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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M wohnhaft in S, vertreten Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. November 1994, Zl. 4.221.084/5-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, war bereits im Juni 1984 in das Bundesgebiet eingereist. Er wurde gemeinsam mit anderen pakistanischen Staatsangehörigen in Wien von der Polizei aufgegriffen, unter dem Verdacht terroristischer Betätigung verhaftet und schließlich mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. März 1985 (rechtskräftig am 26. März 1986), GZ. 20kVr 8067/84, Hv 8970/84, nach den §§ 15, 102 Abs. 1, 277 Abs. 1 und 280 Abs. 1 StGB zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Krems vom 21. Juli 1986 wurde über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot verhängt. Fristgerecht erhob der Beschwerdeführer hiergegen Berufung vom 18. August 1986, in der er u.a. ausführte, seine Tat sei im Zusammenhang damit gestanden, die Öffentlichkeit auf das politische System in Pakistan aufmerksam zu machen, wo eine Militärdiktatur herrsche. Er trete für eine Demokratie nach westlichem Vorbild ein. Aus diesem Grunde sei er in Pakistan politisch verfolgt worden. Deshalb habe er sowohl seine Familie als auch seine Arbeit verlassen müssen. Wenn sich das politische System in Pakistan nicht ändere, habe er bei einem Abschub nach Pakistan den Tod zu erwarten. Ein Aufenthaltsverbot würde ihn daher in seiner Existenz bedrohen.
Sowohl die Behörde erster Instanz als auch die nunmehr belangte Behörde werteten diese Berufung (zumindest auch) als Asylantrag. Bei seiner während der Strafhaft vorgenommenen niederschriftlichen Einvernahme am 12. Dezember 1986 gab der Beschwerdeführer dazu näher befragt, im wesentlichen an, er sei nach Absolvierung der Grundschule im Jahr 1975 nach Haripur Hazara gegangen, wo er bis 1981 in einer Fabrik für elektrische Anlagen gearbeitet habe. Im Dezember 1981 habe er sich nach Amritsar (Indien) begeben, von wo er bis ins Jahr 1984 mehrfach kurzfristig nach Pakistan zurückgekehrt sei. 1984 sei er dann von Indien über Damaskus und Rom nach Österreich eingereist. Er sei 1978 und 1979 als Sekretär der Betriebsgruppe der Gewerkschaft in seinem Betrieb in Haripur Hazara tätig gewesen, welche der oppositionellen Pakistan Peoples Party (PPP) nahe gestanden sei. Im Zuge seiner Tätigkeit als Sekretär der Gewerkschaft habe er sich gegenüber der Betriebsführung für die Verbesserung des Einkommens der Beschäftigten und für die Verbesserung der Sozialleistungen eingesetzt. Dabei sei er naturgemäß in Konflikt mit dem Betriebsleiter gekommen, der ein von der Militärdiktatur eingesetzter Funktionär gewesen sei. 1979, nach dem Wechsel von der Regierung Ali Bhutto zur Militärdiktatur seien einige bis dahin tätig gewesene Offiziere, die der Gewerkschaft nahe gestanden seien bzw. dieser entgegengekommen wären, von der Betriebsleitung entlassen, einer sogar verhaftet worden. Mit der Machtübernahme durch die Militärdiktatur sei keine neue Wahl in der Gewerkschaft erfolgt, seine Gewerkschaftstätigkeit sei damit automatisch zu Ende gegangen. In den Jahren 1980 und 1981 sei er innerhalb des Betriebes für die PPP insofern tätig gewesen, als er mit anderen Gesinnungsgenossen an Versammlungen der Betriebsführung als bloßer Zuhörer teilgenommen habe. Es sei den Veranstaltern bekannt gewesen, daß er der oppositionellen Partei angehört habe, jedoch habe er sich bei diesen Veranstaltungen weder in Wort noch in Schrift kritisch geäußert. Diese eher passive Rolle habe er jedoch nur bei den Veranstaltungen eingenommen, er sei aber während seiner Tätigkeit im Betrieb bis zum Jahre 1984 tatsächlich nach wie vor durch Verfertigen von Matrizen für Plakate und Flugblätter bzw. Schriften in Zeitungsformat tätig gewesen. Diese Schriften seien regimekritischen Inhaltes gewesen. Er habe die