TE Vfgh Erkenntnis 2023/3/9 G223/2022 (G223/2022-26)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.2023
beobachten
merken

Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
BVG über die Rechte von Kindern Art1
ABGB §178 Abs1, §184, §185, §204
KindRÄG 2001
Tir Kinder- und JugendhilfeG §2, §25, §26, §27, §28, §30, §31
VfGG §7 Abs1
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. ABGB § 178 heute
  2. ABGB § 178 gültig ab 01.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 15/2013
  3. ABGB § 178 gültig von 01.07.2001 bis 31.01.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2000
  4. ABGB § 178 gültig von 01.07.1989 bis 30.06.2001 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 162/1989
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. §178 Abs1 zweiter und dritter Satz sowie die Wortfolgen "noch Großeltern oder Pflegeeltern" und "oder betraut werden können" in §204 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS Nr 946/1811, idF BGBl I Nr 15/2013 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 2024 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof,

"der Verfassungsgerichtshof möge die nachstehend genannten Wortfolgen in Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs als verfassungswidrig aufheben:

1. in §178 Abs1 ABGB idF des BG BGBl I 15/2013 die Wortfolge: 'Ist in dieser Weise der Elternteil, der mit der Obsorge allein betraut ist, betroffen, so hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, ob der andere Elternteil oder ob und welches Großelternpaar (Großelternteil) oder Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) mit der Obsorge zu betrauen ist; Letzteres gilt auch, wenn beide Elternteile betroffen sind. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Großelternpaar (diesen Großelternteil).'

2. In §204 ABGB idF des BG BGBl I 15/2013 die Wortfolge: 'noch Großeltern oder Pflegeeltern' sowie 'oder betraut werden können'.

B. Hilfsweise stellt der Oberste Gerichtshof den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art140 B-VG nur die nachstehend genannten Wortfolgen in Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs als verfassungswidrig aufheben:

1. In §178 Abs1 ABGB idF des BG BGBl I 15/2013 die Wortfolgen: 'oder ob und welches Großelternpaar (Großelternteil) oder Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil)' sowie 'Letzteres gilt auch, wenn beide Elternteile betroffen sind. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Großelternpaar (diesen Großelternteil).'

2. In §204 ABGB idF des BG BGBI I 15/2013 die Wortfolge: 'noch Großeltern oder Pflegeeltern'.

C. Hilfsweise zum Haupt- und zum ersten Eventualantrag stellt der Oberste Gerichtshof den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art140 B-VG auch folgende Wortfolgen in Bestimmungen des Außerstreitgesetzes und folgende Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs als verfassungswidrig aufheben:

1. Im Außerstreitgesetz folgende Wortfolgen:

(a) In §133 Abs2 AußStrG idF des BG BGBl I 59/2017 die Wortfolge 'Großeltern oder Pflegeeltern'.

(b) In §135 Abs1 AußStrG idF des BG BGBl I 59/2017 die Wortfolge 'Großeltern und Pflegeeltern'.

2. Im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch folgende Bestimmungen:

§213 ABGB idF des BG BGBl I 59/2017

§214 ABGB idF des BG BGBl I 58/2018

§224 ABGB idF des BG BGBl I 59/2018

§227 ABGB idF des BG BGBl I 15/2013

§228 ABGB idF des BG BGBl I 59/2018

§229 ABGB idF des BG BGBl I 59/2018

§220 ABGB idF des BG BGBl I 59/2018".

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811, idF BGBl I 58/2018 lauten wie folgt (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Obsorge bei Verhinderung eines Elternteils

§178. (1) Ist ein Elternteil, der mit der Obsorge für das Kind gemeinsam mit dem anderen Elternteil betraut war, gestorben, ist sein Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt, kann die Verbindung mit ihm nicht oder nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten hergestellt werden oder ist ihm die Obsorge ganz oder teilweise entzogen, so ist der andere Elternteil insoweit allein mit der Obsorge betraut. Ist in dieser Weise der Elternteil, der mit der Obsorge allein betraut ist, betroffen, so hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, ob der andere Elternteil oder ob und welches Großelternpaar (Großelternteil) oder Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) mit der Obsorge zu betrauen ist; Letzteres gilt auch, wenn beide Elternteile betroffen sind. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Großelternpaar (diesen Großelternteil).

(2) Auf Antrag des Elternteiles, auf den die Obsorge nach Abs1 erster Satz übergegangen ist, hat das Gericht diesen Übergang festzustellen.

(3) Geht die Obsorge auf den anderen Elternteil über oder überträgt das Gericht die Obsorge, so sind, sofern sich der Übergang oder die Übertragung der Obsorge darauf bezieht, das Vermögen sowie sämtliche die Person des Kindes betreffenden Urkunden und Nachweise zu übergeben.

[…]

Pflegeeltern

§184. Pflegeeltern sind Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Sie haben das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.

§185. (1) Das Gericht hat einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) auf seinen Antrag die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise zu übertragen, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Pflegeelternpaar (diesen Pflegeelternteil).

(2) Sind die Eltern oder Großeltern mit der Obsorge betraut und stimmen sie der Übertragung nicht zu, so darf diese nur verfügt werden, wenn ohne sie das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

(3) Die Übertragung ist aufzuheben, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht. Gleichzeitig hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes auszusprechen, auf wen die Obsorge übergeht.

(4) Das Gericht hat vor seiner Entscheidung die Eltern, den gesetzlichen Vertreter, weitere Erziehungsberechtigte, den Kinder- und Jugendhilfeträger und jedenfalls das bereits zehnjährige Kind zu hören. §196 Abs2 gilt sinngemäß.

[…]

Viertes Hauptstück

Von der Obsorge einer anderen Person

§204. Soweit nach dem dritten Hauptstück weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut sind oder betraut werden können und kein Fall des §207 vorliegt, hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes eine andere geeignete Person mit der Obsorge zu betrauen.

§205. (1) Bei der Auswahl einer anderen Person für die Obsorge ist besonders auf das Wohl des Kindes Bedacht zu nehmen. Wünsche des Kindes und der Eltern, im Falle des §166 des Zuwendenden, sind zu berücksichtigen, sofern sie dem Wohl des Kindes entsprechen.

(2) Mit der Obsorge dürfen nicht betraut werden

1. im Sinn des §21 Abs1 schutzberechtigte Personen;

2. Personen, von denen, besonders auch wegen der durch eine strafgerichtliche Verurteilung zutage getretenen Veranlagung oder Eigenschaft, eine dem Wohl des minderjährigen Kindes förderliche Ausübung der Obsorge nicht zu erwarten ist.

§206. (1) Derjenige, den das Gericht mit der Obsorge betrauen will, hat alle Umstände, die ihn dafür ungeeignet erscheinen lassen, dem Gericht mitzuteilen. Unterlässt er diese Mitteilung schuldhaft, so haftet er für alle dem minderjährigen Kind daraus entstehenden Nachteile.

(2) Eine besonders geeignete Person kann die Betrauung mit der Obsorge nur ablehnen, wenn ihr diese unzumutbar wäre.

Aufgaben des Kinder- und Jugendhilfeträgers

§207. Wird ein minderjähriges Kind im Inland gefunden und sind dessen Eltern unbekannt, so ist kraft Gesetzes der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge betraut. Dies gilt für den Bereich der Vermögensverwaltung und der Vertretung auch, wenn ein Kind im Inland geboren wird und dessen unverheiratete Mutter minderjährig ist.

[…]

Besondere Pflichten und Rechte anderer mit der Obsorge betrauter Personen

a) in Angelegenheiten der Pflege und Erziehung

§213. (1) Ist eine andere Person mit der Obsorge betraut, so hat sie, soweit nicht anderes bestimmt ist, in wichtigen, die Person des Kindes betreffenden Angelegenheiten, insbesondere in den Angelegenheiten des §167 Abs2, die Genehmigung des Gerichtes einzuholen. Ohne Genehmigung getroffene Maßnahmen oder Vertretungshandlungen sind unzulässig und unwirksam, sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt.

(2) Einer medizinischen Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, kann die mit der Obsorge betraute Person nur zustimmen, wenn ein vom behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis bestätigt, dass das Kind nicht über die erforderliche Entscheidungsfähigkeit verfügt und die Vornahme der Behandlung zur Wahrung seines Wohles erforderlich ist. Wenn ein solches Zeugnis nicht vorliegt oder das Kind zu erkennen gibt, dass es die Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung der Genehmigung des Gerichts. Erteilt die mit der Obsorge betraute Person die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht und wird dadurch das Wohl des Kindes gefährdet, so kann das Gericht die Zustimmung ersetzen oder die Obsorge an eine andere Person übertragen.

b) in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung

Überwachung der Vermögensverwaltung

§214. (1) Die mit der gesetzlichen Vertretung in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung betraute Person hat bei Antritt der Obsorge nach gründlicher Erforschung des Vermögensstandes dem Gericht gegenüber das Vermögen im Einzelnen anzugeben und – ausgenommen ein Kinder- und Jugendhilfeträger – in weiterer Folge Rechnung zu legen. Das Gericht hat die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters zur Vermeidung einer Gefährdung des Wohls des Kindes zu überwachen und die dazu notwendigen Aufträge zu erteilen. Näheres wird in den Verfahrensgesetzen bestimmt.

(2) Auf Vertretungshandlungen und Einwilligungen in Vermögensangelegenheiten ist §167 Abs3 und §168 sinngemäß anzuwenden.

[…]

Entgegennahme von Zahlungen

§224. Der gesetzliche Vertreter kann 10 000 Euro übersteigende Zahlungen an das Kind nur entgegennehmen und darüber quittieren, wenn er dazu vom Gericht im Einzelfall oder allgemein ermächtigt wurde oder eine gerichtliche Genehmigung des Wechsels der Anlageform vorliegt. Fehlt eine solche Ermächtigung oder Genehmigung, so wird der Schuldner durch Zahlung an den Vertreter von seiner Schuld nur befreit, wenn das Gezahlte noch im Vermögen des Kindes vorhanden ist oder für dessen Zwecke verwendet wurde.

[…]

Haftung

§227. (1) Die nach §204 mit der Obsorge betrauten Personen haften dem Kind gegenüber für jeden durch ihr Verschulden verursachten Schaden.

(2) Soweit sich die mit der Obsorge betraute Person zu ihrer Ausübung rechtmäßig anderer Personen bedient, haftet sie nur insoweit, als sie schuldhaft eine untüchtige oder gefährliche Person ausgewählt, deren Tätigkeit nur unzureichend überwacht oder die Geltendmachung von Ersatzansprüchen des minderjährigen Kindes gegen diese Personen schuldhaft unterlassen hat.

§228. Der Richter kann die Ersatzpflicht nach §227 insoweit mäßigen oder ganz erlassen, als sie die mit der Obsorge betraute Person unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Grades des Verschuldens oder eines besonderen Naheverhältnisses zwischen dem Kind und der mit der Obsorge betrauten Person, unbillig hart träfe.

Entschädigung

§229. (1) Der nach §204 mit der Obsorge betrauten Person gebührt unter Bedachtnahme auf Art und Umfang ihrer Tätigkeit und des damit gewöhnlich verbundenen Aufwands an Zeit und Mühe eine jährliche Entschädigung, soweit dadurch die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Kindes nicht gefährdet wird.

(2) Sofern das Gericht nicht aus besonderen Gründen eine geringere Entschädigung für angemessen findet, beträgt sie fünf vom Hundert sämtlicher Einkünfte nach Abzug der hievon zu entrichtenden gesetzlichen Steuern und Abgaben. Bezüge, die kraft besonderer gesetzlicher Anordnung zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienen, sind nicht als Einkünfte zu berücksichtigen. Übersteigt der Wert des Vermögens des Kindes 15 000 Euro, so kann das Gericht überdies pro Jahr bis zu zwei vom Hundert des Mehrbetrags als Entschädigung gewähren, soweit sich die mit der Obsorge betraute Person um die Erhaltung des Vermögens oder dessen Verwendung zur Deckung von Bedürfnissen des Kindes besonders verdient gemacht hat. Betrifft die Obsorge nur einen Teilbereich der Obsorge oder dauert die Tätigkeit der mit der Obsorge betrauten Person nicht ein volles Jahr, so vermindert sich der Anspruch auf Entschädigung entsprechend.

(3) Bei besonders umfangreichen und erfolgreichen Bemühungen der mit der Obsorge betrauten Person kann das Gericht die Entschädigung auch höher als nach Abs2 erster Satz bemessen, jedoch nicht höher als zehn vom Hundert der Einkünfte.

Entgelt und Aufwandsersatz

§230. (1) Nützt die mit der Obsorge betraute Person für Angelegenheiten, deren Besorgung sonst einem Dritten übertragen werden müsste, ihre besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, so hat sie hiefür einen Anspruch auf angemessenes Entgelt. Dieser Anspruch besteht für die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung jedoch nicht, soweit beim Kind die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind oder diese Kosten nach gesetzlichen Vorschriften vom Gegner ersetzt werden.

(2) Zur zweckentsprechenden Ausübung der Obsorge notwendige Barauslagen, tatsächliche Aufwendungen und die Kosten der Versicherung der Haftpflicht nach §227 sind der mit der Obsorge betrauten Person vom Kind jedenfalls zu erstatten, soweit sie nach gesetzlichen Vorschriften nicht unmittelbar von Dritten getragen werden.

(3) Ansprüche nach den Abs1 und 2 bestehen insoweit nicht, als durch sie die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Kindes gefährdet wäre."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 6. November 2013 über die Kinder- und Jugendhilfe (Tiroler Kinder- und Jugendhilfegesetz – TKJHG), LGBl 150/2013, idF LGBl 10/2021 lauten:

"§2

Begriffsbestimmungen

(1) Minderjährige sind Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

(2) Junge Erwachsene sind Personen, die das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Soziale Dienste der Kinder- und Jugendhilfe sind Dienste, die Hilfen zur Deckung gleichartiger Bedürfnisse für werdende Eltern, Minderjährige und deren Eltern und sonstige Bezugspersonen sowie für junge Erwachsene anbieten und die von diesen Personen in Anspruch genommen werden können. Diese Leistungen können auch im Rahmen der Gewährung von Erziehungshilfen, insbesondere auch bei jenen nach §211 Abs1 zweiter Satz ABGB in Anspruch genommen werden.

(4) Sozialpädagogische Einrichtungen oder sozialpädagogisch-sozialtherapeutische Einrichtungen sind Einrichtungen, die zur Übernahme von Minderjährigen im Rahmen einer Erziehungshilfe bestimmt sind, über entsprechend ausgebildetes Personal verfügen und geeignet sind, Minderjährige im Rahmen von stationären oder teilstationären Angeboten zu betreuen. Das Leistungsangebot dieser Einrichtungen kann auch das Eltern-Kind-Wohnen im Rahmen der Gewährung von Erziehungshilfen sowie ein Innen- oder Außenwohnen vorsehen. Nicht als sozialpädagogische Einrichtungen gelten Schülerheime nach Art14 und 14a B-VG.

(5) Innenwohnen ist die Möglichkeit für Minderjährige und junge Erwachsene, im Anschluss an eine Betreuung in einer Einrichtung nach Abs4 grundsätzlich selbstständig in einer Wohnung innerhalb des Gebäudes dieser Einrichtung oder in räumlicher Nähe zu dieser Einrichtung zu leben, aber stundenweise von ausgebildeten Fachkräften betreut zu werden.

(6) Außenwohnen ist die Möglichkeit für Minderjährige und junge Erwachsene, im Anschluss an eine Betreuung in einer Einrichtung nach Abs4 oder einer Betreuung nach Abs5 selbstständig in einer Wohnung außerhalb dieser Einrichtung zu leben, aber stundenweise von ausgebildeten Fachkräften betreut zu werden.

(7) Einrichtungen des betreuten Wohnens sind sozialpädagogische Einrichtungen, in denen Minderjährige grundsätzlich selbstständig leben, aber stundenweise von ausgebildeten Fachpersonen betreut werden.

(8) Sozialpädagogische Pflegestellen sind geeignete Personen, die über eine einschlägige Fachausbildung verfügen, wie insbesondere Sozialarbeiterinnen, Erziehungswissenschafterinnen, Diplom-Sozialbetreuerinnen F, Sozialpädagoginnen sowie Psychologinnen, und die Minderjährige im Rahmen einer Erziehungshilfe betreuen.

(9) Bereitschaftspflegerinnen sind geeignete Personen, die Minderjährige für einen befristeten Zeitraum im Rahmen einer Erziehungshilfe in einem familienähnlichen Zusammenhalt betreuen.

(10) Pflegekinder sind Minderjährige, die nicht nur vorübergehend von anderen Personen als den Eltern, Adoptiveltern oder von mit der Obsorge betrauten Personen gepflegt und erzogen werden. Minderjährige, die von nahen Angehörigen nicht nur vorübergehend gepflegt und erzogen werden, gelten nur dann als Pflegekinder, wenn dies im Rahmen der vollen Erziehung geschieht.

(11) Nahe Angehörige sind bis zum dritten Grad Verwandte oder Verschwägerte und Ehepartner oder Lebensgefährten oder eingetragene Partner von Elternteilen.

(12) Pflegepersonen sind Personen, die Pflegekinder pflegen und erziehen.

(13) Adoptionsvermittlung ist die Auswahl geeigneter Adoptivwerber entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Minderjährigen. Sie hat das Ziel, für Minderjährige die im Interesse des Kindeswohles am besten geeigneten Adoptiveltern bzw Adoptivelternteile zu finden.

(14) Erziehungshilfen sind jene Hilfen, die im Einzelfall zum Wohl von Minderjährigen erforderlich sind, wenn die Pflege und die Erziehung durch die mit der Obsorge in den Bereichen Pflege und Erziehung betrauten Personen nicht oder nicht ausreichend gewährleistet sind. Erziehungshilfen umfassen die Unterstützung der Erziehung und die volle Erziehung.

[…]

3. Abschnitt

Pflegeverhältnisse

§23

Allgemeine Bestimmungen

(1) Pflegeverhältnisse können als öffentliche Pflegeverhältnisse im Rahmen einer Erziehungshilfe oder als private Pflegeverhältnisse begründet werden. Öffentliche Pflegeverhältnisse umfassen auch sozialpädagogische Pflegeverhältnisse und Bereitschaftspflegeverhältnisse.

(2) Die Ausbildung und fachliche Begleitung von Pflegepersonen kann durch private Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen (§12) oder durch Einrichtungen der Erwachsenenbildung erfolgen.

(3) Auf Verlangen ist im Rahmen von öffentlichen Pflegeverhältnissen tätigen Pflegepersonen ein Pflegeelternausweis auszustellen.

§24

Sozialpädagogische Pflegeverhältnisse, Bereitschaftspflegeverhältnisse

(1) Sozialpädagogische Pflegeverhältnisse und Bereitschaftspflegeverhältnisse werden von der Bezirksverwaltungsbehörde mit dem Träger von Einrichtungen zur Betreuung von Minderjährigen begründet.

(2) Vor der erstmaligen Begründung eines Pflegeverhältnisses nach Abs1 hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Eignung zu prüfen und die Pflegeplatzerhebung durchzuführen. Die §§27 und 28 gelten sinngemäß.

(3) Bereitschaftspflegerinnen haben vor der erstmaligen Aufnahme eines Pflegekindes einen Ausbildungsnachweis vorzulegen. Darüber hinaus haben sie regelmäßig an Fortbildungen und an Reflexionsrunden teilzunehmen; über die Teilnahme ist jeweils eine Bestätigung auszustellen. Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Bestimmungen insbesondere über den Ablauf, den Inhalt und den Umfang der zur Erlangung des Ausbildungsnachweises erforderlichen Schulung sowie über die Ausstellung des Ausbildungsnachweises zu erlassen. Die Schulung hat insbesondere die Fachgebiete Pädagogik und Psychologie, Familienrecht und medizinisches Grundwissen zu enthalten. Darüber hinaus hat die Landesregierung nähere Bestimmungen über die Durchführung, den Inhalt und den Umfang der Fortbildungen und der Reflexionsrunden sowie über die Ausstellung der Teilnahmebestätigungen zu erlassen.

(4) Die Behörde hat Schulungen, die jener nach Abs3 in Inhalt und Umfang im Wesentlichen gleichwertig sind, auf Antrag einer Bereitschaftspflegerin anzuerkennen. Die Schulung ist durch Ausbildungsnachweise, die von den nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen Landes oder Staates zuständigen Behörden oder Stellen ausgestellt worden sind, nachzuweisen. Über die Anerkennung ist eine Bescheinigung auszustellen. Die Ablehnung des Antrages hat mit schriftlichem Bescheid zu erfolgen.

(5) Die Landesregierung kann durch Verordnung nähere Bestimmungen über die Anerkennung von Schulungen und die Ausstellung von Bescheinigungen erlassen.

§25

Begründung eines öffentlichen Pflegeverhältnisses

Für die Begründung eines öffentlichen Pflegeverhältnisses, ausgenommen ein Pflegeverhältnis nach §24, sind erforderlich:

a) die Pflegeerklärung,

b) die Eignungsbeurteilung,

c) die Pflegeplatzerhebung,

d) die Teilnahme an einer Ausbildung,

e) die Vermittlung eines Pflegeplatzes.

§26

Pflegeerklärung

Wer bereit ist, als Pflegeperson in einem öffentlichen Pflegeverhältnis tätig zu werden, hat der Bezirksverwaltungsbehörde diese Bereitschaft in Form einer Pflegeerklärung mitzuteilen und sich so als Pflegewerberin zu erklären. Die Pflegeerklärung kann jederzeit widerrufen werden.

§27

Eignung

(1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat vor der Begründung eines öffentlichen Pflegeverhältnisses die allgemeine Eignung der Pflegewerberinnen zu prüfen. Bei der Prüfung ist zu beurteilen, ob die Pflegewerberinnen eine förderliche Pflege und Erziehung gewährleisten können, wobei insbesondere die geistige und körperliche Gesundheit, die Erziehungseinstellung und -fähigkeit, das Alter und die Zuverlässigkeit der Pflegewerberinnen sowie die Belastbarkeit des Familiensystems zu berücksichtigen sind.

(2) Zur Prüfung der allgemeinen Eignung kann insbesondere die Vorlage eines psychologischen Gutachtens und einer ärztlichen Bestätigung hinsichtlich des Gesundheitszustandes verlangt werden.

(3) Das Ergebnis der Prüfung der allgemeinen Eignung der Pflegewerberinnen ist zu dokumentieren. Den Pflegewerberinnen ist Auskunft über das Ergebnis der Eignungsbeurteilung zu erteilen.

§28

Pflegeplatzerhebung

(1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat vor der Begründung eines öffentlichen Pflegeverhältnisses weiters eine Pflegeplatzerhebung durchzuführen. Dabei ist die konkrete Eignung der Pflegewerberinnen im Hinblick auf die individuellen Bedürfnisse eines bestimmten Pflegekindes zu prüfen.

(2) Im Rahmen der Pflegeplatzerhebung sind möglichst im Zusammenwirken von zwei Fachkräften Hausbesuche durchzuführen. Dabei sind nach Bedarf Gespräche mit allen im Haushalt lebenden Personen zu führen, insbesondere abhängig von Alter und Entwicklungsstand auch mit bereits dort lebenden Minderjährigen.

(3) Der Bezirksverwaltungsbehörde sind Registerbescheinigungen der Pflegewerberin und aller strafmündigen haushaltszugehörigen Personen vorzulegen. Diese haben Auskünfte aus den im §45 Abs4 lita bis c und 5 angeführten Registern zu umfassen. Stattdessen kann auch die schriftliche Zustimmung zur Einholung der entsprechenden Auskünfte erteilt werden.

(4) Bei der Pflegeplatzerhebung sind weiters die räumlichen Verhältnisse zu prüfen.

(5) Das Ergebnis der Pflegeplatzerhebung ist zu dokumentieren.

§29

Ausbildung von Pflegewerberinnen

(1) Pflegewerberinnen haben vor der erstmaligen Aufnahme eines Pflegekindes an einer vorbereitenden Ausbildung teilzunehmen; über die Teilnahme ist ein Ausbildungsnachweis auszustellen. In die vorbereitende Ausbildung dürfen nur Personen aufgenommen werden, bei denen die Eignung nach §27 Abs1 festgestellt wurde. Die Teilnahme an dieser Ausbildung begründet keinen Anspruch auf Vermittlung eines Pflegekindes. Darüber hinaus haben Pflegewerberinnen im ersten Jahr ihrer Tätigkeit an einer Fortbildung, die der Vertiefung der Ausbildungsinhalte und der Reflexion dient, teilzunehmen; über die Teilnahme ist eine Bestätigung auszustellen.

(2) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Bestimmungen insbesondere über den Ablauf, den Inhalt und den Umfang der zur Erlangung des Ausbildungsnachweises erforderlichen Ausbildung sowie über die Ausstellung des Ausbildungsnachweises zu erlassen. Die Ausbildung hat insbesondere die Fachgebiete Pädagogik und Psychologie, Kommunikation und Familienrecht zu beinhalten; sie hat mindestens 60 Unterrichtsstunden zu umfassen. Darüber hinaus hat die Landesregierung nähere Bestimmungen über die Durchführung, den Inhalt und den Umfang der zu besuchenden Fortbildung sowie über die Ausstellung der Teilnahmebestätigung zu erlassen.

(3) Die Behörde hat Ausbildungen, die jener nach Abs1 in Inhalt und Umfang im Wesentlichen gleichwertig sind, auf Antrag einer Pflegewerberin anzuerkennen. Die Ausbildung ist durch Ausbildungsnachweise, die von den nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen Landes oder Staates zuständigen Behörden oder Stellen ausgestellt worden sind, nachzuweisen. Über die Anerkennung ist eine Bescheinigung auszustellen. Die Ablehnung des Antrages hat mit schriftlichem Bescheid zu erfolgen.

(4) Die Landesregierung kann durch Verordnung nähere Bestimmungen über die Anerkennung von Ausbildungen und die Ausstellung von Bescheinigungen erlassen.

§30

Vermittlung von Pflegeplätzen

(1) Die Vermittlung besteht in der Auswahl von für die Pflege und Erziehung eines Pflegekindes geeigneten Pflegepersonen bzw einer einzelnen Pflegeperson.

(2) Die Vermittlung eines Pflegeplatzes hat dem Wohl des Pflegekindes zu dienen. Sie ist nur vorzunehmen, wenn die begründete Aussicht besteht, dass eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung hergestellt wird und die bestmögliche individuelle und soziale Entfaltung des Pflegekindes gesichert ist.

(3) Die Übernahme eines Pflegekindes ist unter Einbeziehung aller Beteiligten nach fachlichen Gesichtspunkten bestmöglich im Interesse des Pflegekindes vorzubereiten; den Pflegepersonen sind die für die Betreuung erforderlichen Informationen bereitzustellen.

(4) Für die Vermittlung von Pflegeplätzen darf kein Entgelt eingehoben werden.

(5) Pflegeplätze dürfen nur durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vermittelt werden.

§31

Private Pflegeverhältnisse

(1) Die Begründung eines privaten Pflegeverhältnisses bedarf bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres des Pflegekindes einer Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde. Dies gilt nicht, wenn das Gericht den Pflegepersonen die Obsorge in den Bereichen Pflege und Erziehung übertragen hat.

(2) Die Bewilligung darf nur für ein bestimmtes Pflegeverhältnis erteilt werden. Sie ist zu erteilen, wenn die Pflegepersonen eine Ausbildung nach §29 abgeschlossen haben, geeignet im Sinn des §27 Abs1 sind und aufgrund der Pflegeplatzerhebung nach §28 die begründete Aussicht besteht, dass das Wohl des Minderjährigen durch die Betreuung bei den Pflegepersonen gewährleistet ist. Die Bezirksverwaltungsbehörde kann im Einzelfall vom Besuch und Abschluss einer Ausbildung nach §29 absehen, wenn es sich bei den Pflegepersonen um nahe Angehörige handelt und fachliche Gründe dem nicht entgegenstehen.

(3) Die geplante Aufnahme von Pflegekindern im Sinn des Abs1, die Beendigung des Pflegeverhältnisses sowie sonstige wichtige Ereignisse, die das Pflegeverhältnis betreffen, sind der Bezirksverwaltungsbehörde unverzüglich mitzuteilen.

(4) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Bewilligung zu widerrufen, wenn

a) die Voraussetzungen nach Abs2 nicht mehr erfüllt sind,

b) die Ausübung der Aufsicht durch die Bezirksverwaltungsbehörde wiederholt nicht ermöglicht wurde oder

c) einem Auftrag zur Behebung von Mängeln, durch die das Wohl der Minderjährigen erheblich und unmittelbar gefährdet wird, nicht fristgerecht entsprochen wurde.

(5) Im Verfahren zur Erteilung und zum Widerruf der Pflegebewilligung haben die Pflegepersonen und der Obsorgeträger Parteistellung.

§32

Aufsicht

(1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat in angemessenen Zeitabständen, mindestens jedoch einmal jährlich zu prüfen, ob Pflegekindern im Alter bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres im Rahmen eines Pflegeverhältnisses nach §23 Abs1 erster Satz eine förderliche Pflege und Erziehung zukommt.

(2) Die Pflegepersonen haben die Pflegeaufsicht durch Organe oder sonstige Beauftragte der Bezirksverwaltungsbehörde zu dulden und zu ermöglichen. Sie haben insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, die Kontaktaufnahme mit dem betreuten Pflegekind zuzulassen und Zutritt zu dessen Aufenthaltsräumen zu gewähren. Sie haben weiters wichtige, das Pflegekind betreffende Ereignisse unverzüglich der Bezirksverwaltungsbehörde mitzuteilen.

(3) Die Aufsichtsorgane haben bei der Ausübung ihrer Rechte unter möglichster Schonung der Interessen der Betroffenen vorzugehen.

§33

Pflegeelterngeld

(1) Pflegepersonen und Personen, die Minderjährige oder junge Erwachsene im Rahmen einer sozialpädagogischen Pflegestelle oder als Bereitschaftspflegerinnen betreuen, haben zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten gegenüber dem Land Tirol Anspruch auf Pflegeelterngeld. Bei der erstmaligen Übernahme eines minderjährigen Pflegekindes besteht darüber hinaus gegenüber dem Land Tirol ein Anspruch auf Gewährung eines Ausstattungsbeitrages.

(2) Die Landesregierung hat durch Verordnung die Höhe des Pflegeelterngeldes unter Berücksichtigung des Betreuungsaufwandes und der Lebenshaltungskosten nach Altersstufen sowie die Höhe des Ausstattungsbeitrages festzusetzen. Die Höhe des Pflegeelterngeldes für die Betreuung von jungen Erwachsenen entspricht jener, die bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gewährt wird.

(3) Das Pflegeelterngeld ist auf schriftlichen Antrag der Anspruchsberechtigten in der in der Verordnung nach Abs2 festgesetzten Höhe zu gewähren. Im Fall eines Sonderbedarfes eines Pflegekindes kann ein entsprechend höheres Pflegeelterngeld gewährt werden. Auf die Gewährung des höheren Pflegeelterngeldes besteht kein Rechtsanspruch.

(4) Für die Verpflichtung zum Ersatz des Pflegeelterngeldes und für den Übergang der Forderungen des Pflegekindes auf das Land Tirol gilt §15 Abs2, 3, 4 und 6 sinngemäß. Für die Beitragspflicht der Gemeinden zum Aufwand des Landes Tirol für das Pflegeelterngeld gilt §15 Abs7 und 9 sinngemäß.

§34

Vergütung

(1) Für die Pflege und Erziehung von Minderjährigen und jungen Erwachsenen durch nahe Angehörige oder durch Personen, die nach §204 ABGB mit der Obsorge betraut wurden, kann auf schriftlichen Antrag eine Vergütung bis zur Höhe des Pflegeelterngeldes gewährt werden. Im Fall eines Sonderbedarfes kann eine entsprechend höhere Vergütung gewährt werden. Bei der Gewährung der Vergütung ist auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsteller, der betreuten Minderjährigen und ihrer Eltern Bedacht zu nehmen.

(2) Auf die Gewährung einer Vergütung nach Abs1 besteht kein Rechtsanspruch.

(3) Für die Beitragspflicht der Gemeinden zum Aufwand des Landes Tirol für Vergütungen nach Abs1 gilt §15 Abs7 und 9 sinngemäß."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem vorliegenden Antrag des Obersten Gerichtshofes liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Den Eltern von drei minderjährigen Kindern wurde die Obsorge in den Bereichen Pflege und Erziehung rechtskräftig entzogen; die Kinder befinden sich derzeit bei Pflegefamilien. Strittig ist in dem Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof, wem in Zukunft die Obsorge zukommen soll. Das Land Tirol beantragt, die Obsorge für zwei der Kinder ihm als Träger der Kinder- und Jugendhilfe und für das dritte Kind jenem Pflegeelternpaar zu übertragen, von dem es derzeit betreut wird. Die – 1954 bzw 1956 geborenen – mütterlichen Urgroßeltern beantragen demgegenüber, die Obsorge für alle drei Kinder ihnen zu übertragen. Die Großeltern sind nicht bereit, die Obsorge zu übernehmen.

1.2. Das Erstgericht entsprach in seiner Entscheidung dem Antrag des Landes Tirol als Träger der Kinder- und Jugendhilfe und übertrug die Obsorge hinsichtlich zweier Kinder dem Land Tirol als Träger der Kinder- und Jugendhilfe und hinsichtlich des dritten Kindes den Pflegeeltern.

Das Erstgericht stellte fest, dass die beiden erstgenannten Kinder bei ihren Pflegeeltern gut gefördert würden und ein Abbruch der Beziehungen ihr Wohl gefährdete; zudem seien die Urgroßeltern mit der Betreuung dieser Kinder überfordert. Hingegen werde das dritte Kind bei seinen Pflegeeltern vergleichsweise weniger gefördert; die Pflegeeltern bemühten sich zwar, wiesen aber eine geringe Bindungstoleranz und ein unsicheres Bindungsverhalten auf. Das dritte Kind sei zwar in die Pflegefamilie integriert, habe aber bei seinen Urgroßeltern bessere Entwicklungschancen. Aus diesem Grund sei aus "fachlicher Sicht" – auch unter Bedachtnahme auf die negativen Folgen eines Beziehungsabbruches zu den Pflegeeltern – eine Unterbringung des dritten Kindes bei den Urgroßeltern zu empfehlen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, §178 ABGB sei die Grundlage für die Obsorgeentscheidung. Demnach seien bei Verhinderung der Eltern die Großeltern oder die Pflegeeltern mit der Obsorge zu betrauen. Nur wenn diese Personen nicht betraut seien oder betraut werden könnten, komme nach §204 ABGB die Betrauung einer anderen geeigneten Person in Betracht. Wenn sich auch auf diesem Weg keine geeignete Person finden lasse, sei der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge zu betrauen. Im konkreten Fall sei bei den ersten beiden Kindern von vornherein der Kinder- und Jugendhilfeträger zu betrauen, weil die Betrauung der Urgroßeltern das Kindeswohl gefährdete und auch sonst keine geeigneten Personen vorhanden seien. Bei dem dritten Kind hätten die grundsätzlich geeigneten Pflegeeltern nach §178 ABGB Vorrang vor den in dieser Bestimmung nicht genannten Urgroßeltern.

1.3. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, dass die Urgroßeltern nicht – auch nicht analog – von §178 ABGB erfasst seien. Mit der Obsorge des dritten Kindes seien daher die Pflegeeltern zu betrauen. Bei den ersten beiden Kindern sei die Betrauung der Urgroßeltern schon wegen der in diesem Fall drohenden Kindeswohlgefährdung nicht möglich, sodass insofern jedenfalls der Kinder- und Jugendhilfeträger zu betrauen sei. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob §178 ABGB – allenfalls analog – auch Urgroßeltern erfasse.

1.4. Gegen diese Entscheidung erhoben die Urgroßeltern Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof, mit dem sie die Betrauung mit der Obsorge für alle drei Kinder anstrebten. Sie vertreten darin die Auffassung, §178 Abs1 ABGB erfasse (zumindest analog) auch die Urgroßeltern.

1.5. Der Oberste Gerichtshof wies diesen Revisionsrekurs mit Beschluss vom 30. Mai 2022 zurück, soweit dieser die Regelung der Obsorge für die ersten beiden Kinder betraf. Die Betrauung der Urgroßeltern komme hier schon deshalb nicht in Betracht, weil dies nach den Feststellungen des Erstgerichtes das Wohl dieser Kinder gefährdete. Damit sei der Anwendungsbereich von §178 Abs1 ABGB von vornherein unerheblich. Hingegen habe der Oberste Gerichtshof in Bezug auf die Obsorge des dritten Kindes §178 Abs1 ABGB anzuwenden. Insofern bestünden Bedenken, ob diese Bestimmung und die mit ihr in einem Zusammenhang stehende Regelung des §204 ABGB mit Art1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, vereinbar seien.

2. Der Oberste Gerichtshof legt seine Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bewogen haben, in seinem Antrag wie folgt dar (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"1. Die für das vorliegende Verfahren maßgebenden Bestimmungen des ABGB lauten wie folgt:

[…]

2. Diese Regelung besteht im Kern seit dem KindRÄG 2001 (BGBl I Nr 135/2000), mit dem einerseits bei Verhinderung obsorgeberechtigter Eltern die Pflegeeltern dem anderen Elternteil und den Großeltern gleichgestellt wurden (§145 ABGB idF KindRÄG 2001) und mit dem andererseits das Institut der 'Vormundschaft' durch jenes der 'Obsorge durch andere Personen' ersetzt wurde (§187 ABGB idF KindRÄG 2001). Die Betrauung 'anderer Personen' setzte schon damals voraus, dass weder der andere Elternteil noch Groß- oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut werden konnten. Dies spiegelt sich auch in den Materialien zu §187 ABGB idF KindRÄG 2001 wider (EB zur RV, 296 BlgNR 21. GP 71; […]):

'Sodann ist zu prüfen, ob dem anderen Elternteil, Großeltern oder Pflegeeltern die Obsorge übertragen werden kann. Diesen Personen kommt gegenüber dritten Personen und dem Jugendwohlfahrtsträger der Vorrang zu. Nur wenn ein anderer Elternteil, Großeltern oder Pflegeeltern entweder nicht vorhanden oder zur Übernahme der Obsorge nicht geeignet oder nicht bereit sind, ist eine dritte Person mit der Obsorge zu betrauen.'

An dieser Rechtslage hat sich durch die Neufassung des Kindschaftsrechts mit KindNamRÄG 2013, BGBl I Nr 15/2013, die im Wesentlichen nur zu einer Verschiebung der hier relevanten Bestimmungen führte, nichts geändert. Gleiches gilt für die Änderung des §209 ABGB mit dem 2. ErwSchG, BGBl I Nr 59/2017.

3. Auf der Grundlage dieser Bestimmungen besteht nach ständiger Rechtsprechung (5 Ob 196/06v; 3 Ob 155/11g; 4 Ob 79/20a; RS0123509 [T1]) und einhelliger Lehre (Gitschthaler in Schwimann/Kodek5 §178 Rz 9; Hopf/Weixelbraun-Mohr in KBB5 §204 Rz 1; Kathrein in Klang3 §187 Rz 14; Weitzenbock in Schwimann/Neumayr, Taschenkommentar5 §178 Rz 6; Weitzenbock in Schwimann/Kodek5 §204 Rz 1) bei Verhinderung eines obsorgeberechtigten Elternteils eine klare Rangfolge:

- Bestand gemeinsame Obsorge, ist der andere Elternteil von Gesetzes wegen allein obsorgeberechtigt.

- Bestand keine gemeinsame Obsorge, so sind bei gegebener Eignung der nicht obsorgeberechtigte Elternteil oder Pflege- oder Großeltern(-teile) zu betrauen. Letzteres gilt auch bei Verhinderung beider obsorgeberechtigten Elternteile. Innerhalb dieser Gruppe entscheidet das Kindeswohl (1 Ob 207/21d; ältere Rsp zum Vorrang des bisher nicht mit der Obsorge betrauten leiblichen Vaters [RS0014474] ist damit überholt).

- Nur wenn danach weder ein Elternteil noch Pflege- oder Großeltern(-teile) betraut werden können, ist eine andere geeignete Person zu betrauen (RS0123509&SkipToDocument">

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten