TE Vfgh Erkenntnis 2023/2/27 E3307/2022

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Veröffentlicht am 27.02.2023
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus dem Gouvernement Al-Hasaka.

2. Am 6. März 2021 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 22. November 2021 im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abwies. Es erkannte den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages im Hinblick auf den Status des Asylberechtigten wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. Oktober 2022 als unbegründet ab. Es liege im Hinblick auf die Einziehung in den Wehrdienst durch kurdische Kräfte keine aktuelle Verfolgungsgefahr vor. Der Beschwerdeführer befinde sich nicht im wehrpflichtigen Alter und sei davon noch längere Zeit entfernt, weshalb auch eine aktuelle Gefahr der Einziehung zum Militärdienst in der syrischen Armee im Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben sei. Eine sonstige asylrelevante Verfolgung liege ebenfalls nicht vor. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete, aktuelle Verfolgung glaubhaft zu machen.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses, in eventu die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die

– zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer keine aktuelle Gefahr einer Einberufung zum Militärdienst in der syrischen Armee drohe, da dieser im Entscheidungszeitpunkt 16 Jahre alt sei und die gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes in Syrien erst ab dem Alter von 18 Jahren bestehe. Da der Beschwerdeführer noch "mehrere Jahre" vom wehrpflichtigen Alter entfernt sei, bestehe keine aktuelle asylrelevante Gefährdung. Auf diesen Umstand verweist das Bundesverwaltungsgericht auch im Hinblick auf eine drohende Zwangsrekrutierung in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien".

Auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Gefahr einer Zwangsrekrutierung, weil er nach einer Rückkehr das wehrfähige Alter erreichen werde, geht das Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis auf das derzeitige Alter des Beschwerdeführers nicht ein, unterlässt somit ausschließlich deshalb eine Prüfung anhand der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Kriterien (siehe dazu die vom Bundesverwaltungsgericht erwähnte EASO Country Guidance zu Syrien vom November 2021).

Auch bestehe nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine "relevante Wahrscheinlichkeit", dass der Beschwerdeführer als Minderjähriger von der syrischen Armee "(zwangs-)rekrutiert" werde. Die EASO Country Guidance zu Syrien vom November 2021 enthalte mehrere Faktoren, die im Zusammenhang mit einer möglichen Rekrutierung Minderjähriger zu beachten seien, wie "die sozioökonomische Situation, der soziale Status, die Herkunftsregion und ethnische Zugehörigkeit". Das Vorbringen, wonach dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Körpergröße von 180cm ein besonderes Risiko drohe, spiegle sich somit in den Länderberichten nicht wider. Dies gelte auch für das Vorbringen einer drohenden Zwangsrekrutierung als Minderjähriger durch kurdische Kräfte. Insbesondere der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 5. Juli 2021 zum Thema "Provinz Al-Hasaka: Zwangsrekrutierung von 16-jährigen Arabern (Sunniten) durch die syrische Armee oder kurdische Kräfte" sei zwar zu entnehmen, dass 73% der Zwangsrekrutierungen Minderjähriger im Nordwesten Syriens erfolgen und 26% im Nordosten (und somit in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers), im Hinblick auf den Beschwerdeführer seien aber keine gefahrenerhöhenden Faktoren ersichtlich.

3.2. Die asylrelevante Verfolgungsgefahr muss aktuell sein und somit im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes vorliegen (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, §3, K61). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den Konventionsgründen zu befürchten habe (siehe VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach den im angefochtenen Erkenntnis abgedruckten Länderberichten ist für männliche, syrische Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Dies gilt vom 1. Jänner des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird. Im Alter von 17 Jahren sind die jungen Männer dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Für den im März 2006 geborenen Beschwerdeführer besteht somit in wenigen Monaten die im syrischen Recht verankerte Verpflichtung, die für den Wehrdienst vorbereitenden Tätigkeiten auszuführen und in etwas über einem Jahr hat er den Wehrdienst anzutreten. Der Beschwerdeführer wird daher bei seiner Rückkehr mit Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einberufung zum Wehrdienst konfrontiert sein. Vor diesem Hintergrund hätte das Bundesverwaltungsgericht daher nicht ohne weiteres die fehlende Aktualität der Verfolgung annehmen dürfen, sondern sich im Rahmen seiner Prognoseentscheidung mit einer etwaigen asylrelevanten Verfolgung im Zusammenhang mit der vorgebrachten Gefahr einer Einziehung zum Militärdienst in der syrischen Armee (bzw zum Wehrdienst in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien") auseinandersetzen müssen. Der Beschwerdeführer befindet sich mit knapp 17 Jahren in einem Alter, in dem eine mögliche Zwangsrekrutierung ab Erreichen des 18. Lebensjahres – auch angesichts der bereits ein Jahr davor einsetzenden staatlichen Vorbereitungsmaßnahmen – nicht allein mit dem Hinweis darauf, dass er derzeit das wehrfähige Alter von 18 Jahren noch nicht erreicht hat, als Verfolgungsgefahr ausgeschlossen werden kann.

3.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht es somit unterlassen hat, die vorgebrachte Gefahr einer drohenden Einziehung zum Militärdienst in der syrischen Armee (bzw zum Wehrdienst in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"), wenn der Beschwerdeführer das wehrfähige Alter erreicht, zu prüfen, mangelt es der angefochtenen Entscheidung an einer schlüssigen Begründung, warum diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung vorliegt, womit sie schon aus diesem Grund mit Willkür belastet ist.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2023:E3307.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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