TE Vfgh Erkenntnis 1993/9/29 B415/92

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Veröffentlicht am 29.09.1993
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Index

60 Arbeitsrecht
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AKG 1954 §5 Abs2
StVO 1960 §44b

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Aufhebung eines Bescheides betreffend die Vorschreibung von Kammerumlage für Dienstnehmer eines Landesstraßenbauamtes aufgrund der verfehlten Annahme der Ausnahme dieser Dienstnehmer von der Zugehörigkeit zur Arbeiterkammer; Zurechenbarkeit der Straßenverwaltung zur Privatwirtschaftsverwaltung; keine Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze auch nicht aufgrund der Ermächtigung zu bestimmten Notmaßnahmen zur Verkehrsregelung in der Straßenverkehrsordnung

Spruch

Die beschwerdeführende Kammer ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Kammer zuhanden ihres Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach §5 Art1 des bis Ablauf des Jahres 1991 in Kraft gestandenen Arbeiterkammergesetzes 1954, BGBl. Nr. 105, gehörten den Arbeiterkammern alle Dienstnehmer an, die beschäftigt sind insbesondere

"d) (Verfassungsbestimmung) in Betrieben und Anstalten von Gebietskörperschaften (Bund, Bundesländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden) ohne Rücksicht darauf, ob das Dienstverhältnis auf privatrechtlichem Vertrag oder auf einem Hoheitsakt beruht;"

Nach §5 Abs2 gehörten den Arbeiterkammern nicht an:

"a) (Verfassungsbestimmung) Dienstnehmer von Gebietskörperschaften, die dem Personalstand einer Dienststelle angehören, die in Vollziehung der Gesetze tätig ist und bei einer solchen Dienststelle verwendet werden; ferner Dienstnehmer von Gebietskörperschaften, die in Unterrichts- und Erziehungsanstalten, Archiven, Bibliotheken, Museen, wissenschaftlichen Anstalten, beim Österreichischen Postsparkassenamt oder in land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben von Gebietskörperschaften beschäftigt sind;".

1. Mit dem angefochtenen Bescheid hebt der Landeshauptmann von Vorarlberg über Einspruch des Landes Vorarlberg Bescheide der Vorarlberger Gebietskrankenkasse auf, die über Ersuchen der beschwerdeführenden Kammer dem Land in bezug auf näher bestimmte, beim Landesstraßenbauamt Feldkirch beschäftigte Dienstnehmer für die Zeit vom 1. Jänner 1987 bis 30. April 1991 Kammerumlage vorgeschrieben hatten (Spruchabschnitt I) und spricht aus, daß über den nicht erledigten Teil eines Bescheides gesondert entschieden werde (Spruchabschnitt II). Das Amt der Landesregierung, dessen Teil das Landesstraßenbauamt auch schon vor der Umstrukturierung am 10. Dezember 1991 gewesen sei, werde nämlich in Vollziehung der Gesetze tätig:

"Die Aufgaben, die die Abteilung VIIb - Straßenbau zu besorgen hat, ergeben sich vorwiegend aus dem Landes- und Bundesstraßengesetz sowie der Straßenverkehrsordnung. Die Herstellung und Instandhaltung der Landes- und Bundesstraßen geschieht daher in Erfüllung von gesetzlichen Pflichten (z.B. Straßenbau und Straßenerhaltung). Dasselbe kann auch analog für die Organe der Straßenpolizei ausgesagt werden, dessen Verhalten im Straßenverkehr unzweifelhaft als 'Vollziehung der Gesetze', sogar als hoheitliches Handeln, allgemein anerkannt wird. Bei einer völligen Untätigkeit des Landes im Hinblick auf den Bau und insbesondere bei der Instandhaltung von öffentlichen Straßen würde dies die Verletzung von Gesetzesvorschriften bedeuten. Die der Abteilung VIIb - Straßenbau zugeordneten Dienstnehmer wirken somit zweifelsfrei an der Vollziehung von Gesetzen unmittelbar, nämlich in der Straßenverwaltung, mit.

Unter Vollziehung von Gesetzen wird die Anwendung von Normen verstanden. Dies kann einerseits die Anwendung von Gesetzen im Rahmen der Hoheitsverwaltung oder Privatwirtschaftsverwaltung sein. Die gesetzlichen Grundlagen für die Privatwirtschaftsverwaltung ergeben sich aus dem Privatrecht (einschließlich des Gesellschaftsrechtes) und aus den verschiedensten besonderen gesetzlichen Bestimmungen, nämlich den sogenannten Selbstbindungsgesetzen. Solche Selbstbindungsgesetze werden von der Verwaltung auch vollzogen. Sie haben normativen Gehalt und sind nicht nur Richtlinien für das Verwaltungshandeln. Es handelt sich dabei um von der Verwaltung zu vollziehende Gesetze, ohne daß es für diese charakteristisch sein muß, daß sie mit der Befugnis ausgestattet sind, verbindliche Anordnungen zu setzen oder zu erzwingen.

Im Zusammenhang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung hat auch H.R. Klecatsky ausgeführt, daß Privatwirtschaftsverwaltung im demokratischen Rechtsstaat nur in der Form der Vollziehung der Gesetze geübt werden kann. Sie sei nicht aus dem verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzip entlassen (JBl. 1981/118). Hiezu ist zu bemerken, daß es für die Verwaltung der Landes- und Bundesstraßen bereits gesetzliche Regelungen gibt. Die Vorstellung, daß analog der besonderen Haftungsregeln der Amtshaftung für das Organverhalten 'in Vollziehung der Gesetze' nur die Wahrnehmung von hoheitlichen Vollzugsfunktionen gelte, mag heute historisch gesehen werden. §10 Abs2 Z. 1 lita AKG spricht von

'Vollziehung der Gesetze' und nicht eingeschränkt von der Hoheitsverwaltung. Der kürzlich vom Gesetzgeber im Arbeiterkammergesetz 1992 verwendete Begriff 'in Vollziehung der Gesetze' umfaßt daher auch die Privatwirtschaftsverwaltung, ansonsten er wohl anstelle von 'Vollziehung' die Bezeichnung 'Hoheitsverwaltung' verwendet hätte. Selbst wenn das nicht zutreffen sollte, ist darauf hinzuweisen, daß eine wortgetreue Gesetzesauslegung dem erklärten Willen des Gesetzgebers nur weichen muß, wenn sie zu überspitzten Ergebnissen führen würde (VwGH. 5.10.1955 ÖJZ 1956, 53/4), was im gegenständlichen Fall nicht gegeben ist.

Eine Auslegung des Begriffs 'in Vollziehung der Gesetze', die sich nur auf die Hoheitsverwaltung beschränkt, wäre nicht zulässig. Ein Gesetz ist nämlich nach den Verhältnissen auszulegen, wie sie im Zeitpunkt seiner Anwendung (nicht seiner Entstehung) bestehen (SZ 28/136). Nach der Bestandsgarantie des Gesetzes und der durch diese verbürgten Rechtssicherheit ist bei der Gesetzesauslegung vom Vorrang des Wortlautes der Norm auszugehen (VwGH. 15.2.1979 ZfVB 1979/1823). Die Abteilung VIIb - Straßenbau und die ihr zugeteilten Arbeitnehmer sind somit in Vollziehung der Gesetze tätig."

Abschließend verweist der angefochtene Bescheid auf VfSlg. 10626/1985 (Bauhof Wattens).

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Zugehörigkeit bestimmter Dienstnehmer zur Arbeiterkammer (aufgrund der Verfassungsbestimmungen des §5 Abs1 und 2 Arbeiterkammergesetz 1954) sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich der §§6 und 7 AVG gerügt werden. Es sei gleichheitswidrig (gemeint offenbar im Sinne von unsachlich), wenn über einen Einspruch des Landes Vorarlberg dessen Landeshauptmann selbst entscheide, da er im zugrundeliegenden Interessenkonflikt selbst Partei sei; wenn eine verfassungskonforme Interpretation der Verfahrensvorschriften nicht möglich sei, verstießen die unzureichenden Bestimmungen über die Zuständigkeit und Befangenheit von Verwaltungsorganen gegen den Gleichheitssatz. Zu Unrecht und unter Außerachtlassung ihr bekannter Tatsachen verneine die Behörde die organisatorische Selbständigkeit des Landesstraßenbauamtes, das in Wahrheit einen Betrieb darstelle und, selbst wenn man es als Dienststelle ansehe, nicht in Vollziehung der Gesetze tätig werde. Die Behörde habe die Rechtslage also gehäuft verkannt.

Der Landeshauptmann verteidigt die bekämpfte Entscheidung, hält seine Zuständigkeit angesichts der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 3980/1961 und 11645/1988) für unbedenklich, bezweifelt ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht der Kammer auf Zugehörigkeit bestimmter Mitglieder und verweist betreffs der Lösung der Vorfrage auf die Erledigung der Parallelbeschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof.

II. Der Verwaltungsgerichtshof hat die an ihn gerichtete Beschwerde der Kammer gegen denselben Bescheid bezüglich Spruchabschnitt I mit Erkenntnis vom 19. Februar 1993, Zl. 92/09/0106-6, als unbegründet ab- und die Beschwerde im übrigen (mangels Beschwer) als unzulässig zurückgewiesen. Er hat sich im Hinblick darauf, daß nur über die einfachgesetzlich begründete Umlagepflicht, nicht über die durch Verfassungsbestimmungen geregelte Kammerzugehörigkeit entschieden worden sei, zur Erledigung der Beschwerde für zuständig erachtet und die Beurteilung der (durch Verfassungsbestimmungen geregelten) Vorfrage nach der Kammerzugehörigkeit durch die belangte Behörde wie folgt gewürdigt:

"Es kann dahingestellt bleiben, ob das Landesstraßenbauamt ein Betrieb oder eine Dienststelle ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Jänner 1960, Zl. 1974/57 = Slg. 5187/A (betreffend die Arbeiterkammerzugehörigkeit von Bediensteten der Wildbach- und Lawinenverbauung) und vom 25. Mai 1960, Zl. 1006/58 = Slg. 5306 A (betreffend die Arbeiterkammerzugehörigkeit der Bediensteten der Kärntner Wasserbauämter) ausgesprochen hat, gehören nach der Konstruktion des §5 Abs1 AKG 1954 grundsätzlich alle Dienstnehmer, auch wenn sie nicht in einem der beispielsweise angeführten Beschäftigungsverhältnisse stehen, der Arbeiterkammer an. Ausnahmen von diesem leitenden und allgemeinen Grundsatz, der nicht nur für die in einzelne literae gegliederten Gruppen, sondern auch für die darin aufgezählten Fälle Geltung hat, bedürfen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, wie sie etwa - nur diese Bestimmung ist im Beschwerdefall von Bedeutung - im §5 Abs2 lita AKG 1954 ihren Niederschlag gefunden hat.

Als Dienststelle im Sinne des §5 Abs2 lita wurde dabei eine zur Ausführung bestimmter Aufgaben der Vollziehung gebildete organisatorische Einheit von Personen und Mitteln verstanden, die auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Betätigung ihre Entsprechung im 'Betrieb' findet. Als maßgebliche Kriterien für die Dienststelle wurden insbesondere die örtliche Trennung von anderen (unzweifelhaft in Vollziehung der Gesetze tätigen) Dienststellen (wie z.B. einem Bundesministerium oder einem Amt der Landesregierung), die Erfüllung bestimmter Verwaltungsaufgaben innerhalb eines räumlichen Wirkungsbereiches, das Auftreten unter einer eigenen Amtsbezeichnung, die Führung eines eigenen Dienstsiegels, der Ausweis des Personals im Stellenplan usw. gewertet.

Von besonderer Bedeutung ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes das Vorhandensein einer relativen Selbständigkeit der Aufgabenbesorgung in einer organisatorisch verfestigten Form, die jeweils im Einzelfall zu untersuchen ist. Dabei müssen nicht alle der oben beispielhaft erwähnten Kriterien erfüllt sein.

Die belangte Behörde hat im Ergebnis aus der Gehorsamspflicht gegenüber dem politisch verantwortlichen Mitglied

der Landesregierung und der Weisungsbefugnis des Leiters der Abteilung VIIb des Amtes der Landesregierung auf das Fehlen einer 'autonomen Geschäftsführung' des LStBA geschlossen und es als Teil des Amtes der Landesregierung eingestuft. Dieser Umstand allein ist nicht geeignet, einer Organisationseinheit die Selbständigkeit zu nehmen, gilt doch für die Führung der Verwaltung einer Gebietskörperschaft (ohne Rücksicht darauf, in welcher Handlungsform sie durchgeführt wird) gemäß Art20 Abs1 B-VG grundsätzlich das Weisungsrecht der obersten Organe der Vollziehung, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist. Die in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde zitierte Geschäftseinteilung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung (verlautbart im Amtsblatt für das Land Vorarlberg Nr. 20/1990) weist im Bereich der Gruppe VII - Bauwesen und Raumplanung unter anderem bei der Abteilung VIIb - Straßenbau (Aufgabenumschreibung: 1. Bau und Erhaltung von Landesstraßen; 2. Bau und Erhaltung von Bundesstraßen; 3. Bautechnische Mitwirkung beim Güterwegbau; 4. Bautechnische Mitwirkung bei der Straßenpolizei) als 'nachgeordnet' das 'Landesstraßenbauamt in Feldkirch' aus. Deutet schon die Bezeichnung auf den Bestand einer selbständigen Organisationseinheit hin, führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ferner aus, das wesentliche Merkmal im Rahmen der Umstrukturierung (gemeint ist der Landesregierungsbeschluß vom 10. Dezember 1991) sei unter anderem in der Auflösung der Leitung des Landesstraßenbauamtes gelegen.

Damit läßt sich aber schon auf Grund der widersprüchlich von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen bzw. Indizien, die für eine Selbständigkeit des LStBA Feldkirch sprechen, nicht die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde in einer der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Weise begründen. Unklar bleibt auch, was die belangte Behörde mit der Feststellung, die Dienstnehmer und die Straßenwarte seien 'hierarchisch in die Abteilung VIIb - Straßenbau streng eingegliedert' gewesen, zum Ausdruck bringen wollte."

Gleichwohl gelangt der Verwaltungsgerichtshof im Ergebnis mit folgender Überlegung zur Abweisung der Beschwerde in der Hauptsache:

"Die aufgezeigten Verfahrensmängel wären nur dann für den Ausgang des Verfahrens ohne Bedeutung, wenn feststeht, daß das LStBA in Vollziehung der Gesetze tätig war. In diesem Fall fällt nämlich das LStBA - selbst dann, wenn ihm der Charakter einer selbständigen Dienststelle zukam - unter die Ausnahmebestimmung des §5 Abs2 lita AKG 1954.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung mit ausführlicher Begründung ausgesprochen hat (vgl. z.B. VwSlg. 4594 A/1958, 5306 A/1960 und 5187 A/1960) ist dies nur dann der Fall, wenn einer Dienststelle Aufgaben zukommen, die mit Mitteln der Hoheitsverwaltung zu besorgen sind. Die Erfüllung von (auch öffentlichen) Aufgaben mit den Mitteln des Privatrechtes (sogenannte Privatwirtschaftsverwaltung) gehört nicht dazu. Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid sind nicht dazu geeignet, den Verwaltungsgerichtshof zum Abgehen von seiner zu §5 AKG 1954 entwickelten Rechtsauffassung zu veranlassen. Die dem Landesstraßenbauamt Feldkirch zukommenden Aufgaben, insbesondere der Bau und die Erhaltung von Landes- und Bundesstraßen, sind der Privatwirtschaftsverwaltung zuzurechnen (vgl. dazu z.B. VfSlg. 4329, 5171 und 5677; OGH SZ 45/134 u.a.; Urteil vom 17. Jänner 1979, 10 Os 123/78).

