TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/27 93/10/0238

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Veröffentlicht am 27.11.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

LMG 1975 §37 Abs2;
LMG 1975 §37 Abs4;
LMG 1975 §38;
LMG 1975 §74 Abs4 Z2;
VStG §5 Abs1;
VStG §6;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs3;
VStG §9 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des Mag. Albin E. jun. in O, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 22. September 1993, Zl. 1/22-4/1993, betreffend Übertretung nach dem Lebensmittelgesetz 1975, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug erlassenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als Betriebsinhaber zu verantworten, daß am 17. Juli 1992 um

10.15 Uhr einem namentlich genannten Lebensmittelaufsichtsorgan der Bezirkshauptmannschaft Lienz der Zutritt zu näher bezeichneten Betriebsräumlichkeiten zwecks Durchführung einer Lebensmittelkontrolle verweigert wurde. Er habe hiedurch die Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 4 Z. 2 iVm § 38 Lebensmittelgesetz (LMG) 1975 begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird folgender Sachverhalt festgestellt:

Der Amtstierarzt der BH habe wegen einer Kundenbeschwerde betreffend die Genußtauglichkeit von Fleisch, das im Geschäft (Fleischerei) des Beschwerdeführers gekauft worden sei, um eine Lebensmittelkontrolle ersucht. Am 17. Juli 1992 habe das Lebensmittelaufsichtsorgan Ing. F. das Geschäftslokal des Beschwerdeführers zwecks Durchführung einer Lebensmittelkontrolle aufgesucht. Im Geschäft sei Albin E. sen., der Vater des Beschwerdeführers, anwesend gewesen. Dieser habe erklärt, eine Kontrolle dürfe nur in Anwesenheit des Chefs (des Beschwerdeführers) durchgeführt werden. Im übrigen dürfe an einem Freitag "wegen Geschäftsstörung" nicht kontrolliert werden. Der Lebensmittelinspektor habe versucht, den Kühlraum zu betreten; dies sei ihm verwehrt worden. E. sen. habe erklärt, daß ein Betreten des Kühlraumes nur in Schutzkleidung zulässig wäre.

Zur Verantwortung des Beschwerdeführers vertrat die belangte Behörde nach Hinweisen auf die Rechtslage die Auffassung, die von G. sen. abgegebene "Haftungserklärung" könne den Beschwerdeführer nicht von seiner strafrechtlichen Verantwortung entlasten. Diese "Haftungserklärung" vom 1. Jänner 1990, die vom Beschwerdeführer und von E. sen. gefertigt ist, hat folgenden Wortlaut: "Ich erteile hiemit Herrn Albin E. sen. die volle Verantwortung für die Herstellung der Wurstwaren, sowie für Verkauf und für sämtliche Vorschriften nach dem Lebensmittelrecht. Herr E. sen. verpflichtet sich in meiner Abwesenheit dafür zu sorgen, daß es zu keinen Verfehlungen nach dem Lebensmittelrecht kommt".

Diese Erklärung bewirke keine Übertragung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 3 VStG, weil sie sich nicht auf einen räumlich oder sachlich abgegrenzten Bereich des Unternehmens des Beschwerdeführers (Einzelunternehmen) beziehe und auf die Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Haftung für den gesamten Betrieb abziele. Der Beschwerdeführer habe auch nicht behauptet, Vorkehrungen getroffen zu haben, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund hätten erwarten lassen. Die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG sei ihm daher nicht gelungen. Auch im Hinblick auf § 37 Abs. 4 LMG wäre eine Lebensmittelkontrolle selbst dann zulässig gewesen, wenn die Behauptung des Beschwerdeführers zuträfe, daß sich 10 Kunden im Geschäftslokal befunden hätten, weil am Vortag eine Beschwerde "wegen genußuntauglichen Fleisches im Betrieb des Beschuldigten" eingegangen sei.

Die Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 38 erster Satz LMG 1975 sind die Geschäfts- oder Betriebsinhaber sowie ihre Stellvertreter und Beauftragten u.a. verpflichtet, dem Aufsichtsorgan über Aufforderung Zutritt zu den Orten zu gestatten, die dem Verkehr mit den dem Lebensmittelgesetz unterliegenden Waren dienen.

Nach § 74 Abs. 4 Z. 2 LMG macht sich einer Verwaltungsübertretung schuldig, wer den Bestimmungen des § 38 zuwiderhandelt.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, nicht ihn, sondern den E. sen. treffe die strafrechtliche Verantwortung. Jener sei im Hinblick auf die "Haftungserklärung" sowohl "beauftragter Stellvertreter" im Sinne des § 38 LMG 1975 als auch "verantwortlicher beauftragter Stellvertreter" im Sinne des § 9 Abs. 3 VStG. Im Zusammenhang mit der letztgenannten Vorschrift sei der angefochtene Bescheid auch deshalb rechtswidrig, weil die Haftungserklärung keine Haftung für den Gesamtbetrieb begründe.

Mit diesen Darlegungen werden die mit unterschiedlichen rechtlichen Auswirkungen verbundenen Begriffe des "Stellvertreters und Beauftragten" (des Geschäfts- oder Betriebsinhabers) im Sinne des § 38 LMG 1975 und des "verantwortlichen Beauftragten" im Sinne des § 9 Abs. 2 bis 4 VStG vermengt.

Der Beschwerdeführer ist Einzelunternehmer; im vorliegenden Fall kam daher nur die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Rahmen des § 9 Abs. 3 VStG in Betracht. Danach kann eine physische Person, die Inhaber eines räumlich oder sachlich gegliederten Unternehmens ist, für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche ihres Unternehmens einen verantwortlichen Beauftragten bestellen.

Die zitierte Vorschrift setzt somit eine räumliche oder sachliche Gliederung des Unternehmens voraus; ein verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 3 VStG kann nur für einzelne oder mehrere sachliche oder räumliche Bereiche (Gliederungen) des Unternehmens und nicht als verantwortlicher Beauftragter für das ganze Unternehmen bestellt werden. Das - von der zitierten Vorschrift vorausgesetzte - Vorliegen einer räumlichen oder sachlichen Gliederung des Unternehmens des Beschwerdeführers wird nicht behauptet. Nach dem Inhalt der "Haftungserklärung" sollte dem E. sen. im übrigen, was die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften betrifft, die Verantwortung für das gesamte Unternehmen übertragen werden. Der Beschwerdeführer kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er die strafrechtliche Verantwortung auf einen verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 3 VStG übertragen hätte.

Hingegen trifft es zu, daß nach dem festgestellten Sachverhalt E. sen. als "Stellvertreter" bzw. "Beauftragter" des Betriebsinhabers (des Beschwerdeführers) im Sinne des § 38 LMG 1975 anzusehen ist. Dies bedeutet aber nicht, daß der Beschwerdeführer von seiner strafrechtlichen Verantwortung - allein durch den Akt der Bestellung eines Stellvertreters bzw. Beauftragten - befreit wäre.

Aus dem Umstand, daß § 38 erster Satz LMG 1975 die "Stellvertreter und Beauftragten" neben dem "Geschäfts- oder Betriebsinhaber" nennt, kann nicht abgeleitet werden, daß der Geschäfts- oder Betriebsinhaber seine strafrechtliche Verantwortlichkeit - ähnlich wie mit der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 bis 4 VStG - auf einen anderen übertragen könnte (vgl. ähnlich - im Zusammenhang mit der Bestellung eines "Bevollmächtigten" nach § 31 Abs. 2 AnSchG - das Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0240). Die im § 38 LMG 1975 normierten Pflichten treffen primär den "Geschäfts- oder Betriebsinhaber". § 38 LMG bietet - anders als § 9 Abs. 2 bis 4 VStG - keine Grundlage für die Auffassung, der Geschäfts- oder Betriebsinhaber könne sich von seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Sinne des § 74 Abs. 4 Z. 2 iVm § 38 LMG 1975 mit dem bloßen Hinweis entlasten, nicht er, sondern sein Stellvertreter und Beauftragter habe dem Aufsichtsorgan den Zutritt verweigert.

Die in § 38 LMG normierten Verpflichtungen treffen den Geschäfts- oder Betriebsinhaber auch dann, wenn er Stellvertreter oder Beauftragte bestellt hat. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Pflichten ist nach allgemeinen Regeln zu untersuchen, ob den Geschäfts- oder Betriebsinhaber ein Verschulden trifft.

Bei der Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 4 Z. 2 iVm § 38 LMG 1975 handelt es sich um ein Ungehorsamsdelikt. Den Beschwerdeführer traf daher gemäß § 5 Abs. 1 VStG die Verpflichtung, glaubhaft zu machen, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden traf. Dabei hatte er initiativ alles darzutun, was für seine Entlastung spricht, insbesondere, daß er solche Maßnahmen getroffen habe, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen mit Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten ließen (vgl. die bei Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II, § 5 VStG E 64, 65, zitierte Rechtsprechung). In diese Richtung hat der Beschwerdeführer nichts vorgebracht. Vielmehr hat er schon im Verwaltungsverfahren angegeben, sein Vater habe "den Auftrag, keine Kontrollen ohne meine Anwesenheit durchführen zu lassen".

Die geltend gemachte Rechtswidrigkeit des Inhaltes liegt somit nicht vor.

Als Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerde geltend, die belangte Behörde hätte feststellen müssen, daß das Lebensmittelaufsichtsorgan "eine Geschäftsstörung verursacht hat, weil sechs bis zehn Personen auf Bedienung gewartet haben".

Mit diesen Darlegungen, deren rechtlicher Hintergrund nicht weiter dargelegt wird, nimmt die Beschwerde offenbar auf § 37 Abs. 4 LMG 1975 Bezug. Danach haben die Aufsichtsorgane bei der Nachschau die Störung des Geschäftsbetriebes und jedes Aufsehen tunlichst zu vermeiden. Dabei handelt es sich um eine an die Aufsichtsorgane gerichtete, deren Verhalten bei Lebensmittelkontrollen betreffende Ordnungsvorschrift. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß ein Rechtfertigungsgrund im Zusammenhang mit der Verweigerung des Zutrittes entgegen der nach § 38 LMG 1975 bestehenden Verpflichtung darin bestünde, daß im Zusammenhang mit der Kontrolle eine Störung des Geschäftsbetriebes oder Aufsehen zu befürchten gewesen wäre. Im übrigen ist nicht zweifelhaft, daß die Ordnungsvorschrift des § 37 Abs. 4 LMG 1975 lediglich bedeutet, daß VERMEIDBARE Störungen des Geschäftsbetriebes bzw. vermeidbares Aufsehen unterbleiben sollen; soweit Störungen des Geschäftsbetriebes oder Aufsehen im Zusammenhang mit der Lebensmittelkontrolle unvermeidlich sind, ist dies vom Verpflichteten in Kauf zu nehmen.

Es kann auch nicht davon die Rede sein, daß eine "Störung des Geschäftsbetriebes" im Sinne des § 37 Abs. 4 LMG schon deshalb vorläge, weil Kunden auf Bedienung warten; umsoweniger kann daraus abgeleitet werden, daß eine Kontrolle unterbleiben müsse bzw. die Verweigerung des Zutrittes gerechtfertigt wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß die Befugnis der Lebensmittelkontrollorgane, Nachschau in Räumlichkeiten zu halten, auf die "üblichen Geschäfts- oder Betriebsstunden oder (die Zeit) während die Räumlichkeiten dem Verkehr (§ 1 Abs. 2) geöffnet sind" beschränkt ist (§ 37 Abs. 2 LMG 1975). Es ist nach allgemeiner Erfahrung davon auszugehen, daß sich während der genannten Zeiten in der Mehrzahl der Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe durchgehend Kunden aufhalten werden. Folgte man der im Ergebnis vertretenen Auffassung der Beschwerde, daß Lebensmittelkontrollen nur in Abwesenheit von Kunden (oder bei geringer Kundenfrequenz) durchgeführt werden dürften, führte dies zum unvertretbaren Ergebnis, daß Lebensmittelkontrollen in Betrieben mit hoher Kundenfrequenz gar nicht, ansonsten nur in höchst eingeschränktem Ausmaß stattfinden dürften.

Ebensowenig vermag die Beschwerde mit ihrer Verfahrensrüge durchzudringen, es fehle eine Feststellung, "daß ohne hygienische Kleidung eine Kontrolle in einem Fleischereigeschäft nicht möglich ist". Eine Relevanz der vermißten Feststellung für die Frage der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers ist nicht zu erkennen; auch die Beschwerde stellt nicht klar, in welchem Zusammenhang die erwähnte Feststellung von Bedeutung sein sollte.

Die Beschwerde vertritt schließlich die Auffassung, es liege ein Verstoß gegen § 44a Z. 1 VStG vor, weil nicht zum Ausdruck käme, daß der Beschwerdeführer dem § 38 LMG 1975 zuwidergehandelt hätte. Diese Darlegungen sind angesichts des oben wiedergegebenen Wortlautes des Spruches des Straferkenntnisses, der vom angefochtenen Bescheid durch die Abweisung der Berufung rezipiert wurde, nicht zielführend. Der Vorschrift des § 44a Z. 1 VStG ist entsprochen, wenn der Spruch des Straferkenntnisses alle jene wesentlichen Tatbestandsmerkmale der zur Last gelegten Verwaltungsübertretung umfaßt, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens erforderlich sind. Die zur Last gelegte Tat muß so eindeutig umschrieben werden, daß der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzutreten, und davor geschützt ist, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. Ringhofer, aaO, § 44a VStG E 12 bis 14). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Spruch des angefochtenen Bescheides diesen Anforderungen nicht entspräche; die Beschwerde begnügt sich mit der im vorliegenden Zusammenhang nicht nachvollziehbaren Behauptung, es käme nicht zum Ausdruck, daß der Beschwerdeführer dem § 38 LMG 1975 zuwidergehandelt hätte.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Andere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Diverses Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993100238.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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