TE Vfgh Erkenntnis 2023/3/6 G237/2022 ua (G237/2022-20 ua)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.03.2023
beobachten
merken

Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. 1. Die Wortfolge "und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird" in §140 Abs3 erster Satz, die Wortfolge "auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen" in §140 Abs3 zweiter Satz und der dritte Satz in §140 Abs3 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl I Nr 169, idF BGBl I Nr 140/2003 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 2024 in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Im Übrigen werden die Anträge abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich und das Verwaltungsgericht Wien stellen in den beim Verfassungsgerichtshof zu G237/2022, G245/2022, G254/2022, G255/2022, G289/2022, G293/2022, G294/2022, G301/2022, G25/2023 und G125/2023 protokollierten Verfahren jeweils folgenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag,

"§117b Abs1 Z23 des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl 169 idF BGBl I 80/2012, mit Ausnahme des letzten Wortes ('sowie'), §120 Z9 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 80/2013 sowie §140 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 80/2013,

in eventu das Wort 'und' in §117a Abs1 Z2 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 144/2009, §117a Abs1 Z3 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 144/2009 mit Ausnahme des Punktes am Satzende, §117b Abs1 Z23 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 80/2012 mit Ausnahme des letzten Wortes ('sowie'), §120 Z9 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 80/2013, alle Bestimmungen des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 idF BGBl I 25/2017 sowie §195e ÄrzteG 1998 idF BGBl I 25/2017,

in eventu das ÄrzteG 1998 idF BGBl I 65/2022 zur Gänze"

als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg und das Verwaltungsgericht Wien stellen in den beim Verfassungsgerichtshof zu G298/2022, G307/2022, G308/2022, G309/2022, G310/2022 und G311/2022 protokollierten Verfahren jeweils folgenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag,

"[…] §117b Abs1 Z23 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2012, mit Ausnahme des letzten Wortes ('sowie'), das Wort 'sowie' am Ende des §120 Z8 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2013, §120 Z9 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2013, mit Ausnahme des Punktes am Satzende, sowie §140 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2013,

[…] in eventu das Wort 'und' in §117a Abs1 Z2 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 144/2009, §117a Abs1 Z3 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 144/2009, mit Ausnahme des Punktes am Satzende, §117b Abs1 Z23 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2012, mit Ausnahme des letzten Wortes ('sowie'), das Wort 'sowie' am Ende des §120 Z8 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2013, §120 Z9 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 80/2013, mit Ausnahme des Punktes am Satzende, alle Bestimmungen des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 25/2017, sowie §195e ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 25/2017,

[…] in eventu das ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 65/2022, zur Gänze"

als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl I 169, idF BGBl I 17/2023 lauten auszugsweise wie folgt (§140 Abs3 gilt idF BGBl I 140/2003; die im Hauptantrag der Anträge zu G298/2022 und G307-311/2022 angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Wirkungskreis

§117a. (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen,

1. alle Angelegenheiten, die die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Kammerangehörigen von zwei oder mehr Ärztekammern berühren, zu besorgen,

2. über den Wirkungsbereich der Ärztekammern in den Bundesländern hinausgehende gesetzlich vorgesehene Rechtsakte für Kammerangehörige der Ärztekammern in den Bundesländern zu setzen und

3. für die Wahrung des ärztlichen Berufs- und Standesansehens und der ärztlichen Berufs- und Standespflichten zu sorgen.

(2) Der Wirkungskreis gemäß Abs1 gliedert sich in einen eigenen und einen übertragenen Wirkungsbereich.

Eigener Wirkungsbereich

§117b. (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen, im eigenen Wirkungsbereich insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:

1. Abschluss und Auflösung von Verträgen zur Regelung der Beziehungen der Ärzte zu den Trägern der Sozialversicherung (Verbänden), der Fürsorge und der Krankenfürsorge, sofern hiedurch die Ärzte von zwei oder mehr Ärztekammern berührt werden,

2. Abschluss von Kollektivverträgen als gesetzliche Interessenvertretung von Ärzten auf Arbeitgeberseite gegenüber nichtärztlichen Arbeitnehmern nach Maßgabe des §125 Abs1 in Verbindung mit §126 Abs4 Z1,

3. Überprüfung der für ärztliche Leistungen verrechneten Vergütungen einschließlich der in Dienstverträgen vereinbarten Entgelte und Erstattung von Gutachten über die Angemessenheit einer geforderten Vergütung für Gerichte oder Verwaltungsbehörden, sofern hiedurch die Ärzte von zwei oder mehr Ärztekammern berührt werden,

4. Sicherstellung der Erteilung von Auskünften über die für die ärztliche Berufsausübung maßgeblichen gesundheits- und sozialrechtlichen Vorschriften,

5. Koordinierung von allfällig bestehenden Patientenschiedsstellen,

6. Errichtung und Betreibung von wirtschaftlichen Einrichtungen,

7. Einrichtung eines Solidarfonds,

8. Entsendung von Vertretern im Interesse der gesamten österreichischen Ärzteschaft in und Erstattung von Besetzungsvorschlägen für andere Körperschaften und Stellen auf Einladung oder sofern dies durch entsprechende Vorschriften vorgesehen ist,

9. Vertretung der österreichischen Ärzteschaft gegenüber ausländischen ärztlichen Berufsorganisationen und Unternehmen sowie einschlägigen internationalen Gremien,

10. Erstattung von Berichten, Gutachten und Vorschlägen an Behörden betreffend das Gesundheitswesen sowie in allen sonstigen Angelegenheiten, die die Interessen der österreichischen Ärzteschaft berühren,

11. Mitwirkung bei der Erstellung amtlicher Gesundheitsstatistiken,

12. Mitwirkung an den Einrichtungen der österreichischen Medizinischen Universitäten bzw Universitäten, an denen eine Medizinische Fakultät eingerichtet ist und sonstigen inländischen Hochschuleinrichtungen zur ärztlichen Aus- und Fortbildung,

13. Begutachtung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen gemäß §117e,

14. Erstattung eines schriftlichen Jahresberichtes an den Bundesminister für Gesundheit bis zum 31. März des auf das Berichtsjahr folgenden Kalenderjahres,

15. Herausgabe eines offiziellen Publikationsorgans der Standesvertretung zur Information über die berufsrelevanten fachlichen, rechtlichen und standespolitischen Entwicklungen, jedenfalls durch Errichtung und Betreibung einer Homepage im Internet, insbesondere zur allgemein zugänglichen Verlautbarung von Verordnungen,

16. Anregung von und Teilnahme an Visitationen gemäß §13e,

[…]

21. Qualitätssicherung der ärztlichen Fort- und Weiterbildung, insbesondere durch a) Akkreditierung von Fortbildungsveranstaltern,

b) Approbation von Fortbildungsveranstaltungen,

c) Organisation und Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen, wobei auch Fortbildungsveranstaltungen über Arzneimittelökonomie gemeinsam mit gesetzlichen Krankenversicherungsträgern durchzuführen sind,

d) Einrichtung, Organisation und Durchführung von strukturierten Weiterbildungen sowie

e) eine zumindest alle zwei Jahre stattfindende und auf der Homepage der Österreichischen Ärztekammer zu veröffentlichende Berichterstattung zur ärztlichen Fort- und Weiterbildung. Diese ist zu gliedern nach niedergelassenen und angestellten Ärzten, Fachgruppen sowie Versorgungsregionen, wobei die Sicherstellung der Anonymität zu gewährleisten ist;

hiezu kann sich die Österreichische Ärztekammer auch der Österreichischen Akademie der Ärzte bedienen,

22. Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung durch Durchführung qualitätssichernder Maßnahmen, soweit diese im überwiegenden Interesse der Ärzte gelegen sind (Selbstevaluierung gemäß §49 Abs2a), wobei sich die Österreichische Ärztekammer bei der Aufgabenerfüllung hilfsweise der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung & Qualitätsmanagement in der Medizin GmbH (ÖQMed) bedienen kann,

22a. Abschluss von für die jeweiligen Versicherungsverträge verbindlichen Rahmenbedingungen für Haftpflichtversicherungen gemäß §52d mit dem Fachverband der Versicherungsunternehmen,

23. disziplinäre Verfolgung von Verletzungen der ärztlichen Berufspflichten und von Beeinträchtigungen des Ansehens der Ärzteschaft durch Ärzte einschließlich der Führung eines Disziplinarregisters, in das jede in Rechtskraft erwachsene Disziplinarstrafe unter Angabe der Personaldaten des betroffenen Arztes sowie der Daten des verurteilenden Erkenntnisses einzutragen sind, sowie

24. Verlautbarungen gemäß §4 Abs6 ÄsthOpG.

(2) […].

[…]

Organe

§120. Organe der Österreichischen Ärztekammer sind

1. die Vollversammlung (§§121 und 122),

2. der Vorstand (§123),

3. der Präsident und drei Vizepräsidenten (§125),

4. die Bundeskurien (§126),

5. die Bundeskurienobmänner und ihre Stellvertreter (§127),

6. das Präsidium (§128),

7. die Ausbildungskommission (§128a),

8. der Verwaltungsausschuss eines gemeinsamen Wohlfahrtsfonds (§134) sowie

9. der Disziplinarrat (§140).

[…]

Vorstand

§123. (1) Der Vorstand der Österreichischen Ärztekammer besteht aus den Präsidenten der Ärztekammern sowie den Bundeskurienobmännern und deren beiden Stellvertretern. Im Falle seiner Verhinderung ist der Präsident einer Ärztekammer berechtigt, aus dem Kreis seiner Vizepräsidenten einen Stellvertreter namhaft zu machen.

(2) Die Sitzungen des Vorstandes werden vom Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer einberufen und geleitet. Der Vorstand ist beschlussfähig, wenn mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder anwesend sind. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Für die Beschlüsse des Vorstandes ist die Zweidrittelmehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erforderlich.

(3) Dem Vorstand obliegt die Durchführung aller der Österreichischen Ärztekammer gemäß §§117b und 117c dieses Bundesgesetzes oder nach anderen Vorschriften übertragenen Aufgaben, soweit diese nach diesem Bundesgesetz nicht ausdrücklich anderen Organen zugewiesen sind. Dazu gehören auch:

1. die Wahrnehmung der Interessen der Ärzteschaft im Zusammenhang mit Vereinbarungen gemäß Artikel 15a B-VG, die das Gesundheitswesen, im Speziellen die Organisation und Finanzierung, betreffen, insbesondere mit der Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl I Nr 73/2005, sowie

2. die Erstattung von koordinierenden Empfehlungen gemäß §125 Abs7.

(4) – (5) […].

[…]

5. Abschnitt

Disziplinarrat und Disziplinaranwalt

§140. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.

