RS Vfgh 2021/6/17 G47/2021 ua (G47-75/2021-8, G184/2021-4, G194/2021-4)

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Veröffentlicht am 17.06.2021
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Index

44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art9a, Art79, Art140 Abs1 Z1 lita, Art140 Abs1 Z1 litb
ZivildienstG §1 Abs5, §34b Abs2
VfGG §7 Abs1, §62 Abs1 Z1
  1. B-VG Art. 9a heute
  2. B-VG Art. 9a gültig ab 01.01.2006 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 106/2005
  3. B-VG Art. 9a gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 9a gültig von 01.01.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 30/1998
  5. B-VG Art. 9a gültig von 09.07.1975 bis 31.12.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 368/1975
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Zuständigkeit des Heerespersonalamtes – einer dem Bundesminister für militärische Angelegenheiten organisatorisch untergeordneten Behörde – zur Erlassung von Bescheiden betreffend die Pauschalentschädigung und den Verdienstentgang außerordentlicher Zivildienstleistender; keine Besorgung der im Zusammenhang mit dem Zivildienst stehenden Verwaltungsaufgaben durch – dem Bundesminister für Landesverteidigung unterstehenden – Behörden auf Grund der verfassungsgesetzlichen Trennung der Systeme von ziviler und militärischer Gewalt

Rechtssatz

Aufhebung der Zeichenfolge "51 Abs1," in §34b Abs2 ZDG, BGBl 679/1986 (WV) idF BGBl I 16/2020, mit Ablauf des 31.08.2022 (Anträge des Bundesverwaltungsgerichts - BVwG und des VwGH).

Keine Unzulässigkeit des Antrages des BVwG wegen irrtümlicher Anfechtung einer nicht existierenden Zeichenfolge sowie Nennung einer falschen Bundesgesetzblattnummer, weil die angefochtene Bestimmung richtig wiedergeben ist und kein Zweifel besteht, dass die Aufhebung der im Beschluss des VfGH in Prüfung gezogenen Zeichenfolge begehrt wird. Hinreichende Darlegung der Bedenken im Einzelnen iSd §62 Abs1 zweiter Satz VfGG durch das BVwG und den VwGH durch Hinweis auf den Beschluss des VfGH sowie der zustimmende Wiedergabe der darin enthaltenen Bedenken iSd der stRsp des VfGH zur bloßen Verweisung auf E des VfGH, weil Identität der vom VfGH in Prüfung gezogenen und nunmehr vom BVwG und vom VwGH bekämpften Bestimmung sowie der den Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte vorliegt.

Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, §1 ZDG enthalte über den Schutz gegen die Verpflichtung zur Gewaltanwendung und über die Gewährleistung, den Zivildienst außerhalb des Bundesheeres zu leisten, hinaus keinerlei Regelung über die Vollziehung der mit dem Zivildienst im engeren Sinne verbundenen Aufgaben. Nach Ansicht des VfGH lässt sich jedoch §1 ZDG angesichts der historischen Entwicklung des Zivildienstgesetzes und seiner verfassungsrechtlichen Grundlagen nicht auf eine dermaßen begrenzte Bedeutung beschränken.

§3 Abs1 ZDG ordnet an, dass der Zivildienstpflichtige zu Dienstleistungen heranzuziehen ist, die der zivilen Landesverteidigung oder sonst dem allgemeinen Besten dienen. Die in der Staatszielbestimmung des Art9a B-VG vorgesehene, strukturelle Aufzählung der militärischen, geistigen, zivilen und wirtschaftlichen Landesverteidigung verdeutlicht die verfassungsrechtlich gebotene Gliederung und Gestaltungsnotwendigkeit der umfassenden Landesverteidigung. Der (Verfassungs-)Gesetzgeber wollte mit der Erlassung des Zivildienstgesetzes 1974, BGBl 187, und nachfolgend mit der Novelle 1994, BGBl 187, nicht - wie im Wehrgesetz 1955 - punktuelle Regelungen für den Wehrersatzdienst treffen, sondern zwei grundsätzlich voneinander getrennte Systeme schaffen. Dieser gesetzgeberische Wille spiegelt sich auch in den Materialien zum Zivildienstgesetz 1974, wider. Die Entflechtung von Personen, die den Dienst mit der Waffe ablehnen, vom sonstigen Apparat des Bundesheeres wurde seit der Einführung des Zivildienstes im Jahr 1974 auf einfachgesetzlicher Ebene umfassend umgesetzt. Die Vollziehung des Zivildienstgesetzes wurde nahezu gänzlich der Zuständigkeit des Bundesministers für Landesverteidigung entzogen.

Die österreichische Bundesverfassung trennt den Bereich der zivilen Gewalt und jenen der militärischen Gewalt strikt voneinander. Aus der expliziten Anordnung des §1 Abs5 ZDG, wonach der Zivildienst außerhalb des Bundesheeres zu leisten ist, sowie aus dem in §1 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht folge die Zuordnung des Zivildienstes zur zivilen Gewalt. Eine Verknüpfung der beiden grundsätzlich getrennten Systeme, die sich nicht schon aus der Wehrpflicht ergebe (insbesondere Stellungsverfahren und Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht), komme daher nur in engen Grenzen in Betracht.

Der (Verfassungs-)Gesetzgeber hat somit zwei grundsätzlich getrennte Systeme geschaffen, die jeweils unterschiedlichen Gewalten zuzurechnen sind - der militärischen und der zivilen Gewalt.

Nach Ansicht des VfGH wird der angestrebten Trennung der beiden Systeme mit einer Interpretation von §1 ZDG, wie sie die Bundesregierung vornimmt, nicht Genüge getan. Mit der Vollziehung von Verwaltungsangelegenheiten im Bereich des Zivildienstes durch eine dem Bundesminister für militärische Angelegenheiten organisatorisch untergeordnete Behörde wird den Zielen des (Verfassungs-)Gesetzgebers nicht Rechnung getragen, zumal diese Behörde funktionell den Zwecken des Bundesheeres dient.

Der VfGH geht vor diesem Hintergrund nach wie vor davon aus, dass angesichts des vom Verfassungsgesetzgeber vorgefundenen und zugrunde gelegten Systems der seit der ZDG-Novelle 1994, BGBl 187, im Verfassungsrang bestehenden Norm des §1 Abs5 ZDG die Bedeutung beizumessen ist, dass (auch) sämtliche im Zusammenhang mit dem Zivildienst stehende Verwaltungsaufgaben nicht von Behörden besorgt werden dürfen, die - wie das Heerespersonalamt - organisatorisch dem Bundesminister für militärische Landesverteidigung unterstehen, zumal diese Behörde funktionell den Zwecken des Bundesheeres dient.

(Anlassfall E3310/2020 ua, E v 24.06.2021; Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse; Quasi-Anlassfall E847/2021 ua, E v 24.06.2021).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Zivildienst, Zuständigkeit, Behördenzuständigkeit, Auslegung historische, VfGH / Gerichtsantrag, Bundesheer, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G47.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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