992 angegeben, er sei kurdischer Abstammung und gehöre der Religionsgemeinschaft der Alewiten an. Er sei Sympathisant der legalen Oppositionspartei HEP und sympathisiere weiters seit der Hinrichtung eines Verwandten wegen dessen Zugehörigkeit zur DEV-Yol mit allen revolutionären Parteien. Er habe seit 1984 an geheimen Veranstaltungen der PKK, KAVA und HK teilgenommen und kurdische Partisanen in den Bergen freiwillig mit Lebensmitteln unterstützt. 1987 sei sein Cousin mit vier seiner Freunde vom Hubschrauber aus erschossen worden. Der Beschwerdeführer sei als junger Kurde, dessen Verwandte zum Teil kurdischen Organisationen angehört hätten, seit dem Jahr 1984 ständiger Verfolgung durch die Behörden ausgesetzt gewesen. Er sei durch die Gendarmerie und Angehörige einer Sondereinheit in Zivil überwacht und sehr oft auf Gendarmeriestationen gebracht worden. In seinem Elternhaus seien seit 1984 zweimal wöchentlich Hausdurchsuchungen durchgeführt worden. Er selbst sei zwischen 1984 und 1987 viermal jeweils für einen Monat in Haft gewesen und gefoltert worden. Er sei aufgefordert worden, Verstecke der kurdischen Untergrundkämpfer in den Bergen preiszugeben. Dem sei er, da er diese Verstecke nicht gekannt habe, nicht nachgekommen. Auf Grund der ständigen Verfolgung sei der Beschwerdeführer 1987 nach Istanbul gefahren. Dort sei er 1988, als er einer Fachgruppe der Gewerkschaft habe beitreten wollen, auf Grund einer Information durch den Arbeitgeber für drei Tage auf eine Polizeistation geholt und dort gedemütigt, geschlagen und getreten worden. Es sei ihm auch mit dem Umbringen gedroht worden, falls er sich in diesem Bezirk nochmals blicken lasse. Er sei auch weiterhin bei Kontrollen auf der Straße als Kurde und Verräter beschimpft worden. Am 21. März 1992 habe er in Istanbul am Newroz-Fest, zu dem sich 5.000 Personen eingefunden hätten, teilgenommen. Die Polizei habe, unterstützt von Sondertruppen des Militärs, die Teilnehmer an dieser Veranstaltung angegriffen. Es sei in die Menschenmenge geschossen, mit Gewehrkolben geschlagen und mit Bajonetten zugestochen worden. Polizisten in Zivil hätten auch von Messern Gebrauch gemacht. Es seien eine Person getötet und 38 verletzt worden. Der Beschwerdeführer selbst sei durch ein Bajonett am linken Oberschenkel verletzt worden. Er sei festgenommen und auf einer Polizeistation verhört worden. Aus Angst vor Mißhandlungen habe er angegeben, sich nur zufällig bei der Veranstaltung aufgehalten zu haben. Er sei, da er stark geblutet habe, nach sieben Stunden ins Spital entlassen worden, wo seine Verletzung behandelt worden sei. Auf Grund dieser Vorfälle und der Verfolgung wegen seiner kurdischen Abstammung sei seine Situation unhaltbar gewesen, weshalb er sich zur Flucht entschlossen habe.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen und machte Begründungsmängel des erstinstanzlichen Bescheides geltend. Mit Bescheid vom 31. August 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen sind am 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde, sie habe bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden gehabt, ergibt sich aus dem Umstand, daß das Verfahren infolge Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides am 14. August 1992 (vom Beschwerdeführer angegebenes Zustellungsdatum) am 1. Juni 1992 noch nicht bei ihr anhängig war, die Rechtsfolge, daß sie verpflichtet gewesen wäre, das Asylgesetz (1968) anzuwenden (vgl. für viele andere insbesondere das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Daraus, daß die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, ist dem Beschwerdeführer, der dieses Vorgehen der belangten Behörde auch gar nicht gerügt hat, kein Rechtsnachteil erwachsen, da die belangte Behörde zu ihrer abweislichen Entscheidung deshalb gelangt ist, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 verneint hat, wobei diese Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff darstellt.

Was zunächst die ins Treffen geführte Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Veranstaltung (Newroz-Fest) und deren Auflösung durch die Polizei sowie seine anschließende sieben Stunden andauernde Festnahme anbelangt, kann der belangten Behörde nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie aus diesem Umstand begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeleitet hat, weil - wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu wiederholten Malen ausgesprochen hat - auch Festnahmen und Anhaltungen im Anschluß an Demonstrationen, wenn sie ohne weitere Folgen bleiben, nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gewertet werden können (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zln. 93/01/0348, 0349). Daß die Anhaltung des Beschwerdeführers deswegen erfolgt wäre, weil er persönlich sowie seine politische Gesinnung bzw. Abstammung den einschreitenden Sicherheitskräften bereits vorher bekannt gewesen wäre, oder daß er im Zusammenhang mit dieser Anhaltung mit weiteren staatlichen Verfolgungsmaßnahmen hätte rechnen müssen, hat er weder behauptet noch kann derartiges den Verwaltungsakten entnommen werden.

Wenn auch der in der Beschwerde gerügten Argumentation der belangten Behörde, eine Verfolgung des Beschwerdeführers sei deshalb unglaubwürdig, weil er nur eine untergeordnete politische Funktion erfüllt habe und weil er angegeben habe, einerseits kurdische Partisanen mit Lebensmitteln versorgt zu haben und adererseits deren Verstecke nicht gekannt zu haben, aus der Sicht der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung nicht gefolgt werden kann, bewirkt dies dennoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat nämlich, soweit der Beschwerdeführer seine Flüchtlingseigenschaft mit Begebenheiten bis 1988 zu begründen versucht, dieses Vorbringen auch dahin gewürdigt, daß die darin dargestellten gegen den Beschwerdeführer gerichteten staatlichen Maßnahmen zeitlich so weit zurücklägen, daß aus ihnen begründete Furcht vor Verfolgung nicht mehr abgeleitet werden könne. Diese Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers steht in Übereinstimmung mit der ständigen hg. Judikatur, derzufolge Umstände, die sich schon längere Zeit vor der Ausreise ereignet haben, nicht mehr beachtlich sind; die wohlbegründete Furcht muß vielmehr bis zur Ausreise andauern (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0716). Damit erweist sich der angefochtene Bescheid aber als frei von den ihm angelasteten Mängeln.

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200689.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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