(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. Die Bestellung mehrerer Disziplinarkommissionen mit örtlich verschiedenem Wirkungsbereich ist zulässig. Überdies sind jeder Disziplinarkommission mehrere vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellende rechtskundige Untersuchungsführer beizugeben, die in einer vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu führenden Liste zu erfassen sind.

(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. Für den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei Stellvertreter, die rechtskundig sein müssen, auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen und für die ärztlichen Beisitzer gleichzeitig vier Stellvertreter vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen. Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat bei der Bestellung eines Richters zum Vorsitzenden oder zum Stellvertreter des Vorsitzenden das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz herzustellen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.

(4) Die ärztlichen Beisitzer haben dem Vorsitzenden vor Antritt ihrer Tätigkeit die gewissenhafte und unparteiische Erfüllung ihrer Pflichten zu geloben.

(5) Die einzelnen Disziplinarkommissionen des Disziplinarrates sind ermächtigt, soweit dies zur Vermeidung unnötiger Kosten und zur rascheren Durchführung des Verfahrens angezeigt ist, ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten jener Ärztekammer auszuüben, der der Beschuldigte angehört.

[…]

6. Abschnitt

Verfahren vor dem Disziplinarrat

§145. (1) Zur Ausübung der Disziplinargewalt ist jene Disziplinarkommission zuständig, in deren Sprengel der Beschuldigte in dem Zeitpunkt, in dem der Disziplinaranwalt vom Verdacht des Disziplinarvergehens Kenntnis erlangt,

1. seinen Berufssitz oder

2. im Falle, daß er nur mit Dienstort in der Ärzteliste eingetragen ist, seinen Dienstort hat oder

3. sofern es sich um einen Wohnsitzarzt handelt, mit seinem Wohnsitz in der Ärzteliste eingetragen ist.

(2) Hat der Disziplinarbeschuldigte Berufssitze oder Dienstorte in verschiedenen Disziplinarsprengeln, so ist jene Disziplinarkommission zuständig, in deren Sprengel das Disziplinarvergehen begangen worden ist, auch wenn der Erfolg in einem anderen Ort eingetreten ist. Im Zweifel entscheidet hinsichtlich der Zuständigkeit das Zuvorkommen mit der ersten Verfolgungshandlung.

(3) Hinsichtlich Ärzten gemäß den §§36 und 37 sowie außerordentlichen Kammerangehörigen richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Begehung des Disziplinarvergehens.

(4) Die Zuständigkeit der Disziplinarkommission wird durch eine nach dem im Abs1 genannten Zeitpunkt eintretende Änderung der Kammerzugehörigkeit des Disziplinarbeschuldigten nicht berührt.

(5) Der Disziplinarrat schreitet von Amts wegen ein, sobald er von dem Disziplinarvergehen eines Arztes Kenntnis erhält. Er fällt seine Entscheidungen nach Anhörung des Disziplinaranwaltes.

(6) Der Disziplinarrat und der Disziplinaranwalt haben die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen.

[…]

§147. (1) Die Durchführung des Disziplinarverfahrens kann wegen Befangenheit der Mitglieder der Disziplinarkommission oder aus anderen wichtigen Gründen, insbesondere aus Gründen der Verfahrensökonomie, auf Antrag des Beschuldigten oder des Disziplinaranwaltes - nach Anhörung der jeweils anderen Partei - oder der Disziplinarkommission selbst nach Anhörung des Beschuldigten und des Disziplinaranwaltes einer anderen Disziplinarkommission übertragen werden. Über den Antrag entscheidet der an Lebensjahren älteste Vorsitzende aller anderen Disziplinarkommissionen ohne mündliche Verhandlung.

(2) Der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt müssen einen solchen Antrag spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Einleitungsbeschlusses bei der zuständigen Disziplinarkommission einbringen. Wird im Antrag jedoch glaubhaft gemacht, daß die Tatsachen, auf die der Antrag gestützt wird, erst nach Ablauf dieser Frist eingetreten oder dem Antragsteller bekannt geworden sind, so kann der Antrag auch noch nachher, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntwerden, eingebracht werden. In diesem Fall ist auch der Zeitpunkt des Bekanntwerdens im Antrag glaubhaft zu machen.

(3) – (4) […].

[…]

§160. (1) Die Beratungen und Abstimmungen der Disziplinarkommission erfolgen in geheimer Sitzung. Bei der Beratung und Abstimmung dürfen der Disziplinaranwalt, der Beschuldigte, sein Verteidiger und die Vertrauenspersonen nicht anwesend sein.

(2) Die Disziplinarkommission hat bei Fällung ihres Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist; sie entscheidet nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller Beweismittel gewonnenen Überzeugung.

(3) Die Entscheidungen der Disziplinarkommission (Erkenntnisse, Beschlüsse) werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Die Reihenfolge der Abstimmung bestimmt sich, beginnend bei dem an Lebensjahren ältesten Mitglied, nach dem Lebensalter der Mitglieder des Disziplinarrates. Der Vorsitzende stimmt zuletzt ab.

[…]

4. Hauptstück

Aufsichtsrecht

Allgemeine Aufsicht über die Ärztekammern in den Bundesländern

§195. (1) Die Ärztekammern in den Bundesländern unterstehen der Aufsicht der örtlich zuständigen Landesregierung.

(2) Die Ärztekammern in den Bundesländern sind verpflichtet, der Aufsichtsbehörde die zur Wahrnehmung der Aufsicht erforderlichen Auskünfte zu erteilen.

(3) Die Ärztekammern in den Bundesländern haben der Aufsichtsbehörde zu Jahresbeginn die in Aussicht genommenen Termine der Sitzungen der Vollversammlung sowie auf Aufforderung die diesbezüglichen Tagesordnungen samt den wesentlichen Unterlagen zu übermitteln. Die Aufsichtsbehörde kann im Einzelfall von den Organen der Ärztekammern in den Bundesländern gefasste Beschlüsse zur Vorlage anfordern. Die Ärztekammern in den Bundesländern sind verpflichtet, diese Beschlüsse der Aufsichtsbehörde vorzulegen.

(4) Die Aufsichtsbehörde hat die gemäß Abs3 vorgelegten Beschlüsse aufzuheben, sofern sie gegen bestehende Vorschriften verstoßen. Für die Aufhebung von Beschlüssen über Verordnungen ist §195a anzuwenden.

(5) Die Ärztekammern in den Bundesländern haben die Aufhebung gemäß Abs4 unverzüglich im Internet auf ihrer Homepage allgemein zugänglich und dauerhaft zu verlautbaren.

[…]

Disziplinarrechtliche Aufsicht

§195e. (1) Das disziplinarrechtliche Aufsichtsrecht der Bundesministerin/des Bundesministers für Gesundheit und Frauen umfasst die Sorge für die gesetzmäßige Führung der Kanzleigeschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung von Disziplinarverfahren. Zu diesem Zweck ist die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen berechtigt, sich jederzeit von der Kanzleigeschäftsführung des Disziplinarrats sowie vom Stand der anhängigen Disziplinarverfahren unterrichten zu lassen und die Beseitigung diesbezüglicher Rechtswidrigkeiten zu verlangen.

(2) Der Genehmigung der Bundesministerin/des Bundesministers für Gesundheit und Frauen bedarf die Bestellung

1. der beiden ärztlichen Mitglieder der Disziplinarkommission und deren Stellvertreterinnen/Stellvertreter (§140 Abs3) sowie

2. der Disziplinaranwältin/des Disziplinaranwaltes und ihrer/seiner Stellvertreterinnen/Stellvertreter beim Disziplinarrat (§141). Die Bundesministerin/Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat die Genehmigung zu erteilen, wenn die Bestellung diesem Bundesgesetz nicht widerspricht.

(3) Werden Rechtswidrigkeiten (Abs1) nicht innerhalb angemessener Zeit beseitigt, so ist die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen berechtigt,

1. den Disziplinarrat oder einzelne Disziplinarkommissionen aufzulösen oder

2. die Disziplinaranwältin/den Disziplinaranwalt oder ihre/seine Stellvertreterinnen/Stellvertreter beim Disziplinarrat abzuberufen,

wenn die gesetzmäßige Führung der Kanzleigeschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung von Disziplinarverfahren nicht anders gewährleistet werden kann. In einem solchen Fall ist eine Neubestellung durchzuführen.

(4) Die Österreichische Ärztekammer hat zum Ende eines jeden Jahres der Bundesministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen ein Verzeichnis der

1. eingegangenen Anzeigen,

2. erledigten Disziplinarverfahren sowie

3. der noch anhängigen Disziplinarverfahren

vorzulegen (disziplinarrechtlicher Jahresbericht). Allfällige strukturelle und inhaltliche Kriterien für die Gestaltung des Jahresberichts sind einvernehmlich zwischen der Bundesministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen und der Österreichischen Ärztekammer festzulegen. Der disziplinarrechtliche Jahresbericht ist erstmals für das Jahr 2017 zu erstellen."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. G 237/2022

1.1. Beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sind zwei Beschwerden gegen Bescheide des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, jeweils betreffend die Verhängung einer Disziplinarstrafe nach dem ÄrzteG 1998 anhängig. Mit den vor dem Landesverwaltungs-gericht angefochtenen Disziplinarerkenntnissen wurden über die Beschwerdeführer jeweils Disziplinarstrafen gemäß §139 Abs1 Z2 ÄrzteG 1998 von der Disziplinarkommission für Niederösterreich des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer verhängt, weil diese ihrer Fortbildungsverpflichtung nach §49 Abs2c ÄrzteG 1998 nicht nachgekommen seien, sodass sie sich eines Disziplinarvergehens gemäß §136 Abs1 Z2 ÄrzteG 1998 schuldig gemacht hätten. Am 15. Juli 2022 teilte die belangte Behörde mit, dass der Zweitbeschwerdeführer mit 1. Juli 2022 aus der Ärzteliste gestrichen worden sei. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die beiden Beschwerdeverfahren gemäß §17 VwGVG iVm §39 Abs2 zweiter Satz AVG zur gemeinsamen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof wegen des insoweit bestehenden rechtlichen Zusammenhanges verbunden.

1.2. Im Zuge der Behandlung der Beschwerden sind bei dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in den Anlassverfahren jeweils Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit einzelner Bestimmungen des ÄrzteG 1998 entstanden. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich begründet seinen Antrag wie folgt:

"1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erachtet beide Beschwerden im Lichte der Art130 Abs1 Z1 und 132 Abs1 Z1 B-VG als zulässig.

2. Auch das Rechtsschutzbedürfnis an einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist nach wie vor aufrecht.

Daran ändert die Streichung des Zweitbeschwerdeführers aus der Ärzteliste mit 1. Juli 2022 nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes nichts. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2020, Ro 2019/09/0008, zu einem derartigen Fall ausgesprochen, dass im Hinblick auf die gemäß §27 Abs9 ÄrzteG 1998 mögliche Wiedereintragung das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des §197 Abs1 StPO, abzubrechen ist. Eine derartige Abbrechung trägt es jedoch, wie auch der Verwaltungsgerichtshof erkannte, in sich, dass das Beschwerdeverfahren im Falle der Wiedereintragung jederzeit fortzusetzen wäre. Somit muss das Rechtsschutzbedürfnis im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §33 Abs1 VwGG (vgl dazu zuletzt etwa VwGH 13.06.2022, Ra 2022/01/0054, mwN) als aufrecht betrachtet werden. Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrages […] verwiesen.

[…]

3. Im vorliegenden Fall hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nach §27 erster Halbsatz VwGVG zunächst – auch ohne entsprechendes Vorbringen in der Beschwerde (vgl etwa VwGH 27.03.2018, Ra 2015/06/0072, mwN) – die Zuständigkeit der belangten Behörde, konkret also der Disziplinarkommission für Niederösterreich des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, zu prüfen. Teil dieser Prüfung ist auch die Prüfung der gesetzmäßigen Zusammensetzung einer Kollegialbehörde (vgl etwa VwGH 27.11.2000, 99/17/0312, mwN).

Um diese durchführen zu können, muss das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zunächst §140 Abs1 bis 3 ÄrzteG 1998 anwenden. Mit diesen Absätzen stehen die weiteren Absätze des §140 ÄrzteG 1998 im untrennbaren Zusammenhang, weil sie im Falle der Aufhebung der Abs1 bis 3 unanwendbar würden.

§117b Abs1 Z23 (ausgenommen dessen letztes Wort 'sowie') und §120 Z9 ÄrzteG 1998 sind bei der Zuständigkeitsprüfung gemäß §27 erster Halbsatz VwGVG mitanzuwenden bzw besteht im Lichte der vorgebrachten Bedenken zumindest ebenfalls ein untrennbarer Zusammenhang zu §140 Abs1 bis 3 ÄrzteG 1998 im Sinne der angeführten Rechtsprechung.

Aus diesen Überlegungen erklärt sich die Formulierung des Hauptantrages.

4. Es erscheint aber auch vorstellbar, dass der Verfassungsgerichtshof einen darüber hinausgehenden untrennbaren Zusammenhang von §117b Abs1 Z23 (mit Ausnahme des letzten Wortes), §120 Z9 und §140 Abs1 bis 3 ÄrzteG 1998 mit dem gesamten ärztlichen Disziplinarrecht, also sämtlichen Regelungen des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998, und darüber hinaus mit dem auf die Wahrnehmung des Disziplinarrechts durch die Österreichische Ärztekammer abzielenden §117a Abs1 Z3 (ohne den Punkt am Ende, jedoch einschließlich des damit sprachlich zusammenhängenden Wortes 'und' in §117a Abs1 Z2) sowie der die disziplinarrechtlichen Aufsicht des zuständigen Bundesministers regelnden Bestimmung des §195e ÄrzteG 1998 erkennt, weil diese Normen bei Wegfall der die Zusammensetzung des Disziplinarrates bzw der Disziplinarkommissionen regelnden Bestimmungen unanwendbar würden bzw – wenn man nach Aufhebung des §140 von der Anwendbarkeit der subsidiären Zuständigkeitsbestimmung des §123 Abs2 ÄrzteG 1998 ausginge – einen völlig veränderten Inhalt bekämen.

Schließlich erscheint es im Hinblick darauf, dass auch mehrere Bestimmungen des ÄrzteG 1998 außerhalb des 3. Hauptstücks an den Bestimmungen dieses Hauptstücks anknüpfen (vgl etwa §59 Abs1 Z4 und 5 ÄrzteG 1998), vorstellbar, dass ein noch weiterer untrennbarer Zusammenhang von §117b Abs1 Z23, §120 Z9 und §140 Abs1 bis 3 ÄrzteG 1998 mit Bestimmungen des ÄrzteG 1998, möglicherweis[e] auch allen Bestimmungen des Gesetzes, erkannt wird.

Auf diesen Überlegungen beruht die Formulierung der beiden Eventualanträge.

5. Im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen wären die angefochtenen Bescheide vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

6. Im Hinblick auf das Zweitbeschwerdeverfahren sei ergänzt, dass die Präjudizialität von §140 Abs1 bis 3 ÄrzteG 1998 (sowie der mitanzuwendenden §§117b Abs1 Z23 und 120 Z9 leg cit) trotz der Streichung des Zweitbeschwerdeführers aus der Ärzteliste nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes weiterhin gegeben ist:

Die Prüfung nach §27 erster Halbsatz VwGVG ist nämlich einer allfälligen Abbrechung des (Zweitbeschwerde-)Verfahrens in sinngemäßer Anwendung des §197 Abs1 StPO […] vorgelagert. Die rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofes im vorzitierten Erkenntnis vom 27. Mai 2020, mit denen dieser zum Ergebnis einer Abbrechung des Disziplinarverfahrens gelangte, beruhen darauf, dass mit dem Ausscheiden eines Disziplinarbeschuldigten aus der Ärztekammer gemäß §135 ÄrzteG 1998 die aus der Kammermitgliedschaft resultierende standesrechtliche Disziplinargewalt (vorläufig, bis zu einem allfälligen Wiedereintritt) erlischt (so auch ausdrücklich die Entscheidungen des OGH zum Disziplinarstatut der Rechtsanwälte, auf die im Erkenntnis des VwGH verwiesen wird, etwa OGH 29.01.2020, 27 Ds 5/18v). Eine allfällige Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes nach §27 erster Halbsatz VwGVG, mit der ein Disziplinarerkenntnis wegen Unzuständigkeit aufgehoben wird, bestätigt jedoch gerade nicht die ärztliche Disziplinargewalt, sondern beseitigt diese aus dem Grunde des Einschreitens einer unzuständigen Behörde. Sie gewährleistet damit dem Beschwerdeführer nicht mehr und nicht weniger als sein Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG, das diesem durch sein Ausscheiden aus der Kammer nicht verlorengehen kann.

Eine solche das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren (nicht jedoch das Disziplinarverfahren, das im Falle einer neuerlichen Eintragung in die Ärzteliste von einer dann zuständigen Behörde fortzusetzen wäre) endgültig beendende Entscheidung ist somit nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes trotz des Endes der Kammermitgliedschaft im Fall der Unzuständigkeit der Disziplinarbehörde geboten."

1.3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"1. Mit der B-VG–Novelle BGBl I 2/2008 erfolgte in den Art120a bis 120c B-VG die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung der nicht-territorialen Selbstverwaltung. Damit wurde auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern abseits der bereits zuvor in den Art115 ff B-VG geregelten territorialen Selbstverwaltung (Gemeindeselbstverwaltung) klargestellt (vgl VfSlg 18.731/2009).

2. Ein solcher nicht-territorialer Selbstverwaltungskörper ist, wie die §§117 ff ÄrzteG 1998 zeigen, auch die Österreichische Ärztekammer, sodass deren gesetzliche Regelung (Organisation) verfassungsrechtlich an den Art120a bis 120c B-VG zu messen ist.

Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Österreichischen Ärztekammer, wie sich aus §119 ÄrzteG 1998 ergibt, um einen 'Dachverband' in dem Sinn handelt, dass die Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer die Ärztekammern in den Bundesländern sind. Letztere sind in den §§65 ff ÄrzteG 1998 ebenfalls als Selbstverwaltungskörper organisiert. Gegen die Bildung derartiger Dachverbände bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl etwa VfSlg 13.460/1993 oder VfSlg 20.361/2019).

Aus der Konstruktion als Dachverband folgt nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichte[s] Niederösterreich gemäß Art120c Abs1 B-VG zunächst allerdings, dass die dort geforderte Bildung der Organe nach demokratischen Grundsätzen durch die Ärztekammern in den Bundesländern zu erfolgen hat. Weiters müssen die Organe 'aus dem Kreis ihrer Mitglieder' bestellt sein. Da die Mitglieder wiederum Selbstverwaltungskörper (und somit juristische Personen, vgl §65 Abs2 ÄrzteG 1998) sind, müssen auch deren Organe aus dem Kreis ihrer Mitglieder, also der in §68 Abs1 und 2 ÄrzteG 1998 genannten Ärzte, bestellt sein. Die demokratische Bestellung der Organe entspricht einem Kerngedanken der Selbstverwaltung (VfSlg 20.226/2017), ebenso die Befugnis zur Bestellung der Organe aus der Mitte der Verbandsangehörigen (VfSlg 17.023/2003).

Zusammengefasst entsprechen Organe der Österreichischen Ärztekammer somit jedenfalls nur dann Art120c Abs1 B-VG, wenn sie einerseits nur aus Ärzten gemäß §68 Abs1 […] ÄrzteG 1998 bestehen (weil ja, was wiederum aus Art120c Abs1 B-VG folgt, nur solche die Ärztekammern in den Bundesländern – den Kreis der Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer – als Organe repräsentieren können) und wenn sie andererseits alleine von Ärzten, die Organe der Ärztekammern in den Bundesländern sind, bestellt sind.

3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hegt zunächst das Bedenken, dass die durch §117b Abs1 Z23 ÄrzteG 1998 bewirkte Verweisung des ärztlichen Disziplinarrechts in den eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer in Verbindung mit der Bestimmung des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer zum Organ der Österreichischen Ärztekammer in §120 Z9 ÄrzteG 1998 sowie den Regelungen des §140 leg cit über den Disziplinarrat bzw die Disziplinarkommissionen, durch die dieser zu entscheiden hat, gegen Art120c Abs1 B-VG verstößt.

Dieser Verstoß wird konkret dadurch bewirkt, dass den Disziplinarkommissionen gemäß §140 Abs3 ÄrzteG 1998 jeweils neben zwei vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellten ärztlichen Beisitzern ein rechtskundiger Vorsitzender angehört, der vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen (nunmehr vom gemäß §17 BMG iVm Punkt L. Z 11 des Teils 2 der Anlage zum BMG zuständig gewordenen Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), allenfalls im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz, bestellt wird. Hinsichtlich dessen Person kommt dem Vorstand der Österreichischen Ärztekammer lediglich ein Vorschlagsrecht zu. Nach derselben Regelung sind zwei Stellvertreter des Vorsitzenden zu bestellen.

Das Gesetz schreibt einerseits nicht vor, dass der Vorsitzende Repräsentant eines Mitglieds der Österreichischen Ärztekammer (also einer Ärztekammer in einem Bundesland und somit insbesondere selbst Arzt […]) sein muss. Andererseits handelt es sich beim Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der die Bestellung des Vorsitzenden (allenfalls im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz) vorzunehmen hat, um kein Organ, das eine demokratische Legitimation besitzt, die Interessen der Ärztekammern in den Bundesländern zu vertreten (vgl in diesem Sinn zur Bestellung der Dienstnehmervertreter in der BVAEB VfGH 13.12.2019, G211/2019 ua).

Hinzu kommt noch, dass es nach §140 Abs4 ÄrzteG 1998 gerade diesem Vorsitzenden obliegt, den ärztlichen Beisitzern (gegen deren Bestellung im Lichte des Art120c Abs1 B-VG für sich genommen keine Bedenken bestehen) ein vor dem Dienstantritt zu leistendes Gelöbnis abzunehmen und somit über deren Dienstantritt zu entscheiden.

Somit dürfte die Zusammensetzung der – als Organ der Österreichischen Ärztekammer in deren eigenem Wirkungsbereich tätig werdenden – Disziplinarkommissionen (und damit des Disziplinarrates) nicht Art120c Abs1 B-VG entsprechen.

4. Darüber hinaus hegt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich das Bedenken, dass die von §117b Abs1 Z23 ÄrzteG 1998 vorgenommene Verweisung des gesamten ärztlichen Disziplinarrechts in den eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer Art120a Abs1 B-VG widerspricht.

Dies ergibt sich daraus, dass die Vollziehung des ärztlichen Disziplinarrechts (somit des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 samt den Bestimmungen, auf die darin verwiesen bzw an die angeknüpft wird; das sind im Wesentlichen Regelungen des 1. Hauptstücks sowie zahlreiche Bestimmungen des StGB, der StPO und des AVG) ein Ausmaß an rechtlicher Komplexität aufweist, die durch ein den Bestimmungen des Art120c Abs1 B-VG entsprechendes und somit aus dem Kreis der Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer (bzw deren Repräsentanten, die wiederum Art120c Abs1 B-VG genügen, also Ärzte sein müssen […]) gebildetes Organ im Allgemeinen nicht aufweisen kann. Daran ändert auch die Beigabe rechtskundiger Untersuchungsführer durch den letzten Satz des §140 Abs2 ÄrzteG 1998 nichts, sind diese doch gemäß §146 Abs6 ÄrzteG 1998 ausdrücklich von der Teilnahme an der Entscheidung ausgeschlossen.

Genau dieser Gedanke dürfte der durch §140 Abs3 ÄrzteG 1998 angeordneten, jedoch Art120c Abs1 B-VG widersprechenden Einbeziehung eines rechtskundigen Vorsitzenden in die Disziplinarkommissionen […] zu Grunde liegen.

5. Im Hinblick auf die beiden vorgenannten Bedenken übersieht das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 13.012/1992 ausgesprochen hat, dass die Disziplinarkommission bei der Kammer der Tierärzte Österreichs in verfassungskonformer Sicht nicht als Organ der Bundeskammer der Tierärzte anzusehen sei, weil dieser Behörde ua zwei Beamte des zuständigen Bundesministeriums angehören (darauf zurückkommend auch VfSlg 17.023/2003). Im damaligen Fall ließ sich also eine dem vorliegenden Fall vergleichbare Problematik mittels verfassungskonformer Interpretation lösen.

Einer verfassungskonformen Interpretation des ÄrzteG 1998 mit diesem Ergebnis steht aber nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich der klare Wortlaut des §117b Abs1 Z23 bzw des §120 Z9 leg cit entgegen.

6. Schließlich hegt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gegen §140 Abs2 ÄrzteG 1998 auch das Bedenken, dass diese Bestimmung gegen das Legalitätsprinzip des Art18 B-VG im Hinblick auf die Regelung der Behördenzuständigkeit iVm Art83 Abs2 B-VG (Recht auf den gesetzlichen Richter) verstößt.

§140 Abs2 ÄrzteG 1998 erster Satz bestimmt zunächst, dass für den Bereich jedes Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten ist. Der zweite Satz erklärt sodann auch die Einrichtung mehrerer Disziplinarkommissionen für einen Oberlandesgerichtssprengel für zulässig, lässt jedoch offen, von wem, in welcher Form und nach welchen Determinanten die Entscheidung der Einrichtung mehrerer Disziplinarkommissionen zu treffen ist. Ebenso nicht geregelt ist, wer, in welcher Form und auf Grund welcher Determinanten die örtliche Zuständigkeit der unterschiedlichen Disziplinarkommissionen voneinander abgrenzt.

Die Frage des entscheidungszuständigen Organs ließe sich allenfalls durch die in §123 Abs3 erster Satz ÄrzteG 1998 vorgesehene subsidiäre Zuständigkeit des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer lösen. Diesfalls bestünde freilich einer Bindung des zur Ernennung des Vorsitzenden zuständigen Bundesministers an eine Willensäußerung des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer, was mit der Stellung des Bundesministers als oberstes Organ[…] der Vollziehung (Art19 Abs1 B-VG) in einem Spannungsverhältnis stünde. Die Fragen der Form und der maßgeblichen Determinanten für die Errichtung weiterer Disziplinarkommissionen bzw die Abgrenzung von deren örtlicher Zuständigkeit bleiben auch bei dieser Auslegung offen.

Damit genügt §140 Abs2 ÄrzteG 1998 nicht den in der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Hinblick auf Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG aufgestellten Anforderungen nach einer präzisen und eindeutigen Regelung der Behördenzuständigkeit (zuletzt VfGH 10.03.2021, G380/2020 ua mwN)."

1.4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie mit folgenden Ausführungen die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den geltend gemachten Bedenken entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"II. Zur Zulässigkeit:

1.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es Sache des Verfassungsgerichtshofes, im Gesetzesprüfungsverfahren zu entscheiden, wie der Aufhebungsumfang im konkreten Fall abzugrenzen ist. Der Antragsteller muss daher all jene Bestimmungen mitanfechten, die in diese Abwägung bei der Abgrenzung des Aufhebungsumfanges miteinzubeziehen sind, und darf nicht durch Anfechtung nur eines Teils dieser Bestimmungen das Ergebnis der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vorwegnehmen (siehe VfGH 10.3.2015, G201/2014; 7.10.2015, G315/2015 ua; 10.12.2015, G639/2015; 25.11.2016, G252/2016).

1.2. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Bundesregierung der Anfechtungsumfang des Hauptantrags nicht richtig abgegrenzt:

1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 27. Juni 2018, G177/2017 ua, hinsichtlich des §195f ÄrzteG 1998, welcher das Weisungsrecht des zuständigen Landeshauptmannes bzw des für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesministers gegenüber der ÖÄK bei der Vollziehung von Angelegenheiten im übertragenen Wirkungsbereich normiert, Folgendes festgehalten:

'Gerade im Lichte der vorgebrachten Bedenken ist es auszuschließen, dass die behauptete Verfassungswidrigkeit der fehlenden Zustimmung der Länder zur Übertragung der Aufgabe an den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, mit Bescheid festzustellen, dass die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes nicht besteht bzw nicht bestanden hat, und die Streichung aus der Ärzteliste zu veranlassen, ohne Einbeziehung der – auch für diese Aufgabe maßgeblichen – den Weisungs- und Organisationszusammenhang normierenden Bestimmung des §195f Abs1 ÄrzteG 1998 abschließend beurteilt werden kann. Die antragstellenden Gerichte hätten daher vor dem Hintergrund ihrer Bedenken – die tragend davon ausgehen, durch die Übertragung dieser Zuständigkeit an den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer sei jedenfalls eine Angelegenheit, die in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden müsste, dieser ohne Zustimmung der Länder entzogen worden – auch §195f Abs1 ÄrzteG 1998 anzufechten gehabt, um den Verfassungsgerichtshof im Falle des Zutreffens der Bedenken in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann (vgl VfGH 10.3.2015, G201/2014).'

1.4. Nach Auffassung der Bundesregierung sind diese Überlegungen auch auf das disziplinarrechtliche Aufsichtsrecht des für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesministers gegenüber der ÖÄK bei der Vollziehung von Angelegenheiten im eigenen Wirkungsbereich gemäß §195e ÄrzteG 1998 zu übertragen. Das antragstellende Gericht hätte daher diese Bestimmung bereits mit dem Hauptantrag und nicht bloß eventualiter mitanfechten müssen, um den Verfassungsgerichtshof im Falle des Zutreffens der Bedenken in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann.

1.5. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Hauptantrag zur Gänze unzulässig ist.

2.1 Mit seinen Eventualanträgen begehrt das antragstellende Gericht zudem die Aufhebung des Wortes 'und' am Ende des §117a Abs1 Z2, §117a Abs1 Z3 und das 3. Hauptstück des ÄrzteG 1998 sowie die Aufhebung des ÄrzteG 1998 zur Gänze, weil sie in einem untrennbaren Zusammenhang mit §§117b, 120 und 140 ÄrzteG 1998 stünden, ohne dies jedoch näher zu begründen.

2.2. Nach Auffassung der Bundesregierung ist jedoch kein untrennbarer Zusammenhang der genannten Bestimmungen mit §§117b, 120 und 140 ÄrzteG 1998 erkennbar. Denn die Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§117b, 120 und 140 ÄrzteG 1998 lässt sich auch ohne Mitberücksichtigung der genannten Bestimmungen beantworten. Ebensowenig würden die genannten Bestimmungen durch eine allfällige Aufhebung der §§117b, 120 und 140 ÄrzteG 1998 einen völlig veränderten Inhalt erhalten (vgl idS VfSlg 17.023/2003 mwN).

2.3. Die Eventualanträge erweisen sich daher insoweit als unzulässig.

[…]

III. In der Sache:

[…]

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art120a Abs1 B-VG:

1.1. Das antragstellende Gericht hegt zunächst auf das Wesentliche zusammengefasst das Bedenken, dass die ÖÄK gemäß §117b Abs1 Z23 ÄrzteG 1998 dazu berufen ist, das ärztliche Disziplinarrecht im eigenen Wirkungsbereich wahrzunehmen; dies widerspreche Art120a Abs1 B-VG, weil das ärztliche Disziplinarrecht ein Ausmaß an rechtlicher Komplexität aufweise, dem ein aus dem Kreis der Mitglieder der ÖÄK gebildetes Organ nicht gewachsen sei.

1.2. Gemäß Art120a B-VG können Personen zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengeschlossen werden. Schon vor der Einfügung dieser Bestimmung in das B-VG hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass das Rechtsinstitut der Selbstverwaltung als solches 'im Rahmen des Organisationsplanes der Bundesverfassung gelegen' ist, wobei sich Schranken einerseits aus dem Gleichheitssatz und andererseits aus der Notwendigkeit einer Staatsaufsicht ergeben (vgl insb. VfSlg 

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten