TE Vwgh Erkenntnis 1995/10/17 94/08/0030

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Veröffentlicht am 17.10.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §29 Abs1;
AlVG 1977 §46;
AVG §39a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der L in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 27. Dezember 1993, Zl. IV B/7022/7100 B, betreffend Widerruf und Rückforderung von Karenzurlaubsgeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stand zuletzt in der Zeit vom 4. Juli 1988 bis 18. Jänner 1992 als Hilfsarbeiterin in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Am 23. Jänner 1992 beantragte sie beim Arbeitsamt Versicherungsdienste in Wien Karenzurlaubsgeld. In dem von ihr eigenhändig unterschriebenen Antragsformblatt wurden bei den Fragen 4 ("Ich stehe derzeit in Beschäftigung") und 8 ("Ich habe ein eigenes Einkommen") die für die Antworten "Nein" geltenden Kästchen angekreuzt. Aufgrund dieses Antrages wurde der Beschwerdeführerin Karenzurlaubsgeld ab 19. Jänner 1992 gewährt.

Aufgrund einer Meldung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger wurde dem Arbeitsamt allerdings bekannt, daß die Beschwerdeführerin in einem Hausbesorgerdienstverhältnis stehe.

Mit Bescheid vom 1. September 1993 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste aus, daß gemäß § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug des Karenzurlaubsgeldes für den Zeitraum vom 19. Jänner 1992 bis 30. Juni 1993 widerrufen und die Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes in der Höhe von S 159.338,-- verpflichtet werde. Begründet wurde die Entscheidung damit, daß die Beschwerdeführerin laufend in einem über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnten arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis als Hausbesorgerin stehe.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, wobei sie im wesentlichen vorbrachte, aufgrund finanzieller Probleme den Betrag nicht zurückzahlen zu können. Sie sei alleinstehend und habe für drei Kinder zu sorgen. Da sie keine andere Möglichkeit gehabt habe, eine Wohnung zu finden und zu finanzieren, habe sie einen Hausbesorgerposten annehmen müssen.

In einer Niederschrift vor der belangten Behörde am 1. Oktober 1993 gab die Beschwerdeführerin an, seit dem Jahre 1990 in einem Hausbesorgerdienstverhältnis zu stehen. Am 23. Jänner 1992 habe sie beim Arbeitsamt Karenzurlaubsgeld beantragt. Da sie nicht so gut deutsch könne, habe sie ihren Antrag von einer Frau, die am Arbeitsamt gerade ihren eigenen Antrag ausgefüllt habe, ausfüllen lassen. Diese Frau habe sie aber leider nicht gefragt, ob sie Hausbesorgerin sei, sondern gleich die entsprechende Frage mit "Nein" angekreuzt. Sie selbst habe nicht gewußt, daß man das melden müsse.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid des Arbeitsamtes bestätigt. Nach Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen und des bisherigen Verfahrensgeschehens vertrat die belangte Behörde in ihrer Begründung die Auffassung, daß die Beschwerdeführerin ihr Hausbesorgerdienstverhältnis, das über der Geringsfügigkeitsgrenze entlohnt werde, nicht gemeldet habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die Beschwerdeführerin hat zur Gegenschrift eine Äußerung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen, wenn sie sich nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.

Nach § 25 Abs. 1 AlVG ist bei Widerruf der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Nach § 29 Abs. 1 AlVG sind unter anderem die §§ 24 und 25 sinngemäß auf das Karenzurlaubsgeld anzuwenden.

Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, daß die Zuerkennung des Karenzurlaubsgeldes gesetzlich nicht begründet war, weil sie in dem genannten Zeitraum in einem Dienstverhältnis als Hausbesorgerin mit einem Entgelt stand, das die in § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge überschritten hat, und sie daher gemäß § 12 Abs. 3 lit. a iVm § 12 Abs. 6 lit. a AlVG nicht als arbeitslos galt. Es wird auch nicht bestritten, daß die Beschwerdeführerin subjektiv in Kenntnis des wahren Sachverhaltes der Tatsache ihres Hausbesorgerdienstverhältnisses gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe aber im Zeitpunkt der Antragstellung ein schwer krankes Kind zu versorgen gehabt. Sie sei also unter besonderen psychischen Belastungen gestanden. Zudem sei sie in ihrem Hausbesorgerdienstverhältnis weitgehend von ihrer Mutter vertreten worden. Sie habe die Hausbesorgerarbeit vorwiegend als Gegenleistung für die von ihr dringend benötigte Wohnung und weniger als eigentliches Dienstverhältnis wahrgenommen. Hätte die belangte Behörde alle Umstände erhoben, so hätte sie zu dem Schluß kommen müssen, daß aufgrund der besonderen Belastungssituation der Beschwerdeführerin und ihren beschränkten Kenntnissen der deutschen Sprache die Verletzung der Sorgfaltspflicht zwar schuldhaft, aber entschuldbar gewesen sei. Aus dem Abkommen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Regelung der Beschäftigung jugoslawischer Dienstnehmer in Österreich vom 4. April 1966, BGBl. Nr. 14, lasse sich auch eine Verpflichtung der Republik Österreich zur Verwendung mehrsprachicher Informationen und Formblätter ableiten. So bestimme Art. 14 des genannten Abkommens, daß das Sozialministerium dem Bundesbüro zur Unterrichtung der jugoslawischen Dienstnehmer ein Merkblatt mit allen Angaben zur Verfügung stelle, welche für sie von Bedeutung seien, wie z.B. Angaben über die Beschäftigungsmöglichkeiten, die allgemeinen Zulassungsvorschriften, die Arbeits- und Lebensbedingungen in Österreich, die Löhne, die Steuern, die Sozialversicherung und die wichtigsten Vorschriften des Arbeitsrechtes. Dieses Merkblatt sowie eventuelle Änderungen seien in serbokroatischer Sprache abzufassen. Die Sachbearbeiter der Arbeitsämter wären auch verpflichtet, bei den der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Personen bestimmte Rückfragen zu stellen.

Diese Ausführungen sind nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die objektiv unrichtige (den unberechtigten Bezug von Arbeitslosengeld herbeiführende) Verneinung der Frage, ob der Beschwerdeführer "derzeit in Beschäftigung" stehe, allein noch nicht die Rückersatzverpflichtung nach § 25 Abs. 1 wegen "unwahrer Angaben" oder "Verschweigung maßgebender Tatsachen" begründet. Schon die Wendung der Begriffe "unwahr" (und nicht bloß "unrichtig") bzw. ("verschweigen") deutet nämlich auf eine subjektive Komponente hin, das heißt, daß von jenem Arbeitslosen nichts rückgefordert werden kann, der zwar objektiv falsche Angaben, jedoch in unverschuldeter Unkenntnis vom wahren Sachverhalt gemacht hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0183).

Die Beschwerdeführerin kannte allerdings den wahren Sachverhalt, nämlich ihre Beschäftigung als Hausbesorgerin. Soweit in der Beschwerde unter Hinweis auf besondere psychische Belastungen der Beschwerdeführerin im Antragszeitpunkt und den Umstand, daß die mit dem Dienstverhältnis verbundenen Arbeitsleistungen weitgehend von ihrer Mutter erbracht worden sind, erstmals die Behauptung aufgestellt wird, die Beschwerdeführerin habe im Antragszeitpunkt den wahren Sachverhalt gar nicht erkannt, ist darauf zu erwidern, daß dieser Umstand allenfalls bei einer persönlichen Ausfüllung des Antragsformblattes durch die Beschwerdeführerin selbst maßgebend hätte sein können. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde am 1. Oktober 1993 hat sie das Formblatt jedoch von einer am Arbeitsamt anwesenden Frau ausfüllen lassen. Zufolge der Unterfertigung des Formblattes durch die Beschwerdeführerin durfte der Sachbearbeiter aber, auch wenn er aus dem Formblatt eventuell hätte ersehen müssen, daß es nicht von der Beschwerdeführerin selbst ausgefüllt worden ist, und er erkennen konnte, daß die Beschwerdeführerin nicht sehr gut deutsch spricht, davon ausgehen, daß derjenige, der für die Beschwerdeführerin das Formblatt ausgefüllt hat, dies - aufgrund entsprechender Angaben der Beschwerdeführerin, der auch die Fragen des Formblattes verständlich gemacht worden sind - richtig und vollständig getan hat. Daß für den Sachbearbeiter des Arbeitsamtes irgendwelche Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, das Formblatt sei unrichtig oder unvollständig ausgefüllt worden, hat die Beschwerdeführerin nicht behauptet. Es bestand daher für den Sachbearbeiter, ausgehend vom äußeren Erscheinungsbild des Formblattes, kein Grund zu ergänzenden Fragen oder Belehrungen. Es wäre der Beschwerdeführerin im übrigen freigestanden, schon vor der Ausfüllung des Formblattes oder danach im Falle von Unklarheiten den Sachbearbeiter des Arbeitsamtes um entsprechende Anleitungen im Sinne des § 13a AVG zu ersuchen. Aus welchem Grund die Frau, deren sich die Beschwerdeführerin beim Ausfüllen des Formblattes bedient hat, die maßgebliche Frage unrichtig beantwortet hat, ist ohne Bedeutung (vgl. das Erkenntnis vom 11. Mai 1993, Zl. 92/08/0182). Da das Formblatt im Beschwerdefall am 17. Jänner 1992 ausgegeben worden ist, hätte sich die Beschwerdeführerin auch bis zum Zeitpunkt der Abgabe am 23. Jänner 1992 über dessen Inhalt bei etwaigen Zweifelsfragen erkundigen können.

Weder aus dem in der Beschwerde genannten Abkommen über die Regelung der Beschäftigung jugoslawischer Dienstnehmer in Österreich noch aus dem Abkommen über soziale Sicherheit in der Fassung des zweiten Zusatzabkommens, BGBl. Nr. 269/1989, kann eine Verpflichtung der Behörde zur Verwendung zweisprachiger Antragsformulare abgeleitet werden, wenngleich nicht in Abrede gestellt werden soll, daß die Verwendung solcher Formulare durchaus wünschenswert wäre.

Insoweit das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen ist, die Beschwerdeführerin habe nicht gewußt, daß sie dann, wenn sie in einem Dienstverhältnis stehe, keinen Anspruch auf Karenzurlaubsgeld habe, bzw., daß ihre Tätigkeit als Hausbesorgerin den Bezug von Karenzurlaubsgeld ausschließe, ist ihr zu erwidern, daß es auf die Motivation für die Antragstellung als solche im vorliegenden Zusammenhang nicht ankommt. Ein etwaiger Rechtsirrtum wäre auch dann ohne Bedeutung gewesen, wenn die Beschwerdeführerin die Frage 4 des Antragsformblattes gekannt, sie aber wegen des genannten Rechtsirrtums mit Nein beantwortet hätte. Die Angaben im Antragsformblatt sollen nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die zur Entscheidung über einen Antrag auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung berufene Behörde in die Lage versetzen, ihrerseits zu beurteilen, ob ein Anspruch besteht (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 22. Mai 1990, Zl. 90/08/0021, und vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0286). Deshalb hätte die Beschwerdeführerin im genannten Fall das Risiko ihres Rechtsirrtums, aus dem heraus sie die Frage 4 des Antragsformblattes, die gar nicht nach der Versicherungspflicht, sondern der Beschäftigung selbst fragte (und bei der als Beispiel "Hausbesorger" angeführt ist), verneinte, selbst zu tragen gehabt (vgl. das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0286).

Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, allerdings in den Grenzen des Begehrens der belangten Behörde.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994080030.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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