TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/7 95/05/0123

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.11.1995
beobachten
merken

Index

L37151 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Burgenland;
L70701 Theater Veranstaltung Burgenland;
L81701 Baulärm Umgebungslärm Burgenland;
L82000 Bauordnung;
L82001 Bauordnung Burgenland;
L82201 Aufzug Burgenland;
L82251 Garagen Burgenland;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Bgld 1969 §93;
BauO Bgld 1969 §94;
BauRallg;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde 1. des Franz P, und 2. der Friederike P, beide in N, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der BH Mattersburg vom 21. Februar 1995, Zl. 02/04/10, betreffend eine Bauangelegenheit (mP: 1. Marktgemeinde N, vertreten durch den Bgm, 2. D in N, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in P), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der Beschwerdeführer auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der erstmitbeteiligten Partei vom 12. Mai 1993 wurde über Antrag der zweitmitbeteiligten Partei vom 27. April 1993 deren Grundstück Nr. 24, inneliegend der Liegenschaft EZ 544 KG N, zum Bauplatz erklärt.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der erstmitbeteiligten Partei vom 11. Mai 1994 wurde "über das Ansuchen vom 14. Februar 1994 und auf Grund des Ergebnisses der Bauverhandlung vom 24. Februar 1994 gemäß § 88 Abs. 1 Z. 1 sowie § 93 Abs. 4 im Zusammenhalt mit § 108 der Burgenländischen Bauordnung, LGBl. Nr. 13/1970 in der Fassung des Gesetzes vom 28. November 1993, LGBl. Nr. 11/1994, die baubehördliche Bewilligung zum Neubau eines Wirtschaftsgebäudes auf dem Grundstück in der Hauptstraße, Grundstück Nr. 24, EZ 544, KG N, nach Maßgabe der folgenden Baubeschreibung, der mit einem Bewilligungsvermerk versehenen Planunterlagen sowie unter Vorschreibung der nachstehenden Bedingungen und Auflagen" erteilt; die Einwendungen der Beschwerdeführer wurden gemäß § 94 Abs. 3 der Burgenländischen Bauordnung als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid des Gemeinderates der erstmitbeteiligten Partei vom 19. September 1994 wurde der dagegen erhobenen, auf Abweisung des Bauansuchens der zweitmitbeteiligten Partei gerichteten Berufung der beschwerdeführenden Nachbarn im Grunde des § 66 Abs. 2 AVG Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Behandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde erster Instanz verwiesen. Begründend führte der Gemeinderat der erstmitbeteiligten Partei hiezu aus, im gegenständlichen Bauverfahren wäre auf Grund des bereits konsenslos bestehenden Baues - um das entsprechende Höchstausmaß der verbauten Fläche zu gewährleisten - ein neues Bauplatzerklärungsverfahren erforderlich gewesen. Diesen Umstand habe die Baubehörde erster Instanz nicht erkannt und es sei daher der Baubescheid des Bürgermeisters mit einer so erheblichen Mangelhaftigkeit behaftet, daß die Durchführung bzw. Wiederholung einer mündlichen Verhandlung und die neuerliche Bescheiderlassung notwendig geworden sei.