Matrizen jeweils anderen Gesinnungsgenossen übergeben, die für die Vervielfältigung gesorgt hätten. Er sei auch an der Veröffentlichung beteiligt gewesen, indem er die Plakate angeschlagen, die Flugblätter bzw. Schriften verteilt habe. Einige seiner Gesinnungsgenossen seien bereits ab dem Jahre 1979, also mit Einführung der Militärdiktatur bzw. kurz nachher, wegen oppositioneller Tätigkeit von der Polizei verhaftet, ausgepeitscht und mißhandelt worden. Da er befürchtet habe, das gleiche Schicksal erleiden zu müssen, sei er ab Ende des Jahres 1980 "in den Untergrund" und ab 1981 zeitweise nach Indien, ebenfalls "in den Untergrund" gegangen. Während seiner Haft (Ende Oktober 1986) habe er von seinem in Pakistan lebenden Bruder die Information erhalten, er (der Beschwerdeführer) sei vom Militärgericht in Lahore wegen oppositioneller Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt worden. Bei seiner Rückkehr nach Pakistan befürchte er die Todesstrafe, und zwar nicht nur wegen seiner oppositionellen Tätigkeit in Pakistan, sondern auch wegen der in Österreich gesetzten strafbaren Handlungen. Bereits seiner gegen die Erledigung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. Jänner 1987 erhobenen - von der belangten Behörde infolge des mangelnden Bescheidcharakters der bekämpften Entscheidung zurückgewiesenen - Berufung schloß der Beschwerdeführer die Ausfertigung eines Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. April 1986, GZ. 24 Ns 168/86-4, an, womit die mit Verbalnote der Botschaft der islamischen Republik Pakistan in Wien vom 24. Juli 1984 (7.8.1984) begehrte Auslieferung des pakistanischen Staatsangehörigen M, zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Richter erster Klasse von Lahore Babar Khan Nazir vom 22. März 1983 im Zusammenhalt mit den in der daran angeschlossenen Anklage bezeichneten Straftaten für unzulässig erklärt wurde. Das Oberlandesgericht Wien ging in der Begründung dieses Beschlusses davon aus, daß jenen strafbaren Handlungen, deretwegen die Auslieferung begehrt worden sei (Teilnahme an der Verschwörung zur Ermordung wichtiger Staatsorgane und politischer Gegner, Verschwörung zum Umsturz der Regierung von Pakistan durch verbrecherische Gewaltanwendung, kämpferische Ausbildung und Empfang von tödlichen Waffen, um die pakistanische Regierung zu stürzen, sowie Verheimlichung des Vorhabens zur Führung eines Krieges gegen Pakistan und dadurch der Erleichterung zur Führung eines solchen Krieges) eindeutig politischer Charakter zukomme, weshalb unter Zugrundelegung des Auslieferungsvertrages mit der islamischen Republik Pakistan aus dem Jahre 1952 eine Auslieferung als unzulässig angesehen wurde.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. Juli 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, nicht erfülle.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung vom 18. August 1992, wiederum unter Verweis auf den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. April 1986, den er seinem Rechtsmittel anschloß. In seiner Berufung verweist der Beschwerdeführer insbesondere darauf, daß zwei seiner Mittäter nach Verbüßung ihrer Haftstrafe (in Österreich) nach Pakistan zurückkehren hätten können, sich dort nach dem Sturz der Regierung Benazir Bhutto im August 1990 die politische Lage aber wieder verschlechtert habe, indem politisch Oppositionelle und Regimegegner wiederum verfolgt, gefoltert und unmenschlicher Behandlung unterzogen würden. Die neue Regierung habe sogar eine Anweisung erlassen, alle Oppositionellen des alten Junta-Regimes, die 1988 von der Regierung Bhutto freigelassen worden seien, erneut zu verhaften. Damit stünde für ihn (den Beschwerdeführer) außer Zweifel, daß er mit seiner politischen Vergangenheit auch von der neuen Regierung Pakistans als Regimegegner eingestuft und bei einer erzwungenen Rückkehr in seine Heimat entsprechend verfolgt werden würde.
Im Zuge eines gemäß § 20 Abs. 2 dritter Fall AsylG 1991 von der belangten Behörde ergänzten Ermittlungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer unter Verweis darauf, daß bei den Wahlen in Pakistan im Oktober 1993 die Partei des Beschwerdeführers ("PPP") nunmehr die Stimmenmehrheit erlangt und deren Führerin Frau Benazir Bhutto Premierministerin sei, zur Stellungnahme aufgefordert. In seiner daraufhin abgegebenen schriftlichen Stellungnahme vom 29. August 1994 führte der Beschwerdeführer nach Wiederholung seines bereits aktenkundigen politischen Engagements in seinem Heimatland aus, Premierministerin Bhutto habe eine Koalitionsregierung eingehen müssen, was dazu geführt habe, daß sich die PPP gespalten habe. Es gebe viele Menschen, die nicht akzeptieren könnten, daß Frau Bhutto mit dem Gegner koaliere. Es sei zu befürchten, daß sie mit der Regierung bald scheitere, weil sie mit Teilen ihrer politischen Gegner zusammenarbeiten müsse. Diese Koalition sei aber nur zustandegekommen, indem Frau Bhutto der Vereinigung, die sich aus islamischen Fundamentalisten und Unterstützern der ehemaligen Diktatur zusammensetze, Zugeständnisse gemacht habe. Diese Zugeständnisse haben sich klar darauf bezogen, ehemalige Mitglieder der PPP, die aus dem Ausland gegen die militärische Diktatur gearbeitet hätten, nicht an der jetzigen Regierung zu beteiligen. Gleichzeitig habe Premierministerin Bhutto den Mitgliedern der liberalen Gruppe der PPP (unter Vorsitz ihrer Mutter Nusrat Bhutto) keine Garantien für deren Nichtverfolgung in Pakistan geben können. Sogar ihr eigener Bruder Mir Murtasa Bhutto sei nach seiner Rückkehr im Herbst 1993 verhaftet worden. Er sei damals während eines Auslandsaufenthaltes ins pakistanische Parlament gewählt worden und deshalb zurückgekehrt. Einer der Mittäter des Beschwerdeführers sei nach Ende des Strafvollzuges nach Pakistan zurückgekehrt und sei bereits am Flughafen Karadschi verhaftet worden und bis zum heutigen Tage im Gefängnis. Eine Generalamnestie sei für diese im Ausland Verurteilten noch nicht zugesagt, sodaß sie nach pakistanischem Gesetz weiterhin verurteilt seien. Als Benazir Bhutto das erste Mal Premierministerin gewesen sei - allerdings nur für 16 Monate - habe sie mehr Macht im Staat gehabt, sich auch persönlich für ihn einzusetzen. Es sei nun allerdings zu befürchten, daß sich die Art der Koalition mit der Gegenpartei nicht lange werde halten können. Seit ihrem neuerlichen Amtsantritt habe Premierministerin Bhutto wohl auf Grund der unglücklichen Machtkonstellation im Parlament alle die Ansuchen des Beschwerdeführers um einen Identitätspaß unbeantwortet gelassen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Sie begründete dies im wesentlichen damit, sie bezweifle nicht grundsätzlich die Möglichkeit von Repressalien politischer Art gegen den Beschwerdeführer in vergangenen Zeiträumen. Die politische Lage Pakistans habe sich jedoch in jüngerer Vergangenheit erheblich verändert. Die PPP habe bei den Wahlen im Oktober 1993 die Stimmenmehrheit erlangt und Frau Benazir Bhutto, die immerhin Mitstreiterin des Beschwerdeführers im Kampf für Demokratie gewesen sei, sei Premierministerin. Nachdem die vom Beschwerdeführer unterstützte Partei nunmehr stärkste Partei in seinem Heimatland sei, könne nicht mehr davon ausgegangen werden, daß er im Falle seiner Rückkehr wegen seiner politischen Gesinnung eine im Sinne des Asylgesetzes 1991 relevante Verfolgung zu befürchten habe. Ein Indiz dafür stelle auch der Umstand dar, daß die jetzige Premierministerin sich bereits während ihrer ersten Regierungsperiode ausdrücklich für den Beschwerdeführer eingesetzt habe. Wie aus dem Schreiben des Bundesministeriums für Justiz vom 5. Jänner 1989 () hervorginge, habe Premierministerin Bhutto dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan eine faire Behandlung garantiert. Auch die in der schriftlichen Stellungnahme vom
24. (29.) August 1994 geäußerten Bedenken vermöchten nicht zu überzeugen. Diese zielten auf eine behauptetermaßen unstabile Situation der gegenwärtigen Koalitionsregierung unter Benazir Bhutto, den angeblich verminderten politischen Einfluß der Premierministerin und das Fehlen von Sicherheitsgarantien ab, wobei der Beschwerdeführer sich offensichtlich bemühe, in den Besitz eines Reisedokumentes zu kommen, wodurch sich erweise, daß er die Schutzfunktion seines Heimatstaates durchaus in Anspruch habe nehmen wollen. Insgesamt erscheine nicht glaubwürdig, daß Premierministerin Bhutto ihre während ihrer ersten Amtsperiode abgegebene Garantie für die faire Behandlung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten würde oder könnte, sodaß er auch nicht zu befürchten habe, im Falle seiner Rückkehr einer Verfolgung auf Grund seiner früheren Mitgliedschaft zur PPP bzw. für seinen Einsatz für die nunmehrige Premierministerin ausgesetzt zu sein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zutreffend rügt der Beschwerdeführer in seiner - wenn auch inhaltlich äußerst knappen - Beschwerde, die belangte Behörde habe sich mit seinem Vorbringen, auf Grund der derzeitigen politischen Konstellation sei es selbst der dem Beschwerdeführer offenbar wohlgesonnenen Premierministerin Benazir Bhutto nicht möglich, ihn im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland vor ungerechtfertigten Repressalien, allenfalls Todesgefahr oder Verhaftungen, zu schützen, nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die belangte Behörde begnügt sich damit, die in der schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers enthaltenen Bedenken gegen die politische Durchsetzungsfähigkeit der Premierministerin Pakistans - insoweit hier von Relevanz - als unglaubwürdig abzutun. Sie übergeht damit aber gänzlich die ins einzelne gehende Begründung für die vom Beschwerdeführer erhobenen Bedenken gegen seine Sicherheit. Die belangte Behörde hätte sich daher mit den politischen Verhältnissen im Heimatland des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung im Ausland befindlicher und dort tätig gewesener (allenfalls sogar im Heimatland verurteilter) Regimekritiker eingehender befassen müssen. Auch der Akt der Beweiswürdigung setzt grundsätzlich die Erhebung aller entscheidungsrelevanten Umstände voraus; eine antizipierende Beweiswürdigung ist den Verwaltungsverfahrensgesetzen fremd (vgl. u.a. die zu § 45 in Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsrechtes3 zitierte Judikatur). Der belangten Behörde fehlten aber - soweit aktenkundig - die entsprechenden Grundlagen dafür, entgegen den zumindest nicht unschlüssigen Einwänden des Beschwerdeführers von dessen Sicherheit im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland auszugehen.
Dadurch belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Beachtung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich aufm §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995200070.X00Im RIS seit
20.11.2000