TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/5 94/08/0086

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Veröffentlicht am 05.09.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
60/02 Arbeitnehmerschutz;
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §7;
AlVG 1977 §18 Abs2 litc sublitcc idF 1991/682;
AlVG 1977 §18 Abs4 idF 1991/682;
AlVG 1977 §18 Abs4 litc sublitcc idF 1991/682;
AlVG 1977 §80 idF 1993/502;
APSG 1991;
ArbVG §101 Abs1;
ArbVG §99 Abs1;
ASchG 1972 §6 Abs7;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde des J in K, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Niederösterreich vom 31. März 1994, Zl. 7022/7100 B, betreffend Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach § 18 Abs. 2 lit. c AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.070,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 10. Mai 1940 geborene Beschwerdeführer beantragte am 15. April 1992 beim Arbeitsamt Waidhofen an der Thaya die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung der B. Vers. vom 15. April 1992 war der Beschwerdeführer bei ihr als "Angestellter im Außendienst" vom 1. September 1986 bis 15. April 1992 beschäftigt; das Dienstverhältnis sei durch Kündigung seitens des Dienstgebers beendet worden. Nach Punkt 4 des ebenfalls vorgelegten Dienstvertrages zwischen der B. Vers. und dem Beschwerdeführer vom 4. September 1986 umfaßte das Arbeitsgebiet des Beschwerdeführers "Niederösterreich - laut Weisung der Org. Leitung. Auch wenn Ihnen ein bestimmtes Arbeitsgebiet zugewiesen ist oder Ihnen bestehende bzw. neu zu errichtende Vertretungen zugeteilt sind, ist die Anstalt nicht nur berechtigt, in dem gleichen Bezirk Organe jeder Art anzustellen und zu beschäftigen, sondern auch Gebietsänderungen entsprechend den jeweiligen dienstlichen Erfordernissen zu verfügen, ohne daß hiedurch für Sie ein Provisions- oder sonstiger Ersatzanspruch begründet wird." Nach der Meldebestätigung der Marktgemeinde K (im politischen Bezirk Waidhofen an der Thaya) vom 27. April 1992 ist der Beschwerdeführer seit seiner Geburt bis laufend in K angemeldet.

Das Arbeitsamt stellte daraufhin dem Beschwerdeführer gemäß § 47 Abs. 1 erster Satz AlVG eine Mitteilung aus, nach der sein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 16. April 1992 bis 17. April 1996 anerkannt werde.

Mit Bescheid vom 23. September 1993 sprach das Arbeitsamt aus, daß 1. die dem Beschwerdeführer zuerkannte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes im Ausmaß von 209 Wochen (16. April 1992 bis 17. April 1996) gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen werde; 2. die gebührende Bezugsdauer nach § 18 Abs. 2 lit. b AlVG mit 52 Wochen (16. April 1992 bis 14. April 1993) festgestellt werde und 3. ein Anspruch auf eine Bezugsdauer von 209 Wochen nach § 18 Abs. 2 lit. c AlVG mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 lit. c sublit. cc nicht gegeben sei. Begründet wurde die Entscheidung zu Punkt 3 wie folgt:

Nach § 18 Abs. 2 lit. c sublit. cc AlVG sei Voraussetzung einer Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 209 Wochen, daß der Arbeitslose vor Eintritt der Arbeitslosigkeit seinen Arbeitsplatz in einer vom Bundesminister für Arbeit und Soziales in einer Verordnung nach § 18 Abs. 4 leg. cit. festgestellten Region gehabt habe oder in einem Betrieb beschäftigt gewesen sei, der in einer solchen Region seinen Sitz gehabt habe. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Dienstvertrag mit der B. Vers. sei jedoch ersichtlich, daß sein Arbeitsgebiet das gesamte Bundesland Niederösterreich und der Sitz des Dienstgebers in Wien gewesen sei. Die "zitierten Regionen" beträfen in Niederösterreich lediglich die Bezirke Berndorf, Gmünd, Lilienfeld, Neunkirchen, Waidhofen an der Thaya und Wr. Neustadt. Wien sei von der Regelung zur Gänze ausgenommen. Da der Arbeitsplatz des Beschwerdeführers nicht auf eine dieser Regionen eingeschränkt gewesen bzw. auch sein Dienstgeber seinen Sitz in keiner der angeführten Regionen gehabt habe, bestehe kein Anspruch auf eine Bezugsdauer von 209 Wochen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, er sei bei der B. Vers. vom 1. September 1986 bis zur Kündigung durch die Versicherung am 15. April 1992 als Versicherungsvertreter beschäftigt gewesen. Bei seiner Einstellung sei ein Dienstvertrag erstellt worden, in dem auch das Arbeitsgebiet festgelegt worden sei. Konkret habe es geheißen: "Niederösterreich, laut Weisung der Organisationsleitung". Diese Weisung habe auf die Betreuung der Kunden in den Bereichen der Bezirksbauernkammern Gmünd, Weitra und Raabs/Thaya gelautet. "Angeordnet wurde auch fallweise Kunden im Bereich der Bezirksbauernkammer Waidhofen/Thaya und Horn zu betreuen." Letzteres habe der Beschwerdeführer aber kaum durchgeführt, weil die Bezahlung des Kilometergeldes nicht in ausreichender Höhe erfolgt sei. Es sei somit eindeutig erwiesen, daß er ausschließlich in Krisenregionsbezirken seine Dienste zu leisten gehabt habe. Die Bezeichnung "Niederösterreich" erfolge in allen Dienstverträgen bzw. auch bei anderen Betrieben mit Filialeinrichtungen, weil ja sonst nach dem österreichischen Arbeitsvertragsrecht bei jeder kleinen Änderung Auslegungsprobleme entstünden. Außerdem habe sich mit seinem Arbeitsplatzbereich auch die Niederösterreichische Arbeiterkammer im Zusammenhang mit der Arbeiterkammerwahl 1989 befaßt. Hiebei sei eine eindeutige Einsprengelung in den Bezirk Waidhofen an der Thaya erfolgt, in dem er auch von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht habe. Er ersuche daher um die weitere Zuerkennung des Altersarbeitslosengeldes.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 1993 teilte die B. Vers. über ein diesbezügliches Ersuchen der belangten Behörde folgendes mit: Der Beschwerdeführer sei in der Zeit vom 1. September 1986 bis 15. April 1992 als Außendienstmitarbeiter für die Versicherung tätig gewesen. Seine Aufgabe habe darin bestanden, Versicherungsverträge für das Unternehmen zu akquirieren. Er sei im politischen Bezirk Waidhofen an der Thaya tätig und vorwiegend zur Betreuung der Kunden in den Bezirksbauernkammern eingesetzt gewesen. Er sei nicht für das Kundenbüro verantwortlich gewesen. Im Kundenbüro seien die eingelangten Versicherungsanträge in fachlicher Hinsicht überprüft und teilweise über die EDV-Anlage verarbeitet worden. Dies werde von einer Innendienstmitarbeiterin durchgeführt. Ebenso würden Termine für den Außendienst koordiniert bzw. sonstiger Kundenverkehr abgewickelt. Da der Sitz der Landesdirektion der B. Vers. in Wien sei, habe der Beschwerdeführer bisweilen auch in Wien Erledigungen durchführen müssen. Dies seien etwa Verhandlungen mit der Fachabteilung wegen Prämiengestaltung oder auch Verhandlungen mit der Schadensabteilung hinsichtlich Liquidierungen gewesen. Das Dienstverhältnis sei von der B. Vers. zum 15. April 1992 gekündigt worden.

Der Beschwerdeführer gab dazu - trotz gebotener Gelegenheit - keine Stellungnahme ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. Ihrer Entscheidung legte die belangte Behörde die tatsächlichen Angaben des Beschwerdeführers in der Berufung sowie der B. Vers. in der Arbeitsbescheinigung und im Schreiben vom 13. Dezember 1993 zugrunde und beurteilte diesen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht wie folgt: Der Arbeitsplatz des Beschwerdeführers als Außendienstmitarbeiter der B. Vers. sei nicht auf eine "Krisenregion" bzw. mehrere "Krisenregionen" beschränkt gewesen. Es seien auch in Horn - der Bezirk Horn zähle nicht zu einer "Krisenregion" - Versicherungsverträge abgeschlossen bzw. direkt in Wien mit den zuständigen Mitarbeitern der Landesdirektion der B. Vers. Verhandlungen geführt worden. Zum anderen sei der Sitz des Dienstgebers, der Landesdirektion für Niederösterreich, in Wien gewesen. Der Hinweis des Beschwerdeführers darauf, daß er anläßlich der Arbeiterkammerwahl 1989 im Bezirk Waidhofen/Thaya wahlberechtigt gewesen sei, sei nicht geeignet, eine anderslautende Entscheidung als im erstinstanzlichen Verfahren herbeizuführen. Da der Beschwerdeführer somit nicht alle Voraussetzungen für den Bezug des Arbeitslosengeldes im Ausmaß von 209 Wochen gemäß § 18 Abs. 2 lit. c AlVG erfüllt habe, betrage die Bezugsdauer gemäß § 18 Abs. 2 lit. b AlVG nur 52 Wochen ab 16. April 1992.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und (der Sache nach auch) Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Durch die grundsätzlich (vgl. jedoch Art. II Abs. 2) am 1. Jänner 1988 in Kraft getretene AlVG-Novelle BGBl. Nr. 232/1988 wurde das "Altersarbeitslosengeld" (§ 18 Abs. 2 lit. c und Abs. 4 AlVG) und das "Schulungs-Arbeitslosengeld" (§ 18 Abs. 5 und 6 AlVG) geschaffen und demgemäß § 18 AlVG neu gefaßt. Dessen Abs. 2 lit. c und 4 lauteten:

"(2) Die Bezugsdauer erhöht sich

...

c) auf 209 Wochen, wenn in den letzten 25 Jahren vor der Geltendmachung des Anspruches arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen von 780 Wochen nachgewiesen werden, der Arbeitslose bei Geltendmachung des Anspruches das 50. Lebensjahr vollendet und bei Eintritt der Arbeitslosigkeit seit mindestens sechs Monaten seinen Wohnsitz in einer Region hat, für die eine Feststellung nach Abs. 4 erfolgt ist. Im Falle der Änderung des Wohnsitzes bleibt der erworbene Anspruch gewahrt.

(4) Der Bundesminister für Arbeit und Soziales stellt nach Anhörung des Beirates für Arbeitsmarktpolitik (§ 41 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes, BGBl. Nr. 31/1969) durch Verordnung fest, daß in einer Region eine nicht saisonbedingte Verringerung des Beschäftigtenstandes größeren Ausmaßes und dadurch eine wesentliche Erhöhung des Zuganges in die Arbeitslosigkeit innerhalb einer bestimmten Zeit, ein Ansteigen der Dauerarbeitslosigkeit oder eine wesentliche Steigerung der Arbeitslosigkeit gegenüber der Vergangenheit durch längere Zeit zu erwarten sind oder vorliegen. In dieser Verordnung ist auch festzulegen, bis zu welchem Zeitpunkt der Geltendmachung von Arbeitslosengeld die Bezugsdauer gemäß Abs. 2 lit. c zuzuerkennen ist."

Im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung, 549 BlgNR XVII. GP, wird zur Begründung der in zweifacher Hinsicht erhöhten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes der Initiativantrag einiger Abgeordneter wiedergegeben, der - auszugsweise - lautet:

"Die Verringerung des Beschäftigtenstandes im Bereich der verstaatlichten Industrie führt nicht nur zu sozialen Härten des einzelnen betroffenen Arbeitnehmers, sondern auch zu Schwierigkeiten in den einzelnen Regionen. Als Lösungsmöglichkeiten bieten sich einerseits Maßnahmen der Schulung und Höherqualifizierung der von den Unternehmern gekündigten Arbeitnehmer zur erleichterten Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes an, andererseits ein längerer Arbeitslosengeldbezug für ältere Arbeitnehmer, deren Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt erschwert ist. Der vorliegende Initiativantrag sieht daher ein längeres Arbeitslosengeld für folgende Personengruppen vor:

1.

Für alle Arbeitnehmer, die in einer Region wohnen, in der auf dem regionalen Arbeitsmarkt eine spürbare Verschlechterung eintritt, unter den Voraussetzungen, daß sie 50 Jahre oder älter sind und in den letzten 25 Jahren mindestens 15 Jahre beschäftigt waren;

...

    Problematische Entwicklungen eines regionalen

Arbeitsmarktes können durch verschiedene Faktoren ausgelöst

werden. ... Ein wesentliches Kennzeichen am Anfang dieser

Entwicklung ist ... eine deutliche Steigerung der Zugänge in

die Arbeitslosigkeit. ... Sehr oft sind gerade Arbeitnehmer und

Arbeitnehmerinnen mit eingeschränkten Vermittlungschancen von den Freisetzungen betroffen, sei es wegen der Altersstruktur, körperlicher Beeinträchtigungen oder wegen einer einseitigen beruflichen Erfahrung. In Verbindung mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit und der durch die Dominanz der betroffenen Unternehmen anhaltenden Verschlechterung der Arbeitsmarktchancen wird die Dauerarbeitslosigkeit gerade unter den angesprochenen Gruppen zunehmen. ... In einer solchen Region, in der sich die Arbeitsmarktlage spürbar verschlechtert hat, sind die Wiederbeschäftigungschancen auch für ältere Personen, die zu einem späteren Zeitpunkt arbeitslos werden, besonders gering und deren Dauerarbeitslosigkeit auf längere Zeit besonders hoch. Sozialpolitische Vorkehrungen müssen daher auf mehrere Jahre getroffen werden."

Durch die grundsätzlich (vgl. jedoch Art. III Abs. 1) am 1. Jänner 1992 in Kraft getretene AlVG-Novelle BGBl. Nr. 682/1991 erhielt § 18 Abs. 2 lit. c AlVG folgende, im Beschwerdefall - trotz Aufhebung dieser Bestimmung durch die AlVG-Novelle BGBl. Nr. 502/1993 - gemäß § 80 AlVG in der Fassung der eben genannten Novelle noch anwendbare Fassung:

"(Die Bezugsdauer erhöht sich) auf 209 Wochen, wenn in den letzten 25 Jahren vor der Geltendmachung des Anspruches arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen von 780 Wochen nachgewiesen werden und der Arbeitslose

aa)

bei Geltendmachung des Anspruches das 50. Lebensjahr vollendet hat,

bb)

bei Eintritt der Arbeitslosigkeit seit mindestens zwölf Monaten seinen Wohnsitz in einer Region hat, für die eine Feststellung nach Abs. 4 erfolgt ist,

cc)

vor Eintritt der Arbeitslosigkeit seinen Arbeitsplatz in einer solchen Region hatte oder in einem Betrieb beschäftigt war, der in einer solchen Region seinen Sitz hatte, und

dd)

keinen Tatbestand gemäß § 11 gesetzt hat."

Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, 321 BlgNR XVIII. GP, wird zur Begründung unter anderem dieser Änderung ein Initiativantrag einiger Abgeordneter wiedergegeben, der diesbezüglich lautet:

"Durch diese Bestimmung wird eine allfällige mißbräuchliche Inanspruchnahme des vierjährigen Altersarbeitslosengeldes erschwert."

Die - im Beschwerdefall ebenfalls zufolge § 80 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 502/1993 noch geltende, die seinerzeitige Verordnung BGBl. Nr. 279/1988 ablösende - Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, BGBl. Nr. 635/1991, die am 1. Jänner 1992 in Kraft trat, lautet auszugsweise:

"§ 1. Als Regionen im Sinne des § 18 Abs. 4 AlVG werden festgelegt:

... 2. Im Bereich des Landes Niederösterreich die Arbeitsamtbezirke Berndorf, Gmünd, Lilienfeld, Neunkirchen, Waidhofen an der Thaya und Wr. Neustadt;

...

§ 2. In den im § 1 festgelegten Regionen können Anträge auf Arbeitslosengeld, mit denen die Bezugsdauer gemäß § 18 Abs. 2 lit. c AlVG begehrt wird, bis längstens 31. Dezember 1995 eingebracht worden."

Der Beschwerdeführer wendet gegen die tragende Bescheidbegründung ein, daß sich aus dem Schreiben der B. Vers. vom 13. Dezember 1993 zweifelsfrei ergebe, daß der Beschwerdeführer seinen Arbeitsplatz in einer Krisenregion, nämlich im Bezirk Waidhofen an der Thaya, gehabt habe. Demgegenüber ziehe die belangte Behörde daraus den nicht näher begründeten Beschluß, der Beschwerdeführer sei als Außendienstmitarbeiter nicht auf eine Krisenregion bzw. auf mehrere Krisenregionen beschränkt gewesen. Es seien auch in Horn Versicherungsverträge abgeschlossen worden und er habe direkt in Wien mit den zuständigen Mitarbeitern der Landesdirektion Verhandlungen geführt. Diese Schlußfolgerung sei nicht nur durch das Verfahren in keiner Weise gedeckt, sie sei auch nicht nachvollziehbar. Nach dem Schreiben sei er im Bezirk Waidhofen an der Thaya tätig gewesen. Bei dieser Tätigkeit sei es sicherlich erforderlich gewesen, gelegentlich auch mit der Zentrale in Wien Kontakt herzustellen; dies sei aber kein Tätigwerden des Beschwerdeführers, sondern eine notwendige Maßnahme bei seiner Tätigkeit im Bezirk Waidhofen an der Thaya gewesen.

Die belangte Behörde replizierte darauf in der Gegenschrift wie folgt: Das AlVG sehe keine Definition der Begriffe "Arbeitsplatz" und "Sitz eines Betriebes" im § 18 Abs. 2 lit. c AlVG vor. Es komme daher nur eine analoge Anwendung in Frage. Im Arbeitsrecht seien diese Begriffe ebensowenig ausdrücklich definiert. Das ArbVG fordere im § 101 (Mitwirkung bei Versetzungen) die Auslegung des Begriffes "Arbeitsplatz".

Sie laute: "Arbeitsplatz ist nicht die Betriebsstätte mit ihren äußeren Arbeitsbedingungen, sondern das Arbeitsverhältnis in bezug auf die damit verbundenen Rechte und Pflichten (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1952, Slg. Nr. 2580)". Diese Auslegung helfe im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter. Ringhofer definiere die im § 4 ZustellG verwendeten Begriffe wie folgt: Arbeitsplatz sei der feste Standort, an dem jemand regelmäßig arbeite, sofern dieser Ort - bei Selbständigen - nicht schon als Betriebsstätte, Geschäftsraum oder Kanzlei zu bezeichnen sei. Der Arbeitsplatz könne auch mit der Wohnung ident sein. Sitz sei der feste Standort, an dem die juristische Person durch ihre Organe tätig sei, wenn sie an mehreren Orten tätig sei, jener, an dem sie die Agenden der Zentralverwaltung wahrnehme. Bei bestimmten Berufen, wie z.B. bei Vertretern, ergäben Natur und Zweck des Arbeitsvertrages, daß die Arbeitsleistung nicht am Sitz des Unternehmens erbracht werde. Insbesondere bei Bauarbeitern habe der OGH wiederholt ausgesprochen, daß diese entsprechend dem Wesen ihres Arbeitsvertrages die Arbeit grundsätzlich in jeder einzelnen Baustelle des Arbeitgebers zu verrichten hätten (Art. 8493, 8565). Versicherungsvertreter hätten je nach Weisung ihres Dienstgebers ein bestimmtes Gebiet zu betreuen. Sie hätten aber keinen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Arbeitsgebiet. Dem entspreche Punkt 4 des vorgelegten Dienstvertrages. Sie hätten demgemäß keinen fixen Standort, an dem sie regelmäßig arbeiteten. Das heiße im Beschwerdefall, daß der Beschwerdeführer im Sinne dieser Auslegung (unter analoger Anwendung der Definition des ZustellG) keinen Arbeitsplatz gehabt habe. Für diesen Fall sehe § 18 Abs. 2 lit. c sublit. cc AlVG vor, daß auf den Sitz des Betriebes abzustellen sei. Da dieser im gegenständlichen Fall in Wien gewesen sei, Wien aber nicht zu den Krisenregionen zähle, sei die (allein strittige) Anspruchsvoraussetzung des § 18 Abs. 2 lit. c AlVG nicht erfüllt.

Entgegen diesen (über die rechtliche Beurteilung der Bescheidbegründung hinausgehenden) rechtlichen Ausführungen der belangten Behörde bedarf es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Auslegung des (im AlVG nicht definierten) Ausdruckes "Arbeitsplatz" im § 18 Abs. 2 lit. c sublit. cc nicht einer analogen Heranziehung ausdrücklicher Definitionen oder der aus einer einzelnen oder mehreren Vorschriften eruierbaren Umschreibungen des Inhaltes dieses Ausdruckes in anderen Teilen der (im Zeitpunkt der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes wirksamen) Rechtsordnung, insbesondere der Arbeitsrechtsordnung (in der dieser Ausdruck einen unterschiedlichen, bisweilen mit dem Arbeitsverhältnis identen, bisweilen nur einzelne Modalitäten, insbesondere den Arbeitsort, umfassenden Inhalt hat: vgl. außer der von der belangten Behörde zitierten Bestimmung des § 101 ArbVG unter anderem auch jene des § 99 Abs. 1 ArbVG, des § 6 Abs. 7 ASchG 1972 sowie des ArbPlSG und dazu Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, an den im Inhaltsverzeichnis angegebenen Stellen zum "Arbeitsort" und zum "Arbeitsplatz") und der hiezu primär erforderlichen Lösung der Frage, ob und inwieweit eine solche analoge Anwendung methodisch überhaupt zulässig ist (vgl. zur Analogie im öffentlichen Recht zuletzt das Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0254). Denn schon der - auch im AlVG selbst, insbesondere im § 18 Abs. 4 i.V.m. § 18 Abs. 2 lit. c AlVG zum Ausdruck kommende - oben wiedergegebene Zweck, den der Gesetzgeber mit der diesbezüglichen Erhöhung der Bezugsdauer verfolgt hat, ermöglicht eine eindeutige Bestimmung des Inhalts dieses Ausdruckes:

Mit der Novelle BGBl. Nr. 232/1988 bezweckte der Gesetzgeber im vorliegenden Zusammenhang, jenen älteren arbeitslosen Arbeitnehmern, die (seit sechs Monaten) in einer Region ihren Wohnsitz haben, in der "eine nicht saisonbedingte Verringerung des Beschäftigtenstandes größeren Ausmaßes und dadurch eine wesentliche Erhöhung des Zuganges in die Arbeitslosigkeit innerhalb einer bestimmten Zeit, ein Ansteigen der Dauerarbeitslosigkeit oder eine wesentliche Steigerung der Arbeitslosigkeit gegenüber der Vergangenheit durch längere Zeit zu erwarten sind oder vorliegen" (Krisen- oder Problemregion), und die deshalb, d.h. nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch wegen der durch ihren Wohnsitz bedingten Nähe zu dieser Region (aufgrund dessen sie vielleicht schon "freigesetzt" wurden, d.h. ihren Arbeitsplatz verloren haben), im allgemeinen auf diesem regionalen Arbeitsmarkt nur schwer bzw. eingeschränkt vermittelbar sind, einen längeren Arbeitslosengeldbezug zu gewähren.

Mit der Novelle BGBl. Nr. 682/1991 beabsichtigte der Gesetzgeber, wie sowohl die Aufrechterhaltung des § 18 Abs. 4 als auch die obzitierten Gesetzesmaterialien klar erweisen, nicht eine Änderung dieses Zweckes, sondern lediglich die Erschwerung einer "allfälligen mißbräuchlichen Inanspruchnahme des vierjährigen Altersarbeitslosengeldes" in dreifacher Hinsicht: 1. durch das Erfordernis eines Wohnsitzes in dieser Region schon seit mindestens zwölf statt bisher sechs Monaten,

2. durch die Voraussetzung einer nicht selbst herbeigeführten Arbeitslosigkeit im Sinne des § 11 AlVG und schließlich

3. durch das - im Beschwerdefall allein strittige - Erfordernis des § 18 Abs. 2 lit. c sublit. cc.

Mit diesem dritten zusätzlichen Erfordernis soll - unter Bedachtnahme auf den beibehaltenen grundsätzlichen Zweck des Altersarbeitslosengeldes - erkennbar verhindert werden, daß ein Arbeitsloser, der im übrigen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 lit. c AlVG erfüllt, daher auch eine durch den Wohnsitz bedingte Nähe zur Krisenregion hat, aber beruflich in einer anderen, nicht zu einer Krisenregion zählenden Region verankert war, und von dem daher nicht anzunehmen ist, daß er aufgrund der Verhältnisse in der Krisenregion arbeitslos wurde oder zumindest nunmehr eine berufliche Verankerung in der Krisenregion suchen wird, Altersarbeitslosengeld bezieht.

Der Gesetzgeber verlangt also neben der durch den Wohnsitz bedingten auch eine berufliche Nähe zur Krisenregion in einer alternativen Weise: entweder dadurch, daß der Arbeitslose seinen "Arbeitsplatz" in einer solchen Region (bzw., wie die belangte Behörde richtig sieht, in mehreren solchen Krisenregionen) vor Eintritt der Arbeitslosigkeit hatte, oder, obwohl dies nicht der Fall war, er also seinen "Arbeitsplatz" in einer anderen (in anderen) nicht zu den Krisenregionen zählenden Region (Regionen) hatte, doch der Betrieb, in dem der Arbeitslose vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt war, in einer Krisenregion seinen "Sitz" hatte. Darin erblickte er das (im Einzelfall unwiderlegliche) Indiz dafür, daß der Arbeitslose (der unter Umständen wegen dieser beruflichen Nähe arbeitslos wurde) primär auf diesem regionalen Arbeitsmarkt und damit schwerer bzw. eingeschränkter zu vermitteln sein wird. Unter diesen Gesichtspunkten kann aber unter dem Innehaben eines Arbeitsplatzes in einer Krisenregion nichts anderes verstanden werden als daß der Arbeitslose in ihr das Zentrum seiner tatsächlichen beruflichen Tätigkeit hatte bzw. daß er in ihr überwiegend tatsächlich beschäftigt wurde und solcherart in ihr beruflich verankert war. Darauf, ob er arbeitsvertragsrechtlich Anspruch auf eine Beschäftigung nur in dieser Region oder sogar nur in einem bestimmten Ort dieser Region hatte oder ob er zumindest tatsächlich nur an einem "fixen Arbeitsplatz" im Sinne eines "Standortes" tatsächlich beschäftigt war, kommt es unter Bedachtnahme auf den mehrfach genannten Zweck der Einführung des Altersarbeitslosengeldes nicht an. (Daß mit § 4 ZustellG - vor dem Hintergrund dieses Gesetzes - ein völlig anderer Zweck verbunden ist, bedarf keiner näheren Erörterung).

Vor diesem Hintergrund ist es auch - dies zur Bescheidbegründung - irrelevant, ob der Beschwerdeführer, wie die B. Vers. in ihrem Schreiben vom 13. Dezember 1993 ausgeführt hat, "bisweilen auch in Wien Erledigungen" der im Schreiben genannten Art in der Landesdirektion Niederösterreich der B. Vers. durchführen mußte, und, wie er in seiner Berufung ausführte (dies zum Beschwerdevorbringen, in dem der belangten Behörde zu Unrecht vorgeworfen wird, dies sei durch das Verfahren in keiner Weise gedeckt) auch "fallweise Kunden im Bereich der Bezirksbauernkammer Horn zu betreuen" hatte, was er allerdings "kaum" durchführte.

Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil einerseits neben dem in dieser Verordnung festgesetzten Pauschbetrag nicht auch noch die davon errechnende Umsatzsteuer gebührt und andererseits im Beschwerdefall an Stempelgebühren nur die in den Tarifposten 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 und 13 Abs. 1 des § 14 GebG bestimmten Gebühren zu entrichten waren.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994080086.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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