Zwar trifft es zu, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht im einzelnen angeführt hat, welche Aufgaben das LStBA hoheitlich wahrzunehmen hat. Das LStBA nimmt aber unstrittig die Aufgaben des Straßenerhalters für die mP und den Bund wahr. Wenn die belangte Behörde daher in diesem Zusammenhang auf die StVO hinweist, können damit nur jene Aufgaben gemeint sein, die die StVO dem Straßenerhalter zuweist. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sind jedenfalls die in §44b StVO vorgesehenen unaufschiebbaren Verkehrsbeschränkungen hoheitliche Maßnahmen, die unter anderem auch den Organen des Straßenerhalters zur Besorgung zugewiesen werden (vgl. in diesem Zusammenhang auch §98 Abs3 StVO). Damit wird das LStBA jedenfalls auch 'in Vollziehung der Gesetze' (im Sinne des §5 Abs2 lita AKG 1954) tätig. Dies reicht entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Partei aus, den Ausnahmetatbestand des §5 Abs2 lita AKG 1954 zu begründen: dafür, daß der Vollzug hoheitlicher Aufgaben gegenüber den mit Mitteln des Privatrechts zu besorgenden Aufgaben überwiegen muß, läßt sich aus dem Gesetz kein Anhaltspunkt entnehmen. Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde deshalb bei der rechtlichen Beurteilung der Vorfrage, die Arbeiterkammerzugehörigkeit der Dienstnehmer des LStBA und damit auch das Zutreffen einer Kammerumlagepflicht (Hauptfrage) verneinte."

III. Diesen letzten Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes kann der Verfassungsgerichtshof nicht beipflichten. Ein solcher Inhalt kommt §5 Abs2 lita Arbeiterkammergesetz 1954 nicht zu. Vor dem Hintergrund dieser Verfassungsbestimmung erweist sich daher - wie schon die übrigen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes dartun - das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten derart mangelhaft, daß das Verhalten der Behörde der Willkür gleichzuhalten ist und der angefochtene Bescheid die beschwerdeführende Kammer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.

1. In den maßgeblichen Verfassungsbestimmungen werden Dienststellen, die "in Vollziehung der Gesetze tätig" sind, den Betrieben und Anstalten von Gebietskörperschaften gegenübergestellt. Der Verfassungsgerichtshof geht mit dem Verwaltungsgerichtshof davon aus, daß mit diesen Begriffen Dienststellen der Hoheitsverwaltung von solchen der Privatwirtschaftsverwaltung unterschieden werden sollen und eine Dienststelle dann "in Vollziehung der Gesetze tätig" ist, wenn sie ihre Aufgabe mit Mitteln der Hoheitsverwaltung besorgt. Der Verfassungsgerichtshof teilt auch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes, daß der Bau und die Erhaltung von Landes- und Bundesstraßen der Privatwirtschaftsverwaltung zuzurechnen sind. Dienststellen der Straßenverwaltung sind daher keine mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Verwaltungsbehörden.

§44b StVO kann daran nichts ändern. In dessen Abs1 ist bestimmt:

"(1) Im Falle der Unaufschiebbarkeit dürfen die Organe der Straßenaufsicht, des Straßenerhalters oder der Feuerwehr nach Erfordernis eine besondere Verkehrsregelung durch Anweisungen an die Straßenbenützer oder durch Anbringung von Verkehrsampeln oder Signalscheiben veranlassen oder eine der in §43 Abs1 litb Z. 1 und 2 bezeichneten Maßnahmen durch Anbringung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen mit der Wirkung treffen, als ob die Veranlassung oder Maßnahme von der Behörde getroffen worden wäre. Dies gilt insbesondere,

a)

wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist,

b)

bei unvorhersehbar aufgetretenen Straßen- oder Baugebrechen u. dgl.,

c)

bei unvorhersehbar eingetretenen Ereignissen, wie zum Beispiel Brände, Unfälle, Ordnungsstörungen u. dgl., die besondere Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen oder eine besondere Verkehrsregelung (zum Beispiel Einbahnverkehr, abwechselnder Gegenverkehr, Umleitungen u. dgl.) erfordern."

Diese Ermächtigung, ausnahmsweise bestimmte hoheitliche Veranlassungen und Maßnahmen mit der Wirkung zu treffen, als ob sie von der Behörde getroffen worden wären, bewirkt zwar, daß außer Organen privater Straßenerhalter auch Dienstnehmer, die in Betrieben von Gebietskörperschaften tätig sind oder sonst einer Dienststelle angehören, die privatwirtschaftliche Aufgaben besorgt, im Einzelfall "in Vollziehung der Gesetze tätig" werden können. Gerade der Umstand aber, daß die Ermächtigung zu unaufschiebbaren Handlungen auch Organen privater Rechtsträger erteilt wird, an deren Kammerzugehörigkeit sich dadurch nichts ändert (arg. "Dienstnehmer von Gebietskörperschaften"), zeigt, daß solche Aufgaben für die Abgrenzung von Privatwirtschaftsverwaltung (durch Betriebe und Anstalten) und hoheitliche Tätigkeit (durch Dienststellen, die in Vollziehung der Gesetze tätig sind) nicht herangezogen werden können.

Das gleichsam zufällige Zusammentreffen solcher Notmaßnahmen mit dem Umstand, daß der Straßenerhalter eine - insoweit privatwirtschaftlich handelnde - Gebietskörperschaft ist, erfüllt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausnahme von der Kammerzugehörigkeit nicht. Nach Sinn und Zweck des §5 Abs2 Arbeiterkammergesetz 1954 muß vielmehr ein Zusammenhang zwischen dem Erfordernis, daß es sich um Dienstnehmer einer Gebietskörperschaft handelt, und dem Merkmal der Vollziehung von Gesetzen bestehen. Es kommen also nur solche hoheitliche Tätigkeiten in Betracht, die eben für die Dienststellen von Gebietskörperschaften kennzeichnend und diesen vorbehalten sind. Demgemäß hat der Verfassungsgerichtshof auch in VfSlg. 10626/1985 nicht etwa darauf abgestellt, daß der Bauhof der Gemeinde Wattens auch Aufgaben der Straßenerhaltung besorgte (und etwa deshalb eine Dienststelle der Hoheitsverwaltung wäre), sondern die Annahme der Behörde näher überprüft (und bestätigt), daß der Bauhof keine eigene organisatorische Einheit bildet und die dort beschäftigten Dienstnehmer folglich dem Personalstand des Gemeindeamtes und damit einer Dienststelle angehören, die offenkundig in Vollziehung der Gesetze tätig ist.

Die den Straßenerhaltern jeder Art nach §44b StVO zugestandenen Veranlassungen und Maßnahmen scheiden also zur Begründung einer Ausnahme von der Kammerzugehörigkeit überhaupt aus. Andere Tätigkeiten "in Vollziehung der Gesetze" werden von der Behörde nicht ins Treffen geführt und sind auch dem Gerichtshof nicht erkennbar. Es erübrigt sich daher eine Prüfung der Frage, ob eine Dienststelle durch jede auch nur ganz geringfügige, vielleicht sogar nur potentiell auftretende (wenngleich - anders als das Handeln nach §44b StVO - für eine Gebietskörperschaft typische) hoheitliche Tätigkeit ohne Rücksicht auf die ihr sonst zugewiesenen Aufgaben schon zu einer ausgenommenen Dienststelle im Sinne des §5 Abs2 lita Arbeiterkammergesetz 1954 wird.

2. Daß die belangte Behörde ihrer Entscheidung eine der Verfassungsbestimmung des §5 Abs2 Arbeiterkammergesetz 1954 nicht entsprechende Rechtsansicht über die Bedeutung der Worte "in Vollziehung der Gesetze" zugrundegelegt hat, bedarf nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes keiner weiteren Begründung. Da das Ergebnis ihrer Überlegungen nach dem Gesagten auch durch Heranziehen des §44b StVO nicht gehalten werden kann und das Verfahren in dem danach verfassungsrechtlich wesentlich gebliebenen Punkt - wie der Verwaltungsgerichtshof ausführlich darlegt - mangelhaft geblieben ist, ist der Behörde ein in die Verfassungssphäre reichender - der Willkür gleichzuhaltender - Fehler anzulasten und der angefochtene Bescheid wegen Verletzung des Gleichheitsrechtes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind 2.500 S an Umsatzsteuer enthalten.

Schlagworte

Arbeiterkammern Mitgliedschaft, Privatwirtschaftsverwaltung, Hoheitsverwaltung, Straßenverwaltung, Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B415.1992

Dokumentnummer

JFT_10069071_92B00415_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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