In ihrer dagegen an die belangte Behörde erhobenen Vorstellung führten die Beschwerdeführer aus, der Begründung des gemeindebehördlichen Berufungsbescheides könne entnommen werden, daß nur ihrem Berufungsantrag hinsichtlich der Mangelhaftigkeit des Verfahrens entsprochen worden sei. Über die in ihrer Berufung weiters aufgezeigten Rechtswidrigkeiten des erstinstanzlichen Bescheides sei nicht abgesprochen worden.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg vom 21. Februar 1995 wurde die Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen. Auf Grund der Aktenlage sei ersichtlich, daß der zweitmitbeteiligten Partei als Bauwerber mit Bescheid des Bürgermeisters der erstmitbeteiligten Partei vom 12. Mai 1993 "die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Wirtschaftsgebäudes auf dem Grundstück Nr. 24, EZ 544, KG N, erteilt wurde" (gemeint ist offensichtlich, daß dieses Grundstück zum Bauplatz erklärt worden ist), wobei dieser Bescheid den Beschwerdeführern jedoch nicht zugestellt worden sei. Um das entsprechende Höchstmaß der verbauten Fläche zu gewährleisten, wäre es erforderlich gewesen, ein neues Bauplatzerklärungsverfahren durchzuführen. Dem Gemeindeakt sei zu entnehmen, daß dieser Umstand von der Baubehörde erster Instanz nicht erkannt worden sei. Eine erhebliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege schon allein deshalb vor. Die Vorstellungsbehörde verkenne nicht, daß mehrere Umstände vorlägen, die nicht nur eine bloße Mangelhaftigkeit des Verfahrens, sondern sogar ein rechtswidriges Vorgehen der zuständigen Baubehörde erkennen ließen. Eine Verletzung subjektiver Rechte könne nur durch den Spruch des Bescheides, nicht aber durch dessen Begründung erfolgen. Der Spruch des bekämpften Bescheides lasse die für eine Aufhebung des Gemeindebescheides notwendige Verletzung subjektiver Rechte nicht erkennen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten deshalb verletzt, weil der Berufungsbescheid eine Aufhebung im Grunde des § 66 Abs. 2 AVG ausgesprochen habe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die zweitmitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Gemäß Abs. 4 dieser Gesetzesstelle hat die Berufungsbehörde außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Die Berufungsbehörde darf also eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens berechtigt demnach die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich dieser Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Form von Rede und Gegenrede aller in der Sache beteiligten Personen und aller sonst für eine Ermittlung (Erhebung der Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise) in Betracht kommenden Personen, die daher gleichzeitig am gleichen Ort zu einer mündlichen Verhandlung versammelt werden müssen, beheben läßt. In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Rechtsstufe oder selbst vorzunehmen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 12. Juli 1990, Zl. 90/09/0055, uva.). Dem verwaltungsbehördlichen Verfahren lag ein Bauansuchen der zweitmitbeteiligten Partei zugrunde, gegen welches die Beschwerdeführer fristgerecht öffentlich-rechtliche Einwendungen erhoben haben. Dem Berufungsbescheid des Gemeinderates der erstmitbeteiligten Partei vom 19. September 1994 fehlt im Sinne der vorzitierten Rechtslage eine Begründung, warum in dem über Antrag der zweitmitbeteiligten Partei eingeleiteten Verfahren auf baubehördliche Bewilligung zum Neubau eines Wirtschaftsgebäudes eine Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz erforderlich ist. Die Erwägungen der Berufungsbehörde für ihre auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte aufhebende Entscheidung lassen vielmehr erkennen, daß sie der Ansicht ist, das beantragte Projekt sei (im Zeitpunkt ihrer Entscheidung) nicht bewilligungsfähig. Bei Zutreffen dieser Rechtsansicht scheidet aber das Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung von vorneherein aus, weshalb in diesem Fall von der Regelung des § 66 Abs. 2 AVG kein rechtmäßiger Gebrauch gemacht werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1990, Zl. 89/01/0412).

Aus diesen Gründen leidet daher der Berufungsbescheid an einer - auch für das gegenständliche Beschwerdeverfahren beachtlichen - Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der Nachbar besitzt nämlich im Rahmen des baubehördlichen Bewilligungsverfahrens einen Rechtsanspruch darauf, daß im Falle einer Verletzung seiner - von der Baubehörde wahrzunehmenden - Rechte eine Bewilligung nicht erteilt wird. Er ist daher in seinen subjektiven Rechten verletzt, wenn die Behörde entgegen der Vorschrift des § 66 Abs. 4 AVG nicht in der Sache selbst entscheidet, sondern gesetzwidrig gemäß § 66 Abs. 2 AVG die Angelegenheit an die Behörde erster Instanz zurückverweist (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Juni 1985, Slg. Nr. 11795/A).

Insoweit die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Mit ihrem Hinweis, die Beschwerdeführer seien präkludiert, entfernt sich die zweitmitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift von den Ergebnissen des Verwaltungsverfahrens. Aus der im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichen Verhandlungsschrift vom 24. Februar 1994 ergibt sich nämlich, daß die Beschwerdeführer u.a. vorgebracht haben, durch das gegenständliche Bauprojekt würden die Vorschriften über die Bebauungsweise nicht eingehalten. Es liegen somit von den Beschwerdeführern rechtzeitig erhobene öffentlich-rechtliche Einwendungen im Sinne des § 94 Abs. 3 der Burgenländischen Bauordnung vor.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Antrag der Beschwerdeführer auf Zuerkennung von Aufwandersatz war wegen Verspätung gemäß § 59 Abs. 3 iVm § 59 Abs. 2 VwGG zurückzuweisen.

Schlagworte

Anwendungsbereich des AVG §66 Abs4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995050123.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten