TE Vfgh Erkenntnis 2023/3/15 E2125/2022

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2023
beobachten
merken

Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof insoweit zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Mongolei. Sie stellte am 13. Oktober 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung zulässig ist, sprach das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise aus, erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab und sprach ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot gegen die Beschwerdeführerin aus.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 12. November 2020 – mit Erkenntnis vom 5. Juli 2022 im Wesentlichen als unbegründet ab (es setzte lediglich eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest). Das befristete Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die volljährige Beschwerdeführerin im Bundesgebiet von finanzieller Unterstützung (ihrer Mutter) abhängig sei. Sie selbst sei hier nie legal erwerbstätig gewesen und habe kein eigenes Einkommen; sie sei somit mittellos. Zudem sei der Beschwerdeführerin gemäß §55 Abs1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt worden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß §18 Abs1 Z1 BFA-VG aberkannt, weil die Beschwerdeführerin aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme. Insgesamt sei die Behörde daher im Zuge der von ihr vorgenommenen Abwägungsentscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das ausgesprochene Einreiseverbot sei daher zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich seien nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletze in ihrem Fall Art8 EMRK nicht. Die Behörde sei daher unter Berücksichtigung des in §53 Abs2 FPG genannten Tatbestandes ebenso zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit das persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiege. Insgesamt sei im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch die Dauer des Einreiseverbots von zwei Jahren zu Recht verhängt worden.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie begründet:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

4.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).

4.3. Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

5. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie der Gewährung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob sich das Bundesverwaltungsgericht hinreichend mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt hat, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2023:E2125.2022

Zuletzt aktualisiert am

30.03.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten