TE Vwgh Erkenntnis 2023/2/16 Ra 2022/18/0142

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Veröffentlicht am 16.02.2023
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Index

E1P
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §25 Abs7
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des S B, vertreten durch Dr. Hans-Peter Wöss, Rechtsanwalt in 4120 Neufelden, Veldner Straße 29, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2022, W123 2165013-1/29E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Gambias, stellte am 15. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, aufgrund unterstellter Homosexualität verfolgt zu werden.

2        Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Gambia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4        Nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 4. November 2020 und 12. Jänner 2022 wurde mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23. März 2022 die Rechtssache der Gerichtsabteilung L530 abgenommen und der Gerichtsabteilung W123 neu zugewiesen.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Mai 2022 wies das BVwG - ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung - die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber in Gambia einer asylrelevanten individuellen Verfolgung ausgesetzt sei; selbst bei Wahrunterstellung bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dem jungen, gesunden und erwerbsfähigen Revisionswerber drohe im Fall der Rückkehr nicht, in eine ausweglose Lage zu geraten. Eine weitere Verhandlung habe vor dem Hintergrund unterbleiben können, dass das BVwG bereits zwei Verhandlungen durchgeführt habe und die gegenständliche Sache spätestens seit diesem Zeitpunkt entscheidungsreif gewesen sei. Neue Sachverhaltselemente, die einer weiteren Erörterung zugeführt hätten werden müssen, seien nicht herangezogen worden.

7        Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit - soweit hier von Relevanz - vor, das BVwG habe gegen die Verhandlungspflicht verstoßen, da es trotz Zuweisung der Rechtssache an einen anderen Richter keine neue Verhandlung durchgeführt habe. Die Verhandlung hätte gemäß § 25 Abs. 7 VwGVG wiederholt werden müssen.

8        Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Die Revision ist zulässig und begründet.

Das BVwG begründet die Abstandnahme der Verhandlung ausschließlich damit, dass die Verhandlung bereits durch den früher zuständigen Einzelrichter durchgeführt worden sei. Damit belastet es das Verfahren mit einem wesentlichen Verfahrensmangel.

11       Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt in Bezug auf ein Erkenntnis (oder einen Beschluss) eines Verwaltungsgerichtes eine Rechtswidrigkeit vor, wenn das Verwaltungsgericht entgegen der Bestimmung des § 25 Abs. 7 zweiter Satz VwGVG trotz geänderter Zusammensetzung des Senates oder Zuweisung an einen anderen Einzelrichter die Verhandlung nicht wiederholt hat (vgl. VwGH 24.11.2022, Ra 2022/01/0294, mwN).

12       Durch das Unterlassen der gebotenen Wiederholung der Verhandlung nach dem Richterwechsel hat das Verwaltungsgericht die bestehende Verhandlungspflicht missachtet.

13       Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (VwGH 10.10.2022, Ra 2022/18/0076, mwN). Dies gilt auch in jenem Fall, in dem gegen die Anordnung des § 25 Abs. 7 VwGVG verstoßen wird, wonach die Verhandlung zu wiederholen ist, wenn sich die Zusammensetzung des Senates ändert oder die Rechtssache einem anderen Richter zugewiesen wurde (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2019/14/0509, mwN).

14       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision einzugehen war.

15       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Februar 2023

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022180142.L00

Im RIS seit

21.03.2023

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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