TE Vwgh Erkenntnis 1995/6/29 94/07/0136

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Veröffentlicht am 29.06.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
81/01 Wasserrechtsgesetz;

Norm

AVG §52;
Richtlinien für Bauten im Hochwasserabflußbereich;
VwRallg;
WRG 1959 §105 Abs1 litb;
WRG 1959 §138 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bachler, über die Beschwerde der E in A, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 2. September 1993, Zl. 411.233/02-I 4/92, betreffend wasserpolizeilicher Auftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte bei der Bezirkshauptmannschaft Tulln (BH) die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung für die Errichtung eines Zubaues sowie einiger baulicher Änderungen bei ihrer Badehütte auf Parzelle 394/25, KG A.

Der Landeshauptmann von Niederösterreich (LH) ermächtigte die BH zur Durchführung des Verfahrens gemäß § 101 des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG 1959).

Bei der von der BH am 22. März 1990 durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärte der Amtssachverständige für Wasserbautechnik, die - bereits errichteten - baulichen Anlagen seien nicht bewilligungsfähig. Daraufhin legte die BH den Akt dem LH vor.

Dieser führte eine weitere mündliche Verhandlung durch. Dabei wurde festgestellt, daß die errichteten baulichen Anlagen nicht mit dem im Antrag vorgesehenen ident waren. Der Amtssachverständige für Wasserbautechnik erstellte folgendes Gutachten:

"Das Bauvorhaben des Konsenswerbers liegt auch nach Fertigstellung des Donaukraftwerkes Greifenstein im häufig überfluteten Bereich der Donau. Durch verschiedene bauliche Herstellungen im Hochwasserabflußbereich der Donau kommt es in Einzelfällen zur Gefährdung bei Hochwasser. Die im öffentlichen Interesse gelegene erforderliche Freihaltung der Überflutungsgebiete ist durch die gegenständlichen Anlagen nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet. Es ist daher bei der Beurteilung von geplanten bzw. bestehenden Anlagen im Überflutungsbereich vom Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr und Pflege der Gewässer ein besonders strenger Maßstab anzuwenden, um auf das öffentliche Interesse Bedacht zu nehmen. Im Vordergrund stehen sowohl das Interesse am klaglosen Wasserabfluß, als auch die Sicherheit und Gesundheit der sich im Hochwasserabflußbereich aufhaltenden Personen sowie die Verhinderung einer nachteiligen Beeinflussung der Beschaffenheit des Wassers. Die Errichtung von Bauten im Hochwasserabflußbereich kann Uferanbrüche, die Zerstörung von Uferbauten und Dämmen sowie unerwünschte Ablagerungen und Gewässerverunreinigungen verursachen. Bisher nicht betroffene Gebiete können überflutet, bereits bestehende Gebäude gefährdet und die darin lebenden Menschen an Gesundheit und Leben bedroht werden. Bei einer Behinderung des Hochwasserabflusses durch eine fortschreitende Verbauung werden größere Flächen höher und häufiger überflutet als bisher. Es ist daher aus wasserbautechnischer Sicht der Anlagenbegriff nicht auf das einzelne Bauwerk zu beziehen, sondern auf die Gesamtheit der im gegenständlichen Hochabflußbereich befindlichen Baulichkeiten.

Um die Einflüsse und Gefährdungen möglichst gering zu halten, wurden für die einzelnen Badehütten Richtlinien gemeinsam mit Baubehörde, Raumplanung und Wasserstraßendirektion erarbeitet, um einerseits einheitlich vorzugehen und andererseits die Beschränkungen gleichmäßig zu verteilen. Aus fachtechnischer Sicht wird den Anforderungen dann am ehesten entsprochen, wenn pro Gartenparzelle nur ein Bauobjekt errichtet wird und der übrige Aubereich von Verbauung freigehalten wird.

Im Hochwasserabflußbereich der Donau (inklusive Einstaubereich) sind in der Beilage des Erlasses aus dem Jahre 1971 Badehüttengebiete sowie Wochenendhäuser im Gemeindegebiet ausgewiesen.

Die gegenständliche Parzelle befindet sich im Hochwasserabflußbereich der Donau, wie er gemäß des Erlasses vom 5.11.1971 beschrieben wurde. Diese Neuerung widerspricht daher dem öffentlichen Interesse (§ 105 Abs. 1 lit. b WRG 1959) und den Richtlinien für Bauten im Hochwasserabflußbereich und ist daher in dieser Ausführung nicht bewilligungsfähig. Die Beseitigung der vorgenommenen Neuerung ist daher von der Wasserrechtsbehörde aufzutragen (§ 138 Abs. 1 lit. a WRG 1959)."

Mit Bescheid vom 30. April 1992 trug der LH der Beschwerdeführerin auf, den auf dem Grundstück Nr. 394/25, KG A., errichteten Verbau unter der Badehütte im Ausmaß von 25 m2 bis spätestens 30. Juni 1993 zu entfernen. In der Begründung stützte sich der LH im wesentlichen auf das Amtssachverständigengutachten.

Die Beschwerdeführerin berief.

Die belangte Behörde holte ein weiteres Gutachten eines Amtssachverständigen für Wasserbautechnik ein. Dieser führte aus:

"Das gegenständliche Objekt liegt im Hochwasserabflußbereich der Donau, dies steht auf Grund von ho. Untersuchungen zu vorangegangenen, gleichartigen Berufungsfällen fest, ist somit amtsbekannt und wurde von der Berufungswerberin auch nicht bestritten. Richtig ist die Feststellung der Berufungswerberin, daß der Einstau seit der Errichtung des Kraftwerkes Greifenstein vom Unterwasser aus erfolgt.

Den Ausführungen der Amtssachverständigen der Vorinstanz (siehe Bescheidbegründung) wird vollinhaltlich zugestimmt. Das gegenständliche Einzelobjekt selbst bewirkt keine nennenswerte Änderung des Hochwasserabflusses, jedoch sind alle gleichartigen Bauten im Hochwasserabflußgebiet nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln und der von der Vorinstanz in Zusammenarbeit mit der Wasserstraßendirektion und der Raumordnung festgelegte Kompromiß zwischen den Interessen des einzelnen Badehüttenbesitzers und den übrigen Donauanrainern bzw. dem öffentlichen Interesse - u.a. nur ein Objekt pro Parzelle, räumlich beschränkter Verbau zwischen den Pfeilern - wird ho. als zweckmäßig bzw. notwendig angesehen. Der beliebige Verbau sämtlicher Parzellen im Hochwasserabflußbereich der Donau hätte sehr wohl nachteilige Folgen für die Spiegellagen (Hebung), weshalb im Sinne des Summationseffektes und der erforderlichen Gleichbehandlung aller Anrainer die Vorschreibungen der Vorinstanz erforderlich erscheinen."

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. September 1993 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin nicht Folge gegeben.

In der Begründung wird ausgeführt, nach § 105 Abs. 1 lit. b WRG 1959 sei ein Antrag auf Bewilligung eines Vorhabens im öffentlichen Interesse insbesondere dann als unzulässig anzusehen, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Ablaufes der Hochwässer und des Eises zu besorgen sei.

Aus den im Laufe des Verfahrens eingeholten Gutachten des wasserbautechnischen Amtssachverständigen, denen die Beschwerdeführerin im übrigen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten sei, ergebe sich schlüssig und nachvollziehbar, daß sich bei beliebigem Verbau sämtlicher Parzellen im betreffenden Hochwasserabflußbereich nachteilige Folgen für die Spiegellagen ergäben. Die Bedeutung des Summationseffektes ergäbe sich auch aus dem zu § 13 WRG 1959 ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1989, Slg. N.F. 12.966/A. Analog angewendet auf § 38 WRG 1959 könne daher bei einer Bewilligung für den Bau (Verbau) von Badehütten bei Bestehen einer Mehrzahl hinsichtlich ihrer Auswirkungen gleichartiger bestehender Bauten in diesem Bereich das Ausmaß der angestrebten Verbauung jedenfalls dann nicht ohne Bedachtnahme auf die durch diese Bewilligung hervorgerufene Minderung des Hochwasserabflusses festgesetzt werden, wenn die Summe dieser Bauten auf Grund fachlicher Aussagen Auswirkungen auf den Wasserabfluß hätten. Da nun der derzeitige Verbau durch die Summenwirkung und die daraus resultierende notwendige Gleichbehandlung aller dort befindlichen Badehütten eine erhebliche Beeinträchtigung des Ablaufes der Hochwässer darstelle, sei der Beschwerdeführerin im öffentlichen Interesse die Entfernung der eigenmächtigen Neuerung aufzutragen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluß vom 14. Juni 1994, B 1812/93-3, ihre Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerdeführerin eine Beschwerdeergänzung erstattet, in der sie Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Die Beschwerdeführerin bestreitet, daß ihre bauliche Anlage - und sei es auch in Verbindung mit anderen - eine wesentliche Beeinträchtigung des Hochwasserabflusses darstelle.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die beschwerdeführende Partei hat eine Gegenäußerung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 138 Abs. 1 lit. a WRG 1959 ist unabhängig von Bestrafung und Schadenersatzpflicht derjenige, der die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes übertreten hat, wenn das öffentliche Interesse es erfordert oder der Betroffene es verlangt, von der Wasserrechtsbehörde zu verhalten, auf seine Kosten eigenmächtig vorgenommene Neuerungen zu beseitigen oder die unterlassenen Arbeiten nachzuholen.

In allen anderen Fällen einer eigenmächtig vorgenommenen Neuerung oder unterlassenen Arbeit hat nach § 138 Abs. 2 WRG 1959 die Wasserrechtsbehörde eine angemessene Frist zu bestimmen, innerhalb deren entweder um die erforderliche wasserrechtliche Bewilligung nachträglich anzusuchen, die Neuerung zu beseitigen oder die unterlassene Arbeit nachzuholen ist.

Als "eigenmächtige Neuerung" ist die Errichtung von Anlagen oder die Setzung von Maßnahmen zu verstehen, für die eine wasserrechtliche Bewilligung einzuholen gewesen wäre, eine solche aber nicht erwirkt wurde (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. November 1956, Slg. N.F. 4.211/A; vom 19. März 1959, Slg. N.F. 4.913/A; vom 8. Februar 1974, Slg. N.F. 8.551/A u.a.).

Nach § 38 Abs. 1 WRG 1959 ist zur Errichtung und Abänderung von Brücken, Stegen und von Bauten an Ufern, dann von anderen Anlagen innerhalb der Grenzen des Hochwasserabflusses fließender Gewässer sowie von Unterführungen unter Wasserläufen nebst der sonst etwa erforderlichen Genehmigung auch die wasserrechtliche Bewilligung einzuholen, wenn eine solche nicht schon nach den Bestimmungen des § 9 oder § 41 dieses Bundesgesetzes erforderlich ist.

Daß die bauliche Anlage der Beschwerdeführerin im Hochwasserabflußbereich der Donau liegt und daher nach § 38 Abs. 1 WRG 1959 einer wasserrechtlichen Bewilligung bedarf, wurde von den Amtssachverständigen dargetan. Da für diese bauliche Anlage im Hochwasserabflußbereich keine wasserrechtliche Bewilligung vorliegt, stellt sie eine eigenmächtige Neuerung dar.

Die belangte Behörde ist mit einem wasserpolizeilichen Auftrag nach § 138 Abs. 1 lit. a WRG 1959 vorgegangen und hat dies damit begründet, das öffentliche Interesse an der Hintanhaltung einer erheblichen Beeinträchtigung des Ablaufes der Hochwässer erfordere die Beseitigung der eigenmächtigen Neuerung.

Es trifft zu, daß das öffentliche Interesse jedenfalls dann eine Beseitigung der von der Beschwerdeführerin vorgenommenen eigenmächtigen Neuerung fordert, wenn diese eigenmächtige Neuerung - sei es für sich allein, sei es zusammen mit anderen bereits bestehenden baulichen Anlagen (Summationseffekt) - eine erhebliche Beeinträchtigung des Hochwasserabflusses darstellte. Für eine solche Annahme reicht aber der festgestellte Sachverhalt nicht aus. Die Gutachten beider Instanzen erschöpfen sich in allgemein gehaltenen Ausführungen und nicht näher untermauerten Behauptungen, aus denen nicht erkennbar ist, ob bereits derzeit so viele bauliche Anlagen im fraglichen Bereich vorhanden sind, daß die bauliche Anlage der Beschwerdeführerin in Verbindung mit diesen ein erhebliches Hochwasserabflußhindernis darstellt oder ob die Amtssachverständigen lediglich die Einhaltung der Richtlinien aus dem Jahr 1971 im Augen haben und sich auf eine durch die Richtlinien verpönte, derzeit aber noch gar nicht verwirklichte Verbauung beziehen. Es fehlt an einer ausreichenden Darstellung der bestehenden Situation mit konkreter Bezugnahme auf die Anlage der Beschwerdeführerin, aus der zweifelsfrei abgeleitet werden könnte, daß es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Hochwasserabflusses kommt. Der Sachverhalt bedarf in dieser Hinsicht einer Ergänzung. Die im angefochtenen Bescheid angesprochenen Richtlinien sind rechtlich nicht bindend.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994070136.X00

Im RIS seit

12.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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